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Fiktion versus HEMA: Mittelalterliche Kämpfe in Film und TV analysiert

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Zed:
Hallo!

Ich weiß, dass es einige :T: nys gibt, die sich mit HEMA aktiv beschäftigen oder beschäftigt haben. Für mich habt Ihr den höchsten Expertiselevel für das, was mittelalterliche Kämpfe  w i r k l i c h ausgemacht hat, den ich kenne.

Ich würde gerne wissen: Welche filmischen Darstellungen von Kämpfen im Mittelalter gelten in der HEMA-Szene als besonders wirklichkeitsnah? Gibt es eine Promiperson der Stuntkoordinationsszene, die als besonders kenntnisreich im Bereich Historizität gilt und nicht (nur) effektvoll Kämpfe choreographieren kann, sondern eben auch diese Historizität einbringt?

Ich hatte "Rob Roy" damals im Kino gesehen, und mir war die finale Duellszene im Gedächtnis geblieben. Nicht wegen seiner wahrhaftigen Darstellung des Kampfes - das kann ich nicht beurteilen - sondern wegen einiger sehr effektvoller filmischer Entscheidungen: Der großen Unterschiedlichkeit der beiden Antagonisten, Liam Neeson, der den großherzigen Hühnen mit dem langen Schwert spielt, und Tim Roth, der höchst eindrucksvoll den kaltherzigen, beweglichen, kleineren Dandy mit dem Degen (?) gibt. Dass sie keine Musik eingesetzt haben. Dass die Auseinandersetzung der beiden mit Waffen (klar), Blicken, der Bewegung im Raum (wer dreht wem wann den Rücken zu), aber mit nur sehr wenig Worten ausgetragen wird.

Hier das finale Duell in "Rob Roy" auf Youtube.

Könnt Ihr mit Eurem HEMA-Blick einmal auf diese Inszenierung schauen? Ich bin gespannt auf alles, was Euch auffällt, egal ob Kleinigkeiten, Abläufe oder grundsätzliche Muster, die in Euren Augen aufgehen oder nur Show sind. Zur Orientierung hilft es sehr, wenn Ihr den entsprechenden Timecode von der Stelle nennt, auf die Ihr Euch bezieht.

Raven Nash:
Rob Roy hat mal einen ganz ursächlichen Fehler: Das Duell wurde nicht Smallsword vs. Baskethilt sondern mit zwei Baskethilts gefochten (sind sogar beide noch erhalten).
Ansonsten ist die Choreo recht ordentlich gemacht.

Edit: Was halt beim Smallsword (oder Degen) Schwachsinn ist, sind die Hiebangriffe. Die Dinger sind nur an der Spitze scharf, ansonsten sind die steif, aber stumpf. Und das Fechten damit besteht aus kleinen Bewegungen mit plötzlichem Ausfall. Und Schnitte macht man damit gar nicht.

"Wirklichkeitsnahe Choreographie" ist ein wenig wie "warmer Eislutscher". Eine Choreographie soll einer Dramaturgie folgen, sie soll Charaktere zeigen, eine Geschichte erzählen. Dem sind die Methoden untergeordnet.

Man kann natürlich echte Techniken verwenden, muss dann aber Abstriche machen.

Ironclad war iirc relativ nah an der Realität, wenngleich oft etwas überzogen. Alatriste hatte sehr gute Rapiergefechte und Schlachtdarstellungen.

Aber historische Techniken in einer Choreo gibt es - nur nicht im Kino:

https://www.youtube.com/watch?v=Cn36Pb8z3yI&ab_channel=AdoreaOlomouc

Das ist Langes Schwert nach Joachim Meyer.

Zed:
Hey Raven Nash, danke für Deine Antwort!


--- Zitat ---Smallsword vs. Baskethilt sondern mit zwei Baskethilts
--- Ende Zitat ---
Ah, okay. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass Tim Roth ein leichteres Schwert nutzt. Oder vielleicht nur einen "eher Dexterity-orientierten Kampfstil".


--- Zitat ---JEine Choreographie soll einer Dramaturgie folgen, sie soll Charaktere zeigen, eine Geschichte erzählen.
--- Ende Zitat ---
Absolut! Und in "Rob Roy" finde ich genau das ja auch extrem gut gelungen.

Ich meine, ich habe in Filmen und Serien schon viele dramaturgisch gute und schlechte Umsetzungen von Kämpfen gesehen.

Ich kann mir vorstellen, dass viele Filmschaffende davon genug haben und Waffengewalt eher so zeigen, wie sie in Realität war/ist - und nicht, wie die Story es vorgibt (Es geht mir nicht um Nahaufnahmen von arteriellen Verletzungen oder mit Schnittwaffen geöffneten Körpern). Ich bin mir halt nicht sicher, ob ich das erkennen würde. Aber Ihr HEMAisten sehr wahrscheinlich schon. Ich nehme an, dass wahrhaftige Kämpfe im Schnitt kürzer waren als man denkt.


--- Zitat ---Aber historische Techniken in einer Choreo gibt es - nur nicht im Kino:
https://www.youtube.com/watch?v=Cn36Pb8z3yI&ab_channel=AdoreaOlomouc
--- Ende Zitat ---

Hm, das sieht mir dramaturgisch sehr überhöht aus und gar nicht wie die Umsetzung eines wahrhaftigen Duells. Oder woran machst Du das fest?

Tele:
Beim waffenlosen Kampf hat sich in Hollywood bei einigen Filmen viel getan.

Ich weiß noch, als ich den ersten Bourne gesehen habe, dass ich dachte: Boah, das ist Selbstverteidigung und Nahkampf abseits des Sports in Perfektion. Davon verstehe ich ein bisschen was.
Aber nachdem ich den Film inzwischen mehrmals gesehen habe, bin ich an folgendem Punkt: Es ist zu perfekt. Jede Technik sitzt, jede Bewegung wirkt wie aus dem Lehrbuch, der Protagonist behält stets die Kontrolle. Das habe ich nichtmal bei Leuten im Training gesehen, die ich für das non-plus-ultra im Nahkampf halte.

Es ist zu perfekt. Klingt komisch, aber vielleicht wisst ihr, was ich meine...

YY:

--- Zitat von: Zed am 17.08.2023 | 18:05 ---Ich kann mir vorstellen, dass viele Filmschaffende davon genug haben und Waffengewalt eher so zeigen, wie sie in Realität war/ist - und nicht, wie die Story es vorgibt

--- Ende Zitat ---

Das sind ja keine gegenläufigen Zielsetzungen.
Am Anfang steht immer die zu erzählende Geschichte und wenn deren Grundstimmung, Themen und Inhalte zu einer realistischen Darstellung passen, ergänzt und verbessert diese sogar die Erzählung.

Und realistisch/authentisch ist immer noch ein sehr weites Spektrum; da gibt es nicht die eine denkbare Darstellungsmethode und alles andere wäre falsch.
Auch das hängt wieder davon ab, was man wie erzählen will.
Man muss immer etwas rausgreifen, was zur Geschichte passt. Lässt man sich von "was wäre hier der wahrscheinlichste Verlauf" oder ähnlichen Gedanken leiten, kommt am Ende nur Murks raus. 


--- Zitat von: Zed am 17.08.2023 | 18:05 ---Ich bin mir halt nicht sicher, ob ich das erkennen würde.

--- Ende Zitat ---

Muss man gar nicht, um trotzdem was davon zu haben.
Vielleicht wird der umgekehrte Fall klarer: Wo Darstellungen gezwungen, unsauber und wenig authentisch sind, stellt sich auch beim diesbezüglich "ungebildeten" Betrachter schnell ein unbestimmtes Störgefühl ein.


--- Zitat von: Zed am 17.08.2023 | 18:05 ---Hm, das sieht mir dramaturgisch sehr überhöht aus und gar nicht wie die Umsetzung eines wahrhaftigen Duells.

--- Ende Zitat ---

Wenn ich mich recht erinnere, kommen die Jungs u.A. aus der Schaukampfecke. Da wird ähnlich wie allgemein im Theater ein bisschen übertrieben gespielt, weil man ein eher weit entferntes Publikum hat anstelle einer Kamera in unmittelbarer Nähe, die auch kleine Nuancen einfängt.

Man sieht dort jedenfalls historisch korrekte Techniken in der jeweils passenden taktischen Situation sauber ausgeführt.
Kritisieren kann man am Ehesten noch das hier:

--- Zitat von: Tele am 17.08.2023 | 19:33 ---Aber nachdem ich den Film inzwischen mehrmals gesehen habe, bin ich an folgendem Punkt: Es ist zu perfekt. Jede Technik sitzt, jede Bewegung wirkt wie aus dem Lehrbuch, der Protagonist behält stets die Kontrolle.

--- Ende Zitat ---

Da schließt sich der Kreis zu wesentlich älteren asiatischen Kampfkunstfilmen: Dort ist auch vieles "echt" in dem Sinne, dass es eine real existierende Technik ist, die auch noch tatsächlich, d.h. ohne Tricks bei Schnitt, Kameraführung etc., ausgeführt wurde.

Aber der Gesamtkontext stimmt dann nicht: es werden quasi Techniken aneinander abgespult, wo der Regelfall eher umgekehrt der ist, dass beide einiges versuchen und die erste sauber umgesetzte Technik den Kampf weitgehend entscheidet.

Irgendeinen Tod muss man da sterben. Man will ja schließlich was zeigen bzw. als Zuschauer auch was sehen und dann geht so ein Kampf eben ein bisschen zu lang und ist ein bisschen zu "schön".
Solange das nicht völlig übertrieben ist, geht das schon in Ordnung.

Der andere Ansatz wäre eine Darstellung, die mehr auf die Vorkampfphase abstellt und den eigentlichen Kampf kurz und brutal hält. Da braucht es dann aber oft wieder ein bisschen Übertreibung in Sachen Trefferwirkung bis hin zur Splattergrenze, damit das richtig zieht.
 

Letztlich prägt das Medium und die angepeilte Geschichte immer die Darstellung. Wie gesagt: die eine Methode, Kämpfe filmisch "echt" darzustellen, gibt es nicht.
 

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