Autor Thema: Wieso ich die X-Card für gefährlich halte und Abstand davon nehme  (Gelesen 7965 mal)

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Offline Prisma

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Ursprünglich war dies nur als Antwort an JollyOrc gedacht, aber wenn ein Thread gewünscht wird, mache ich einen auf. Da JollyOrc die Diskussion in seinem Thread eingegrenzt hat - das respektiere ich natürlich - eröffne ich wie von ihm vorgeschlagen einen eigenen. Mir geht es erst einmal nur darum meine Perspektive auf die X-Card darzulegen. Gleichzeitig lege ich hier aber keine Grenzen für die Diskussion auf. Wer möchte kann sich gern für oder gegen meine Position in dieser Sache äußern. :)


Zur Sache
Ich mag Sicherheit. Sehr sogar. Jetzt mag man sich fragen: Mensch, Prisma, wenn du Sicherheit magst, wie kannst du die X-Card nicht mögen – das ist doch ein Savetytool?! Nein, das sehe ich anders, denn die Sache ist komplizierter. Die X-Card ist im Prinzip ein Sicherheitsgurt, der aus Rasierklingen gemacht ist.


Die X-Card ist nur bedingt nützlich
Die X-Card schützt nicht vor Exposition. Denn um sie auslösen zu können, muss man den Trigger am Tisch erleben, bzw. erfahren. Nun kann der Betroffene auf die Karte tippen oder sie hochhalten und die Fortführung des Themas stoppen, aber die Exposition hat dennoch stattgefunden. Die betroffene Person wurde bereits getriggert. Ja, die Fortführung wurde gestoppt, so das es nicht noch schlimmer werden kann, doch ein echter Schutz ist die X-Card nicht. Das kann sie auch nicht leisten. Da ist ein Gespräch während der Session Zero wesentlich effektiver und sicherer als der Gebrauch der X-Card.


Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz ab
Obwohl unser klassisches Unterhaltungsrollenspiel kein psychologisches Werkzeug ist – ich schließe natürlich nicht aus, dass es in den Händen eines Psychotherapeuten nicht zum Werkzeug werden kann – kann es dennoch nützlich sein um bestimmten Situationen zu begegnen, bzw. den Umgang mit ihnen in einem gewissen Umfang zu trainieren.
Wenn der Spielleiter sagt: Das ist die Situation, was machst du? Dann muss man reagieren. Auch wenn es einen vielleicht etwas im positiven Sinne „stresst“. Rollenspiel kann Kommunikation, aber auch Entscheidungsfindung und Umgang mit unerwarteten Situationen trainieren. Auch mit Niederlagen. Das trainiert Resilienz.

Die X-Card erreicht das Gegenteil, denn sie bietet die Gelegenheit alles zu ignorieren. Ich bin kein Fachmann, aber ich denke das trainiert Resilienz ab. Und das ist im echten Leben schädlich. Wenn sich der Vorgesetzte meldet und sagt: „Ich will Sie in fünf Minuten in meinem Büro sehen.“ Dann kann man im echten Leben nicht sagen: Das stresst mich zu sehr, hier ist meine X-Card, Chef. Das ist keine Lösung, selbst wenn diese Situation für den Betroffenen ein echter Trigger ist. Ich möchte natürlich auch nicht das Betroffene im Spiel von einem Trigger getroffen werden, aber meiner Ansicht nach sollte man versuchen irgendwie damit umzugehen, Rollenspiel kann da helfen – wie gesagt, ich bin kein Psychiater, ich kann da auch falsch liegen.

Dies führt zu einem weiteren Punkt: Zumindest meine Rollenspielsitzungen sind keine Therapiesitzungen. Das meine ich nicht böse, ich kann das einfach nicht leisten, weil ich kein Fachmann bin. Es muss bei der betroffenen Person eine gewisse Mündigkeit vorliegen. Wenn die Person PTSD hat, dann setzt er sich besser nicht in eine Runde wo viel gekämpft wird. Hat jemand eine Vergewaltigungserfahrung gemacht, dann ist Vampire möglicherweise nichts für diese Person, da es da auch um Kontrollverlust gehen kann. Da hilft auch die beste X-Card nicht, weil sie die anfängliche Exposition nicht verhindern kann.


Durch die Nutzung der X-Card gibt man gefährlich viel von sich preis
Das ist eine unterschätzte aber sehr reale Gefahr, die ich schon am Spieltisch erlebt habe. Vielleicht ist das sogar die größte Gefahr von allen.

Bei der Nutzung der X-Card muss man zwar keine Begründung abgeben, oder erklären was der Trigger nun genau war, dies kann aber dennoch deutlich werden. So können die Leute am Tisch vielleicht etwas erfahren, welches man gar nicht preisgeben möchte. Das kann richtig gefährlich werden. Ein Beispiel aus der Praxis, welches ich persönlich erlebt habe:

Vereinsrunde, ein offizielles Trail of Cthulhu Abenteuer. Das Abenteuer sieht eine Konfrontation mit dem Schurken vor, der einem Spielercharakter (der sein Sohn ist) unmissverständlich mitteilt dieser habe als Sohn versagt und sei in seinen Augen nichts wert und ein Fehler.
Das hat den Spieler dieses Charakters empfindlich getriggert. Da war klar, er muss so einen Fall im Privatleben gehabt haben, vielleicht war er in dieser Konstellation sogar der Sohn. Nun kann man sagen, das ist Spekulation, aber es ändert nichts daran dass dieser Eindruck bei den Mitspielern der Runde entstanden ist.

Damals hat die Runde einfach weitergemacht. Nun ist es aber so, dass es in einem Verein nicht nur nette Leute gibt. Damals gab es einen manipulativen Intriganten der es geschafft hatte, andere Leute von seiner Präsenz abhängig zu machen und das auch auslebte. Seine Machenschaften haben echten Schaden angerichtet. Man stelle sich vor, dieser Typ hätte zufällig in dieser Runde mitgespielt. Das wäre sehr gut im Bereich des Möglichen gewesen. Mit der Information des Triggers – aha, da ist ein Schwachpunkt der sich sozial und psychisch ausbeuten lässt – hätte der ziemlich sicher Schlimmes angerichtet.

Ist das ein Problem der X-Card? Ja, denn durch das Benutzen gibt man diese Info preis oder aber weckt eine falsche Vorstellung. Beides ist schlecht und kann gefährlich sein. Ist da ein Gespräch während der Session Zero nicht genau so gefährlich? Vielleicht, aber wenigstens kann so eine überraschende Exposition verhindert werden.


Es besteht die Gefahr, dass die Nutzung ideologisch wird
Das mag nur mich betreffen, denn ich möchte das Hobby soweit wie möglich ideologiefrei betreiben. Aber ich habe Leute kennengelernt die der Auffassung folgen, eine Runde kann nur dann „inklusiv“ sein, wenn eine X-Card, oder ein anderes Savetytool, auf dem Spieltisch liegt. Das betrifft selbst jahrelange private Heimrunden, die plötzlich ohne X-Card nicht mehr können … weil, ja, weil man dann ohne nicht mehr zu den Guten gehört. In meinen Augen ist das Quatsch, aber das ändert nichts daran, dass zumindest einige Leute davon hart überzeugt sind und sich daraus auch Streit entwickeln kann. Es gibt sogar (zumindest Online-) Cons bei denen die X-Card Pflicht ist. Auf der einen Seite hat man ein Tool das nicht sonderlich wirksam ist, auf der anderer Seite die fixe Idee ohne ginge es nicht mehr, da wird es in meinen Augen ideologisch.

Alles in allem mag die X-Card gut gemeint sein, aber in meinen Augen schützt sie nicht besonders gut und hat gefährliche Fehler. Ein im Vorfeld klärendes Gespräch sehe ich als effektiver an.
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Offline Nria

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Ich habe da eine Frage: Wie genau, glaubst du, hätte man die beschriebene Situation denn besser lösen können?
Das Gespräch im Vorhinein bringt wenig, wenn a) der SL nicht weiß, dass diese spezifische Situation überhaupt ein Trigger sein kann und b) die getriggerte Person nicht weiß, dass sie ein Problem mit genau dieser Sache im Spiel hat.

Für die Session Zero ist man ja darauf angewiesen, dass Leute schon genau wissen, dass das ein Trigger für sie ist - aber oft genug wird das doch erst klar, wenn man so eine Situation im Spiel erlebt. Kann bei häufigeren Problempunkten genauso passieren, aber grade bei so speziellen Sachen kann man ja unmöglich 100% abdecken, auch wenn man eine sehr ausführliche Liste präsentiert.

Offline Gambit

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Ich habe da eine Frage: Wie genau, glaubst du, hätte man die beschriebene Situation denn besser lösen können?
Das Gespräch im Vorhinein bringt wenig, wenn a) der SL nicht weiß, dass diese spezifische Situation überhaupt ein Trigger sein kann und b) die getriggerte Person nicht weiß, dass sie ein Problem mit genau dieser Sache im Spiel hat.

Für die Session Zero ist man ja darauf angewiesen, dass Leute schon genau wissen, dass das ein Trigger für sie ist - aber oft genug wird das doch erst klar, wenn man so eine Situation im Spiel erlebt. Kann bei häufigeren Problempunkten genauso passieren, aber grade bei so speziellen Sachen kann man ja unmöglich 100% abdecken, auch wenn man eine sehr ausführliche Liste präsentiert.

Ein guter Kommentar, dem ich mich so ebenfalls anschließen würde. Zusätzlich sollte man die X-Card nicht alleine, sondern mit anderen Safety Tools verbinden. Darauf wird erfeulicherweise ja auch immer mehr in Rollenspiel Büchern hingewiesen.

Online Smoothie

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Ich finde die Argumentation nicht besonders konsistent.
Das Argument, dass vorherige Gespräche bzw. andere Safety Tool wie Lines and Veils besser vor Exposition schützen stimmt, spricht aber nicht unbedingt gegen die X-Card, die diese ergänzt, indem sie eine schnelle Möglichkeit bietet, auf Situationen zu reagieren, die man vielleicht nicht vorhergesehen hat.

Gleichzeitig scheinst du aber Expositionen zu mögen, weil sie die Reslienz stärken würden. Was einen nicht umbringt...
Scheint mir erstmal ein Widerspruch.

Und zum Argument, dass man zu viel von sich Preis geben würde: Wenn man heulend zusammenbricht, gibt man mehr von sich Preis. Da tippe ich doch lieber auf ne Karte...
Inzwischen bin ich geneigt zu glauben, dass an der DnD Satanic Panic in den 80ern was dran war. Allein, es waren nicht die Inhalte. Es waren die Regeln, die aus der Hölle kommen...

Offline felixs

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Vermutlich ist die Lösung beides: Kurzes Abklären von möglichen Problemen vor dem Beginn des Spiels einerseits, während des Spiels dann die Möglichkeit zum Veto (ob mit Karte oder wie auch immer) andererseits.

Die Ideologisierung nervt mich auch. (Gewiss, nichts ist unpolitisch, alles ist Ideologie. Aber es stellt sich schon die Frage, wie ostentativ das sein muss.)

Das mit der Resilienz halte ich für unnötig. Erstens will ich im Rollenspiel (in meiner Freizeit) nicht gestresst werden. Zweitens finde ich, dass es sehr wohl erstrebenswert wäre, die Welt besser an unsere Bedürfnisse anzupassen, anstatt uns mit "Ist-halt-so" zu quälen. (Dass ich nicht glaube, dass das Problem Mensch-in-der-Welt lösbar ist, ist die andere Seite. Ich habe keine Lösung anzubieten.)
Wenn ich in einer Gruppe das Gefühl habe, mich durch Abschottung schützen zu müssen - warum hänge ich dann mit diesen Leuten rum?

Dass man etwas von sich preisgibt, wenn man etwas ablehnt, das ist zweifellos richtig. Aber mit Leuten, gegenüber denen das nicht geht, will ich auch nicht spielen. Wer nicht akzeptiert, dass ich - warum auch immer - etwas nicht mitmachen will, der ist leider dann schlechte Gesellschaft (für mich). Der konkrete Fall, den Du beschreibst, klingt nach einem Problem, in dem Intervention von aussen sehr angemessen ist.
« Letzte Änderung: 29.01.2024 | 22:42 von felixs »
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Offline Prisma

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Ich habe da eine Frage: Wie genau, glaubst du, hätte man die beschriebene Situation denn besser lösen können?
Das Gespräch im Vorhinein bringt wenig, wenn a) der SL nicht weiß, dass diese spezifische Situation überhaupt ein Trigger sein kann und b) die getriggerte Person nicht weiß, dass sie ein Problem mit genau dieser Sache im Spiel hat.
Ich glaube man konnte die Situation gar nicht lösen. Genau aus den Gründen die du nennst. Grundsätzlich halte ich das Gespräch im Vorfeld aber für besser, weil es kontrollierter ablaufen kann und wegen der Exposition.


Für die Session Zero ist man ja darauf angewiesen, dass Leute schon genau wissen, dass das ein Trigger für sie ist - aber oft genug wird das doch erst klar, wenn man so eine Situation im Spiel erlebt. Kann bei häufigeren Problempunkten genauso passieren, aber grade bei so speziellen Sachen kann man ja unmöglich 100% abdecken, auch wenn man eine sehr ausführliche Liste präsentiert.
Ja, aber wenn jemand weiß was schon getriggert hat, kann das ein Mehrwehrt sein. Den hat man bei der X-Card so oder so nicht, beim Gespräch wenigstens im zweiten Fall.



Ich finde die Argumentation nicht besonders konsistent.
Das Argument, dass vorherige Gespräche bzw. andere Safety Tool wie Lines and Veils besser vor Exposition schützen stimmt, spricht aber nicht unbedingt gegen die X-Card, die diese ergänzt, indem sie eine schnelle Möglichkeit bietet, auf Situationen zu reagieren, die man vielleicht nicht vorhergesehen hat.

Gleichzeitig scheinst du aber Expositionen zu mögen, weil sie die Reslienz stärken würden. Was einen nicht umbringt...
Scheint mir erstmal ein Widerspruch.
Ich meine das so wie beim sprichwörtlichen Strauß der seinen Kopf im Sand versteckt um ein Problem zu lösen. Kann man machen, hilft nur nicht und löst auch rein gar nichts. Wenn es kommt, muss man damit irgendwie umgehen.
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Offline Nria

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Ich glaube man konnte die Situation gar nicht lösen. Genau aus den Gründen die du nennst. Grundsätzlich halte ich das Gespräch im Vorfeld aber für besser, weil es kontrollierter ablaufen kann und wegen der Exposition.
Ich meine nicht, wie man sie hätte verhindern können - sondern wie hätte man als Spieler/SL in dieser Situation reagieren können, die besser gewesen wäre als mit der X-Card?

Die Situation mit manipulativen Mitmenschen halte ich für ziemlich konstruiert; es sitzt ja nicht an jedem Spieltisch jemand, der nur darauf lauert, die Schwächen anderer zu erfahren. Und wenn doch, würde er sie doch in der Session Zero sowieso mitkriegen?

Zum Thema "Resilienz": Es ist schlicht nicht deine Angelegenheit, wie andere Leute mit ihren Problemen umgehen (außerhalb des Spiels). Die Mitspieler sind erwachsen und müssen (und WOLLEN) nicht von dir zu richtigem Verhalten erzogen werden. Es geht dich nur solange etwas an, wie das ihr Verhalten am Spieltisch betrifft.

Offline KapitänOffensichtlich

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Der Titel des Themas hatte Potenzial... Zumindest wurde erklärt, warum es nichts bringt/bringen kann. Die vermeintlichen Gefahren finde ich aus hobbyistischer und aus professioneller Sicht aber genau so lächerlich, wie das, was diesen Tools fälschlicherweise positiv zugesprochen wird.

Also bei mir am Tisch gibt es keine X-Card. Ich spiele mit gefestigten erwachsenen Menschen in meiner Freizeit. Ich kriege kein Geld dafür, mich mit Leuten zu befassen, die sich selbst mit dem Hobby keinen Gefallen tun.

Online nobody@home

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Der Titel des Themas hatte Potenzial...

Der Titel war, offen gesagt, in sich schon polemisch. Benutzern und Befürwortern der X-Card mal eben so nachsagen zu wollen, sie würden ihre Mitspieler aktiv gefährden, hat nachvollziehbarerweise einen niedrigen Flammpunkt.

Persönlich habe ich mit der Karte bis dato noch keine Erfahrungen gemacht, kann mir aber schon vorstellen, daß sie beim Spiel mit sensiblen Menschen oder auch schlicht noch weitgehend Unbekannten (laut Wikipedia der Hintergrund, für den sie ursprünglich entworfen wurde) ihren Sinn ergibt. Es spielt nun mal nicht jeder immer nur zu hundert Prozent in der heimisch-vertrauten Kuschelrunde, in der sich alle schon von Kindesbeinen an kennen.

Offline JollyOrc

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Du hast folgende Probleme angemerkt, und zu allen habe ich etwas zu erwidern :)

  • Die X-Card schützt nicht vor Exposition - Korrekt. Das kann und soll sie auch nicht. Aber sie bietet einen eleganten und schnellen Weg aus der Exposition heraus, der dann auch so wenig wie möglich den Spielfluß stört. Was wiederum Leute ermutigen soll, ihn dann auch zu nehmen.

  • Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz ab - das sehe ich genau anders herum. Ich denke, sie hilft es Resilienz zu trainieren, denn mit der Karte als Reißleine kann ich mich viel eher in "gefährliche" Situationen begeben um die mal auszuprobieren, weil ich weiß, dass ich da auch heil wieder rauskommen kann. Echte Therapeuten machen das in der Expositionstherapie ja auch so: Sie sorgen dafür, dass man das "gefährliche Ding" in einer sicheren Umgebung mit jederzeitiger Abbruchmöglichkeit ausprobieren kann.

    Zuletzt dazu: Wenn jemand in meiner Runde wiederholt die X-Karte ziehen würde, dann würde ich die Person auch irgendwann zur Seite nehmen und sie fragen, ob das wirklich die richtige Runde für sie ist. Das ist ja kein Werkzeug um sich das Abenteuer zurechtzubiegen wie man es will. Und auch hier schreibe ich es nochmal: Ich als SL nutze die Karte seit Jahren mehr oder weniger konsequent in Runden mit entweder mir unbekannten Leuten bzw. "Triggerpotential" und habe noch nie jemanden gehabt, der sie benutzte.

  • Durch die Nutzung der X-Card gibt man gefährlich viel von sich preis - Das hier von Dir gewählte Beispiel übergeht geflissentlich, dass auch ohne Nutzung der X-Card der manipulative Intrigant mitbekommen hätte, was da wen triggert. Das Preisgeben findet also so oder so statt. Hier würde ich sogar wieder das Gegenteil argumentieren: Mit X-Card hätte das Geschehen ggfs. früher abgebrochen werden können, und der potentielle Intrigant hätte weniger erfahren! (BTW: Ich hoffe, die Situation bei Euch ist da inzwischen besser?)

  • Es besteht die Gefahr, dass die Nutzung ideologisch wird - Ja. Aber das sehen wir bei Regelsystemen, der korrekten Benutzung von Würfeln, etc. auch. Aus meiner persönlichen Sicht überwiegt der tatsächliche Nutzen aber bei weitem die aus meiner Warte eher rein mutmaßlichen bis irrigen Nachteile. Ich halte aber auch wiederum niemanden für Schlechte Menschen [tm] die nicht die X-Card stets dabei haben und mit großem Brimborium vor jeder Runde enthüllen.

Und zuletzt nochmal ganz deutlich: Die X-Card ist nicht als Werkzeug gedacht, mit dem man Menschen, die das Spiel erst gar nicht spielen sollten, das Spiel dann doch irgendwie mundgerecht machen kann.

Sondern sie hilft gefestigten erwachsenen Menschen in ihrer Freizeit bewusst und konsequent die kleine Komfortzone zu verlassen und mutiger als sonst zu spielen, ohne im Fall des Falles den anderen Leuten am Tisch den Abend zu verderben.
« Letzte Änderung: 29.01.2024 | 23:43 von JollyOrc »
Fürs Protokoll: Ich bitte hiermit ausdrücklich darum, mich in der Zukunft auf schlechte oder gar aggressive Rhetorik meinerseits hinzuweisen. Sollte ich das dann wider Erwarten als persönlichen Angriff werten, bitte auf diesen Beitrag hier verweisen und mir meine eigenen Worte um die Ohren hauen! :)

Offline Darius der Duellant

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Ich sehe das unterm Strich ähnlich wie Prisma.
Insbesondere hinsichtlich Resilienz und "ich bin nicht dein Therapeut".
Ein weiterer Punkt der für mich persönlich zu einer App strikten Ablehnung der X-Card in ihrer grundsätzlichen Form führt ist ihr "kein Kommentar notwendig" Aspekt.
Die Idee dass mir jemand einerseits die Szene torpedieren kann (dafür KANN es legitime Gründe geben), aber andererseits dann keinerlei Kommentar (nicht zu verwechseln mit /keiner tiefergehenden Erklärung/) dazu abgeben empfinde ich als Respektlosigkeit gegenüber allen anderen am Tisch und der in die Vorbereitung gesteckte Zeit.
Mir ist für den potenziellen Impakt auch die Nutzungshemmschwelle zu niedrig. Wenn als Ergebnis eine Szenenanpassung steht, hätte ich zumindest gern ein vorhergehendes, klar verbal artikuliertes "Moment bitte, das geht gerade in eine mir unangenehme Richtung" und nicht nur ein (im übertragenen Sinne) Schiedsrichter-karten zeigen.
.
Das hat für mich nämlich das Höflichkeitsniveau von jemandem der nen Kellner im Restaurant mit Fingerschnippen herruft.



/Édit:

Um eventuelle Fragen zu reduzieren, hier der Link zum X-Card Erklärungsdokument ihres Autors:

http://tinyurl.com/x-card-rpg

Ich bin ganz ehrlich, mir reicht das dort transportierte Weltbild schon aus um X-Card Nutzung als sehr starken Indikator für eine massiv inkompatible Weltsicht im RPG-Kontext zu sehen.
Der Autor führt z.B. als eines der (in seinen Augen legitimen) Einsatzbeispiele einen rauchenden NPC an der für einen Spieler der mit dem Rauchen aufhören wollte ein Trigger war.
So was brauche ich nicht am Tisch, schon gleich dreimal nicht wenn der entsprechende Kartenzieher dann noch nicht mal erklären braucht um was für eine trivialität es hier ging.
Für so was ist mir meine und die Zeit der restlichen Spieler zu schade und der angedachte Umsorgungsgrad nimmt da Züge an, die ich für eine Rollenspielsitzung die keine bezahlte Therapierunde bei einem Profi ist, für nicht mehr angemessen erachte.
« Letzte Änderung: 30.01.2024 | 00:16 von Darius der Duellant »
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Offline Swanosaurus

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Hm, ich finde den Eingangspost auch widersprüchlich.

Die X-Card hilft eh nicht, weil sie die Exposition nicht verhindert, und ist deshalb schlecht; UND die X-Card verhindert Exposition und damit das Lernen von Resilienz und ist deshalb schlecht.

Da kann eigentlich nur eines von beiden wahr sein.

Das Argument "Eine Session 0 ist besser" greift für mich auch nicht, denn beides schließt einander ja nicht aus.

Zum Thema Resilienz lernen kan ich nur sagen: In der Beziehung finde ICH, das Rollenspiel ist keine Psychotherapie und soll es (in den Händen nicht dazu ausgebildeter) auch nicht sein; da hat sich niemand anzumaßen, anderen gegen ihren Willen Resilienz beibringen zu wollen.

Und das Szenario vom manipulativen Mitspieler ist genauso in Bezug auf eine Session 0 oder auf eine offensichtliche Getriggertheit durch Spielinhalte zu denken.

Der Vorteil der X-Card über eine Session 0 und Lines und Veils hinaus (die einander ja alle nicht ausschließen) ist, dass flexibel und jenseits von Legalismen ("Das haben wir aber in der Session 0 so nicht besprochen, deshalb gibt das jetzt nicht!") auf die aktuelle Verfassung der Mitspielenden reagiert werden kann.


Ich benutze die X-Card übrigens nur, wennn ich mit mehr oder weniger Fremden spiele (meine einzige feste Runde läuft aber auch online und mit Leuten, die ich seit 30-40 Jahren kenne). Bei Runden mit Fremden finde ich es angenehm, wenn sie auf dem Tisch liegt und alle wissen, dass sie sie nutzen können - aber tatsächlich habe ich noch nicht ein einziges Mal erlebt, dass sie genutzt wurde. Ist sie also für mich überflüssig? Keine Ahnung. Sie trägt jedenfalls für mich zu einer entspannten Atmosphäre bei.
Ehemals Rumpel/Achamanian

Offline Undwiederda

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Ich sehe die X-Karte immer als eine Art Notstopp (den roten Buzzer an Geräten). Ja die Situation würde da bereits getriggert aber man kann trotzdem das schlimmste vlt noch abwenden.
Aber ich sehe es auch so, dass die x-card nur ein Tool aus den Saftytools ist und halt eher das letzte was gezogen werden sollte.

Aber man kann zwar viel in der Session 0 besprechen aber dann müssten wir auch davon ausgehen, dass Menschen kein Leben neben den runden hätten, denn wir erleben und erfahren einiges und manchmal auf drastische Weise. Unfälle, Tode, Krankheiten und andere Dinge können Ansichten auf Szenen verändern aber auch Zuwachs von Kindern, Haustieren oder andere positive Ereignisse können Dinge in ein anderes Licht rücken. Wir sind Stimmungsmenschen und wir wollen beim Rollenspiel in die Situation reingezogen werden (Immersion) aber wenn es dann mit den neuen Dingen kollidiert, dann kann die X-Karte ggf eben das schlimmste verhindern.
Man sollte sicher immer wieder fragen ob die Lines and veiles noch bestand haben und sie ggf refreshen aber es gibt auch Dinge, die ggf situationsbedingt triggern oder man sich selbst vorher nicht im Klaren ist.

Und ja wir sind keine Psychologen und die Bewältigung gehört nicht zu unserem Job aber wir wollen ja alle Spass am Tisch und die Saftytools sollen ja dafür sorgen und wenn der Spielspaß leidet sollte man miteinander reden.

Offline aikar

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Ich verwende die X-Card vor allem bei Vereins- und Eventrunden mit Leuten, die ich nicht (gut) kenne und wo es auch kaum Möglichkeit zu Vorbesprechung/Session Zero oder Nachbesprechung gibt oder gewollt ist (weil ich mit diesen Leuten eben nicht so freundschaftlich verbunden bin).
Und auch da nicht immer, weil ich oft einfach darauf vergesse, ehrlich gesagt. Das ändert aber nichts daran, dass ich die grundsätzliche Idee gut finde.

"Die X-Card ist nur bedingt nützlich"
Ja, sicher. Sie ist kein perfekter Schutz. Aber sie ist besser als gar keiner.
Natürlich gibt es Trigger, die jemanden gleich von 0 auf 100 bringen können, da hilft dann auch keine X-Card. Aber das gilt ja nicht für alle.
Ein Beispiel, dass ich da immer gerne ausführe ist, als eine SL am Ende des Abenteuers beschrieben hat, wie die Schurken am Galgen baumeln.  Eine Spielerin hatte kurz zuvor einen Freund durch Selbstmord durch Erhängen verloren. Erst als sie einen Heulkrampf  bekam, war allen klar, da passt was nicht und die Szene wurde abgebrochen.
Hätten wir damals eine X-Card gehabt, hätte sie wahrscheinlich schon viel früher, wenn sie merkt, das geht in eine für sie kritische Richtung, abbrechen können.
Oder das typische Beispiel von beschriebener Sexualität, die schrittweise aufgebaut wird und irgendwann merkt man, es wird zu viel.

"Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz ab"
Dann hat man den Sinn der X-Card falsch vermittelt. Die ist (für mich) wie ein Feueralarm, den drückt man nicht, weil es mal ein bisschen in der Küche komisch riecht.
Die X-Card sollte Einsatz finden, wenn etwas wirklich nicht tragbar ist und ist der letzte Schritt vor "ich stehe auf und gehe". Wenn die X-Card an jedem Abend (möglicherweise mehrfach) genutzt wird, dann sollte man hinterfragen, ob diese Runde für diese Person wirklich das richtige ist. Weil offenbar fühlt er/sie sich ja ständig unwohl. Da liegt das Problem dann bei der Person bzw. einer Diskrepanz in der Runde und nicht bei der X-Card. Die ist praktisch der Bote und wenn man den erschießt, löst das das Problem auch nicht.
Tatsächlich denke ich sogar, wenn die X-Card richtig vermittelt wird, kann sie Resilienz sogar stärken. Weil wenn ich weiß, dass ich eine Option habe, abzubrechen, wenn es wirklich zu viel wird, ist man oft bereit und lockerer, gewisse Sachen einfach mal anzugehen. Es ist wie der Unterschied ob ich einen Horrorfilm mit offenen Augen durchstehen müsste oder jederzeit die Option habe die Augen zu schließen oder abzuschalten oder vorspulen (was im Grunde die X-Card ist).  In ersterem Fall würden sich wohl nur extrem wenige Leute Horrorfilme anschauen. In zweiterem Fall kann ich den Film wahrscheinlich genießen, auch ohne zu unterbrechen, einfach weil das Gefühl, ich KÖNNTE jederzeit abbrechen, Sicherheit vermittelt.

Der Autor führt z.B. als eines der (in seinen Augen legitimen) Einsatzbeispiele einen rauchenden NPC an der für einen Spieler der mit dem Rauchen aufhören wollte ein Trigger war.
So was brauche ich nicht am Tisch, schon gleich dreimal nicht wenn der entsprechende Kartenzieher dann noch nicht mal erklären braucht um was für eine trivialität es hier ging.
Da stimme ich zu, dass wäre mir auch zu trivial.

"Durch die Nutzung der X-Card gibt man gefährlich viel von sich preis"
Ja, stimmt potentiell. Aber das ist die Entscheidung der/des Getriggerten. Ist es mir wichtig genug, diesen für mich unangenehmen Moment zu beenden und bin ich bereit dafür möglicherweise etwas preis zu geben (immer noch weniger, als wenn ich es direkt anspreche)?

"Es besteht die Gefahr, dass die Nutzung ideologisch wird"
Ich sehe in der X-Card den ehrlich gemeinten Wunsch, potentiell problematische Situationen zu verbessern. Wenn das für dich eine Ideologie ist, dann hast du wahrscheinlich recht. Bei jeder Ansicht gibt es natürlich Extreme. Ich finde z.B. auch feministische Bewegungen grundsätzlich super, aber hatte auch schon meine Begegnungen mit solchen Feministinen, die es auf die Spitze getrieben haben und im Grunde nur Männerhasserinnen waren.
Trotzdem würde ich die Gefahr, dass es Extremfälle gibt, nicht als Gegenargument gegen das ganze Konzept verwenden. Denn das gilt für praktisch ALLES.

Alles in allem sehe ich den potentiellen Nutzen als deutlich höher als die Problematik der genannten Fehler.

Ich sehe die X-Karte immer als eine Art Notstopp (den roten Buzzer an Geräten). Ja die Situation würde da bereits getriggert aber man kann trotzdem das schlimmste vlt noch abwenden.
Aber ich sehe es auch so, dass die x-card nur ein Tool aus den Saftytools ist und halt eher das letzte was gezogen werden sollte.

Aber man kann zwar viel in der Session 0 besprechen aber dann müssten wir auch davon ausgehen, dass Menschen kein Leben neben den runden hätten, denn wir erleben und erfahren einiges und manchmal auf drastische Weise. Unfälle, Tode, Krankheiten und andere Dinge können Ansichten auf Szenen verändern aber auch Zuwachs von Kindern, Haustieren oder andere positive Ereignisse können Dinge in ein anderes Licht rücken. Wir sind Stimmungsmenschen und wir wollen beim Rollenspiel in die Situation reingezogen werden (Immersion) aber wenn es dann mit den neuen Dingen kollidiert, dann kann die X-Karte ggf eben das schlimmste verhindern.
Man sollte sicher immer wieder fragen ob die Lines and veiles noch bestand haben und sie ggf refreshen aber es gibt auch Dinge, die ggf situationsbedingt triggern oder man sich selbst vorher nicht im Klaren ist.

Und ja wir sind keine Psychologen und die Bewältigung gehört nicht zu unserem Job aber wir wollen ja alle Spass am Tisch und die Saftytools sollen ja dafür sorgen und wenn der Spielspaß leidet sollte man miteinander reden.
Schön gesagt. Die meisten Runden machen eine Session Zero nur zu Beginn einer Kampagne, die potentiell Jahre dauert, da kann sich viel entwickeln. In manchen Fällen kennt sich eine neu gegründete Gruppe auch noch gar nicht genug, dass alle bereit wären, bei der Session Zero über so persönliche Themen zu reden. Manche Trigger sind auch von der Tagesverfassung abhängig und wären an anderen Tagen gar keiner.
« Letzte Änderung: 30.01.2024 | 07:05 von aikar »
Für Fans von Aventurien, denen DSA zu komplex ist: Aventurien 5e: https://aventurien5e-fanconversion.de/

Offline Skasi

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Die X-Card hilft eh nicht, weil sie die Exposition nicht verhindert, und ist deshalb schlecht; UND die X-Card verhindert Exposition und damit das Lernen von Resilienz und ist deshalb schlecht.

Da kann eigentlich nur eines von beiden wahr sein.
Ich hatte Prismas Aussage anders verstanden.
M.E. war die Aussage, daß mit der X-Card die Widerstandsfähigkeit gegenüber bestimmten Themen potenziell herabgesetzt wird. Das ist etwas anderes, als diese erhöhen zu wollen.
Das beschriebene Problem ist also nicht, daß jemand nicht widerstandsfähiger wird. Das beschriebene Problem ist, daß jemand (möglicherweise) immer früher die X-Card bemüht.

Offline Fillus

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Besteht nicht noch eine ganz andere Gefahr? Ich meine ich erlebe in hunderten Runden (quer durch alle Genres) kaum das mal jemand getriggert wird, womit das das nicht abwerten möchte. Aber es ist ein Hobby was Spaß machen soll. Alleine die Existenz von vielen Sicherheitstools schreckt doch schon ab. Ich meine was soll man denken wenn man sich für dieses Hobby interessiert? Sicherheitstools? Ist es so gefährlich? Soll das ein Hobby sein, das Spaß macht?

Ja, auch ich halte es für wichtig die Sicherheit am Tisch zu gewährleisten, aber ich möchte auch keine Menschen abschrecken, denn außerhalb vom Genre Horror (hier sollte klar sein das es an Grenzen geht) passiert es meiner Erfahrung nach verdammt selten das wer getriggert wird. Meiner Erfahrung nach, wie gesagt. Wer also z.B. D&D spielt, wird eher selten mit einer X Card in Kontakt kommen. Aber allgemein wird immer mehr sugeriert das es ohne Sicherheitstools nicht geht.

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Wenn Neulinge eine Kaufkampagne leiten, sind sie eventuell gar nicht in der Lage die Themen darin soweit umzuschreiben um alle potenziellen Trigger rauszuschrieben. Oder anders, es gibt noch viel mehr zu beachten, als ohnehin schon, was die Hürde wieder steigen lässt.

Früher gab es auch SIcherheitstools, nicht physisch, nicht in Regeln gepackt, sondern auf Empathie beruhend. Hat zugegeben nicht immer geklappt, aber durch diese festen Tools gibt es auch Probleme. "Tja, hättest mir vorher mal verraten das dich das triggert, hätte ich es umgehen können. Ist doch nicht mein Problem das du dich vor dem Spiel nciht öffnen wolltest". Soll heißen, viele der Tools setzen eine Menge Vertrauen voraus.

Die X Card weißt eben genau auf Dinge hin die man vielleicht nicht verraten möchte. Wie oben beschrieben. Das nicht Begründen müssen/brauchen ist natürlich selbstverständlich, verät aber auch genau das die Person ein Problem hat damit umzugehen. Ein eine leichte Begründung mildert das ab. "Können wir das Thema lassen, es lenkt mich sehr ab, weil ich es mich an was erinnert was mir den Spaß nimmt".

Knackpunkt ist hier wie immer die Kommunikation. Als Spielleitung stehe ich zumindest etwas in Pflicht meine Mitspielenden im Auge zu behalten und zu reagieren wenn mir etwas auffällt. Man kann nur versuchen das Vertrauen zu erlangen, dass die Probleme/Trigger auch (am besten vorher) angesprochen werden, was natürlich auf Cons, in Oneshots und Co einfach schwer ist.

Offline Weltengeist

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@ Fillus: Standing Ovations von mir.

Ich frage mich auch, ob das nicht eine eher akademische Diskussion ist. Denn Hand aufs Herz: Wie oft hattet ihr denn Situationen, wo ihr eine vernünftige Vorbesprechung (einschließlich Abklären von No-Gos) gemacht habt und dann trotzdem im Spiel noch eine X-Card (oder wie auch immer das bei euch hieß) gezogen werden musste?

Auf mich wirkt das wie die Sorte Werkzeug, das genau von den Leuten genutzt wird, die es gar nicht brauchen - nämlich diejenigen, die ohnehin empathisch sind und auf die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der anderen achten. Und genau diejenigen, für die so ein Konzept am sinnvollsten wäre, weil sie es nicht mal mitkriegen, wenn jemandem am Tisch die Gesichtszüge einfrieren, nutzen es ohnehin nicht...
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Offline ghoul

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Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz ab - das sehe ich genau anders herum. Ich denke, sie hilft es Resilienz zu trainieren, denn mit der Karte als Reißleine kann ich mich viel eher in "gefährliche" Situationen begeben um die mal auszuprobieren, weil ich weiß, dass ich da auch heil wieder rauskommen kann. Echte Therapeuten machen das in der Expositionstherapie ja auch so: Sie sorgen dafür, dass man das "gefährliche Ding" in einer sicheren Umgebung mit jederzeitiger Abbruchmöglichkeit ausprobieren kann.

Deswegen denke ich, für Edgelord-Runden sind Sicherheits-Tools sinnvoll.
Aber für normale, weitgehend harmlose Runden im festen Freundeskreis? Da kann die X-Karte nichts, was Empathie nicht könnte.
Und die Geschichte vom Trigger, den die betroffene Person selbst nicht kennt - die ist schon sehr konstruiert und selten, wenn es NICHT darum geht, Grenzerfahrungen auszuloten.
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PESA hilft!
PESA diskutiert.

Zensur nach Duden:
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von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität.

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Deswegen denke ich, für Edgelord-Runden sind Sicherheits-Tools sinnvoll.
Aber für normale, weitgehend harmlose Runden im festen Freundeskreis? Da kann die X-Karte nichts, was Empathie nicht könnte.
Und die Geschichte vom Trigger, den die betroffene Person selbst nicht kennt - die ist schon sehr konstruiert und selten, wenn es NICHT darum geht, Grenzerfahrungen auszuloten.
Mal als Anekdote aus meiner eigenen Leiterfahrung:
Eine Spielerin hatte sich selbst getriggert. Sie hatte einen Onenightstand mit einem NSC forciert. Alles gut. Die Spielerin war Happy... bis der nächste Morgen kam. Sie hatte dann panisch nach Zauber im Regelwerk gesucht, die verhindern, dass ihr Charakter ein Kind bekommt. Ich hatte nichts dergleichen angedeutet. Sie kam selber auf die Idee. Ich musste ihr hochheilig versprechen, dass da kein Kind raus kommt.
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
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Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern
Gewinn.

Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Undwiederda

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Ich hatte schon Momente wo eine x-card nicht schlecht gewesen wäre und das waren alles etablierte Kampagnen und keine one shots aber man kann im Vorfeld über Sicherheitstools reden und wenn die Gruppe keines nutzen will, dann ist es in Ordnung für mich.
Kommunikation ist das A und O.

Aber das Sicherheit abschreckt ist in meinem Verständnis quatsch oder man sollte es anders erklären, es geht einfach um das miteinander und man kann es ja schon alleine mit Phobien erklären und Rollenspiel ist eben immersive Beschreibung oder der der Versuch daran und daher finde ich Rücksichtnahme schon wichtig.
Regel 1 ist für mich da das Mass aller Dinge

Online AndreJarosch

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Ich bin da ganz bei @weltengeist.

Offline Fillus

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Aber das Sicherheit abschreckt ist in meinem Verständnis quatsch oder man sollte es anders erklären, es geht einfach um das miteinander und man kann es ja schon alleine mit Phobien erklären und Rollenspiel ist eben immersive Beschreibung oder der der Versuch daran und daher finde ich Rücksichtnahme schon wichtig.
Regel 1 ist für mich da das Mass aller Dinge

In einer Zeit in der ich mehr und mehr Menschen kennenlerne, die gerne ins Hobby (Offline) schnuppern würden, für die es aber fast unvorstellbar ist sich mit Fremden (Ohne Witz, in den letzten Monaten alleine oft zu hören bekommen) an einen Tisch zu setzen, schreckt es schon ab wenn man oberflächlich hört das Sicherheitstools nötig sind.  Das heisst ja nicht das Sicherheit abschreckt, tut es nicht und sollte es nicht. Aber sich auf unsicheres Gebiet zu wagen und zu hören das dort wohl solche Tools benötigt werden, kann es schon. Aber ich habe es ja oben bewusst als Frage formuliert. Sicherlich gibt es auch Menschen bei denen es positiv wirkt.

Mir ist nach der Corona Pause jedenfalls extrem aufgefallen, wie sich die Menschen hier bei uns im ländlichen Norden zurück gezogen haben, keine Ahnung ob das nur Lokal so ist. Ich lerne Menschen (männlich) kennen, die schon 20 Jahre Rollenspiele spielen, sich aber erstmal in einem Kaffee mit mir treffen wollen und sich nicht gleich in eine Runde wagen. Männlich deswegen erwähnt, weil ich es bei Frauen eine verständliche Hürde gibt, sich zu fremden größtenteils aus Männern bestehenden Gruppen, einfach in deren Wohnung zu kommen. Da sieht man wieder wie kaputt die Menschheit ist, dass sich solche Gedanken überhaupt gemacht werden müssen.

Offline Freeport

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@ Fillus: Standing Ovations von mir.

Ich frage mich auch, ob das nicht eine eher akademische Diskussion ist. Denn Hand aufs Herz: Wie oft hattet ihr denn Situationen, wo ihr eine vernünftige Vorbesprechung (einschließlich Abklären von No-Gos) gemacht habt und dann trotzdem im Spiel noch eine X-Card (oder wie auch immer das bei euch hieß) gezogen werden musste?

Auf mich wirkt das wie die Sorte Werkzeug, das genau von den Leuten genutzt wird, die es gar nicht brauchen - nämlich diejenigen, die ohnehin empathisch sind und auf die Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der anderen achten. Und genau diejenigen, für die so ein Konzept am sinnvollsten wäre, weil sie es nicht mal mitkriegen, wenn jemandem am Tisch die Gesichtszüge einfrieren, nutzen es ohnehin nicht...

Ich sehe das sehr ähnlich. Ich habe in meinen über 30 Jahren nicht einmal eine Runde gehabt in der irgendjemand getriggert wurde und ich habe ohne zu übertreiben mit Hunderten von Spielern (Freunden und Fremden) gespielt. Ich sage zu Beginn bei neuen Spielern immer "Rollenspiel soll allen Beteiligten Spaß machen, hast du keinen Spaß, dann reden wir drüber". Wenn ich leite, habe ich meine Spieler im Auge und wenn man darauf achtet, sind Trigger lange vor dem Durchbruch zu erkennen - obwohl selbst das mir nie passiert ist.

Von solchen Tools wie X-Card etc. habe ich hier das erste mal gehört und ich halte sie auch nur für bedingt brauchbar - ich bin zwar kein Therapeut, aber in Krisenkommunikation ausgebildet und dort werden solche Tools schon seit Jahren nicht mehr verwendet Wenn jemand so eine Karte braucht, ist er bereits getriggert und der Schaden ist entstanden (das klingt dramatisch, aber auch ein versauter Abend, weil einer am Tisch sich nicht wohl fühlt ist ja irgendwie ein Verlust) und Halten oder Zurückdrehen verhindert lediglich eine weitere Eskalation, nicht den eigentlich Trigger und es eröffnet zusätzlich eine mögliche Schuldebene ("jetzt versau ich der Gruppe mit meinem Probleme den Abend" - stimmt natürlich meist nicht, aber es ist eine gängige Reaktion). Ich stelle mir da ehrlich gesagt eher die Frage, was da an Abenteuern und Stories erdacht wird, die solche Tools nötig machen, vielleicht sollte man da eher an der Ursache arbeiten und nicht an der Wirkung.

Außerdem zeigen Studien durch die Bank weg, dass das Vorhandensein von Safety-Mechanismen dazu führt, dass Menschen schneller und härter an die Grenzen gehen, es gibt ja ein Tool, dass alle sicher sein lässt (sic) - was nicht heißt, dass alles Safety-Tools unbrauchbar sind, aber man sich klar sein muss, dass ein Implementierung auch eine unbewusste Aufforderung darstellen kann. Ihr habt vielleicht von der Geschichte gehört, dass Fahrradfahrer mit Helm mehr Risiken eingehen, als ohne. Ich möchte die Grundsatzdisku dazu nicht anstoßen, aber ich denke, ihr versteht worauf ich hinaus will.

Mal positiv formuliert - achten alle in der Gruppe aufeinander und hat die SL ein Auge darauf, dass die Gruppe im Ganzen und die Spieler im Einzelnen sich wohl fühlen, entsteht eine funktionale Kommunikationssituation, die solche Tools nicht nötig hat und in der man durchaus auch mal edgy werden kann.
Das hat zumindest bei mir bis dato immer funktioniert.
« Letzte Änderung: 30.01.2024 | 08:52 von Freeport »
Now I'm confused. No, wait! Maybe I'm not...

Offline Issi

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Ganz allgemein
Mich würde tatsächlich mal interessieren, in welcher Situation diese Sicherheits Werkzeuge schon zum Einsatz kamen. ( Hätte da jmd ein konkretes Beispiel für mich? So ala: "Als SC-X dies oder das getan hat, wurde von Spieler Y die Karte gezückt"?)




Offline Grubentroll

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Ich musste das jetzt erstmal googlen. :D
Gut, kann ich verstehen wenn man auf nem Con ist und da Leute komisch abgehen.

Ansonsten fällt das für mich unter Rule#1 ("Spiel nicht mit Trotteln").