Man kann das m.E. schon so machen, wie Du das auch mit den Regeln betrieben hast: das Ganze in seine Einzelteile zerlegen und sich bei jedem Elemente fragen "was leistet das?" (narrativ, für ein funktionales Spiel, etc.). Und anschließend fängt man dann an, auf einer aktuellen Zukunftsprojektion aufbauend wieder was zusammenzubauen.
Genau aus der Betrachtung der Einzelteile folgt für mich, dass man aktuelle Zukunftsprojektionen meiden sollte.
Der Knackpunkt an den damaligen Settingständen von CP2020 und SR1-2 war die große Spielbarkeit; bei SR noch ein bisschen mehr wegen der unheimlich zugkräftigen "core story" und den positiven Auswirkungen auf Gruppen mit wechselnder Besetzung (inklusive Con-Spiel).
Die damals spielfertig aufbereiteten Kerngedanken des Cyberpunk-Genres legen die Messlatte schon ziemlich hoch; da kann man fast nur verlieren, wenn man von aktueller Zukunftsprojektion ausgeht und das dann irgendwie in ein Spiel pressen will.
Sieht man ja auch, wenn man sich Spiele anschaut, die ein einzelnes Element bis ins nahezu Absurde weiterdenken/aufblasen, ob das nun Social Media, AR/VR, KI, Überwachungsstaat, Klimawandel oder sonstwas ist. Das trägt alles für sich nicht und wenn die Sau ein paar Jahre später fertig durchs Dorf getrieben ist, sieht die ehemals gefühlt auf der absoluten Höhe der Zeit erstellte Prognose nur noch lächerlich aus.
Im ganz Kleinen sieht man das bei SR in den GRWs und Waffenbüchern, wo irgendein damals gerade aktueller Trend aufgegriffen wurde, der wenig später überdeutlich als gescheitertes Experiment oder reines Marketinggefasel erkennbar war.
Wenn man da in die Archive der einschlägigen amerikanischen "gun rags" schaut, kann man aufs Jahr genau feststellen, wann das jeweilige Buch geschrieben wurde.
Da hat man auf Autorenseite aber auch nie die Selbstreflexion entwickelt, diesen dämlichen Zirkus einfach mal bleiben zu lassen und sich auf Dinge zu besinnen, die nicht gar so schlecht altern bzw. sich auch nach einer gewissen Alterung immer noch sauber ins Gesamtbild einfügen.
Und man muss dann in der Tat vermutlich alle 5-10 Jahre nachkorrigieren, weil sich die Welt ja weiterentwickelt und zwar, wie Eismann schon festgestellt hat, nicht immer in die Richtung, die man vorher angenommen hat.
So kommt da nie ein halbwegs stimmiges Setting raus.
Das kann man mit der Schlagzahl vielleicht in einem Fanzine o.Ä. machen, aber nicht in einem auf Kontinuität angewiesenen Weltenbau.
Vor allem, wenn sich einmal nicht nur aktuelle, kurzlebige SF-Trends in Luft auflösen, sondern größere Paradigmenwechsel eintreten. Dann müsste man ja auch gleich an die gar nicht bespielte Timeline zwischen der Gegenwart und dem Spielbeginn ran, anstatt "nur" wie SR den weiteren Verlauf mit dem Holzhammer zurechtzudengeln.
Sonst werden die Schlangenlinien in der Entwicklung des Settings immer größer und folgen immer kürzer aufeinander.
Ich selbst kann so gar nicht nachvollziehen, wo überhaupt der Anspruch der Autoren herkommt, aktuelle Entwicklungen groß in ein Setting einfließen zu lassen, dessen abweichende Timeline mittlerweile weit vor unserer Gegenwart beginnt. Davon abgesehen, dass man sich da gerne mal mit der Bedeutung vertut, wird das doch automatisch
noch krummer als ein komplettes Fehlen, wenn eine gefühlt zentrale und hochwichtige heutige Entwicklung eben nicht von der Gegenwart ausgehend immer Teil des Settings war, sondern in 50-60 Jahren auf einmal aufploppt.
Das ist einfach nur stumpfes "Gibts heute, muss es in "der Zukunft" ja dann auch geben". Da rollen sich mir jedesmal die Fußnägel hoch.
Wenn ich einfach generell schaue, wo es die Kombination Futuristisch + Fantasy-Elemente auf der Setting-Ebene und Missions-basiert + Slice of Life im eigenen Kiez auf der Spielebene gibt, dann sehe ich da im Moment nichts, was auch nur entfernt an Shadowrun rankommt.
In Sachen Verbreitung sicher nicht - da hat SR immer noch die eigene Massenträgheit auf seiner Seite.
Mit anderen Regeln nachgebaut ist das aber recht flott, es sei denn, man will unbedingt auch die Probleme (!) mitnehmen, wie das manch einer mit dem Großthema Magie und Matrix ja gerne mal tut.
Dann sollte man sich schon fragen, warum man überhaupt das Regelwerk wechselt.