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[Ich erzähle von] Eat The Reich
Smoothie:
Habe jetzt das erste mal Eat the Reich https://rowanrookanddecard.com/eat-the-reich-what-is-it/ geleitet und es war super.
Inhaltlich keine Spoiler, die Geschichte ist sehr einfach. Die SC sind liebevoll gestaltete, vorgefertigte Vampire, die Hitler 1943 in Paris töten sollen.
Ultraviolent und pulpig. Trotzdem ein Spass, denn man tötet viele Nazis.
Die Regeln nennen sich Havoc Engine und man würfelt immer mit D6 Pools vergleichend gegen die SL. Mit Erfolgen kann man dann verschiedene Aktionen triggern. Dauert eine Sekunde zum erklären, aber dann lief es den ganzen Abend über sehr flüssig und v.a. auch schnell. Die Regeln tragen auch zur Geschichte bei, da man für jeden Erfolg, den man verwendet der Erzählung ein Detail hinzufügen muss.
Auch dieser Mechanismus lief sehr gut. Überhaupt ist es ein sehr gut ausgedachtes Regelsystem, das Regeln hat, die das Spielgefühl unterstützen.
Die letzte Kugel in der Waffe gibt einen Extrawürfel, wenn man stirbt, tritt man mit einem Knall ab, etc.
Ich habe es der Situation geschuldet auf einen One-Shot runtergekürzt. Das geht und lief auch gut, aber ich bedauere es trotzdem. Man verliert schon viele potentiell coole Szenen aus der Kampagne und ich würde empfehlen es wie vorgeschlagen in 2 Sitzungen zu spielen.
Bei mir haben die SC im Finale unglaublich gut gewürfelt, was die Sache ein bisschen zu schnell beendet hat, aber das kann ja bei vielen Systemen mal passieren.
Das Buch siegt gut aus und ist lustig. Was man aber wissen muss: Das ganze ist halt nur ein Two-Shot, Kampagnenpotential würde ich bezweifeln, denn so ein Level an High Stakes Abgedrehtheit lässt sich wohl nur schwer aufrecht erhalten.
La Cipolla:
Huh, ich dachte mir eigentliche "schon sehr speziell", aber das Two-Shot-Konzept macht es tatsächlich interessanter für mich! In so einem Rahmen kann ich mir das dann perfekt vorstellen.
Aber eine komplette Mini-Kampagne in einem runden Produkt mit fertigen Charakteren und einem passenden, extrem simplen Regelsystem? Das kann von mir aus gerne ein Trend werden!
marat:
Klingt nach dem perfekten Dingsi für eins der nächsten "Nerd:etten Retreats" im Sommer :headbang:
Essen, Trinken, (Lager)Feuer un was Unterhaltsames zum rumnerden.... Urschreitherapie war gestern! ;D
Katharina:
Nachdem Eat The Reich kürzlich 3 Ennies gewonnen hat, wird es Zeit, das System auch im Tanelorn näher zu besprechen. Ich konnte das Spiel bislang einmal im Rahmen eines Oneshots mit 2 Spielern leiten. Beide haben viel Erfahrung mit Rollenspielen und auch schon eigene Systeme entwickelt. Einer der beiden Spieler fängt mit Erzählrollenspielen überhaupt nichts an (probiert aber gerne neue Systeme aus), der andere kommt mWn eher aus der OSR-Richtung, spielt aber gelegentlich auch Erzählspiele. Ich selbst habe ein wenig Erfahrung mit Erzählrollenspielen und eine grundsätzliche Affinität dafür, spiele aber mehrheitlich klassichere Systeme.
Im Folgenden möchte ich einerseits das Buch selbst vorstellen, aber auch meine Erfahrungen und Überlegungen einfließen lassen.
1. Setting und Tonalität
Eat The Reich dreht sich um eine Gruppe von Vampiren, die sich durch das besetzte Paris des Jahres 1943 kämpfen, um Adolf Hitler in seinem Zeppelin auf dem Eiffelturm zu töten und sein Blut zu trinken. Das Spiel lebt von pulpiger Action, einem großzügigen Umgang mit Realität und Realismus und überzeichneter Gewalt. Das ist sicher speziell und trifft nicht jedermanns Geschmack, ich fand es aber einmal erfrischend anders. Ich bezweifle, dass das Setting für längere Kampagnen geeignet ist, aber für einen Oneshot hat es für mich gut funktioniert. Die Designer:innen gehen von einem Fewshot mit 2-3 Sitzungen aus, nach meiner Einschätzung könnte das aber bereits zu viel des Guten sein. Denn wenn man ehrlich ist, dann besteht das Abenteuer aus einer Aneinanderreihung actionreicher Kämpfe. Diese sind zwar äußerst abwechslungsreich - in unserem Oneshot gab es u.a. eine Motorrad-Flucht durch verlassene Metro-Tunnel und einen Panzer, der den Eiffelturm gerammt hat, um ihn zum Einsturz zu bringen. Doch am Ende des Tages ist das System nun einmal nicht für komplexere Plots, szenenübergreifende Handlungsbögen oder nachvollziehbare Charakterentwicklung konzipiert.
Das Buch enthält nur wenige Setzungen hinsichtlich des Setting. Das hat für einen Oneshot gut gepasst, da man dadurch einfach loslegen kann, ohne im Vorfeld viel lesen zu müssen. Umgekehrt gibt es dadurch aber auch wenig herauszufinden, was für mich noch einmal zu dem Eindruck beiträgt, dass das Spiel primär für Oneshots geeignet ist.
Die seitenlangen Ausführungen dazu, wie man mit seinem solchen historisch aufgeladenen Setting umgeht und dieses an die eigene Gruppe, an Vorlieben und Tabus der Spieler:innen anpassen kann, bieten für erfahrene Rollenspieler:innen wahrscheinlich kaum Neues, sind bei dem gegenständlichen Setting aber wohl dennoch sinnvoll. Stellenweise fand ich die Aussagen zum ethischen Hintergrund des Spiels durchaus fragwürdig, auch wenn das für das eigentliche Spiel am Tisch egal sein mag.
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Als Beispiel sei etwa folgender Absatz aus dem Kapitel "The Unterlieing Ethical Stance of This Game" zitiert:
--- Zitat ---We also consider anti-fascist violence meaningfully different from, say, violence against random orcs in a fantasy game. Nazis have indicated that they’re evil, harmful, and oppressive to you by their choices, whereas killing an orc just because they were born an orc is definitely racist (and probably the sort of thing a nazi would do).
--- Ende Zitat ---
Ich halte die Vorstellung, dass Nazis einfach böse sein sollen für eine massive politische Vereinfachung und Fehleinschätzung und das Gutheißen von politischer Gewalt für problematisch - insbesondere zumal hier ausdrücklich von Gewalt gegen Einzelpersonen und nicht von Widerstand gegen ein System gesprochen wird. Aber die Diskussion würde hier wohl zu weit führen und hat, wie gesagt, auch keine unmittelnbaren Auswirkungen auf die Spielerfahrung mit Eat The Reich.
2. Die Regeln
Das Spiel wird in verschiedene Szenen unterteilt. Jede Szene verfügt über ein Ziel, das erfüllt werden muss, um zur nächsten Szene zu gelangen (z.B. "einen Ausgang aus dem Gebäude finden"). Das Ziel hat dabei einen bestimmten Wert - wird dieser auf 0 reduziert, ist das Ziel erreicht. Daneben gibt es je Szene typischerweise 1-2 Gegner, wobei auch ganze Trupps als 1 Gegner zusammengefasst werden können.
Es gibt 7 Attribute, die Werte zwischen 1 und 4 annehmen können. Um eine Probe abzulegen, erstellt man einen Würfelpool, der sich aus den Würfeln für ein Attribut und gegebenenfalls weiteren Würfeln für eingesetzes Equiptment und Fertigkeiten ergibt. Das meiste Equipment verfügt über eine Bedingung, bei deren Erfüllung es Bonuswürfel gibt. So bringt ein Jagdgewehr standardmäßig beispielsweise 1 Wüfel, wird es aus einer erhöhten Position verwendet, addiert man einen weiteren Würfel zum Pool. Außerdem verfügt jedes Equipment nur eine gewisse Zahl an Verwendungen, wobei die letzte Verwendung einen Bonuswürfel bringt. Die Fertigkeiten sind charakterspezifisch und setzen meist den Einsatz von Blut voraus, damit man sie verwenden kann (z.B. "WINGS. Spend 1 Blood: you can fly."). Die SL hat ebenalls einen Würfelpool, dessen Größe sich aus dem Angriffswert des jeweiligen Gegners ergibt.
Eine Kampfrunde schaut nun so aus, dass immer ein Spieler und die SL ihren Pool aus D6-Würfeln werfen, wobei 4, 5 und 6 als Erfolg gewertet werden (die 6 zählt bei Spieler:innen sogar doppelt). Der Spieler entscheidet dann, wie er seine Erfolge einsetzt:
* Schaden zufügen/Gefahr reduzieren
* Erfolge der SL negieren
* Blut erhalten
* Dem Ziel der jeweiligen Szene näher kommen
* Spezialfertigkeiten aktivieren.
Mit jedem Erfolg, den man zuweist, darf man erzählerisch ein Detail zur Szene beitragen. Wirft man eine Granate auf einen Trupp Nazis und erzielt 4 Erfolge, könnte man also z.B. beschreiben, wie 1) 3 Nazis zerrissen werden (Schaden zufügen), 2) der Vampir einen herumfliegenden Arm fängt und aussaugt (Blut trinken), 3) ein Gegner, der gerade zum Schuss ansetzen wollte, daraufhin vor Schreck sein Gewehr fallen lässt (Erfolg der SL negieren) und 4) der Charakter die Ablenkung nutzt, um sich in Ruhe umzusehen, wobei ihm eine Hintertür auffällt (Zielerreichung). Der Schwerpunkt des Spiels besteht also nicht aus taktischen Kämpfen, sondern daraus, aus Würfelergebnissen abwechslungsreiche Szenen zu interpretieren.
Nach jeder Runde erhalten die Gegner Verstärkung, sodass es wichtig ist, die Gefahr rasch zu reduzieren.
Tja, und das ist auch schon der Kern des Regelsystems. Weitere Regeln betreffen das Finden neuen Equipments, Heilung, Verletzungen durch Schaden usw. aber die meiste Zeit ist man beim Spielen damit beschäftigt, seine Würfelpools zu bauen und die Ergebnisse zu interpretieren.
3. Gedanken zum Regelsystem
* Dass der letzte Einsatz eines Equipments einen Bonuswürfel bringt, mag nicht unbedingt logisch sein, hatte bei uns aber 2 schöne Nebeneffekte: Es gab viel Abwechslung beim Einsatz der Waffen, um den letzten Einsatz für besondere Momente zur Verüfgung zu haben. Und dadurch ergaben sich dann auch coole Höhepunkte gegen Ende des Abenteuers. Ich denke hier z.B. an den Panzer, dessen letzter Einsatz darin bestand, den Eifelturm zu rammen.
* Die Regel, dass man für jeden Erfolg ein Detail beiträgt sorgt dafür, dass beide Spieler ihre Handlungen im Kampf sehr viel umfassender und spanneder erzählt haben, als dies sonst bei traditionellen Spielen der Fall ist.
* Der konstante Nachschub erhöht die Spannung und führt dazu, dass die Spieler:innen mehr riskieren, was wieder die Spannung erhöht.
* Es gibt keinen Anreiz, ein anders als das stärkste Attribut zu verwenden. Gerade unser Kämpfer hat daher alle Kämpfe mechanisch mehr oder weniger auf dieselbe Art bestritten, da er so am meisten Würfel zu Verfügung hatte. Für jemanden, der mehr an Charakterwerten und Taktik als an Fluff interessiert ist, führt das dazu, dass sich jeder Kampf gleich anfühlt und das Spiel generell wenig Abwechslung bietet.
* Als SL hat man nichts zu tun. Ok, das ist vielleicht ein bisschen drastisch formuliert, aber am Ende "spielt" man die meiste Zeit Nazis, die qua Settingvorgabe nicht reden, sondern nur angreifen. Die gesamte Ausgestaltung des Kampfes - inklusive der Interpreation der Erfolge der SL - obliegt den Spieler:innen. Klar, man stellt immer wieder eine neue Szene vor und gibt bekannt, welches Ziel zu erreichen ist. Aber das hätte man eigentlich auch durch das gemeinsame Ziehen von Karten oder einen anderen Mechanismus lösen können. Ich empfand die Leitung des Spiels daher als sehr langweilig und denke, dass das System als SL-loses Spiel besser funktionieren würde, wenn man eine Gruppe hat, die keinen Schiedsrichter benötigt, sondern Regelfragen bei Bedarf auch kollektiv klären kann.
Insgesamt glaube ich, dass Eat The Reich Gruppen, die das Setting witzig finden und Erzählrollenspiele mögen, sehr viel Spaß machen kann. Auch wenn man sonst eher klassiche Spiele spielt, würde ich empfehlen, Eat The Reich einmal auszuprobieren, da man dabei auch einmal versuchen kann, Kämpfe spannender und umfassender zu beschreiben. Da man für das Abenteuer so gut wie nichts vorbereiten muss, kann man Eat The Reich auch gut einschieben, falls einmal eine Spielerin der Stammrunde ausfällt. Umgekehrt ist das Spiel meines Erachtens auch für erfahrene Erzählrollenspieler:innen interessant, da viele Erzählspiele dem Thema Kampf nur wenig Bedeutung beimessen oder Kämpfe überhaupt nur mit ein oder zwei Würfen abhandeln. Eat The Reich zeigt, das lange Kämpfe auch in Erzählspielen Spaß machen können. Wer mit dem Prinzip von Erzählrollenspielen per se nichts anfängt, wird aber auch mit Eat The Reich nicht glücklich werden. Auch für Kampagnen ist es meines Erachtens ungeeignet. Und man muss als SL damit leben können, bei diesem Spiel kaum Erzählreche zu besitzen, sondern eher eine verwaltende Rolle zu haben, da man die meiste Zeit nur über den Fortschritt bei der Zielerreichung, den Nachschub an Gegnern usw. Buch führt.
Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass 2 der 3 Ennies nicht das System an sich, sondern die graphische Gestaltung betrafen. Und diese ist durchaus außergewöhnlich und auch von der Aufmachung her sticht das Buch hervor. Ein Spieler meiner Testrunde meinte, dass man sowohl die Ingame-Kämpfe als auch das Buch an sich mit "Style over Substance" beschreiben könnte. Das ist in meinen Augen durchaus zutreffend, muss aber nicht negativ sein, sondern kann abundan auch einfach Spaß machen. 8)
So, und jetzt würde ich mich für eure Gedanken interessieren! :headbang:
Ich ersuche allerdings, die Diskussion auf das System zu beschränken und politische Themen außen vor zu lassen. Es war mir wichtig, die aus meiner Sicht problematischen Teile des Buches anzusprechen, aber ich möchte mich in diesem Thema auf das Spiel konzentrieren und nicht über die (Un-)zulässigkeit von Gewalt diskutieren.
schneeland (n/a):
Danke für den Eindruck! Das klingt ja insgesamt recht positiv und nach einer netten Sache für einen One-/Fewshot zwischendurch.
Das "Attributsproblem" ist allerdings nicht so schön. Es gibt an dieser keine Beschränkungen, welche Attribute eingesetzt werden können? (und sei es nur durch die erzählerische Rahmensetzung?)
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