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Meaningful Choices
Boba Fett:
--- Zitat von: haste nicht gesehen am 29.04.2024 | 19:39 ---Er sagt, dass bedeutungsvolle Entscheidungen 4 Kriterien erfüllen müssen:
* Bewusstsein - Der Spieler muss sich einigermaßen bewusst sein, dass er eine Wahl trifft.
* Konsequenzen - Die Wahl muss Konsequenzen haben (im Gameplay und idealerweise auch ästhetisch)
* Erinnerungen - Der Spieler muss an seine Entscheidung erinnert werden, nachdem er sie getroffen hat.
* Dauerhaftigkeit - Der Spieler kann nicht zurückgehen und seine Entscheidung rückgängig machen, nachdem er die Konsequenzen erkundet hat.
Das wirkt auf mich schon eher bedeutungsvoll. Aber kann wirklich jede Szene so gestaltet werden? Oder anders herum gefragt, sind alle anderen Entscheidungen dann bedeutungslos?
--- Ende Zitat ---
Ich finde, die vier Punkte treffen es schon ganz gut.
Was ich nicht finde, ist, dass jede Szene sowas beinhalten muss. Einigen wir uns auf eine „hinreichend große Anzahl an Szenen mit ‚bedeutenden Entscheidungen‘, wobei hinreichend von jeder Runde individuell zu definieren ist.
In Punkte „Erinnerungen“ würde ich im übrigen eher auf „prägend“ wechseln. Also, dass die erlebte Situation der „muss mich entscheiden“ und der daraus folgenden Konsequenzen denjenigen in prägender Form verändert - wobei die Veränderung vom Spieler definiert werden kann.
Die Prägung ist eigentlich auch eine Konsequenz, aber eben eine im Charakter verankerte… und letztendlich impliziert diese ja auch, dass es eine Erinnerung gibt.
Alexandro:
Klingt prinzipiell OK, ich habe allerdings ein paar Probleme mit Punkt 3+4:
--- Zitat ---3. Erinnerungen - Der Spieler muss an seine Entscheidung erinnert werden, nachdem er sie getroffen hat.
--- Ende Zitat ---
Würde sagen, wenn es eine echte bedeutungsvolle Entscheidung ist, dann müssen Spielende eben nicht an die Entscheidung erinnert werden - sollte dies doch der Fall sein, dann hat die SL wahrscheinlich in Schritt 1 Mist gebaut, und die Tragweite der Entscheidung nicht deutlich genug gemacht.
--- Zitat ---4. Dauerhaftigkeit - Der Spieler kann nicht zurückgehen und seine Entscheidung rückgängig machen, nachdem er die Konsequenzen erkundet hat.
--- Ende Zitat ---
Sehe ich nicht notwendigerweise.
Bei einigen Rollenspielen gibt es z.B. die Möglichkeit, eine Entscheidung die zum Tod des Charakters geführt hat durch Wiederbelebung "zurückzunehmen". Trotzdem ist der Tod in diesen Spielen immer noch bedeutungsvoll, weil es in der Regel mehr Aufwand ist einen Charakter wiederzubeleben, als es für die Gegner war den Charakter zu töten - dadurch zieht das "Neutralisieren" einer falschen Entscheidung einen gewissen Aufwand nach sich.
Ich würde daher eher von "Verhältnismäßigkeit" sprechen: wie schwer war es die "falsche" Entscheidung zu treffen (reicht dafür schon ein kleiner Fehltritt aus, oder ist es eine Kette von katastrophalen Fehlentscheidungen, plus noch ein paar verkackte Würfelwürfe)? In der Regel ist es besser, wenn die Schwere und Permanenz der Konsequenzen direkt proportional zu den Möglichkeiten ist, diese zu vermeiden.
Das gilt natürlich in beide Richtungen: wer ernsthaft erwartet, dass ein einzelner Überreden-Wurf einen feindseligen NSC dauerhaft auf die Seite der SC zieht, der handelt unverhältnismäßig. Der Aufwand (ein einzelner glücklicher Würfelwurf) steht in keinem Verhältnis zu dem, was man zu erreichen versucht.
Dies sollte eine gute SL (im Sinne von Punkt 1) aber auch transparent machen, den Spielenden vermitteln dass diese NSC gerade nur widerwillig mit den SC zusammenarbeitet, weil es in ihrem Sinne ist. Und dass sich dies bei einer veränderten Situation ganz schnell ändern kann (außer natürlich die SC betreiben entsprechenden Aufwand, um diese NSC dauerhaft auf ihre Seite zu ziehen).
Isegrim:
--- Zitat von: Alexandro am 30.04.2024 | 23:12 ---Würde sagen, wenn es eine echte bedeutungsvolle Entscheidung ist, dann müssen Spielende eben nicht an die Entscheidung erinnert werden - sollte dies doch der Fall sein, dann hat die SL wahrscheinlich in Schritt 1 Mist gebaut, und die Tragweite der Entscheidung nicht deutlich genug gemacht.
--- Ende Zitat ---
Interpretier es so, dass das "Erinnern" in den Folgen besteht, die die Entscheidung hat, nicht in einem "Wisst ihr noch, damals...?" vom SL. ;)
manbehind:
--- Zitat von: Feuersänger am 30.04.2024 | 13:44 ---Hmmh, ich würde die Knackpunkte ein bisschen anders definieren, auch wenn die o.g. Liste sicherlich gut brauchbar ist.
A und O ist für mich das Bewusstsein, und hier würde ich genauer aufdröseln. Dem Spieler muss nicht nur bewusst sein, _dass_ er eine Wahl trifft, sondern auch, _welche_ Wahl das ist und welche Konsequenzen - wenigstens so ungefähr - seine Entscheidung haben kann oder wird.
Vielleicht ist das eigentlich schon bei Punkt 2 mitgemeint, aber so steht es halt nicht geschrieben.
Erinnerung und Permanenz, naja. Es muss nicht jede Entscheidung einen ewigen Rattenschwanz hinter sich herziehen. Eine Entscheidung kann auch bedeutsam sein, wenn sie nur in dieser und vllt der nächsten Sitzung spürbare Konsequenzen hat. Freilich dürften kluge Entscheidungen weniger negative Nachwirkungen haben als dumme.
Um das Ganze mal andersrum aufzudröseln:
- Wichtig ist für mich eigentlich vor allem, dass die Entscheidungen nicht von der SL entwertet werden. Indem zB eine vermeintlich bedachte Entscheidung getroffen wird, und dann die SL eine vorher absolut nicht absehbare, negative Konsequenz aus dem Hut gezaubert wird. Das ist dann halt einfach Bait and Switch.
- Dazu ist natürlich wie oben schon gesagt notwendig, dass die Spieler die Möglichkeit haben, an die relevanten Informationen zu kommen, um eine bedeutsame Entscheidung treffen zu können.
Als ein Negativbeispiel fällt mir etwa eine Unsitte aus diversen Printabenteuern ein, in denen man zwar explizit die Möglichkeit hat, mit NSCs zu verhandeln (was dann etwa über einen Diplomacy Check bewertet wird), und eine _gelungene_ Probe dazu führt, dass die NSCs hinterher Verrat begehen und den Spielern in den Rücken fallen. Solche Abenteuerautoren möchte ich mit Honig eingeschmiert auf einen Ameisenhügel fesseln.
--- Ende Zitat ---
Aha. Ich stand vorhin in der Küche, habe mir einen Kaffee gekocht, anschließend den Kaffee in einen Becher gefüllt und stand dann vor der der sehr bedeutungsvollen Entscheidung, ob der Spritzer Milch, der anschließend hinzukam, für meine Zwecke ausreichend ist oder nicht. Ich war mir der möglichen Konsequenzen voll bewusst: da ich zu faul zum Umrühren war, würde ich erst am Schreibtisch merken, ob das der Fall ist oder nicht. Eine Fehlentscheidung hätte hier also bedeutet, meinen Pöscher vom Stuhl zu erheben, in die Küche zu schlurfen und etwas mehr Milch hinzuzufügen zu müssen, um dann den Rückweg anzutreten und die Prozedur wiederholen oder mir gar einen neuen Kaffee kochen zu müssen.
Dass das Ganze hier zu einer "bedeutungsvollen Entscheidung" wird, weil ich hier eine Entscheidung getroffen habe und mir über die Konsequenzen der Entscheidung vollkommen bewusst gewesen bin, bezweifle ich.
Ein anderes Beispiel ist die Szene, in der Luke Skywalker in Episode IV zu Obi-Wan Kenobi sieht und sagt: "Ich gehe mit nach Alderaan, es hält mich nichts mehr hier. Ich will mich mit der Macht vertraut machen und ein Jedi, wie mein Vater, werden." George Lucas fand diese Entscheidung seines Protagonisten offensichtlich sehr bedeutsam, ansonsten hätte er selbst wohl nicht die ebenso bedeutsame Entscheidung getroffen, das Publikum durch diesen Monolog über diese Entscheidung Lukes zu informieren.
In dieser Szene finden sich alle vier Punkte, die nach der Definition von Brice Morrison (s. Eingangspost) eine "bedeutungsvolle Entscheidung" ausmachen , wobei sich meine erste Szene (Kaffee) von der zweiten Szene (Luke) wesentlich durch Kriterium Nr. 2 (Konsequenzen) unterscheidet. Mögliche Konsequenzen sind hier für Luke erkennbar, er kann den Tod finden, genau wie sein Onkel und seine Tante. Dennoch gewinnt die Entscheidung ganz wesentlich Bedeutung dadurch, dass Luke später Darth Vader bekehren und den Tod des Imperators und den Fall des Imperiums herbeiführen wird, d. h. gerade durch Konsequenzen, die Luke zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen kann.
Hieraus lässt sich lernen, dass Morrisons Punkt 4 = die Erkenntnis des handelnden Protagonisten, dass seine Entscheidung Konsequenzen hat, die er nicht rückgängig machen kann, Einfluss auf das Verständnis von Punkt 1 haben muss, denn zum Zeitpunkt seiner Entscheidung konnte er offensichtlich diese Konsequenzen, die er erst später erkannt hat, noch nicht kennen. Jedes der 4 Kriterien muss erfüllt sein, damit man nach Morrison von einer "meaningful choice" sprechen kann. Die vier Kriterien oder Bedingungen einer bedeutungsvollen Entscheidungen sind dabei zwar zeitlich so angeordnet, dass sie dem Erleben des Protagonisten entsprechen, aber offensichtlich muss das nicht bedeuten, dass die Entscheidung sozusagen mit Punkt 4 beendet ist.
D. h. ein eigentlich sehr wichtiger Punkt, nämlich die Dimension der Konsequenzen, wird von Morrison nicht explizit genannt, ergibt sich aber implizit daraus, dass seine Definition richtig verstanden und richtig anwendet wird.
Maarzan:
--- Zitat von: manbehind am 1.05.2024 | 09:10 ---... Dennoch gewinnt die Entscheidung ganz wesentlich Bedeutung dadurch, dass Luke später Darth Vader bekehren und den Tod des Imperators und den Fall des Imperiums herbeiführen wird, d. h. gerade durch Konsequenzen, die Luke zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen kann.
...
--- Ende Zitat ---
Dieser Punkt wäre in einem ergebnisoffenen Rollenspiel auch nicht umzusetzen, da zukünftige Entwicklungen eben nicht gesichert sind. Die Entscheidung kann daher im Rollenspielbezug denke ich immer nur für sich im Horizont ihrer Figur genommen werden.
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