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Warum braucht es Retro-Klone?
aikar:
--- Zitat von: ghoul am 11.11.2024 | 12:42 ---Naja, es gibt schon so ein paar echte Problemfelder im OSR-Diskurs.
Da ist z.B. eine gewisse Tendenz zu Ultraleichtregelwerken zu beobachten, die zum Einstieg gut taugen, aber objektiv weniger für ein langfristig angelegtes Spiel beitragen können. Ergänzend wird dann Regelleichtigkeit durch diverse "Primer" verklärt, die aber entweder eines gewissen Kontexts bedürfen um verstanden zu werden oder im Extremfall einfach der Selbstvermarktung beschränkt versierter Gurus dienen.
Ich finde, da ist manchmal auch ein scharfer Widerspruch geboten.
--- Ende Zitat ---
Ich leugne nicht die Existenz von Problemen verschiedener Systeme, ob OSR oder andere. Ich behaupte nur, dass die Bedeutung spezifischer Probleme für einzelne Spielende massiv schwankt. Moderne Rollenspiele und OSR-Klone adressieren vor allem Probleme, die für Casuals wichtig sind, die intensive Diskussion der Original-Regeln mit allen Erweiterungen adressiert vor allem Probleme, die für Profis Bedeutung haben (Das selbe Thema sehe ich z.B. bei den Build-Balancing-Debatten um D&D5 oder ultra-speziellen Lore-Themen bei DSA).
Wenn ich jetzt als Casual (bzw. nicht in dieser Tiefe Interessierter) oder Neueinsteiger damit konfrontiert werde, erfasse ich nicht nur den Nutzen dieser Diskussionen für mich nicht, sie wirken auch in ihrer Schärfe einschüchternd und abschreckend. Das hat einen Gatekeeping-Effekt.
Dass dann noch oftmals im selben Atemzug mit erhobenem Zeigefinger und Prediger-Stimme das wahre und richtige (TM) Rollenspiel gepredigt wird (dessen objektive Existenz ich persönlich in Zweifel ziehe), mildert diesen Effekt nicht gerade.
Modern aufbereitete Klone und Spielhilfen liefern einen sanften Einstieg in OSR. Man fühlt sich abgeholt und nicht überrollt und ermahnt. Darin liegt für mich der Unterschied.
Es ist immer eine Frage der Perspektive: Ja, die Ultraleicht-Systeme sind z.B. wahrscheinlich nicht gut langzeit-kampagnentauglich. Das hat aber nur Bedeutung, wenn ich Langzeit-Kampagnen spielen will. Davon automatisch auszugehen und darauf allgemeine Kritik aufzubauen, erachte ich als Irrweg. Ich finde OSR z.B. interessant, aber nicht so interessant, dass ich es regelmäßig und primär spielen will. Dadurch erfüllen auch knappe Systeme ihren Nutzen, weil ich ihren abgedeckten Bereich ohnehin nicht verlasse.
Allgemein geht der Trend in der Rollenspielszene eher weg von Einzelkampagnen über 10+ Jahre. Das ist aber etwas, was dem harten OSR-Kern oft fremd ist, die auf ihre Ewig-Kampagnen stolz sind.
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)Auf eine gewisse Art und Weise ist das ja auch, was linken und "woken" politischen Bewegungen (mit denen ich persönlich durchaus sympathisiere) aktuell immer wieder vorgeworfen wird: Dass sie nicht erklären und unterstützen, sondern moralisch und überkomplex belehren und herablassend agieren würden. In beiden Fällen treten die eigentlichen Themen gegenüber den Kommunikationsschwierigkeiten und gegenseitiger Empörung in den Hintergrund.
arkward:
--- Zitat von: aikar am 11.11.2024 | 12:59 ---Modern aufbereitete Klone und Spielhilfen liefern einen sanften Einstieg in OSR. Man fühlt sich abgeholt und nicht überrollt und ermahnt.
--- Ende Zitat ---
Hm, also meiner Meinung hat Mr. Finch (S&W) in seinen Texten einen sachlich-apodiktischen Tonfall, der ganz im Gegensatz zum leichtfüßigen und einladenden Duktus Moldvays (B/X) steht, geschweige denn zur behutsamen Heranführung an DnD bei Mentzer (BECMI) -- nicht überraschend, schließlich richtete sich Classic DnD an 10jährige.
OSE (ob nun in deutsch oder englisch) ist seelenlos zusammengesetzt und kommuniziert mit dem Leser überhaupt nicht, sondern liefert nur "friss oder stirb" Fakten.
aikar:
Ob einem ein bestimmter Schreibstil gefällt und persönlich anspricht oder nicht, ist ja individuell. Was dir gefällt muss nicht automatisch anderen gefallen und umgekehrt.
Ich habe B/X oder OSE persönlich nicht gelesen, kann also nichts dazu sagen, aber ein all zu flapsiger Stil würde mich persönlich z.B. eher abstoßen.
Aber ich bezog mich vor allem auf die Unterscheidung, dass die meisten Klone als abgeschlossene, im regulären Handel erscheinende Rollenspiele erscheinen, während B/X nur über pdf-Umwege und mit Wissen, welche Bücher und Zusätze man überhaupt braucht, verfügbar ist und das schon eine Schwelle darstellt, die man als Casual nicht unbedingt überschreitet.
Würde B/X neu als Buch aufgelegt werden, optimalerweise sogar übersetzt und mit neuem Artwork und sauberer Schrift (ja, die unscharf-krakelige Schrift im B/X-pdf ist für mich störend), dann könnte man die Sinnhaftigkeit der Klone evtl. in Zweifel ziehen. Aber wäre das dann nicht schon wieder ein Klon?
ghoul:
Gibt es denn einen modularen Regelklon, der explizit sagt, nimm diese Ultraleicht-Version für euren ersten Dungeon, dann packst du die Kapitel X, Y hinzu für weitere Abenteuer. Später lies diese Erweiterung zum Erstellen und Betreiben einer Kampagnenwelt inkl. Wirtschaft, Heereslogistik und Dimensionsreisen?
arkward:
--- Zitat von: aikar am 11.11.2024 | 13:31 ---Aber ich bezog mich vor allem auf die Unterscheidung, dass die meisten Klone als abgeschlossene, im regulären Handel erscheinende Rollenspiele erscheinen, während B/X nur über pdf-Umwege und mit Wissen, welche Bücher und Zusätze man überhaupt braucht, verfügbar ist und das schon eine Schwelle darstellt, die man als Casual nicht unbedingt überschreitet.
--- Ende Zitat ---
Ich denke mal, dass du an 90% aller Retroklone noch viel schwerer herankommst als an die WotC PDFs. Nur weil es S&W (und bald OSE) auf deutsch zu kaufen gibt, täuscht das nicht darüber hinweg, dass die englischen, also die "originalen", Retroklone in gedruckter Form gar nicht oder zumindest nicht mehr so einfach zu beziehen sind.
Und um zu wissen dass Retroklon YX überhaupt da draußen existiert, muss man sich auskennen. Um einen Retroklon einordnen zu können, muss man sich sogar noch besser auskennen. Z.B. was ist Iron Falcon? Ah, ein ODnD Klon, der im Gegensatz zu S&W auf Supplement I ("Greyhawk") begrenzt ist.
Es ist nicht so einfach mit den Retroklonen. Deutscher Rollenspielmarkt macht es leicht, weil er nur 1d3 Klone übersetzt anbietet, aus dem Wust von... hm, 20 oder mehr in Vollbetrieb noch gespielten?
Aber naja, die Zeit der Retroklone ist seit Längerem vorbei, sodass sich die OSR auf Neuentwicklungen konzentriert, oder die Leute dank POD/PDF wieder die Originale spielen können ohne klonale Stützräder.
Viele der Retroklone sind im Schlummer, vom Netz genommen, bleiben immortales WiP, oder die Macher schreiben jetzt statt Retroklone new funky shit. Die einstigen Retrodesigner haben erkannt, dass mit Klonen kaum noch jemand hinter dem Ofen hervorzulocken ist.
OSE, der Spätzünder unter den Clones, ist dank Influencer-Bubble das derzeitige DnD5 der Retroklone und dominiert die Online-Community, aber mein Eindruck ist, dass sich die OSR seit einigen Jahren vom Retro zur Inno(vation) gewandelt hat. Gefühlt täglich explodiert irgendwo ein neuer Kickstarter, stellt mal wieder Jemand seine jüngsten Develops zur Schau. Einige Dinosaurier wie S&W, LotFP et al sind noch am Leben und bringen alle Jubeljahre neues Zeug raus. Die Aufbruchstimmung der Retrowelle ist längst verpfützt.
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