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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise

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Am nächsten Tag ist Samstag, und Zoe kommt erst um 14 Uhr aus dem Bett. Macht nichts, ihre heutige Schicht beginnt erst am späten Nachmittag. Sie schaut sich im Spiegel an, in ihrem winzigen Badezimmerchen, zerwühlt sieht sie aus. Dunkle Schatten unter den Augen. Hatte sie bis eben schon wieder so einen komischen Traum, wie neulich? Sie erinnert sich aber nicht; nur ein deutlicher Eindruck bleibt ihr, von urzeitlichen Dingen und fernländischen Gegenden ...


Während ihrer Videothek-Schicht heute Nacht textet Zoe mit ihren Schulkameradinnen Jasmine und Ellen. Die wollen in einen Club fahren, und da Pamela abgesprungen ist, brauchen sie eine dritte Person, und sie fragen halbherzig deshalb Zoe. Die sagt ebenso halbherzig zu, das ist immerhin eine Gelegenheit, mal von Kylah wegzukommen. In einen Mainstream-Tanzclub wird die nicht wollen! Als Zoe ihren Plan angelegentlich erwähnt, als die beiden gerade VHS-Kassetten in Regale einsortieren, wirkt Kylah etwas vor den Kopf gestoßen: „Und ich? Was mache ich heute Nacht?!“
„Ich weiß nicht, Kylah!“, sagt Zoe plötzlich, in lautem, scharfen Ton, und sieht sich selber ungeplant mit der Handfläche auf das Regal hauen, dass die Filmhüllen nur so wackeln, „Vielleicht mal etwas mit diesem Simon und Deinen heimlichen Punk-Freunden! Oder Du suchst Dir jemanden von Deiner eigenen Größe, es gibt genügend Sechzehnjährige in dieser Stadt!“
Kylah guckt sie wortlos an, und sofort tut es Zoe wieder Leid, dass sie sie so angeblafft hat.
„Entschuldige, ich weiß gar nicht, was letztlich mit mir los ist“, sagt sie schnell.
„Schon gut“, sagt die andere, aber Zoe glaubt, nix ist gut, sie hat ihre Gefühle verletzt. Sie will das Ganze wieder gerade rücken, aber Kylah geht erstmal nach draußen, eine rauchen. Zoe geht hinterher, aber der Zigarettenqualm von der Kippe sticht ihr in die Nase, so unerträglich, dass sie sich abwenden muss, was ist letztlich mit ihrem Geruchssinn los, irgendwie ist sie hypersensibel. Kylah guckt Zoe an, hüllt sich schweigend in ihre Wolke aus blauem Dunst. Zoe geht zurück zum Tresen, wo ausgerechnet jetzt eine Handvoll Kunden stehen, die bedient werden wollen.

Kylah ist auch im Verlauf der Schicht nicht mehr davon zu überzeugen, vielleicht doch mit in den Club zu fahren, sie vermutet (wahrscheinlich zurecht), dass Jasmine und Ellen keinen Bock auf sie haben werden. Die haben ja nicht mal richtig Bock auf Zoe, die ist nur die Notlösung, das ist mal klar.



Jasmine und Ellen, aus Zoes Schulklasse


Was sagen denn die Orakelwürfel dazu, wie die Samstagnacht weitergeht? Hunt Strategy, sagen die. Daraus machen wir nicht ‚die Jagd nach einer Strategie‘, sondern ‚Jagd-Strategie‘:

„... Die Sache ist nämlich die“, sagt Ellen am Steuer des Angeber-Autos ihres Vaters, „Jasmine ist verknallt, und zwar so richtig!“
„Ach so?“, fragt Zoe neugierig vom Rücksitz, „In einen von unserer Schule?“
„In einen von der Uni!“, erklärt Ellen, „Richaaard!“, während Jasmine die Augen rollt, die wirkt — unter ihrer sichtlichen Genervtheit — vor allem furchtbar nervös.
„Wir wissen aus sicheren Quellen, dass Richard heute nach seinem Klassentreffen in den Cubic Club geht! Da wird er zufällig auf uns treffen. Wir müssen natürlich mindestens zu dritt sein, sonst wirkt das komisch. Du bist die Dritte im Bunde!“
„Klingt ganz lustig“, sagt Zoe, „ich war bisher nur einmal im Cubic Club!“
Jasmine ermahnt, „Aber quatsch' Dich trotzdem bitte da nicht fest, Zoe! Wir müssen flexibel bleiben.“
Ellen kichert, „Genau, alles Teil der Jagd-Strategie! Einer von Richards Jungs ist nämlich großer Fan von Quazoo, und der hat heute früh einen DJ-Auftritt im Parque Theater!“
„Ist spontan eingesprungen, und spielt irgendein kurzes Set“, fügt Jasmine nervös hinzu.
„Haben wir alles im Vorfeld ausrecherchiert“, nickt Ellen, „Wenn die Truppe also deswegen ins Parque Theater umziehen sollte, ziehen wir unmittelbar auch dorthin um! Wir müssen also zusammenbleiben. Klar soweit?“
„Ganz schön ausgefuchst!“, sagt Zoe anerkennend, „Alles nur, damit Jasmine und dieser Richard sich zufällig immer wieder über den Weg laufen können?“
„Der hat gerade mit seiner Freundin Schluss gemacht in Chicago!“, sagt Jasmine, „Das ist die beste Gelegenheit, zuzuschlagen!“
Gut sieht sie aus in ihrem Discokleid und mit den goldenen Ohrringen, nicht zu aufgedonnert, aber auch schwer zu übersehen, findet Zoe. Sie nickt.


Im Cubic Club ist es rappelvoll, grellblaue Discobeleuchtung streicht über die Menge, es laufen meistens Elektro-Remixes von aktuellen Popsongs. Der Eintritt war sauteuer, und natürlich zahlen alle drei Mädels nur für sich selber. Die vielen Leute, ihre Dunstwolke, und die Bässe machen Zoe etwas zu schaffen. Jasmine hat Richard schon erspäht, und sie sind seiner Gruppe schon ‚zufällig’ über den Weg gelaufen. Ellen will Zoe an ihrer Tüte ziehen lassen, aber sie schüttelt entschieden den Kopf. Sie fühlt eine Mischung aus Reizüberflutung und Positiv-Stress.



Was ist das Stichwort der Orakelwürfel für den Club? Avoid Power, sagen die. Zoe muss sich wohl hier daran versuchen, die eigene schreckliche Macht zu meiden, welche sie in ein Monster verwandeln könnte.

Auf der Tanzfläche läuft eine Weile alles ziemlich gut, dieser Richard scheint sich von Jasmine um den Finger wickeln zu lassen, auf jeden Fall tanzen die beiden ziemlich ausgelassen miteinander; Zoe und Ellen haben auch Spaß, und obwohl Zoe die Musik nicht besonders gut findet, ist sie immerhin schön schnell, und sie kann sich körperlich mal abreagieren beim Tanzen. Währenddessen fühlt sie aber eine rauschhafte Energie in sich aufsteigen, die sie noch nie gefühlt hat. ... Wenn sie dieser Energie gestatten würde, sich weiter aufzubauen, würde sie die Nacht taghell machen und das Gebäude zum Beben bringen, bildet Zoe sich ein ...

Ich mache einen Willenskraft-Wurf für sie, und sie erreicht drei Erfolge; mitten im Lied entzieht sie sich also der Menge, und wartet am Rand der Tanzfläche, versucht mit großer Selbstbeherrschung, ihren Atem und Puls wieder zu verlangsamen. Der Schweiß läuft in Strömen an ihr herab. Erstaunlicherweise gelingt es ihr. Sie wird von kribbeligen Endorphinen durchströmt. Sie beobachtet eine Weile Ellen und Jasmine, und Richard und seine Freunde, und fühlt eine unerklärliche Zufriedenheit. Schön, wie die alle tanzen, überhaupt schön, hier zu sein. Das Leben ist toll.



Soundtrack: DollsHead, It's Over, It's Under
https://www.youtube.com/watch?v=78kTp65PXNU

Kurz darauf sind sie wieder auf der Autobahn, die durch die Stadt führt, auf dem Weg ins Parque Theater. Ellen gibt ordentlich Stoff. Jasmine hat eine Art Laberflash, sie ist offensichtlich wie high von ihrem Erfolg bei ihrem neuen Fang und bei der Vorstellung, noch heute Nacht endgültig bei dem landen zu können. Sie muss nur noch ihre Karten weiterhin richtig ausspielen. Ellen hätte weder ihren kleinen Joint rauchen sollen noch den Schnaps trinken, da sie ja jetzt wieder Auto fährt, aber Zoe vertraut ihren Fahrkünsten halbwegs. Sie klappen übermütig das automatische Faltdach weg und fahren Cabrio-style durch den Novembermorgen, der Wind braust über Zoe hinweg, und verstärkt ihre rauschhafte Wahrnehmungsveränderung.
It's Over, It's Under von DollsHead läuft in der Anlage, laut genug, um das Windbrausen zu übertönen, Jasmines und Ellens fröhliche Stimmen, das Motorgeräusch, den Lärm der Stadtautobahn. Zoe breitet die Arme aus auf der Rückbank und spürt den Luftzug auf ihrem Gesicht und in ihren Haaren. Die Morgendämmerung ist bereits am Horizont zu erahnen.

An diesem Punkt rückt das Erwachen nahe — gefährlich nahe, denn Zoe ist umgeben von einer neuerlichen Menschenmenge, als die drei beim kleineren aber gut besuchten Parque Theater ankommen. Schon auf dem Parkplatz davor stehen Menschengrüppchen dicht an dicht. Ellen drückt Zoe den Autoschlüssel vom Wagen ihres Vaters in die Hand: „Hast Du nicht vorhin gesagt, Du könntest fahren? Hier, nimm' den schon mal. Für die Rückfahrt nachher. Ich will sofort einen Cocktail!“

Wir holen uns ein neues Stichwort vom Orakel, und die Würfel sagen, Summon Home. Beim Drübernachdenken fällt mir dazu was ein:

DJ Quazoo hat sein Set noch nicht begonnen, noch dringen reguläre Tracks aus den Tiefen des Clubs herauf. Jetzt gerade spielt Toxicity von System Of A Down. Zoe muss schlagartig an früher denken, an die frühere Wohnung ihrer Eltern hier in der Stadt, als sie noch mit denen gelebt hat. System haben ihre Eltern ziemlich oft gehört damals, da waren sie beide noch etwas wilder ... Zoe schaut gedankenverloren in die Richtung, in der die damalige Wohnung liegt, sie kann im Lichtsmog über der Stadt das Gebäude erahnen. Sie hat ein überwältigendes Gefühl von Heimat, nicht mal wirklich im Bezug auf die frühere Wohnung, eher eine schwer beschreibbare Verbindung zu einer noch älteren, noch ursprünglicheren Heimat …
„Komm' schon, die anderen sind schon im Club, das geht auch gleich los!“, sagt Ellen an ihr Ohr.
„Ich … ja, ich komme gleich nach! Nur eine Minute“, sagt Zoe.
„Ist alles okay mit Dir?“, fragt Ellen skeptisch, ihr Gesicht kommt näher, „Du bist auch schon wieder ganz verschwitzt!“
Zoe sieht sie an, und Ellen schreckt unwillkürlich zurück. Sie scheint selber nicht zu wissen, warum. Es muss schon wieder etwas in Zoes Blick sein, was ungewohnt wirkt, erschreckend.
„Nee, alles bestens, ich hab' grade einen Erinnerungs-Flash, glaub' ich“, lächelt Zoe beschwichtigend, „Alles prima. Geht schon mal rein, ich komme gleich.“

An der Stelle nehmen wir mal den Faden von neulich wieder auf:

Während Zoe da so verträumt und ein bisschen weggetreten auf dem Parkplatz steht, sieht sie zwei Gestalten, die sie hier absolut nicht erwartet hätte, und nun ist es an ihr, erschrocken zusammenzuzucken: Eine Handvoll Twens in dunklen Lederkluften, zwei davon haben signalrot gefärbte Crew Cuts! Sie gucken direkt zu ihr rüber!
Und Zoe steht hier alleine rum wie eine Schlafwandlerin, wie ihr auffällt. Sie macht, dass sie wegkommt, ins Parque Theater, ihren Leuten hinterher ...!

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Folgen die Dudes in den Ledermänteln ihr? Wir fragen die Orakelwürfel, und die bestätigen die Vermutung! Jetzt gibt's richtig Stress!

Zoe drängelt sich in die Menge bei der Kasse, und versucht darin Deckung zu finden. Sie hatte auch gestern schon den Eindruck, diese Gang hätte Kylah und ihr persönlich nachgespäht! Kann natürlich überhaupt nicht sein — nach allem, was diese Typen wissen können, konnten Zoe und Kylah gestern nur zufällige Gesichter in der Menge des Undersalt Market gewesen sein. Nichts weiter ...

Das DJ-Set hat gerade begonnen, und die Rockmusik ist jetzt sphärischen Elektro-Tönen gewichen. Nervös sieht Zoe sich um, und entdeckt endlich Ellen und Jasmine, die in dem Moment wieder ‚zufällig‘ Richards Freundeskreis über den Weg laufen. Zoe beeilt sich, zu denen zu kommen.
„Ellen, weißt Du, wer da draußen ist?“, fragt sie halblaut, aber die Schulkameradin ist gerade zu abgelenkt im Geschehen, und Zoe beißt sich auf die Zunge, wie hätte ihr Satz überhaupt weitergehen sollen? Es bringt nicht viel, die anderen zu warnen, sie kann selber ja nicht mal erklären, wovor!
Zoe fühlt ihren Puls hämmern. Sie hält sich bei der Gruppe am Rand der Tanzfläche, und starrt befremdet zur Treppe nach oben, von wo jeden Moment die Kerle vom Undersalt Market kommen könnten. Sie wählt Kylahs Nummer.
„Hmfzoe?“, fragt nach mehrmaligem Klingeln eine schlaftrunkene Stimme.
„Kylah, die Typen von gestern sind hier im Parque Theater! Wie kann das sein, was soll ich machen? … Hast Du irgendwas über die rausbekommen?“
„Was?! Über wen!“
„Die mit den rot gefärbten Haaren! Die, vor denen wir abgehauen sind!“
Schweigen am anderen Ende.
„Kylah, werd' bitte schnell mal wach, okay? Ich weiß nicht, was ich machen soll! Was ist mit Deinen Punk-Freunden, wussten die irgendwas über das Addingson-Gebäude?“
„Wir hätten da nicht reingehen dürfen …“, sagt Kylah, immer noch desorientiert.
„Das weiß ich selber! Ich glaube, die sind hinter mir im Speziellen her!“
„Hau' da sofort ab, Zoe! Wir treffen uns bei Deiner Wohnung. Nein, halt, vielleicht lockst Du die dadurch dorthin, das wär scheiße. Wir treffen uns woanders. Die gehören zu einem, äh, einer Gruppe aus der Unterwelt.“

Liefert Kylah eine Bezeichnung für diese Gruppierung? Ich würfle Charisma+Blutsgeschwister, um an diese Info zu kommen, und ein knapper Misserfolg fällt. Möglicherweise kennt die Punkerin den Namen der Bande, aber sie wagt es  zumindest nicht, ihn Zoe offenzulegen ...

Die Orakelwürfel sagen, in diesem Moment erscheinen die fünf in ihren Ledermänteln auf der Treppe, und sehen sich mit Habichtaugen im Club um!
Zoe weicht zurück, ihr geht ordentlich die Muffe. Laut der Orakelwürfel fangen die Schlägertypen Streit mit jemand anderem an:

Einer der Verfolger bahnt sich seinen Weg auf die Tanzfläche, packt eine Teenagerin mit wilden, blonden Haaren beim Schopf, und dreht sie zu sich um; die sieht von hinten aus wie Zoe mit ihrem 80er-Look. Das findet der Freund von der aber gar nicht witzig, und dessen Kumpels auch nicht, und die schubsen den Crew Cut rückwärts. Sofort bricht eine Keilerei dort aus! Leute ziehen sich hastig von dort zurück, ein Ring aus Gaffern bildet sich um die Raufenden.

Die allgemeine Aggro-Stimmung hier drin bringt Zoe einen Rage-Punkt ein, jetzt ist sie in dieser Szene bei vier, das wird schon brenzlig. Ich lasse sie die Gelegenheit nutzen, um sich heimlich davon zu machen. Das geht mit Geschick+Heimlichkeit. Nach der Hausregel mit den Brutalen Resultaten muss sie vier reguläre Würfel gegen die roten Rage-Würfel tauschen bei all ihren Fertigkeitswürfen. Wenn die wieder einen Einser-Pasch zeigen, ist das ein Brutales Resultat, und ihre Deckung fliegt auf, was beim Schleichen natürlich besonders ärgerlich ist! Ui, aufregend! Nur ein einzelner roter Würfel zeigt jedoch eine Eins, und drei Erfolge bleiben.
Zoe kommt unbehelligt oben auf dem Parkplatz an, und sieht sich um. Hinter ihr entwickelt sich die Klopperei gerade zur Massenschlägerei, wie es klingt, die Musik verstummt, und Leute rennen an Zoe vorbei ins Freie!

Die Orakelwürfel entscheiden: Auf dem Parkplatz warten einige der Gangster, sie sind natürlich nicht alle nach unten in den Club gelatscht!

„Da, das ist sie!“, hört Zoe gedämpft einen Schwarzgekleideten zwischen den parkenden Autos rufen, seine Stimme klingt heiser, berechnend, „Hinterher!“
Zoe fährt zusammen, fletscht wütend die Zähne, all ihre Nervenenden scheinen zu beben. Sie rennt planlos weg, die Straße hinunter.

Kommt es zur Verfolgung zu Fuß? Die Orakelwürfel sagen, Refuse Weapon. So? Da würde folgendes Sinn machen:

„Schieß' sie nieder!“, hört sie einen der Gangster keuchen, die ihr nachrennen, seine Stimme klingt merkwürdiger Weise nicht hämisch, sondern ebenfalls ängstlich. Als wäre das Geballer ihre einzige Chance, fast so, als wären sie hier die Schwächeren …! Für was halten die Zoe?!
„Nein, keine Waffen!“, lehnt ein anderer Rennender ab, „Zu auffällig! Carface soll das machen!“

Ich würfle Geistesschärfe+Zurechtfinden für Zoe, mit zwei Würfeln Abzug, denn dies ist nicht ihr Stadtteil, und sie hat keine Zeit zum Überlegen. Es kommt auch kein Erfolg dabei heraus. Sie biegt falsch ab, rennt eine Betontreppe hinab, biegt wieder falsch ab, findet sich in einem Hinterhof wieder. Alle Hauseingänge sind verbarrikadiert. Sackgasse!
Die drei Verfolger erscheinen, jetzt gemessenen Schrittes. Alle haben dieselbe schwarze Kluft und Ledermäntel an wie die beiden Dudes mit ihren rotgefärbten Haaren, aber die sind hier nicht dabei, die waren ja unten in der Disco. Stattdessen schiebt sich ein Typ an die Spitze, der besonders drahtig ist, komplett haarlos, das muss Carface sein, seine Fresse sieht aus, als hätte er mal den Kühlergrill eines Autos damit gestoppt. Aber bei näherem Hinsehen sind das Messernarben.



Carface


„Mach' schnell, so lange sie noch normal ist!“, zischt einer der anderen beiden, auch in seiner Stimme klingt höchste Nervosität, „Bevor noch der Mond rauskommt!“
Sie haben ihrerseits Angst vor Zoe, sie glauben, in letzter Sekunde irgendwas aufhalten zu können ...
„Was wollt Ihr?! Habt Ihr irgendein Problem?“, keucht Zoe.
Carface wirft seine Lederjacke weg, ballt seine Fäuste, sein Gesicht ist nicht ängstlich, er wirkt eher wie eine Maschine, völlig stumpf. Psychopathisch.
Zoe fletscht die Zähne, die sich auch jetzt wieder zu dick anfühlen in ihrem Mund, zu lang.

Runde 1: Sie ist in der Initiative-Reihenfolge kurz vor Carface dran, macht einen Schritt auf ihn zu, und versucht ihm mit aller Kraft eins auf die Nase zu hauen. Sie kommt auf drei Erfolge; Carface hat fette vier Würfel zum Absorbieren, der zähe Hund, aber erzielt keine Erfolge! Zoes Faust bricht mit lautem Knacken sein Nasenbein, Blut läuft über sein Gesicht. Jeder Gegner hätte sofort Kleinbei gegeben nach so einem fiesen Treffer, Carface aber scheint davon nicht einmal irritiert zu sein! Er verpasst Zoe sofort einen Rippenschlag, mit vier Schlagschaden, von denen sie nur ein Level absorbieren kann. Sie keucht und taumelt. Das gibt ihr einen weiteren Rage-Punkt. Ich habe ihr zu Beginn der Runde mal vorsichtig eine einzelne Rage-Aktion gekauft, immerhin balanciert sie heute auf dem dünnen Grat zum Ersten Wandel. Sie greift mit dieser Zusatz-Aktion blitzschnell erneut an, verpasst Carface einen Pferdekuss mit ihrem Knie, trifft ihn trotz ihrem Wundabzug in die Seite. Der Schlägertyp absorbiert allen Schaden diesmal locker. Er scheint überhaupt kein Schmerzempfinden zu haben!

Runde 2: Erneut ist Zoe zuerst am Zug, sie verpasst ihrem Gegner einen Kinnhaken, dass es nur so kracht, aber auch den absorbiert Carface wortlos. Seine trägen Augen heften sich wieder auf Zoe. Er packt sie im Genick, rammt ihre Stirn gegen die Mauerwand, sie nimmt vier Level Schlagschaden und sieht Sterne. Jetzt ist ihr Wundabzug -5, das war's wohl! Dann hat sie noch ihre Rage-Aktion für diese Runde, sie gibt einen Rage-Punkt aus um ihren Wundabzug kurzzeitig von -5 auf -2 zu senken, krallt tränenblind nach Carface's Gesicht, und verpasst ihm immerhin noch ein viertes Wundlevel. Die Platzwunde an ihrer Stirn pulsiert heftig, sie spürt, wie sie das Gleichgewicht verliert.

Das sieht so aus als wäre es das gewesen! Was sagen die Orakelwürfel denn zu Zoes Schicksal? Control Spirit. Oho, interessant. Bedeutet das, ein anderer Wolfsblütiger greift ein? Nein, sagt das Orakel leider. Ein Geist aus der Umbra ist es auch nicht. Die Widersacher versuchen auch nicht psychologisch auf die Gegnerin einzuwirken. Na, was denn nun? Die Orakelwürfel lehnen noch drei weitere Ideen ab, also frage ich erneut das Orakel nach Spezifikation. Uncover Destiny, sagen die Würfel, wow, dramatisch! Die Würfel bestätigen daraufhin meine neue Vermutung: Kann Zoe den Geist ihrer Widersacher kontrollieren, indem sie ihre schicksalhafte, wahre Natur entdeckt? Das ist diesmal ein klares Ja! Also dann:

Eine Pistole wird entsichert, und Stiefelsohlen nähern sich, der Beton knirscht unter drei Paar Füßen. Zoes Blick ist undeutlich wie durch ein Aquarium, sie ist tränenblind. Jetzt werden die Gangster ihren Job zu Ende bringen. Gegen die Mauerwand gesunken, das Gesicht blutüberströmt, die Fingernägel der einen Hand ebenfalls blutig von dem Angriff eben, sieht Zoe schlagartig wieder auf zu den drei Schlägertypen. Ihre Sicht ist wieder völlig klar, als wäre es kein düsteres Morgen-Zwielicht, das sie hier umgibt, sondern hellichter Tag. Sie fletscht ihre Zähne, und spürt, dass dies kein Missempfinden ist, das sind keine Menschenzähne mehr, sondern die Fänge eines Raubtiers.
„Zu spät“, krächzt einer der Kerle, und alle drei schrecken zurück vor dem Blick der Nachtaugen.



Die drei sind leider komplett traumatisiert, und der Anblick eines Menschen mit Tiermerkmalen löst ihre Angststörung aus! Zoe tappt zähnefletschend und geifernd auf sie zu. Sie weiß, dass sie nicht mehr kämpfen kann, sie kann sich ja kaum auf den Beinen halten, sie röchelt. Aber der geradezu hypnotische Anblick ihrer Tieraugen, mit denen sie die drei fixiert, raubt den Widersachern einen Wimpernschlag lang den Kampfeswillen, sie weichen zurück. Als ihre Angstausdünstungen in Zoes überempfindliche Nase steigen, will sie nur noch ihre Fänge im Fleisch eines von ihnen versenken!

Die Orakelwürfel geben an, dass in dem Moment am Eingang des Hinterhofs Stimmen ertönen, und man sieht die Scheinwerfer eines haltenden Autos! Das machen wir dann so:

„Was ist da los? Rauskommen!“, ruft ein Passant von der Straße her.
Die Sekunden, in denen die Schläger irritiert gezögert haben, haben gereicht, um Zoe die Haut zu retten, denn jetzt sind Leute auf sie aufmerksam geworden! Die Pistole wird hastig wieder weggesteckt, „Weg hier, wir müssen Carface weg bringen!“, zischt einer, und sie bugsieren das Narbengesicht eilig weg.
Zoe widersteht dem Instinkt, hinterher zu rennen und jemandem in den Nacken zu beißen, oder die Waden ... Stattdessen taumelt sie wieder rückwärts. Befühlt ihre hervorgetretenen Fangzähne, jetzt erst realisiert sie durch den Schleier aus Schmerz und Verwirrung, was damit los ist, das kann gar nicht sein. Ihre Finger tasten jedoch deutlich über zentimeterlange Eckzähne. Der bleiche Mond über den Hochhäusern glänzt hinter den violetten Wolkenschleiern. Ein eiskalter Schauder läuft Zoe über den Rücken. Niemand darf sie so sehen!
Sie wendet sich um, rennt hilflos in den Hinterhof, rüttelt an den Wohnungstüren. Manche sind mit Möbeln verbarrikadiert, andere mit morschem Holz vernagelt. Nicht unüblich für die Randgegenden Detroits! Jetzt sitzt sie in der Falle, wie ein Tier im Käfig! Sie bekommt einen weiteren Rage-Punkt, und ist nun wieder auf drei!

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Die Orakelwürfel entscheiden, was nun geschieht:

Zwischen zwei Haufen aus Schrott und Unrat verkriecht Zoe sich, kauert sich ganz klein zusammen, und atmet schwer. Ihre Restlichtsicht ist immer noch da, ebenso das vergrößerte Gebiss, sie ist nicht einmal in der Lage, ihre Lippen ganz zu schließen. Ihre Rippen schmerzen und die Stirnwunde pocht und blutet vor sich hin. Vielleicht muss sie aber nur abwarten, bis das Aufsehen draußen aufhört! Nur eine halbe Stunde oder so … Sie hat das unerklärliche Verlangen, in den dämmerigen Morgenhimmel zu sehen, und hinter den Wolken den Mond zu erblicken, alles in ihr zieht sich zusammen bei diesem Gedanken; angstvoll behält sie den Blick gesenkt.

„Zoe!“, hört sie irgendwann jemanden flüstern. Irgendwo vom halbdunklen Hinterhof.
„… Zoe, bist Du hier?“
Es ist Kylah.
„Komm' nicht näher!“, krächzt Zoe, und beginnt gegen ihren Willen zu flennen.
Sofort rennt die andere zu ihr, geht vor ihr in die Knie, das Gesicht käseweiß. Zoe wendet den Blick ab.
„Lass' mich Dein Gesicht sehen, Zoe! Was ist los? Was ist hier passiert?“, zischt die Punkerin.
„Schau' mich nicht an … geh' zurück, Kylah …“
„Da ist Blut! Bist Du verletzt? … Scheiße! Ich hätte Dich nie alleine losfahren lassen dürfen! Es ist heute Vollmond! Das ist alles meine Schuld!“
Bei Erwähnung des Mondes geht ein neues Zittern durch Zoes Leib. Sie schafft es, weiterhin dem Drang zu widerstehen und das Gesicht verborgen zu halten.
Kylahs Stimme bebt, „Wir müssen hier weg, Zoe. Ich hab' einen Fahrer organisiert gekriegt, aber noch keine Karre! Wir müssen also mit der Bahn weg!“
„Ich steige in keine Bahn, ich kann ja nicht mal auf die Straße!“, flennt Zoe, heiße Tränen laufen ihr über die Wangen, mischen sich mit dem Blut von der Platzwunde.
Dann fällt ihr der Schlüssel in ihrer Hosentasche ein, den Ellen ihr gegeben hatte: „Wir klauen das Auto von Ellens Dad! Damit kommen wir weg … das steht auf dem Parkplatz vor dem Club um die Ecke …!“
„Gib' her“, sagt Kylah, irgendwie klingt sie plötzlich bossy, wie eine herrische Krankenschwester oder so. Sie duldet keine Widerrede.
Zoe fummelt gehorsam den Autoschlüssel aus ihrer Jeans, und gibt ihn Kylah.
„Ih, Du hast auch Blut an den Händen!“, flüstert diese.
„Entschuldige, ich …“
„Still jetzt! Du gehst jetzt genau hinter mir her, okay? Du hältst Dich genau hinter mir! Hier …“, und sie schält sich aus ihrem ollen, lila Hoodie und bringt Zoe dazu, es anzuziehen, zieht ihr die Kapuze über den Kopf.
„Wird Dich schon keiner sehen! Halt' ja den Kopf unten!“, wispert sie aufgeregt.
Zoe hält sich die Hände vor den Mund, damit Kylah die gräßlichen Fangzähne nicht sehen kann. Wagt nicht, die Punkerin überhaupt anzugucken.
„Los jetzt, schnell!“, sagt Kylah, hilft Zoe beim Aufstehen.
Im Eingang des Hinterhofs steht ein anderer Punk in Straßenklamotten, er scheint nervös hier auf Kylah gewartet zu haben. Zoe hört auf zu heulen, hält den Kopf gesenkt, und dirigiert die beiden zum Parkplatz des Parque Theater. Vor dem Club stehen mittlerweile Polizeiautos, die Schlägerei da drin ist offensichtlich mittlerweile aufgelöst. Kylah gibt ihrem Fahrer den Schlüssel, der sieht aus als wäre er auch nur wenig älter als sie, vielleicht siebzehn, aber er scheint halbwegs zu wissen was er zu tun hat.
„Fetzige Karre!“, sagt er zu dem mintgrünen Geschoss, als Kylah hastig Zoe auf die Rückbank bugsiert.
Glücklicherweise steigt Kylah selber nicht auf den Beifahrersitz vorn, sondern setzt sich neben die liegende Zoe, was der Gelegenheit gibt, sofort ihre Hände in deren Klamotten zu verkrallen. Das Gesicht behält sie auf das weiße Lederpolster gedrückt, versucht, die Lippen über ihren Zähnen zu schließen. Der Wagen fährt an. Die Punkerin streicht Zoe über die zerwühlten Haare, wie einem Haustier.


Soundtrack: Blue Man Group, Dispatches 2
https://www.youtube.com/watch?v=R93GdGuEQaQ

Sie fahren schweigend durch den Morgen, ein Stück über die Autobahn, und über die Ortsgrenze nach Highland Park. Die Stadt innerhalb der eigenen Grenzen Detroits, einer der Orte, die Zoes Dad ‚Geisterstadt‘ nennt. Zoe versucht den Gedanken zu verdrängen, dass sie streng genommen gerade das Auto von Ellens Vater klauen. Na ja, es ist nur geborgt.
Die Umgebung wird zu einer heruntergekommenen Vorstadt, ein Wohngebiet, mit mehrheitlich verlassenen und verfallenden Einfamilienhäusern. Viele kahle Bäume recken dazwischen ihre Zweige in den Novemberhimmel.



Highland Park, innerhalb den Stadtgrenzen Detroits, total runtergekommen


In der Bruchbude, vor der das mintgrüne Auto abgeparkt wird, scheint irgendeine Art von WG zu leben, vielleicht auch Hausbesetzer. Nicht, dass sowas in Highland Park jemanden jucken würde. Die Leute wirken allesamt sehr verhalten, Zoe kriegt kaum welche zu Gesicht auf dem dunklen Hausflur. Es scheint auch keinen Strom zu geben. Es gibt aber eine funktionierende Dusche im Badezimmer, saukalt, von einer Regenwasser-Zysterne versorgt. Alles Marke Eigenbau. Zoe schließt sich ein, zieht sich die Klamotten aus, und bibbert unter der Dusche, während sie sich Blut und Schweiß runter wäscht. Ihre Augen scheinen wieder einigermaßen normal zu sein, aber an ihrem Gebiss hat sich verdammt nochmal überhaupt nichts verändert! Sie wagt es nicht, beim Anziehen einen Blick in den Badezimmerspiegel zu werfen. Sie weiß genau, dass es nicht ihr vertrautes Gesicht wäre, das ihr von dort entgegen blicken würde ...


Sie verbringt den Tag in einer Art Gästezimmer, mit einem sauberen Verband an der Stirn. Sie versucht, den verlorenen Nachtschlaf nachzuholen, aber es gelingt ihr nicht, alle paar Minuten schreckt sie auf. Vom gedämpften, ängstlichen Gerede auf dem WG-Flur. Von Kylah, die regelmäßig nach ihr sieht, mit immer noch blassem Gesicht. Von Erinnerungsfetzen an die vorangegangene Nacht. Dem Drang, die alten, geschlossenen Jalousien vom Fenster hochzuziehen, und zu sehen, ob der blasse Mond vielleicht immer noch zu sehen ist …


Kylah kommt nach ein paar Stunden ganz in das Gästezimmer, und sagt gedämpft, „Erstmal solltest Du was essen! Wir haben nicht viel im Haus, aber es gibt jede Menge Ravioli“, und sie hält eine Dose mit rötlichem Aufkleber hoch, „Kannst Du Dir vorstellen, was davon runterzukriegen?“
„Fleisch, ich will Fleisch“, hört Zoe sich selbst antworten, mit rauer, kratziger Stimme! Sie erschrickt selbst darüber.
„… Die meisten hier sind Veganer, hier ist nichts im Haus! Aber ich habe schon jemanden, der einkaufen fahren kann. Das dauert aber noch ein bisschen.“
Zoe erhebt sich von dem Bett, sieht Kylah an, jetzt ohne ihre Fangzähne zu bedecken: „Was ist bloß hier los, Kylah? Was ist mit mir geschehen?! Was sind das für Leute hier? Ich versteh' das alles nicht!“, sie klingt seltsam mit dem übergroßen Gebiss.
„Es ist noch nicht mal wirklich geschehen, Zoe, das kommt erst noch. Heute Nacht ist wieder Vollmond, und morgen. Ich kann Dir nichts darüber sagen. … Aber Du bist hier in Sicherheit!“
„Irgendwer muss sich darum kümmern, dass Ellen das Auto wiederkriegt …“, sagt Zoe tonlos.
„Da sind wir schon dabei. Einer von uns macht grade das Blut von den Sitzen weg. Schöner Scheiß, ein Auto mit weißen Ledersitzen!“
„Seid Ihr sowas wie die Mafia?“
Kylah muss beinahe lachen, und antwortet dann, „Nee, ganz bestimmt nicht. Versuch' nochmal, zu schlafen ...“
Dann kommt sie vorsichtig rüber und streichelt Zoe wieder über den Kopf.
„Wenn ich jetzt einschlafe, als was wache ich auf …?“, flüstert Zoe tonlos.
„Keine Sorge …! Wir füttern Dir jetzt was, und Du holst ein bisschen Schlaf nach. Wenn in zwei Tagen der Vollmond abnimmt, wirst Du Dich wieder besser fühlen, glaub' mir!“

Zoe ist ziemlich bewandert mit Gruselfilmen, aber dann doch nicht so sehr Nerd, dass sie hier eins und eins zusammenzählen könnte. Für sie ist dies alles nur eine wirre Mixtur aus erschreckenden Eindrücken, nicht etwa ein klares Bild davon, was ihre wahre Natur sein könnte.


Als sie am Nachmittag aufwacht, dämmert es über der Geisterstadt bereits wieder zum Abend, es muss später Nachmittag sein. Sie hört gedämpfte Stimmen von Neuankömmlingen vor der Haustür. Sie klingen aufgeregt, und geheimnisvoll. Erneut spannt sie sich innerlich an, bleckt instinktiv ihre furchtbaren Zähne.

Die Orakelwürfel bestätigen, dass im Schlaf der Schlagschaden von sechs Wundleveln auf zwei gesunken ist.
Zoes Heilkräfte sind zwar noch nicht völlig aktiviert, aber dennoch arbeitet ihr Körper bereits auf Hochtouren, wie es aussieht.

Die Tür öffnet sich, und herein kommt dieser Simon! Er ist in Begleitung von einem anderen Punk, ein äußerst haariger Geselle mit Irokesenschnitt, und von der blassgesichtigen Kylah.
„Was wird hier gespielt?“, fragt Zoe aufbrausend.
„Reg' Dich bitte bloß nicht auf!“, sagt Simon, und hebt beschwichtigend beide Hände, „Dürfen wir reinkommen? Ich will mit Dir reden.“
„Klar“, sagt Zoe, wickelt sich fester in die häßliche, braune Steppdecke, fährt mit der Zunge über ihre vergrößerten Zähne. Sie klingt dadurch immer noch bescheuert, wenn sie redet.
„Wollte ich eigentlich sowieso schon gemacht haben“, lächelt Simon, „Du hast uns letzte Woche gewissermaßen einen Dienst erwiesen, bei der Klopperei da. Wer weiß, ob Lousy Five Bucks so glimpflich davon gekommen wäre, wenn Du keinen Stress veranstaltet hättest draußen auf dem Parkplatz. Und letzte Nacht hast Du sogar diesen Carface verscheucht! Nicht schlecht, das wird sicherlich nicht vergessen werden, weißt Du!“
„Ich brauche was zu Essen …“, knurrt Zoe, unkonzentriert.
Kylah sagt, wie zur Besänftigung, „Die beiden mit dem Einkauf sind auch grade angekommen. Es gibt gleich was.“
„Was immer jetzt auch passiert“, sagt Simon, „Du hältst Dich jetzt bitte aus dem Nachtleben fern. Du meidest die Schule, und Deinen Job in der Videothek, und alle Menschenansammlungen. Das ist das sicherste so!“
„Was passiert in zwei Tagen? Was passiert bei Vollmond?“, fragt Zoe.
„Vielleicht passiert erstmal gar nichts weiter“, wiegelt Simon ab, „Vielleicht hast Du erstmal noch einen Monat.“
„Das reicht mir nicht! Ich will wissen, was das alles zu bedeuten hat!“, schreit Zoe plötzlich erbost, geben wir ihr einen vierten Rage-Punkt!
Simon will etwas entgegen, aber der haarige Punk mit Irokesenschnitt kommt ihm zuvor: „Es gibt für das alles Gesetze, Zoe! Wir werden die befolgen müssen. Und wir können den Lauf der Dinge für Dich auch nicht beschleunigen!“
„Das reicht mir nicht!“
„Dumm gelaufen! Wir geben Dir alle Rückendeckung, die wir Dir geben können“, sagt der Irokese streng, „Wir sind nicht einmal wirklich für Dich zuständig. Deine eigentlichen Leute werden sich erst noch finden müssen. Aber das is' der übernächste Schritt. Immer eins nach dem anderen, wa?“

Zoe würfelt Geistesschärfe+Enigmas, und erreicht einen Erfolg:

„Ihr seid das …! Ihr seid die ‚Knochenbeißer‘ …! Was seid Ihr, so eine Art organisierte Gang?“
Simon lacht, „Halt' mal schön die Füße still! Du weißt doch, wie der Spruch geht: Das könnten wir Dir sagen, aber dann müssten wir Dich töten! Das wird alles noch früh genug klar. Und Ihr haltet Euch künftig fern vom Undersalt Market, Kylah und Du, hast Du kapiert?“

Schalter:
Die Fremden sind also nicht allzu gesprächig. Wie geht es denn von hier aus weiter? Depart Wound sagen die Orakelwürfel.

Ein Gewehrschuss peitscht über die abendliche Straße hinweg, plötzlich ist die Fensterscheibe hinter Zoe zersplittert, und der haarige Irokesen-Punk hat eine kreisförmige, rote Stelle in seiner Schulter, wo die Kugel ihn durchschlagen hat! Alle fahren zusammen, Zoe bekommt einen fünften Rage-Punkt, damit ist sie voll!
„Alle runter!“, schreit Simon, und zieht seinen Kumpel den Irokesen mit sich zu Boden. Kylah und Zoe gehorchen ihrerseits.
„Wie kann das sein, dieses Revier ist doch sicher!“, schreit eine Stimme vom dunklen Flur!
„Jetzt nicht mehr!“, schreit Simon zurück, „Kampfpositionen!“, und Kylah raunt er zu, „Kylah, Du nimmst Zoe und bringst sie sofort hier weg! Raus vor die Stadt, zu Sabinas Hütte!“
Die Angesprochene guckt ihn an, und bringt nur ein fassungsloses Japsen heraus.
„Hast Du verstanden? Ihr nehmt die Protzerkarre, Hank soll Euch wieder fahren! Ihr rennt dorthin, sobald wir sagen, dass die Luft rein ist!“
Sie nickt verzweifelt.
„Keinen Moment vorher!“, zischt Simon, „Und wenn Ihr im Auto seid, gebt Ihr Stoff wie verrückt!“



Hank ist wieder unser Fahrer


Die nächsten Minuten sind nur verschwommen in Zoes Wahrnehmung. Nach kurzem Kriechen über den dunklen, muffigen Flur, Abwarten, und hektischem Rennen zur Haustür findet sie sich wieder auf der Rückbank des Wagens von Ellens Vater wieder. Hank, der siebzehnjährige Punk von letzter Nacht, ist wieder auf dem Fahrersitz, kämpft mit der Schaltung des Oldtimers und gibt Gas so schnell er kann, Kylah sitzt auf dem Beifahrersitz, den Kopf eingezogen. Zoe kauert auf der Rückbank. Ein weiterer Gewehrschuss kracht, Hank erschrickt so sehr, dass er einen Schlenker beschreibt, durch einen Stapel Mülltonnen hindurch, der am Straßenrand aufgebaut ist, eine Tonne poltert über die Kühlerhaube, Windschutzscheibe, und das Wagendach hinweg, bevor sie lautstark auf die Fahrbahn dahinter scheppert. Zoe kommt von der Rückbank hoch, und späht mit offenem Mund durch die Rückscheibe in die Abenddämmerung. Sie kann nur Silhouetten ausmachen, die meisten Straßenlaternen in diesem ganzen Block sind kaputt.
„Das waren dieselben wie heute früh, wetten?“, sagt Hank dumpf, „Jetzt sind wir auf uns gestellt!“, und er beschleunigt noch mehr.


Sie fahren eine Weile durch die Nacht, die Stadtlichter und Fabrikschornsteine ziehen vorbei, Zoe kann sie zur Hälfte sehen, erneut in Liegeposition auf der Rückbank. Diese Aussteiger in dem WG-Haus haben tatsächlich ganze Arbeit geleistet mit den weißen Sitzen, die sie heute morgen vollgeblutet hatte, es ist nichts mehr zu sehen, aber es riecht widerlich aseptisch.
„Kennst Du den Weg raus zu Sabinas Hütte?“, fragt Kylah leise.
„Klar, da war ich oft genug“, sagt Hank, „Aber wir sind da draußen … allein mit Zoe! In einer gottverschissenen Vollmondnacht ... Und Sabina hat ihr Betäubungsgewehr seit vorletztem Jahr nicht mehr!“
„Halt' die Schnauze!“, zischt Kylah, und sieht sich schnell über die Schulter nach ihrer Mitschülerin um, um zu überprüfen, ob sie wirklich schläft.
Sie sehen sich in die Augen. Zoe hat wieder ihre Fingerspitzen vor ihren Mund gelegt. Beide ihrer Blicke sind furchtsam.


 „Scheiße, Mann, der Tank von der Karre ist ja fast leer!“, sagt Hank plötzlich, als sie mit 140 Sachen auf der Stadtautobahn dahin ballern, „Damit schaffen wir es gar nicht mehr raus nach Irish Hills!“
Stimmt, fällt Zoe ein, Ellen wollte letzte Nacht ja nicht nachtanken, um Taschengeld zu sparen. Der Eintritt im Cubic Club war teuer genug.
„Halt' bloss nicht an“, raunt Kylah, die Augen auf den Rückspiegel geheftet, „Ich glaube, wir werden verfolgt! Die Scheinwerfer von dem Wichser hinter uns sind seit drei Autobahnabfahrten immer noch da!“
Kylah hat genug alte Thriller mit Zoe gesehen, um zu wissen, wie das im Krimi läuft.
„Quatsch' nicht rum, das bildest Du Dir ein!“, sagt Hank, aber aus seiner Stimme klingt Furcht.
„Ich bin sicher! Halt' bloß nirgends an. Auf der Landstraße kannst Du den vielleicht abhängen!“
„Wenn ich nicht tanken fahre, bleibt die verdammte Kiste aber liegen an der Landstraße! Dann haben die uns sowieso!“

Sie fahren also an einer bunt erleuchteten Tankstation von der Stadtautobahn.
Kylah fummelt im Handschuhfach herum, und raunt, „Zoe, hat Ellens Dad eine Wumme irgendwo hier drin?“
„Machst Du Witze?“, nuschelt Zoe kraftlos hinter ihren grotesken Fangzähnen, „Der Macker ist Journalist für die Detroit News, kein Drogenbaron!“
„Schon gut, schon gut. Halt' Du bloß den Kopf unten!“
Nieselregen setzt ein. Hank fährt an eine Zapfsäule ran, und sieht sich hastig um, die Hand am Türgriff.
„Oh mein Gott, das ist der Wagen, der uns gefolgt ist, hinter uns!“, ächzt Kylah, und fummelt sich mit bebenden Händen im Gesicht herum.
„Halt' die Klappe Du Gewitterziege, Dir gehen nur die Nerven durch!“, zischt Hank, und steigt aus, aber man sieht auch ihm seine Hektik an.

Der andere Wagen hält, Türen klappen auf, und drei Schlägertypen in schwarzen Lederkluften steigen aus! Einer hat eine winzige, schwarze Sonnenbrille auf der Nase, ein anderer ist über und über voller tätowierter Tribal-Muster.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, keucht Hank, als er sich beim Tanken über die Schulter nach den dreien umsieht. Sie kommen zielgenau in die Richtung des minten Oldtimers! Kylah und die liegende Zoe beobachten wie gelähmt.
„Ey, Jungs!“, sagt Hank laut, und hebt hektisch beide Hände in defensiver Geste.
Der mit der winzigen Sonnenbrille packt den Punk unvermittelt bei den schwarzen Zotteln, die unter seiner Mütze hervorkommen, und knallt seine Schläfe auf das Dach des Autos, es gibt ein dumpfes Geräusch!

Soundtrack: The Heavy, Big Bad Wolf
https://www.youtube.com/watch?v=DzOEe2L_s04

Runde 1: Zoe reißt die hintere Wagentür auf, fährt aus dem Auto, und tut ohne nachzudenken das, was sie schon die ganze Zeit verleitet war, zu tun: Sie beißt dem nächststehenden in den Hals! Der Mann zuckt zusammen und schreit überrumpelt auf, seine schwarz behandschuhten Hände versuchen den Kopf des Mädchens von sich wegzudrücken. Zoe richtet drei Wundlevel an, den Tödlichen Schaden kann der Normalsterbliche nicht absorbieren; sie fühlt, wie ihre Hauer Lederkleidung und Haut mühelos durchdringen, und schmeckt Blut.



Die Sonnenbrille hat den Rücken zu ihr und legt in der Zwischenzeit nach, und haut Hanks Kopf erneut auf das Autodach, dieser kassiert jetzt zwei Level Schlagschaden. Der mit den Tribal-Tattoos aber wirbelt herum zu Zoe, wie sie sich in seinen Komplizen verbissen hat, und versucht sie am Schlafittchen zu packen. In einem Polizeigriff kriegt er sie weggerissen, der Komplize fasst mit seinen schwarzen Handschuhen seinen blutenden Hals, und fällt auf die Knie.
Dann ist noch Zoes Rage-Aktion dran, sie versenkt wütend diesmal ihre Fänge in dem Arm, der sie gepackt hält. Es gelingt ihr aber noch nicht, Halt zu finden, er bekommt nur ein paar Kratzer.

Runde 2: Der Tätowierte drückt ihr mit seinem Polizeigriff die Luft ab, aber sie absorbiert die beiden Schadenslevel ohne Schwierigkeiten. Sie braucht gerade nicht Luft zu holen, ihre Lungen fühlen sich an, als wären sie schon randvoll gefüllt, genug Atem für Stunden! Die Sonnenbrille lässt endlich vom benommenen Hank ab, macht einen Seitenschritt zu Zoe, und boxt ihr in die Rippen. „Hier ist sie! Wir haben sie!“, schreit er in Richtung seines Autos. Zoe keucht, als sie sechs Level Schlagschaden bekommt, von denen sie nur drei absorbieren kann. Sie fühlt keinen Schmerz. Ihr Sichtfeld beginnt, sich rot zu verfärben. Alle Konturen werden deutlicher, wie scharfgezeichnet. Sie riecht das Blut des Knieenden vor ihr, es steigt ihr in die Nase, eisenhaltig, nahrhaft, enervierend! (Das soll ihr wieder einen verbrauchten Rage-Punkt zurück geben!) Erneut beißt sie den Tätowierten in den Arm, diesmal erzielt sie drei Erfolge, ihre verlängerten Eckzähne finden endlich Halt, und mit schnellen Kieferbewegungen arbeitet sie sich vor durch Fleisch und Muskeln, bis zum Unterarmknochen. Der Kerl schreit gellend auf, und lässt los. Daraufhin aktiviert auch noch Zoes Rage-Aktion, sie schaut mit blutverschmiertem Mund die Sonnenbrille an, ihr Kopf zuckt blitzartig nach vorne, und sie beißt ihm ins Gesicht! Ihre Wolfszähne verbeißen sich in seiner Wange.

Jetzt haben alle drei Level Tödlichen Schaden eingesteckt! Die machen nicht mehr allzu viel!
Die Orakelwürfel bestätigen die Vermutung:
Der Trupp will sein Leben retten, und zieht sich zurück!

Der Schlägertyp schubst das wildgewordene Schulmädchen von sich weg, verliert die verbogene Sonnenbrille von der Nase, taumelt rückwärts zu seinem Wagen zurück; Zoe spuckt sein Ohrläppchen aus. Zähnefletschend schaut sie ihnen nach, ihre untere Gesichtshälfte ist rot getüncht. Sie fühlt Kylahs Hand, die sie von innen her durch die geöffnete Tür auf die Rückbank des Autos zurück zerrt.
„Gib‘ Stoff!“, kreischt die Punkerin mit überschnappender Stimme.
Hank hält sich die Schläfe, während er den Tankdeckel schließt, wirft sich auf den Fahrersitz, und fährt mit röhrendem Motor an, die Hinterreifen schlenkern nach links und rechts, und es stinkt nach verbranntem Gummi aus Asphalt!
Zoe wimmert etwas Unartikuliertes, sie können doch nicht mit dem Auto von Ellens Vater Benzin klauen! Durch ihre Fänge versteht man nichts. Kylah hält ihr den Mund zu und schüttelt beschwörend den Kopf. Dann zieht sie ihre Hand zurück, und schaut auf die rot gefärbte Handfläche, und wird noch eine Nuance blasser.
Zoe schmeckt das köstliche, köstliche Blut auf der Zunge, und sieht sich nach den Verfolgern um. Ihre Rippen pochen schmerzhaft, ihr Gesicht ist feurig heiß. Sie rupft sich das Verbandpflaster von der kribbelnden Stirn, schmeißt es angewidert weg. Die Platzwunde von heute Morgen ist eh so gut wie verschwunden. Ihre angeknacksten Rippen werden auch nicht lange brauchen, ahnt sie instinktiv. Sie fühlt sich, als würde ihr Blut sieden, aufs Angenehmste.
„Mehr, mehr davon!“, bringt sie hervor, durch ihre Hauer hindurch.
„Sie verwandelt sich womöglich …“, sagt Hank, er klingt etwas weggetreten. Er sollte nicht fahren.
„Nein, nein … sie ist stark …“, flüstert Kylah, aber ihr Ton klingt beschwörend, eher wie Wunschdenken, „Vielleicht hätten wir ihr bei der Gelegenheit ein paar Burgerfrikadellen kaufen sollen …“
„Mehr davon … oh Gott. Oh Gott, Kylah … was passiert mit mir?“, gurgelt es kläglich vom Rücksitz.
„Du darfst keinesfalls Menschen fressen, Zoe! Hörst Du? Das verbietet Euer Gesetz!“
Zoe hat die Arme um den Kopf geschlungen, ihre wilde Mähne steht nach allen Seiten ab, sie ist ein Bild des Elends, jetzt wo ihr Adrenalin etwas nachlässt. Ihr Kampfesrausch.

Schalter:
Sie brettern über eine Stunde durch die Nacht, nach Südwesten, Detroits Hochhäuser bleiben schließlich hinter ihnen zurück. Von der Rückbank hören die beiden Punk-Kids nur Zoes Schnappatmung, ihre Stimme klingt tiefer und rauer als sonst. Sie scheint keinen wirklich klaren Gedanken fassen zu können. Zwischendurch knurrt ihr lautstark der Magen, Kylah grimassiert bei diesem Geräusch furchtsam. Immer wieder sieht sie in den Rückspiegel, aber keine weitere Veränderung scheint mit Zoe vorzugehen, die Schulkameradin verharrt in sich zusammengesunken, die Stirn zwischen den Knien.

Soundtrack: Blue Man Group, Shadows
https://www.youtube.com/watch?v=8CtHXr3PHtI

Draußen am Rand der schäbigen Kleinstadt Adrian erstrecken sich flache Hügel und weitläufige Forstgebiete von Irish Hills. Ohne den Lichtsmog und die Beleuchtungsanlagen von Detroit herrscht dort draußen rabenschwarze Nacht.



Die Autotür neben Zoe geht auf, und sie hört Kylahs Stimme, „Wir sind da, Zoe, das hier ist Shady Sabinas Hütte! Die gehört zum … gewissermaßen zur Familie. Die ist eine Freundin, kapierst Du? Wie die anderen vorhin. Du darfst keinem hier was tun! Hier draußen finden die uns nicht. Hier sind wir erstmal sicher.“
Zoe schaut auf, das Gesicht blass, das Kinn immer noch blutverkrustet. Kylah weicht einen Schritt zurück.
„Was ist?“, fragt Zoe, betastet ihre Stirn. Ihre Augenbrauen, sowieso dicht, schwarz, und buschig, sind noch wilder geworden. Die Haut auf ihrer Stirn und Nasenwurzel fühlt sich hart und maskenhaft an.
„Kylah… ich verwandel' mich in ein Monster …“, ächzt Zoe.
„Nein, Du bist kein Monster. Komm' jetzt.“



Shady Sabina ist eine kleine Schwarze mit sehr kompakter Statur und mütterlichem Gesicht. Sie trägt abgeranzte Bäuerinnenkleidung mit einem Schultertuch. Irgendwie überrascht es Zoe nicht, dass die Alte dazu einen Waffengurt mit einer abgesägten Schrotflinte umhat.
„… Willkommen, Kleine! Brauchst keine Angst mehr zu haben, hier draußen kann Dir keiner was tun!“, sagt Shady Sabina, „Wir kennen uns aus mit Geschwistern wie Dir, oh ja! Erstmal wirst Du gefüttert!“
„Wir haben versucht, was für sie aufzutreiben, aber dann ist das Safe House in Highland Park angegriffen worden!“, sagt Kylah im Reingehen.
„Ja, ja! Die Mächte haben es gegeben, dass Ihr unversehrt hierher kamt! Jetzt gibt’s erstmal was zu essen. Und für Euch natürlich auch, Kylah Kirby, Ihr seht ja ganz verhungert aus!“



Shady Sabina


Das Haus ist groß aber baufällig, fast alles besteht aus Holz. Shady Sabina führt Zoe in den Keller, wo es eine Art Gästezimmer gibt — mit abschließbaren Türen aus überaus dicken Holzbohlen! In einer ist sogar ein massives Gitterfenster eingelassen.
„Ist das ein Gästezimmer oder ein Kerker?“, fragt Zoe tonlos.
„Blödsinn, Kerker!“, muffelt die kleine, kompakte Alte, „Ihr in der Großstadt steckt Eure Nasen viel zu viel ins Inter-Web oder wie das heißt. Da wird man ganz meschugge von, wa! Mädchen in Deiner Situation brauchen ein bisschen Raum um sich austoben zu können. Dafür sind die Zimmer hier unten. Wir können Dich jederzeit rauslassen, wenn Du das willst, oder wenn Gefahr von außerhalb im Anmarsch ist …“
„Gefahr? Was denn für Gefahr?“, fragt Zoe, als sie widerwillig durch die dicke Zimmertür mit dem Gitterfenster eintritt.
„Diese Kerls, deren Tomatensoße Dir noch im Gesicht hängt, Kleine!“, keckert die Oma, und schließt die Tür von außen ab, „Du kannst die Vorhänge dort aufziehen, wenn Du Luna sehen willst! Wenn Dich das quält, lässt Du sie einfach zu!“
Zoe schaut zum Fenster, wo schwere Vorhänge zu sehen sind, aus altem Kinderzimmer-Vorhangstoff. Dann linst sie skeptisch durch die Gitterstäbe nach draußen, zurück auf den Gang.
„Wenn wir sie in den Schuppen am Waldrand verlegen müssen, sagst Du Bescheid, Kylah!“, ordnet Sabina an, und sagt dann zu Zoe, „Kylah bleibt natürlich weiterhin bei Dir, Kleine!“
„Danke“, sagt Zoe tonlos. Sie wischt an ihrem Kinn herum.
„Ich bringe gleich eine Waschschüssel. Und dann was Deftiges zu Mampfen!“, lächelt die Alte.
Zoe kann nicht anders als sie zu mögen, egal wie skurril ihr Erscheinungsbild auch ist, und die ganze Situation.
„Wer ist Luna?“, fragt Zoe noch.
„Wer ist Luna, fragt sie!“, sagt Sabina empört, dann lächelt sie und schaut zu dem Gitterfenster hinauf, „Na, Mädchen, Deine gute alte Freundin, der Mond!“

Es gibt so eine Art Eintopf, mit vielen Fleischbrocken, die nur wenig durchgezogen sind. Zoe fällt geradezu darüber her, und dadurch verschwindet glücklicherweise auch endlich der Blutgeschmack in ihrem Mund. Für eine Einsiedlerin, die nur wenig hat, ist es sehr spendabel, so ein Abendessen aufzufahren, nimmt Zoe an.
„Die ist nett, Eure Shady Sabina“, sagt sie kauend nach draußen.
„Klar. Die Familie kümmert sich eben umeinander“, sagt Kylah vage.
„Soso, Familie. Ihr seht Euch überhaupt nicht ähnlich! Außerdem ist sie schwarz!“
„Familie im weitesten Sinne, Zoe. Das wirst Du noch verstehen.“
Man hört die Schritte von Sabina, Hank, und der anderen Hüttenbewohner im Erdgeschoss herumlaufen, die alten Dielenbretter knarren. Ist das ein Zeichen dafür, dass es dort oben irgendeine Aufregung gibt?
„Hey, Kylah … hier sind überall Kratzspuren an den Innenwänden!“, sagt Zoe befremdet.
„Ja ja … Du bist nicht die Erste Deiner Art, verstehste?“
Zoe betastet furchtsam ihr neues Gebiss, die Eckzähne; wo sie früher Backenzähne hatte, meint sie nun, sogenannte Brechscheren zu finden, wie bei dem Hundegebiss aus ihrem Biologie-Buch in der Schule, die Illustration hatte sie fasziniert. Sie ist froh, dass hier unten kein Wandspiegel ist, denn jetzt würde sie tatsächlich hinein sehen, um zu schauen, was von ihrem Gesicht übrig ist. Sie tritt erneut ans Gitterfenster. Sie wechselt einen langen Blick mit Kylah.
„Eigentlich kenne ich Dich noch gar nicht so gut, Kylah“, sagt sie dumpf, „Ursprünglich hatte ich eigentlich gedacht, Du suchst meine Gegenwart, weil Du keine richtigen Freunde an der Schule hast … und bemerkt hast, dass mir das auch so geht in meiner Klasse. Und dass Du mit bei Lennings abhängst, weil da geheizt ist. Aber … das war in Wahrheit gar nicht der Grund dafür, oder ...?“
Die Punkerin hält dem Blick ihres Gegenübers stand, aber entgegnet nichts.
„Die haben Dich geschickt …“, krächzt Zoes brüchige Stimme; sie ist zu gegruselt, um ihren Verdacht lauter herauszubringen als ein Raunen.
Schweigend sehen sie sich weiter an. Oben im Haus laufen aufgeregte Schritte auf und ab. Zoes Ohren registrieren heulende Automotoren auf der verwahrlosten Kiesstraße.
„Oh, Scheiße“, knurrt sie.

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