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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise
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Evolution: Zoe hat mittlerweile acht Erfahrungspunkte zusammen bekommen. Die gebe ich alle aus, um ihr einen dritten Punkt bei Wahrnehmung zu geben. Das Erwachen hat also jüngst ihre abgestumpften Großstadtbewohner-Sinne schlagartig schärfer werden lassen. (Fertigkeiten wie Ur-Instinkt und Handgemenge müssen auch dringend gesteigert werden, und sind wahrscheinlich beim nächsten Mal dran.)
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Zeit, mal eine der Mechaniken aus dem Ironsworn-Regelwerk zu verwenden: Aus dieser Reise machen wir natürlich den Move namens Undertake a Journey. Der Weg ist weit und es gibt Verfolger, aber auf dem Highway reisen die Charaktere relativ bequem, darum stufe ich die Reise als lediglich Unannehmlich ein. Jeder erreichte Waypoint bringt daher drei (von bis zu zehn möglichen) Punkten Fortschritt.
Der VW-Bus fährt auf der 401 nach Osten dahin, und kommt in immer dichteren, zäheren Verkehr. Je langsamer es voran geht, desto größer wird auch Zoes Unwohlsein. Sie fühlt sich geradezu eingesperrt in dem engen Van, klaustrophobisch, von allen Seiten umgeben von unzähligen kleinen Blechbüchsen voller Leute. Und zu allem Überfluss muss sie jetzt dabei zusehen, wie das Tageslicht zusehends fahler und gräulicher wird ...
Ihre Angst vor der Abenddämmerung wird richtiggehend heftig: Wir geben ihr bei dieser Gelegenheit einen weiteren Rage-Punkt. Damit ist sie jetzt wieder bei vieren, und es wird richtig gefährlich, in ihrer Nähe zu sein (denn ab vier Punkten Rage können Werwölfe in Raserei verfallen).
„… Fahren wir eigentlich die Nacht über in ein Motel?“, fragt Zoe verzweifelt.
Simon auf dem Beifahrersitz dreht sich zu ihr um, „Machst Du Witze? Das ist eine 12-Stunden-Fahrt bis Vermont. Mit dieser Gurke hier wahrscheinlich länger. Wir fahren natürlich die Nacht durch! Auch um unseren Vorsprung auszubauen vor den Verfolgern.“
„Ich fänd' aber ein Motel richtig gut …“, schnauft sie atemlos, „Irgendwas Abgelegenes … weit weg — von den vielen — Autos! Du hast doch — das Scheinbündel!“
„Kann das sein, dass unser Vollmond-Welpe die Nerven verliert?“, sagt 'Shrooms misstrauisch zu Simon, „Was, wenn die uns noch austickt?“
„Hey, Zoe tickt schon nicht aus! Die kann sich am Riemen reißen!“, sagt Kylah defensiv.
„Nein, die haben vielleicht Recht, Kylah …“, gibt Zoe zu, „Was, wenn ich es wieder nicht zurückhalten kann? … Ich …“, und ihre Stimme versagt ihr, sie kann nur noch flüsternd weitersprechen, „ich habe drei Menschen getötet, letzte Nacht …! Mindestens drei! Und vorher bei der Tanke welche gebissen, vielleicht lebensgefährlich …“
Sie zittert wie Espenlaub.
Sie sieht das blasse Gesicht der wasserstoffblonden Knochenbeißerin vor ihrem eigenen auftauchen, ausnahmsweise sieht die Zoe direkt an, während sie mit ihr redet: „Ich hab' was dabei, was wir versuchen können. Vielleicht ist das das Richtige für Dich“, und sie holt einen größeren, schwarzen Plastikzylinder hervor, schraubt den hellgrauen Deckel ab.
„Was ist das?“
„Ich hab' ein Beruhigungsmittel dabei, das selbst bei Brocken wie wir es sind helfen kann. Ich selber bin Galliard, kapierste?“
„Die kapiert gar nix, woher soll sie das denn wissen, bitteschön?“, faucht Kylah.
Die Wasserstoffblonde erklärt, etwas monoton, „Na, Galliard, ein Dreiviertelmond. Ich habe dementsprechend ähnlich viel Wut in mir wie Du. Ich hatte mehr Gelegenheiten, sie zu unterdrücken zu lernen, mehr als Du armes Würstchen. Aber manchmal wird sie unbeherrschbar, auch bei mir, ich kenne das auch.“
„Was hast Du da für ein Zeug?“, verlangt Kylah zu wissen, sie versucht, streng zu klingen, klingt aber mal wieder eher patzig.
'Shrooms zeigt dem jüngeren Mädchen die Dose.
„Das Label ist ja Chinesisch!“
„Hat einer meiner Blutsbrüder mir über drei Ecken organisiert. An das einheimische Zeug aus den Apotheken komm' ich derzeit nicht ran“, sagt die Knochenbeißerin.
„Ist das überhaupt für Menschen?! Da ist ein Pferd auf dem Etikett drauf …“, sagt Kylah.
„Das soll ich mir reindonnern, ja? Dann bin ich wieder ruhig und friedlich, ja?“, fragt Zoe, unterschwellig gereizt.
„Hör' ma' zu, Mädel“, sagt 'Shrooms, „Du hast seit gestern den Meter-Bulismus von zehn Menschen zusammen. Kapierste, dass eine einzelne Beruhigungstablette jemandem wie Dir nicht mehr hilft?“
„Ja … aber ich will diese Pillen nicht. Danke, ich glaube, ich komme schon klar.“
Do-Not-Eat-The-Shrooms zuckt kühl mit den Schultern, nimmt Kylah ihre Pillendose wieder weg, und klettert zurück auf ihren vorherigen Sitzplatz.
Jetzt könnte man doch mal wieder die Orakelwürfel befragen, danach, was für Abenteuer die hereinbrechende Nacht mit sich bringt! Unglaublich: Treffsicher generieren die W100 das Resultat Escalate Creature! Das bedeutet offensichtlich, dass der Vollmond die Bestie in Zoe wieder hervor lockt!
Der Verkehrsfluss lockert wenig später endlich wieder auf, als eine Unfallstelle am Straßenrand in Sicht kommt; hier stehen mehrere Polizeiwagen.
„Na super, die Bullen!“, grunzt Ribkick, „Nicht, dass die uns noch checken wollen, das fehlte noch — alle unauffällig bleiben! Kylah und Lousy Five, seht ja zu, dass Zoe und 'Shrooms sich ruhig halten!“
Der dunkelgraue Van ist direkt auf Höhe der Polizeiautos.
In dem Moment reißt die Wolkendecke auf! Der silbrig weiße Vollmond fällt in Zoes Augen, und ein eisiges, kribbeliges Gefühl durchfährt sie sofort! Mit einem Knall hat sie ihre Handfläche an die Autoscheibe geschlagen, als hätte sie den Himmelskörper berühren wollen, und verharrt dann einfach, starrt gebannt hinauf.
„Zoe, nein! Schau' nicht direkt in das Mondlicht!“, zischt Kylah alarmiert, und zerrt an ihrem Pulli.
Das eigene Mondzeichen am Himmel zu sehen zum ersten Mal in einer Nacht bringt temporäre Rage-Punkte ein; Zoe kann sowieso nur noch einen einzigen kassieren, um voll zu sein, auf fünf!
Die Orakelwürfel entscheiden, es ist auch nicht die Polizei bei der Unfallstelle draußen, die unseren Charakteren Stress macht. Der Stress kommt aus dem Inneren des VW-Bus, als Zoe in Zuckungen verfällt, spitze Zähne bekommt, lange Krallen, und hellbraunes Fell im Gesicht und auf den Handrücken! Fußkrallen beginnen, ihre abgelatschten Turnschuhe vorne zu durchstechen!
„Mond …!“, gurgelt Zoes verzerrte, dämonische Stimme, „… Muss hier raus! ... Zu eng hier drin!“
Kylah hat beide Hände in Zoes Ärmel verkrallt, wie um sie festzuhalten, und schreit rüber zu 'Shrooms, „Die Pillen, schnell, die Pillen her!“
„Nein!“, begehrt Zoes zu tiefe Stimme auf.
„Du kannst jetzt nicht hier raus!“, versucht Lousy Five Bucks ihr verständlich zu machen.
„Raus! Lasst mich raus! Ich beiß' Euch!“, bringt Zoe hervor, und nimmt ihre fellbedeckte Glabro-Form an, alle Nähte ihrer Second-Hand-Klamotten krachen, als sie einen Kopf größer und deutlich massiger wird.
Die Orakelwürfel erlauben glücklicherweise, dass die Knochenbeißer einen Trick finden, Zoes Kontrollverlust aufzuhalten:
Nuschelnd spannt Massalfassar einen löcherigen, kleinen Regenschirm auf, und hält ihn zwischen Zoes Kopf und das Wagenfenster. Unüberlegt will Zoe mit ihrer haarigen Pranke den Schirm wegwischen, um das Mondlicht wieder zu sehen, aber Kylah und Lousy Five Bucks kriegen rechtzeitig ihre Hände zu fassen und halten sie still.
„Ruhig, ganz ruhig, Zoe!“, raunt Kylah beschwörend, geradezu flehentlich.
Schon sind sie weit außer Sicht der Stelle mit den Polizeiwagen; Simon dirigiert Hank, rechts ran zu fahren. Sie reißen die Schiebetür des Van auf und lassen Zoe herausspringen. Hier führt eine Böschung auf einen unbeleuchteten Acker hinab, und als die haarige Silhouette dort hinab prescht, können die anderen Autofahrer sie daher nicht sehen. Zoe fühlt das nasse, kalte Erdreich unter ihren Füßen, als die Reste ihrer Turnschuhe von ihren vergrößerten Füßen abplatzen, sie wächst weiter an in ihre Crinosgestalt, mit einem entsetzten „Neineinein“ fühlt sie, wie ihre Kiefer sich in die Länge ziehen, ihr ganzer Schädel, und es ist das letzte, was sie herausbringt, bevor ihr Kopf zu einem Wolfskopf wird.
Das ungewohnte Erleben von Kontrollverlust führt zu einem Rage-Wurf, jetzt bei Vollmond nur gegen Vieren. Erstaunlicherweise hat sie jedoch nur einen einzigen Erfolg, und widersteht der Raserei.
Langsam klettern Simon und Ribkick die erdige Böschung herab, und nähern sich vorsichtig über den Acker, dicht gefolgt von Kylah.
„Sie sieht aus, als würde sie sich wieder sammeln“, sagt Simon halblaut.
Die riesige Crinos-Gestalt kauert auf allen Vieren im Schlamm und schnauft aus mächtigen Lungen vor sich hin, ihr heißer Atem umgibt weißlich ihr Maul.
Ein paar Minuten sehen sie dem Monster nur dabei zu, wie es vor sich hin japst.
„Zoe … erinnerst Du Dich an Deinen Namen? Erinnerst Du Dich an uns?“, fragt schließlich Ribkick in vorsichtigem Ton. Seine Stimme klingt ebenfalls tiefer, er hat seine fastmenschliche Glabro-Form angenommen; nur für den Fall der Fälle.
„Ja … ich bin Zoe Ma'ers'n …“, grollt es aus dem wölfischen Maul, in Nachahmung englischer Sprache.
„Wir grüßen jetzt gemeinsam den Mond, Zoe“, sagt Ribkick streng, „Das ist ein kleiner Ritus in unserem Stamm. Dadurch ehren wir unsere große Verbündete Luna, und machen sie uns gewogen. Führen uns vor Augen, dass sie auf unserer Seite ist. Verstehst Du?“
Das Wolfsmaul versucht verzweifelt zu antworten, dass Zoe bereit ist, alles zu tun, um ihre Beherrschung wiederzuerlangen. Sie hebt eine ihrer mächtigen, ledrigen Pranken, öffnet und schließt sie probeweise, besieht sie mit fasziniertem Schrecken von vorn und hinten. Das Mondlicht glänzt auf ihren perfekten, tödlich scharfen Klauen.
„Konzentrier' Dich, Zoe“, sagt Ribkick leise, und kniet sich neben sie, „atme tief ein und aus. Sieh' in den Mond, aber erst dann, wenn ich es Dir sage ... Heute Nacht schickt ihr Licht Dich nicht auf die Jagd; bald schon wieder, aber heute nicht.“
Gemeinsam erheben sie schließlich die Gesichter in den Vollmondschein, und grüßen rituell Luna. Zoe immitiert gehorsam Ribkicks Bewegungen. Sie wagt es, wieder das Silberlicht auf ihre Netzhäute zu lassen, und spürt, wie es an ihren Muskelsträngen zieht, wie ein Magnet, wie um sie anzutreiben. Sie zwingt sich, zu verharren.
Do-Not-Eat-The-Shrooms ist im Hintergrund auch die Böschung herab geklettert, und singt leise einen Popsong, immerhin ist sie der Galliard des Rudels. Ihre brüchige Stimme dringt geisterhaft durch die Nacht über dem Rauschen des Highway: "Blind man running through the light of the night /With an answer in his hand / Come on down to the river of sight / And you can really understand ..."
Erstmals klingt ihre Stimme nicht nervig, sondern irgendwie tatsächlich beruhigend, irgendwie passend in diese Mondnacht.
Soundtrack: Annie Lennox, Don't Let It Bring You Down, Instrumental Version
https://www.youtube.com/watch?v=iE1DBlm5xmc
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Die erste halbe Reisenacht ist also um, das könnte die erste Etappe kennzeichnen bei unserem Undertake a Journey-Move. Daher würfle ich, ob wir den ersten Waypoint erreichen. Hank würfelt Geschick+Fahren und Simon unterstützt ihn mit Geistesschärfe+Zurechtfinden, gemeinsam akkumulieren sie acht Erfolge, das ist topp! Die Anzahl dieser Erfolge muss die 2W10 als Challenge Dice überbieten. Es resultiert ein Strong Hit! Dadurch erhalte ich drei Punkte Fortschritt.
Von Detroit zum Zielort ist es eine satte 12-Stunden-Fahrt, größtenteils auf der 401 durch Kanada. Der VW-Bus fährt entlang Lake Erie, und wird dann entlang Lake Ontario weiterfahren, Montreal passieren, und dann wird es auf der Route 91 nach Süden gegen. In New Hampshire liegt der White Mountain National Forest, und dort drinnen liegt angeblich das sehr gut verborgene Grundstück der mysteriösen Verbündeten der Knochenbeißer von Detroit.
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Befragen wir doch das Orakel nach unserem nächsten Stichwort, was die nächste Wegetappe ausmachen wird. Uphold Advantage sagen die Würfel, was bei einer Highway-Reise mit Verfolgern bedeuten muss, dass die Charaktere ihr Tempo und ihren Vorsprung mühsam aufrecht erhalten müssen, um weiterhin im Vorteil zu bleiben. Dann mal los, Vollgas:
Nach ihrer neuerlichen Verwandlung und Rückverwandlung ist Zoe zitterig, all ihre Nervenenden scheinen vor Nervosität zu flackern. Hätte sie etwas von ihrer Wut verbrannt, wie während ihres Ersten Wandels vergangene Nacht, dann würde sie sich womöglich ruhiger fühlen, jetzt wo sie wieder im engen Van sitzen. Alles, was sie erreicht hat, ist, die Second-Hand-Kleider zu schrotten, die Shady Sabina ihr überlassen hatte. Jetzt ist sie in eine alte Army-Winterjacke gehüllt, die Ribkick noch übrig hatte, und hat eine Folien-Rettungsdecke aus dem Erste-Hilfe-Kasten des Autos um ihre Beine und Füße gewickelt. Auf dem nächsten Autohof wollen die Knochenbeißer ihr morgen vormittag neue Klamotten und Schuhe kaufen.
Vorne hat nun doch Lousy Five Bucks endlich den übermüdeten Hank abgelöst beim Fahren, Hank schläft auf dem Beifahrersitz, um in ein paar Stunden wieder übernehmen zu können. Jetzt darf den Van natürlich erst recht niemand anhalten, weil der Obdachlose ja keinen Führerschein mehr hat.
Auch Kylah schläft bereits, ganz entkräftet sieht sie aus, Zoe mustert sie eine Weile mitleidig. Sie selber kann kein Auge zu tun. Sie fühlt sich hellwach, sie fühlt sich, als könne sie jederzeit wieder aufspringen und losrennen. Do-Not-Eat-The-Shrooms döst auf ihrem Sitz; wenn sie zwischendurch aufwacht, wandern ihre Augen prüfend durch den Innenraum des Busses, angelegentlich mustert sie manchmal die Neue. Zoe hat mittlerweile beschlossen, sie insgeheim ‚Annie Lennox’ zu nennen, da sie den Menschenmamen der Knochenbeißerin sowieso nicht kennt. Der gespenstische Popsong vorhin hat sie irgendwie beeindruckt.
„… Hast schön gesungen vorhin“, raunt sie, „Hat irgendwie geholfen. Weiß nicht, was da los ist bei mir, Popsongs wirken irgendwie immer gut.“
„Bist Du wirklich ein Vollmond, oder vielleicht selber Galliard?“
„Shady Sabina hat gesagt, ich sei fast unter einem Dreiviertelmond geboren worden …“
„Dann bist Du auch ein kleines bisschen Galliard“, raunt die Knochenbeißerin, "wir sind die Liedbewahrer".
„Der Song vorhin war von Annie Lennox, oder?“
„Ich kann nicht mal den Liedtext ganz“, sagt die brüchige Stimme im Halbdunkel, „so wie ich mir auch keine Geschichten merken kann. Und kaum die Verdienst-Namen meiner Stammesgeschwister.“
„Na und?“
„Na, das wäre eigentlich meine Aufgabe als Galliard, weißte. Ich bin sowas wie eine Komplettversagerin. Ich bin auch bei den Knochenbeißern gelandet, weil ich woanders den Aufnahmeritus nicht bestanden habe.“
„Aufnahmeritus? Was soll das bedeuten?“
„Von Geburtswegen wäre ich eigentlich eine Fianna gewesen. Aber ich bin ziemlich Crap bei allem was ich mache.“
„Erzähl' mir mehr!“, bittet Zoe eindringlich.
„Neh, kein' richtigen Bock drauf. Ich bin auch nich' gut in sowas. Wie gesagt, ich bin mies als Galliard.“
„Ich muss das doch alles wissen, oder? Und nach meinem Ersten Wandel gestern dürft Ihr mich doch eigentlich einweihen, oder?“
„Das sollen mal schön die in der Zuflucht machen. Da wo wir hinfahr'n. Die sind gut in sowas.“
Massalfassar setzt sich plötzlich auf, und beginnt halblaut seinen Nuschel-Monolog, er scheint Selbstgespräche zu führen, aber überaus angeregt. Alarmiert geradezu. Zoe beobachtet die kuriose Gestalt. Der Schwarze kurbelt daraufhin sein Fenster runter, schnüffelt in den Nachtwind. Stammelt wieder irgendwas. Dann schließlich dreht er sich zu Simon um, und raunt ihm etwas zu. Statt den Exzentrismus zu ignorieren, hangelt sich Simon prompt nach vorne durch, und sagt Lousy Five Bucks, er solle bei der nächsten Raste mal runter fahren.
Einige Minuten später parkt der Van auf einem weiten, dunklen Parkplatz. Er ist um diese Nachtzeit das einzige Fahrzeug hier. Durch ein paar Baumsilhouetten hindurch hat man einen Blick auf das Ufer von Lake Ontario, der sich unendlich weit in der Dunkelheit dahin zieht. Das Vollmondlicht glitzert darauf, aber Wolkenfetzen schieben sich (zu Zoes Erleichterung) immer wieder vor Lunas Angesicht oben am Himmel.
„Was ist los?“, flüstert Zoe, als Lousy Five Bucks den Motor abstellt.
„Alle mal herhören“, sagt Simon ernst, „Massalfassars Geister-Verbündeter ist zurück! Der hat ihm zugetragen, dass der Feind in der Nähe ist. Wir werden uns auf Stress vorbereiten müssen.“
„Sutter Cross?“, fragt Lousy Five Bucks ängstlich.
„Nein, viel schlimmer. Sutter Cross ist in Detroit, die haben keinen Grund, uns so weit zu verfolgen. Aber Gangrydge arbeitet überregional.“
„Wer?“, fragt Zoe verwirrt.
Kylah zischt, „Evan Gangrydge! Weißt Du etwa nicht mehr? Die Typen mit den knallrot gefärbten Haaren! Die aus dem Undersalt Market!“
„Die sind ‚der Feind‘?“
Kylah nickt furchtsam.
Simon sagt angespannt, „Die sind der Feind, ganz genau, und die haben ähnliche Möglichkeiten uns nachzuspüren wie wir Möglichkeiten haben, ihr Erscheinen vorauszuahnen. Vielleicht haben sie doch die Autonummer vom Van irgendwie gekriegt, oder ihre Verbündeten eilen ihnen unsichtbar voraus, so wie auch Massalfassars Verbündeter bis eben ausgeschickt war.“
Der Seher nuschelt aufgeregt irgendwas, halblaut.
Simon endet, „Der Feind nähert sich in zwei dicken, schwarzen Karren unserer Position, soviel steht fest. Dass sie schon so viel aufgeholt haben, heißt, dass wir ihnen nicht entkommen können mit unserer Klapperkiste.“
„Du willst wohl die Warnblinker-Mausefalle machen, Kurzer?“, fragt Ribkick.
„Warnblinker-Mausefalle, genau! 'Shrooms spielt wieder den Köder. Kylah, Hank, und Lousy Five bringen Zoe hier weg, ihr versteckt Euch allesamt am Seeufer, bis alles vorbei ist.“
Zoe will fragen, was das alles zu bedeuten hat, aber die anderen lassen ihr keine Zeit dafür. Schon ist sie wieder draußen in der dunklen Nacht, schon wieder fühlt sie kalten Asphalt unter ihren nackten Fußsohlen, dann Schlamm.
Sie klettern hektisch über die Leitplanke hinweg. Der Wind zerzaust ihnen allen die Haare. Zoe sieht sich mit hämmerndem Herzen um, sieht noch, wie die Knochenbeißer die Türen des VW-Bus aufreißen, und den Warnblinker anmachen.
Die drei Blutsgeschwister ziehen sie eilig weiter. Nach fünf Minuten erreichen sie das Ufer von Lake Ontario, kriechen in die kahlen Büsche, kauern sich klein zusammen. Zoe sieht eine nasse Moosschicht auf dem schwarz glänzenden Geäst des Buschwerks, riecht das feuchte Holz aus nächster Nähe, den See, den Schlamm, und den Highway. Man sieht den fernen, gelben Warnblinker des Van bis hierher. Traurig wirkt das Signal, verloren, wie ein einsamer Abschiedsgruß. Zoe kämpft gegen ein Schluchzen an, einen Moment lang ist sie überzeugt, ihre skurrilen Verbündeten nie wieder zu sehen, und sie hat nicht einmal irgendwas zum Abschied gesagt. Eine Weile schweigen sie alle vier, zusammengekauert wie räudige Biber, lauschen angsterfüllt.
„Was heißt das, das mit der Mausefalle?“, raunt Zoe endlich.
„Weiß ich nicht!“, zischt Kylah, „Still jetzt!“
„… Das bedeutet, Do-Not-Eat-The-Shrooms irrt in der Nähe des offenen Autos rum, wie als wäre sie hilflos und desorientiert“, wispert Lousy Five Bucks, „das macht sie prima, sieht dadurch alles nach Motorschaden aus. Die Verfolger fahren ran, parken ab, steigen aus. Wenn sie glauben, sie haben leichtes Spiel, dann kommt erst der Angriff. Von beiden Seiten gleichzeitig, aus Ribkicks und No-Trust-For-No-Ones Lauerpositionen. Und als besonderer Clue, auch vom Wagendach, wo nämlich Massalfassar gelegen hat. Er nimmt seine Crinosgestalt an, in der Sekunde, während er runter springt, der kann das.“
„Und dann?“, haucht Zoe.
„Und dann? Nichts weiter. Dann filzen wir die, und dann fahren wir weiter. Der Feind ist in Stücke gerissen worden, bevor er wirklich kampfbereit war.“
Zoes Herzschlag beschleunigt erneut. Sie fühlt unwillkürlich ihren Geruchssinn schärfer werden. Ihre Ohrmuscheln brennen und jucken, als ihre Ohren in spitze Form wachsen. Sie glaubt kurz, erneut die Kontrolle zu verlieren, aber der Vollmond bleibt hinter den Wolken verborgen, taucht nur immer wieder ganz kurz silbrig auf. Zoe bibbert in ihrer ollen Armeejacke, ihre Knie und Zehen sind eiskalt. Es zieht sie unwiderstehlich zurück, zur Quelle der Gefahr. Sie hat zwar fürchterliche Angst, aber bildet sich ein, das schnellste Mittel dagegen wäre, die Quelle dieser Angst mit schnellen Krallenhieben zu Fetzen zu verarbeiten. Mit großer Konzentration verdrängt sie diesen grausigen Gedanken.
Dann hört man plötzlich Automotoren, Türen klappen. Einen Schuss, und noch einen. Heisere Schreie, und das Schnarren und Grollen von mehreren großen Tieren. Und dann … nichts mehr.
Das Plätschern des Seeufers und das gleichmäßige Rauschen des Highways sind das einzige, was noch zu hören ist.
Die Orakelwürfel sagen zum Ausgang dieser Konfrontation Serve Path. Da hat die Kampftaktik des Rudels wohl dem Weiterkommen auf dem Weg gedient …!
Als sie wieder beim Parkplatz ankommen, stehen da zwei schwarze SUVs, und auf der Kühlerhaube von einem davon steht Massalfassar, mit einem Benzinkanister.
„Was war los?“, keucht Kylah.
„Die Mausefalle hat zugeschnappt, und jetzt verschwinden die Beweise“, sagt Simon durch zu große, zu lange Zähne hindurch, und wischt sich mit dem Ärmel im Gesicht herum, während er sich seinen Hoodie wieder überwirft über seinen nackten Oberkörper. Den hatte er offensichtlich zwischendurch ausgezogen, um nicht die Nähte zu sprengen durch seine Metamorphose.
Aber waren die Gangster in den SUVs wirklich ein Vortrupp der Leute von dem Mann namens Gangrydge? Die Orakelwürfel sagen dazu Swear Enemy, das klingt, als würde deren Fraktion künftig den Knochenbeißern Feindschaft schwören. Dementsprechend sind das aber dann neue Feinde, nicht die bereits etablierten Gegenspieler aus Detroit. Also:
Mit großer Begeisterung wirft Massalfassar ein Streichholz in die Benzin-Spur, die er gelegt hat. Die Flammen lodern grell herüber zu den beiden Pseudo-Geländewagen, und entflammen sie. Als alle in den VW-Bus hechten und Lousy Five Bucks wieder Stoff gibt, entflammen die Benzintanks der SUVs, und es gibt einen dramatischen Knall von der Detonation.
Massalfassar und Do-Not-Eat-The-Shrooms sind in klasse Stimmung, und reden aufgeregt miteinander auf ihrer archaischen Geheimsprache.
Kylah sieht der lodernden Feuersäule nach, die im Rückfester des VW-Bus rapide kleiner wird, und fragt nur, „… Gangrydge?“
Ribkick schüttelt den Kopf, und knurrt, „Nee, jemand anderes, ein schicker Sicherheitsdienst aus Toronto. Aber alle sechs nur begrenzt anfällig gegen das Delirium. Die waren nur leicht verlangsamt. Der Chemiecocktail, der ihnen das ermöglicht haben muss, war es möglicherweise, der Massalfassars Geister alarmiert hat vorhin, irgendein ganz derbes Wyrm-Zeugs. Also …“
Kylah sagt atemlos, „Also waren die gar nicht hinter Zoe und mir her?“
Ribkick wiegt unschlüssig den Kopf, „Wahrscheinlich nicht. Die sind anders auf uns aufmerksam geworden. Leute in schwarzen Maßanzügen hat Evan Gangrydge nicht auf seiner Gehaltsliste … aber in Toronto sitzen auch Magadon und Consolidex. Unter anderem ... Die haben zahllose Sicherheitsschnüffler. Vielleicht hat uns vorhin bei der Unfallstelle einfach wer von denen gesehen, und unsere Fressen haben denen nicht gefallen.“
„Also alles Zufall?“, keucht Zoe.
Ribkick sagt grimmig, „Vielleicht. Auf Höhe von Toronto ist schwer industrialisierte Umgebung, und die Köpfe der Hydra sind zahlreich.“
„Dann sind wir jetzt in Sicherheit, ja?“, vergewissert sich Zoe, „Sutter Cross und dieser Gangrydge sind nicht auf unseren Fersen?“
„Zoe“, sagt der haarige Punk, „Es gibt keinen Grund, das zu glauben. Wir können jetzt nur eine Sache machen … und das ist Tempo.“
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Diese Zwischenbegegnung ist eine weitere Etappe auf der Reise. Um für ihr Vorankommen zu sorgen, würfeln jetzt Lousy Five Bucks und Simon, der eine Geschick+Fahren, der andere wieder Geistesschärfe+Zurechtfinden, und sie kommen gemeinsam auf sieben Erfolge. Die Challenge Dice fallen, und unterbieten beide die Zahl dieser Erfolge, es kommt also erneut ein Strong Hit heraus! Dies zählt demnach als Waypoint. Wir passieren Lake Ontario, und sind nun bei sechs Punkten Fortschritt. Einen dritten Waypoint will ich aber lieber noch passieren, denn wenn der Move für Reach Your Destination nicht klappt, könnten unsere Helden sich mit ganz viel Würfelpech noch verfransen oder sich unterwegs verlieren. Nicht, dass sich Zoe und Kylah auf dem letzten Drittel der Fahrt noch trampend oder zu Fuß weiter durchschlagen müssen oder so!
Als der graublaue Novembermorgen hinauf gedämmert ist, fahren sie durch eine kanadische Kleinstadt, um neuen Proviant einzukaufen. Alle sind übermüdet, besonders die beiden Fahrer Lousy Five Bucks und Hank; letzterer fährt jetzt natürlich wieder, kann ja sein, dass in der Kleinstadt jemand nach einem Führerschein fragt. Das Städtchen Prescott liegt zwischen der 401 und dem Sankt-Lorenz-Strom, und hat Einkaufsgelegenheiten, einen großen Golfplatz, und ödes Ackerland drum herum.
Simon No-Trust-For-No-One hat letzte Nacht herumtelefoniert, und ein paar andere Knochenbeißer-Blutsgeschwister sind hierher gekommen, um sich anzuhören, was letzte Nacht mit diesen ominösen Sicherheitsdienst-Gorillas aus Toronto war.
„… Warum hat er das nicht gleich am Telefon mit denen besprochen?“, fragt Zoe leise Kylah.
„Biste von vorgestern, Zoe?“, flüstert die zurück, „Solche Sachen sagt man doch nicht per Mobiltelefon durch! Da sind gestern sechs Feinde abgemurkst worden, und die kanadischen Cops ermitteln garantiert mittlerweile.“
Zoe erschaudert. Leichen pflastern ihren Weg auf dieser Flucht, buchstäblich.
„Aber da gibt’s doch sichere Kanäle für sowas, oder nicht?“
„Ach, Du, halt' doch die Klappe. Guck' uns doch mal an. Ist ja schon Luxus, dass überhaupt ein paar von uns Telefone haben.“
„Na toll, aber ich sollte meins loswerden.“
„Das is' aber was anderes. Dich wollen wir dem Zugriff der Weberin ja gerade entreißen. Überlass' das Telefonieren mal uns Blutsgeschwistern.“
„Autofahren darf ich auch nicht. Was kommt als nächstes, Einkaufen gehen?“
Kylah guckt Zoe genervt an, „Aber hallo! Stellst Du Dich eigentlich jetzt doof, oder was? Könnte sein, dass mittlerweile eine Vermisstmeldung raus ist! Und wenn dann irgendein Kanadier Dein Gesicht beim Einkaufen wiedererkennt? Warum glaubst Du, dass Du untertauchen solltst?!“
Zoe sinkt tiefer in ihren Autositz, und kaut frustriert auf ihrer Unterlippe rum. Ihre Wut brodelt …
Immerhin war gestern die letzte Vollmondnacht für diesen Monat, das ist jetzt wohl überstanden. Hoffentlich ist der Dreiviertelmond gnädiger zu ihrem Nervenkostüm.
Glücklicherweise müssen für Zoe gar keine neuen Klamotten eingekauft werden, denn die Knochenbeißer-Connections, die sie hier in der Kleinstadt treffen, haben bereits Second-Hand-Klamotten und Schuhe dabei. Vermutlich aus einem Altkleider-Container gemopst, so sehen die zumindest aus.
Unser Stichwort von den Orakelwürfeln für diese Etappe ist Clash Solution, das Aufeinanderprallen einer Lösung, das klingt ja erstmal merkwürdig — vielleicht ist also das Aufeinanderprallen verschiedener Lösungsideen gemeint? Dazu fällt mir was ein:
Nach dem Tanken und dem Frühstück steht der dunkelgraue VW-Bus auf dem Parkplatz des Diner-Schuppens, Zoe und die Blutsgeschwister lungern darin herum, während das Rudel draußen mit den einheimischen Connections redet. Die sehen auch allesamt etwas Penner-mäßig aus, aber haben ausgezeichnete Laune, innige Umarmungen und freundschaftliche Knüffe wurden zur Begrüßung ausgetauscht. Wie als sei dieser kuriose Stamm tatsächlich eine weit verzweigte Familie …
Wenn jetzt eine alternative Lösungsmöglichkeit sich auftut, wie von den Orakelwürfeln prophezeit, dann ist das eine alternative Reisemethode. Sagen wir mal, ein Knochenbeißer-Theurge ist hier mit dabei. Was ist denn das für einer? Die Ironsworn-Tabelle ergeben hierfür, Forester who wants to Undermine a Relationship. Oh wie spannend. Forester bedeutet Förster, hier wahrscheinlich im weitesten, inoffiziellen Sinne. Ein kanadischer Obdachloser, der im Wald lebt und sich auf eigene Faust um den Wald kümmert. Sein Ziel, eine Beziehung zu unterminieren passt natürlich hervorragend zu der erwürfelten Wendung (Clash Solution).
Simon löst sich kurz darauf von dem redenden Grüppchen, und kommt an Zoes Fenster, guckt in den VW rein. Er scheint gemischte Gefühle zu haben bei dem, was er sagen will. Zoe darf Wahrnehmung+Empathie würfeln, um das zu bemerken, durch den frisch gesteigerten Wahrnehmung-Wert hat sie da fünf Würfel. Da sie aber seit letzter Nacht auch auf fünf Rage ist, sind all diese Würfel rot. Und prompt fällt auch ein Brutales Resultat (eine rote Doppeleins)! Der Empathie-Versuch scheitert dadurch automatisch. Stattdessen versucht sie hastig, das alte Autofenster runterzukurbeln, damit Simon mit ihr reden kann, und ist dabei so genervt, dass sie mit der freien Hand unwillkürlich die ganze Fenterscheibe rausbricht! Die poltert auf den Asphalt und zerplatzt vor Simons Füßen!
„Zoe!“, zischt Kylah, alle sind erschrocken.
„Ich … das wollte ich nicht …“
Simon tritt an das nun offene Fenster heran, und grinst, „Das wird jetzt aber schön frisch auf der Weiterfahrt!“
„Oh nein …“, jammert Zoe, „ich habe mich nicht im Griff, das war doch nicht …“
Simon hebt beschwichtigend die Hände, und sagt, „Ist nicht so schlimm. Hör' jetzt erstmal zu: Das da hinten ist Crash Site, einer unserer kanadischen Stammesbrüder. Der ist mit den Blutsgeschwistern mit hierher gekommen, um anzubieten, Dich auf einer Alternativ-Route zum Ziel zu bringen.“
„Ich sehe gar kein Auto bei denen …“
„Eine ganz, ganz andere Route, Zoe“, raunt Simon, „... durch die Geisterwelt. Crash Site ist ein bekannter Seher, er kennt viele Mondpfade dort.“
„Ist das einer Deiner blöden Witze, Simon?“, fragt Kylah.
Der schüttelt mit Bestimmtheit den Kopf, „Vielleicht kämt Ihr tatsächlich durch die Umbra schneller an den Zielort als hier mit unserer ollen Karre. Dann müssten wir uns aber aufteilen. Das Rudel könnte ja theoretisch mitkommen, aber die Blutsgeschwister eben nicht. Wir müssten dann mit dem Van nachkommen, dann treffen wir uns erst in New Hampshire wieder.“
„Ich … ich versteh' wirklich kein Wort von dem, was Du da sagst, Simon“, sagt Zoe verschüchtert, und wird dann plötzlich ungewollt lauter, „kein verdammtes Wort!!“
„Du musst sowieso Fuß in die Umbra setzen, das wäre vielleicht eine gute, erste Gelegenheit! Die Welt der Geister, verstehste? Der Ort, wo beispielsweise Massalfassars unsichtbare Verbündete herkommen!“
„Und dann bin ich allein mit Eurem Stammes-Kumpel? Ohne Kylah?!“
Kylah guckt Zoe von der Seite an, etwas überrascht. Mit solchen Bekundungen von Zugehörigkeitsgefühl hatte sie offensichtlich nicht gerechnet.
„Ihr trefft Euch ja wieder in der Fleischwelt, sobald alle jeweils New Hampshire erreicht haben.“
„Fleischwelt?!“
„Es gibt zwei Realitäten, Zoe. Fleischwelt und Geisterwelt.“
„Ihr habt einen Knall mit Eurem esoterischen Mumbo-Jumbo die ganze Zeit! Ihr seid sowas wie moderne Steinzeitmenschen!“, faucht Zoe.
„Ja, klasse, beleidige die Knochenbeißer“, sagt Simon, jetzt auch angepisst, „Sieh' aber bloss zu, dass Du am Zielort einen anderen Tonfall anschlägst! Unser verbündeter Stamm findet sowas gar nicht gut!“
Five Lousy Bucks wirft ein, „Jetzt werd' Du nicht auch noch arschig, Simon! Reicht ja, wenn unsere Ahroun arschig ist, und die kann nicht anders.“
„Ja, hast Recht“, sagt Simon entschuldigend, „So, Zoe, ich bin hier das Alpha, ich sage, was gemacht wird. Wir stellen Dich jetzt Crash Site vor, und der erklärt Dir die Reiseroute, die Ihr gehen könnt. Dann entscheidest Du, ob Du Dich das traust.“
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Crash Site ist ein sehniger, kompakter Typ, mit buschigen Brauen und einem Zottelbart, und einem vielmals geflickten, dunkelgrünen Förstermantel. Auch an seiner Kluft sind zahlreiche kleine Talismane aus Knöchelchen und Schrott befestigt. Er hat viele tiefe Narben im Gesicht.
Crash Site, Theurge vom Stamm der Knochenbeißer
Er besieht sich Zoe wohlwollend, als sie sich unsicher nähert.
„Was isse für eine?“, sagt er vergnügt, „Sieht ein wenig so aus wie eine Schickimicki-Reinblüterin.“
„Ja, findest Du auch, oder was?“, fragt Ribkick neugierig, „Die ist doch irgendwie gezüchtet!“
„Ich würde ja drauf tippen, dasse ein Fenris ist!“, nickt Crash Site bedächtig, „Hat sowas Deutsches an sich! So blond und 'n büschen arrogant und so! Haste'n deutschen Nachnamen gehabt, Neue?“
„Nee, voll nicht“, sagt Zoe, sie ist befremdet von dem Gespräch, „wieso eigentlich gehabt? Mein Nachname ist Matherson!“
Crash Site winkt ab, „Ja ja, wir könn' ja Dein' früheren Namen noch benutzen, bisde Dein' wirklichen Namen gefunden hast. Aber Deine Vergangenheit im Apparat der Weberin is' tot, das glaub' mal, Neue. … Ich würd' schätzen, Gezücht des Fenris! Gibt viele deutschstämmige Familien in Minnesota, nich' sehr weit von Deiner Heimatstadt. Kann gut sein, dass die in Detroit einen Verlorenen Welpen zurückgelassen haben. Na, die Onkel und Tanten Knochenbeißer sind ja da, um die Kastanien aus'm Feuer zu holen!“
Simon bittet, „Erklär' doch Zoe bitte, wie das geht mit der Reise über die Mondpfade, Crash Site-rhya!“
„Jau“, sagt der Bärtige, „ich bring' Dich sicher durch die Umbra, keine Sorge, bist nicht das erste Findelkind, das ich abliefer'. Einma' quer durch das Reich der Gedanken, Erinnerungen, Instinkte, den wundervollen Schrotthaufen der Menschheitsgeschichte, wa? Luna weist uns den Weg, es is' jetz' Dreiviertelmond, da sind die Mondpfade hell, und leicht erkennbar. Wenn die Mondinnen Lieder oder Geschichten hören wollen im Tausch gegen ihren Schutz, dann weiß ich schon welche, passend für diese Jahreszeit. Der November is' eine gute Jahreszeit für Geschichten. Euer Zielort is' kein Caern, da führt keine Mondbrücke hin. Aber ich kenn' kleine Mondpfade, die inne Nähe von dort führen. Wir kommen dann in White Mountain National Forest raus, unweit von Crawford Notch State Park. Is' scheiße schön dort, da war ich schon oft. Das is' dann nur noch'n Fußmarsch von 'ner halben Stunde.“
„Ist das alles so 'ne Art Metapher für irgendwas?“, fragt Zoe. Sie versucht, zu erkennen, ob Crash Sites Pupillen geweitet sind, steht der Macker unter Drogeneinfluss oder so?
„Du bist'n Erbe beider Welten, Neue“, sagt Crash Site geduldig, „Und es is' viel besser, Dir das zu zeigen, als zu versuchen, Dir das Unerklärliche zu verklickern. Das Verständnis für all das is' Dir aberzogen worden, musste wissen, von den Kräften der Weberin. Jetz' erlebste erstmal das, was die Sterblichen gern ‚Kulturschock‘ nennen.“
„‚Steinzeitmenschen‘ hat sie eben gesagt“, grinst Simon.
Crash Site zuckt die Schultern, aber ohne zu lachen, „Ach, wär' es doch nur so! Die hätten keine Schwierigkeiten gehabt nach'm Erwachen! Dass diese verlogenen Zeiten unsere Lebzeiten sein müssen, wa? Scheiß drauf, unsere Instinkte führen uns auf'n Weg! Du kriegst das schon verknust, durch die Umbra zu gehen, Neue. Wirst schon nicht gleich zur Mondsüchtigen deswegen.“
„Ich versteh' das alles nicht …“, setzt sie an.
„Dat hat auch mit Verstehen gar nich' mal so viel zu tun, Neue“, sagt Crash Site einfühlsam, „Logischer Verstand is' ein Werkzeug der Weberin. Wir gehen jetz' auf einen Pfad des Wylden. Der muss gefühlt werden, nich' unbedingt begriffen. Du wirst sehen, was ich meine, wenn ich Dir inne Umbra rein geholfen hab'.“
Also muss Zoe sich entscheiden, wie die Reise weitergeht auf der letzten Etappe! Crash Site sieht trotz allem wohlmeinend aus, und er scheint genau zu wissen, wovon er redet. Und natürlich ist Zoes Neugier geweckt, was diese Traum-Reise betrifft, die er vorschlägt.
Soll ich da was würfeln? Hm, nee, ich geh' mal einfach nach Bauchentscheidung:
„Ich … ich will bei Kylah bleiben!“, sagt Zoe kleinlaut.
Simon sagt verdutzt, „Aber die kommt doch nach, zusammen mit uns.“
„Ist mir egal … die war bisher die einzige, die diese ganze Zeit über für mich da war.“
Simon sieht die verblüffte Kylah an, und sagt, „Na, was sagt man dazu? Sieht aus, als würde Zoe gerne angepampt, Kylah!“
„Ach, halt' Du doch die Fresse!“, pampt sie ihn an.
„Na schön, versteh' ich ja!“, sagt Crash Site, „Is' scheißen-viel zu lernen auf einmal, nach'm Erwachen. Weiß ich selber noch genau, wie das bei mir war. Aber dann heißt's weiterhin, schön unauffällig bleiben, Neue! Dass die Spinnenfinger der Weberin Dich ja nich' kriegen, und auch nich' die Greifarme des Wyrm! Ihr passt ma' schön weiter auf die auf, No-Trust-For-No-One!“
„Ich wär' im Übrigen dankbar, wenn man mich ganz normal mit meinem Namen anreden würde“, grummelt Zoe auf dem Rückweg zum VW-Bus, „nicht mit Neue, oder Verlorener Welpe, oder … was war das? Fenris?“
„Die Namen aus dem Menschenapparat sind Schall und Rauch“, sagt Ribkick unbeeindruckt.
„Und überhaupt, mir hast Du gesagt, dass Du nicht mal Zoe heißt“, sagt Kylah beim Einsteigen.
„Klar heiß' ich Zoe. Das ist mein zweiter Vorname.“
„Was is'n Dein erster Vorname?“, fragt 'Shrooms.
„Kannst Du Dir eh nicht merken, Annie Lennox“, sagt Zoe biestig, „Hast Du selber gesagt! … Jennifer heiß' ich mit erstem Vornamen. Relativ dämlich. Hab' meine Eltern schon als Kind dazu gebracht, meinen zweiten Vornamen als Rufnamen zu verwenden.“
„Na, siehste?“, sagt Ribkick amüsiert, „Schall und Rauch! Die selbstgewählten Namen sind die besten!“
„Selbst wenn man Ribkick heißt?“, grummelt sie.
„Besonders, wenn man Ribkick heißt! Den Namen habe ich schon vor meinem Aufnahmeritus gefunden! Hab' nämlich ein paar klasse Rippen-Tritte ausgeteilt, als die Knochenbeißer mich auf den Ritus vorbereitet haben nach meinem Ersten Wandel, damals im Caern! Da waren sich alle einig, dass die große Klasse waren, diese Rippen-Tritte.“
Soundtrack: Citokid, Road Movie
https://www.youtube.com/watch?v=AHVUGXp40VQ
Dementsprechend wird es kein Wurf auf Geistesschärfe+Enigmas, um durch die mysteriösen Umbra-Reiche zu finden, sondern erneut ein Wurf auf Geistesschärfe+Zurechtfinden, um dem mondänen Highway zu folgen. Heute geht’s durch das wimmelige Montreal, und dann zurück in die USA, auf die Route 91, und ins szenische New Hampshire. Hank und Simon würfeln wie bisher für das Erreichen eines Waypoint nach den Ironsworn-Regeln. Sie kriegen immerhin noch sechs Erfolge zusammen. Die Challenge Dice rollen, und diesmal resultiert nur ein Weak Hit. Immerhin, das bringt unseren Fortschritt auf neun, allerdings diesmal auf Kosten von Supply. Supply ist eine Ironsworn-Regel, die ich bisher nur unkonkret konvertiert habe, aber narrativ bedeutet das an dieser Stelle naheliegenderweise, dass Simons Scheinbündel von den Ältesten mittlerweile fast aufgebraucht ist. Der olle VW nimmt schließlich ordentlich Benzin.
Aber mit neun eingespielten Punkten Fortschritt ist es ziemlich wenig riskant, zu versuchen, die Reise abzuschließen. Das machen wir mit dem Move Reach Your Destination. Die Challenge Dice werden hierbei gegen den Fortschritt gerollt, und unterwürfeln beide neun, also ein Strong Hit! Na dann:
Im Verlauf des Tages kommen die Reisenden gut durch, kaum Stau auf Höhe von Montreal, kein Stress beim Grenzübergang, und sonniges Herbstwetter auf der Route 91 auf dem Weg nach Süden. Vermont und New Hampshire sind wunderbar, die Autobahn schlängelt sich durch weitläufige Hügellandschaften, die dicht bewaldet sind. Viele der Wälder stehen noch in rotem und gelben Laub, das in der Herbstsonne fast unwirklich schön leuchtet.
Schalter:
Soundtrack: Blue Man Group, Piano Smasher
https://www.youtube.com/watch?v=-JFBllGmG9M
Im Süden des White Mountain National Forest ist schließlich der Crawford Notch State Park ausgeschildert. Mittlerweile ist der VW-Bus auf recht einsamen Sträßchen unterwegs, die Touristen-Saison ist längst vorbei, im Abendlicht wirkt alles etwas unwirklich. Hank schimpft leise hinterm Steuer, weil er sich immer wieder verfährt, einmal endet die verwahrloste Kiesstraße sogar im Nirgendwo, und sie müssen eine Viertelstunde zurück fahren, und eine andere Route finden. Ein funktionierendes Navi hat natürlich keiner der Knochenbeißer. Möglicherweise würde ein Navi hier nicht mal sonderlich helfen, die Sträßchen und Wirtschaftswege in diesem Wald sind wahrscheinlich nicht einmal genau erfasst.
Was ist das Stichwort für die Anfahrt zum Zielort? Guard Corruption, sagen die Orakelwürfel. Interessant, mit Corruption müssen die Kräfte des Wyrms gemeint sein. Aber werden sie bewacht, oder bewacht jemand das Gelände gegen sie? Letzteres, entscheidet das Orakel. Na dann:
Es ist mittlerweile wieder ganz dunkel, gegen 18.00 Uhr. Hank und Simon haben jenseits eines winzigen Dörfchens endlich die Kiesstraße gefunden, die sie zum Grundstück der Verbündeten bringt. Zoe ist hoch gedämmert, und mittlerweile wieder hellwach. Ihre fünf Punkte Rage machen sie obendrein mächtig nervös.
Der Van passiert ein völlig verfallenes, von Efeu überwuchertes Steinmäuerchen, in dem ein großes, rostiges Eisentor sperrangelweit aufsteht. Zoe und Kylah erschaudern wortlos bei dem Anblick. Dies scheint die äußere Begrenzung des Privatgeländes zu sein.
Plötzlich zuckt eine riesige Gestalt durch die Scheinwerfer des Van — ein sehr massiges, sehr schnelles Tier hat die Kiesstraße überquert! Hank geht erschrocken in die Eisen.
„Was war das?!“, fragt Lousy Five Bucks, und die Knochenbeißer wechseln aufgeregt ein paar Worte in ihrer archaischen Geheimsprache.
Hank fährt verunsichert wieder an. Jenseits des Scheinwerferlichts des Bus lösen sich große Gestalten aus der Finsternis des Waldes, und trotten langsam um das Fahrzeug herum. Schnüffeln misstrauisch. Auf ersten Blick könnten es Bären sein, aber Zoe ahnt mit einem Schaudern, dass es Werwölfe sind, in dem, was Crinosgestalt genannt wird. Ihr Fell ist dunkelgrau oder pechschwarz.
„Wir haben ja das Geheul der Vorstellung vergessen!“, sagt Do-Not-Eat-The-Shrooms erschrocken, „Scheiße! Das wär' doch mein Job gewesen!“
„Aber die wissen doch eh, dass wir kommen!“, raunt Simon.
„Die stehen hier auf Traditionen, die sind verdammt nochmal alter Adel!“, zischt die Galliard, kurbelt ihr Fenster runter, und reckt ihren Kopf raus, und ihre Kehle stößt ein Geheul aus, das von einem Wolf zu stammen scheint. Sie klingt sehr unsicher dabei.
Aus der Finsternis grollt und schnarrt es, dass sich in Zoe alles zusammenzieht.
„Das wird das Rudel ihrer Wachen sein“, sagt Ribkick zögerlich, „Die wollen die Jagdgründe gegen den Wyrm verteidigen.“
„Aber jetzt habe ich doch das Geheul gebracht! Ich hab' uns vorgestellt …“, krächzt 'Shrooms.
Simon befiehlt nervös, „Immer schön langsam weiter fahren, Hank. Wenn die was wollen, dann werden sie sich schon bemerkbar machen.“
„Ja, indem sie gemeinsam den Van umkippen“, knurrt Ribkick, „Mensch, 'Shrooms, hättest Du echt früher dran denken können. Die sind hier draußen alle Scheiß-Traditionalisten!“
Zoe versucht, einen klaren Blick auf die Silhouetten draußen zu erhaschen. Das Fenster neben ihrem Sitz, das sie heute morgen kaputt gemacht hat, ist mittlerweile mit einem Müllsack und Gaffertape abgeklebt, gegen den Fahrtwind, so dass sie den Hals wenden muss, um draußen was sehen zu können. Mehrmals springen ihr goldbraun reflektierende Lichter ins Auge, welche den Van umkreisen, im Scheinwerferlicht blinken sie auf. Wolfsaugen.
„Aber siehst Du, Zoe?“, sagt Lousy Five Bucks, und versucht, ermunternd zu klingen, „Das ist hier alles prima bewacht! Wenn wir der Feind gewesen wären, hätten die uns längst den Garaus gemacht! Hier kommt kein Verfolger so leicht rein.“
Zoe nickt verschüchtert.
Der Wagen hält vor einem neuerlichen Tor, dieses ist Teil eines sehr hohen Eisenzauns mit brutal aussehenden Spitzen, und es ist geschlossen. Eine Weile warten sie schweigend, allesamt scheiße nervös.
„... Gibt’s da 'ne Gegensprechanlage? Geht das automatisch auf?“, fragt Zoe ungeduldig.
„Nee nee, die sind auch keine besonders großen Freunde der Weberin hier“, sagt Simon, „nur Geduld. Wir sind ja angemeldet, da kommt sicher bald wer, um uns aufzumachen.“
Jenseits des massiven Eisentors sieht Zoe hellorange Lichter zwischen den dichten, kahlen Ästen. Das müssen die Fenster eines großen Gebäudes in der Dunkelheit sein.
Tatsächlich erscheinen daraufhin mehrere Menschen, sie sind in Mäntel gekleidet, darunter haben sie dunkle Anzüge an wie Hausdiener. Sie öffnen die schweren Eisenpforten, und einer kommt an Hanks Fahrerfenster, und wechselt ein paar Worte mit ihm, so gedämpft, dass Zoe fast nichts versteht. Hank stottert vor Nervosität. Dann winkt der Diener ihn zackig durch das Tor. Als sie es passiert haben, hört Zoe, wie es schwer wieder hinter ihnen zuschlägt. Sie fahren die überwucherte Kiesstraße weiter hinauf. Vor ihnen erscheint ein imposantes Gebäude, eine altehrwürdige Villa, in viktorianischem Baustil. Sie wirkt recht verfallen und sehr unmodern, auch alle Gartenanlagen herum scheinen verwildert. Es wirkt auf Zoe wie ein dunkler Traum. Gerade öffnet sich das große Eingangsportal, und mehrere gut gekleidete Silhouetten erscheinen dort. Der Bus hält vor dem Gebäude.
„Okay, lasst uns aussteigen“, raunt Simon, etwas verhalten, „Ribkick und ich übernehmen erstmal das Reden. Wird Dir womöglich hier gefallen, Zoe! Die Schattenherrscher wissen, wie man stilvoll lebt!“
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