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[Werewolf: The Apocalypse | Ironsworn] Wyldreise
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Was sagt das Orakel zur Situation in der Septe bei Eintreffen der Charaktere? Persevere Truth, jemand beharrt auf die Wahrheit. Worum geht’s denn bei dem Disput? Corruption, ist die Antwort! Offensichtlich wird hier also gerade umstritten, ob eine Sache oder Person des Wyrms ist! Wer ist der Beschuldigte? Oppressed Herder who wants to Advance his Status, sagen die Tabellen, das wird kein Schafhirte sein, sondern jemand, der für die Garou mit menschlichen Instanzen umzugehen hat. (Manche Garou nennen die Menschheit schließlich abfällig eine Herde.) Dann erwürfle ich mir auch noch ein Settlement Trouble, und bekomme heraus, Dangerous Tradition. Oho! Aber das ist für später, erstmal eins nach dem anderen:
Einige junge Werwölfe sind gleich zur Stelle, und begrüßen die drei Neuankömmlinge, und zwar unerwartet mit innigen Umarmungen, als wären sie alte Bekannte! Zoe will schon ihre Reisegefährten fragen, ob die sich kennen, aber offensichtlich ist das nicht so, solcherlei Begrüßung scheint hier normal zu sein.
Eine ganze Reihe von Totems wird freudig gepriesen: Re'em das Einhorn, die Weiße Taube, und Aeolus der Nebel.
„... Willkommen im Caern des Westlichen Auges, Ihr drei!“
„... Kommt mit uns, Ihr seid verletzt. Wir haben von dem neuerlichen Kampf um das Caern der Glitzernden Beute gehört! Wir werden Eure Wunden reinigen und neu verbinden, und unser Totem Aeolus wird geben, dass sie schnell verheilen!“
Septe des Westlichen Auges
Lage: Muir Woods National Monument, San Francisco Bay Area, Kalifornien
Rang: 3
Typ: Visionen (Weisheit)
Caern-Totem: Aeolus der Nebel
Stammesstruktur: Kinder Gaias, mit einigen Uktena, offen für alle
Bevölkerung: 15 Garou oder mehr sind jederzeit vor Ort
Barriere-Wert: 3
Sofort werden die drei separiert und in verschiedene, hölzerne Hütten gebracht. Zoe wendet sich konfus um, sie würde gern wissen, von wo das Geschrei und Gezeter aus dem Nebel kam, und was der Grund für die Aufregung war? Irgendetwas davon, dass man von der Wahrheit nicht abrücken würde ...?
Was für jemand nimmt sich ihr denn an? Bitter Hunter who wants to Seize Power! Das klingt ja recht atypisch für die Kinder Gaias! Umso interessanter.
„… Kümmere Dich jetzt nicht darum, Welpe! Ihr seid weit gereist, und offensichtlich völlig erschöpft.“
„He, ich bin kein Welpe mehr!“
„Oh? Diese frohe Kunde hatte mich noch nicht erreicht! Man sagte, Du sollest hier eingeweiht werden.“
„Ich habe schon unterwegs einen Aufnahmeritus machen dürfen …“
Der junge Mann knurrt, „Dann entschuldige ich mich, Cliath! Dann sind wir vom selben Rang. Ich wollte Dich keinesfalls in Deiner Ehre herabsetzen.“
„Okay. Äh.“
„Ich bin Norman Emberfur.“
„Ich bin Zoe Matherson …“
Norman Emberfur, ein verbitterter Jäger aus der Septe
„Die Geister haben schon berichtet, dass Ihr eintreffen würdet. Wir hatten Euch schon vor mehreren Nächten erwartet, per Mondbrücke. Die Knochenbeißer haben Euch den Durchgang verwehrt, wie?“
Zoe nickt.
„Nachdem Ihr Ihnen geholfen hattet, Ihr Rattenloch zu verteidigen. Diese Hyänen!“
„Wie jetzt? Aber ich dachte, man darf nicht abfällig über die Stämme reden?“
„Ach“, zischt Emberfur verächtlich, „Alle spotten den Knochenbeißern. Das bedeutet keinen Gesichtsverlust, sie selber halten das ja auch nicht anders.“
„Ich mag sie …“
„Natürlich, ‚Du sollst jenen Respekt zeigen, die unter Dir stehen, alle stammen von Gaia'.“
„Ist das eins von den Litanei-Geboten?“
„Ganz recht! Da Du bereits Cliath bist, solltest Du die längst im Schlaf aufsagen können.“
„Hey, Echoing Tide und die anderen haben getan, was sie konnten! Ich würde sagen, ich mache mich bisher ganz gut.“
Das strenge Gesicht des jungen Mannes zeigt plötzlich doch ein Grinsen: „Ja, das würde ich auch sagen! Sobald Ihr frisch verarztet und gänzlich ausgeruht seid, dürft Ihr vor unsere Septenherren treten. Und dann sehen wir weiter“, sie kommen in die Hütte, es riecht nach Tannennadeln und Räucherstäbchen, „Zeig' mal den Arm her. Das geht ja von der Schulter bis zum Unterarm! Das sieht nicht gut aus.“
„Das waren die Krallen eines Abtrünnigen in Portland! Das ist ja mittlerweile nur noch ein Kratzer. Die Bisswunden aus Vegas sind viel schlimmer.“
„Wir werden Dich hier in kürzester Zeit wieder hinkriegen, Zoe Matherson. Wie ist überhaupt Dein Stammesname?“
„Ich hab' ihn noch nicht …“
„Das ist nicht gut. Wir müssen Dich den Septenherren ja würdig ankündigen können! An dieser Septe soll doch Dein Großvater seinerzeit schon den Totems gedient haben! Hier bist Du direkt auf den Spuren Deiner eigenen Familientradition, und Du bist immer noch ohne eigenen Namen?“
☀
Zoe schläft unglaublich tief und fest in dieser Nacht. Ihr schlafender Verstand scheint sie durch Raum und Zeit zu führen … oder vielmehr, nur durch die Zeit, denn die Hügel und die Bucht, die in der Distanz zu sehen sind, sind dieselben. In ihrem Traum ist sie eine hagere Frau in einem blaugrauen Kleid, mit einem passenden blaugrauen Schirm. Sie trägt eine Augenklappe aus schwarzer Seide, und eine elegante aber gestrenge Hochsteckfrisur.
„… Und jetzt? Das arme Kind ist in die berühmte Septe des Westlichen Auges gekommen, nach gewiss schrecklichen Mühen und Seelenpein, findet sich endlich im Schoße seiner Familie … und nun wird es auch noch von Zweifeln heimgesucht!“, sagt sie gerade zu ihrer Haushälterin. Gemeinsam laufen sie an einem viktorianisch aussehenden Eisenzaun entlang. Chromblitzende Automobile überholen sie, riesige Straßenkreuzer, wie sie bei den reichen Jungspunden jetzt beliebt sind, ein erquicklicher Anblick für die Schulbuben auf dem Bürgersteig.
„Ach ja? Na, wo drückt denn der Schuh bei dem armen Kinde?“, fragt die kleine Haushälterin, die in Körperform und Robustheit ein wenig an ein Fässchen erinnert.
„Zweifel an seinem Platz in der Welt. Das, was jeden vom Blut der Wölfe früher oder später einmal ereilt, nach dem Ersten Wandel! Ich muss mich unbedingt um es kümmern, Margery. Es braucht mich jetzt in dieser schweren Stunde. Das bedeutet, dass ich nachher nicht auf dem Empfang der Herren Bankiers erscheinen kann! Ich muss noch heute Nacht zum Caern, da hilft alles nichts!“
Die Haushälterin kichert fröhlich, „Das wird das beste sein! Dann laufen wir auch nicht Gefahr, dass Ihnen so ein unschöner Schnitzer wie letztes Mal bei dem Wohltätigkeitsball unterläuft, Ma'am!“
„Dass ich nicht lache, Du würdest doch innerlich frohlocken, da hättest Du doch nur wieder etwas, das Du mir jahrelang unter die Nase reiben könntest! … Dass ich den Mister Thursley angeknurrt habe!“
„Und ihm fast das Rumpsteak vom Teller geraubt, nicht das Rumpsteak vergessen, Ma'am! Das ist im Nachhinein das Schönste an der ganzen Geschichte!“
„Aber nur im Nachhinein. Nun, es war Vollmond! Ich hatte mich nicht genügend im Griff! Wie dem auch sei. Du kannst also beruhigt sein, meine Liebe, ich werde nicht da sein, um meine Herren Brüder möglicherweise zu blamieren.“
Was hat dieser Traum zum Inhalt, fragen wir die Orakelwürfel. Assault Rival, sagen die! Dann vielleicht mal folgendermaßen:
Die Einäugige landet in ihrer Crinos-Gestalt auf dem Caerngelände, sie findet diese Art, das Heiligtum zu betreten, reichlich unliebsam, weil undamenhaft, aber es ist Tradition, war es schon zu der Zeit, als die Uktena hier geherrscht haben. Und darum soll es ihr Recht sein. Ihr Mondzeichen steht am Himmel heute Abend, ein Halbmond taucht immer wieder hinter den Nebelschleiern auf.
Ihr junges Mündel kommt ihr bereits entgegen geeilt, als sie sich zurückverwandelt in ihre Homid-Form. Ein bräunlich gescheckter Wolf signalisiert ihr hechelnd Freude, dass sie endlich wieder zurück im Caern ist.
„Kind, so sprich' doch nicht auf Lupin zu mir! Wir sind beide Menschgeborene, da geziemt sich das wohl kaum! Steh' aufrecht, und halte Dich gerade! Zeig' Deiner Mentorin ein wenig Respekt, ja?“
Der Wolf senkt den Kopf und zieht den Schwanz ein, winselt mitleiderweckend.
„Ja, ich verstehe, dass das Deine Art zu trauern ist. Du wünschtest Dir gewisslich, die Umstände Deines Ersten Wandels ungeschehen machen zu können. Da hilft es Dir auch nicht, dass das halbe Caern über Dich spricht. Und jetzt schmollst Du, trägst den Wolfspelz, und gebärdest Dich, als könnest Du gar nicht sprechen wie ein Mensch!“
Der gescheckte Wolf jault, und stößt ein Kläffen aus.
„Ich sagte es Dir schon einmal, mein liebes Kind: Du hast unter Deinem Rivalen jahrelang was auszustehen gehabt! Du hast Dich endlich gegen ihn aufgelehnt, und das hat Deinen Ersten Wandel ausgelöst! Das ist ganz bestimmt kein Fluch, wie diese Groschenromane suggerieren, die Du bis dato gelesen hast, dies ist Dein Vermächtnis. Dein Schicksal.“
Die Frau, in deren Gestalt Zoe sich geträumt hat, geht neben dem Wolf in die Hocke, und streicht ihm vorsichtig über das Fell: „An diesem Ort wirst Du lernen, Deinen Platz in der Welt der Natur einzunehmen! Du wirst keine Menschen mehr in Gefahr bringen müssen, in Zukunft. Wir Kinder Gaias werden Dir helfen, Deine Bestimmung zu finden. Was Du jetzt brauchst, Welpe, das ist Vertrauen!“
Der Wolf behält die Ohren angelegt, und schaut auf zu ihr, als sie sich wieder erhebt: „… Und so lange Du das Vertrauen in Deinen neuen Stamm noch nicht gefunden hast, liebes Kind, rate ich Dir dazu, zumindest Selbstdisziplin an den Tag zu legen! Komm' schon, auf die Füße mit Dir! Auf, auf!“
Zögerlich und unter heftigen Schmerzen verwandelt sich der Junge ebenfalls in seine Menschengestalt. Er ist straßenköterblond, etwas linkisch, und hat noch überhaupt keinen Bartwuchs.
„So ist’s schon besser! Zeige etwas Würde, liebes Kind, und denke daran: Dies ist Dein Neuanfang …“, sagt die Mentorin, und schiebt ihr Mündel zurück in das tiefere Caerngelände, zurück zu den neuen Stammesgefährten, durch die weißen Nebelschwaden.
„… Dies ist Dein Neuanfang, Elias!“, entfährt es Zoe lautstark, als sie aus dem Traum auffährt, mit zerwühlten Haaren, in ihrem Bett in der Schlafhütte. Sie muss so heftig geträumt haben, dass sie begonnen hat, im Schlaf zu sprechen. Mehrere der anderen Welpen und Prüflinge in der Hütte sehen verschlafen zu ihr auf, etwas desorientiert.
„… Elias …!“, wispert Zoe noch einmal, fassungslos.
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Am nächsten Nachmittag wird Zoe wach, früher als gewohnt, sie war jetzt längere Zeit nachtaktiv. Nach der Umbra-Reise ist ihr Tagesrhythmus durcheinander. Sie begibt sich in Glabro-Form, damit ihre Wunden aus Vegas besser heilen, und erkundet das Caern-Gelände. Es gibt in der Hütte für die Prüflinge, wo sie vorläufig unterkommt, einiges an Gebraucht-Klamotten. Sie hüllt sich in einen alten Fransenponcho gegen die Winterkälte.
Direkt bieten sich enthusiastisch einige der Gleichaltrigen an, um sie herumzuführen. Es ist ein sonniger Dezembertag, und ziemlich viel Menschen und Wölfe sind zwischen den Redwood-Bäumen des hügeligen Geländes unterwegs. Es gibt viele primitive Hütten, versteckt zwischen Hügelflanken und im Unterholz. Die stehen nicht nur hier im Versammlungsareal, sondern auch anderswo verstreut, für allerlei Haushaltsaufgaben, und teilweise mit kultischer Funktion. Eine andächtige, verträumte Atmosphäre liegt über den meisten Orten, ein Bollwerk gegen die menschliche Zivilisation, in deren Mitte es doch liegt.
Ihr kommt zu Ohren, worum es bei dem gestrigen, lautstarken Disput ging ...
Das Würfelorakel hatte ja vorausgesagt, dass ein unterdrückter Steuerer von Angelegenheiten mit den Sterblichen im Rang aufsteigen will, und nun beschuldigt wird, das Werk des Wyrms dabei getan zu haben. Die Ankläger weichen nicht davon ab, dass das die Wahrheit ist. Das halbe Caern redet darüber.
Dabei fällt mir ein, dass Echoing Tide bei seinem Ersterscheinen von den Orakelwürfeln beschrieben wurde als jemand, der einem Rivalen schaden will (‚Aloof Sailor who wants to Harm a Rival‘). Ist dieser Steuerer der Menschen-Herde möglicherweise dieser Rivale? Nein, sagen die Orakelwürfel, hier besteht keine Verbindung der Story-Stränge.
Norman Emberfur sitzt auf einem großen Stein und wartet gerade akribisch seinen von Talismanen geschmückten Jagdbogen. Er ist derjenige, der Zoe näheres erklärt: „… Du wirst es ja sowieso mitbekommen. Aber es ist eine hässliche Angelegenheit! Der Beschuldigte ist Rowan Wears-The-Shade-Mantle. Er ist ein Fostern, der seit Langem schon in den Rang eines Adren erhoben zu werden begehrt! Aber die Ältesten und sein Mentor machen es ihm schwer. Er neigt nun mal zu Schummelei. Er ist ein Ragabash!“
„Aber was wird ihm denn vorgeworfen?“, will Zoe wissen.
„Er ist selten in der Septe, sondern meistens in San Francisco, und geht Geschäften für uns nach. Mehrere seiner Blutsgeschwister sind Anwälte, und regeln Dinge für den Nationalpark. Konzerne und Journalisten aus dem rechten Spektrum versuchen immer wieder, kleine und große Vorhaben in Muir Woods, und unsere Leute müssen auf Zack sein, um ihre Kontrolle über die Gegend zu behalten, um das Caern versteckt zu halten!“
„Das klingt aber alles nicht verwerflich! Was hat er denn nun ausgefressen, dieser Rowan?“
Gute Frage. Die stellen wir mal dem Orakel, und das sagt daraufhin, Inspect Desolation. In diesem Sinne:
„Ganz einfach! Derzeit gibt es eine Landvermessungsfirma, der erlaubt worden ist, im Nationalpark zu arbeiten! Wir haben noch nicht herausgefunden, mit welchem Bauprojekt genau. Aber der Verdacht liegt nahe, dass sie von einem der Wyrm-Konzerne beauftragt worden sind, wie Ardus, Endron, Consolidex, oder Harold & Harold!“
Ein animalisches Knurren entsteigt Emberfurs Kehle.
Zoe öffnet den Mund, um zu fragen, was mit ‚Wyrm-Konzerne‘ gemeint ist, aber er fährt fort, „Mehrere der Höherrangigen sind der Meinung, dass die Anwälte, die für Rowan Wears-The-Shade-Mantle arbeiten, diesen Fall absichtlich verloren haben. Dass er mittlerweile ein Verräter ist, uns an den Feind zu verkaufen versucht. Absichtlich, oder unbewusst! Seine erbitterteste Gegensprecherin ist Carmen Aetherclaw.“
„Reichlich schlimme Anschuldigungen“, sagt Zoe, „in der Septe der Glitzernden Beute gab es auch einen solchen Verräter. Den haben wir niedergeschlagen, um ihm das Handwerk zu legen. Was die Knochenbeißer selber mit ihm gemacht haben nach dem Überfall war glaube ich weniger gnädig.“
Emberfur schnaubt verachtungsvoll, und spannt seine Bogensehne.
Zoe ist noch nicht involviert genug in die Angelegenheiten der Septe, um sich direkt einzumischen, das sollen die Ranghöheren unter sich ausmachen.
Die Story steht jedenfalls definitiv im Zusammenhang mit dem eingangs ermittelten Settlement Trouble, Dangerous Tradition. Dieses Ergebnis passt sehr gut zu dem im Quellenbuch (‚Caerns: Places of Power‘) beschriebenen Drama dieses Schauplatzes. Die übrigen Uktena in dieser Septe hüten eine außerordentlich gefährliche Tradition, fürwahr! Dann ist Carmen Aetherclaw auf jeden Fall eine von diesem Stamm.
☀
Mirabelle und Elliot finden Zoe, als mit dem Abend auch wieder der dichte Küstennebel heraufzieht, und führen sie zu einigen der Galliards der Septe. Diese sind begierig darauf, ihre Schilderung zu hören von ihrer Irrfahrt von Detroit bis hierher. Eine der unter dem Dreiviertelmond Geborenen hat den Titel der Geschichtensängerin für diese Septe, und die anderen scheinen sich nach ihr zu richten. Diese Galliard hat den klangvollen Namen Sings-Into-Whisper-Shroud. Sie sagt ebenfalls, dass Zoe Matherson kein rechter Name sei für ein großes Caern, einem Ort voller höchst ehrwürdiger Geister, die schon seit Anbeginn der Zeit existieren.
Sings-Into-Whisper-Shroud, die Geschichtensängerin des Caerns, und ihre Galliards
„... Aber warum kann ich nicht einfach weiterhin Zoe heißen? Gewissermaßen ist das schon mein selbstgefundener Name! Ich hab' ihn als Kind zu meinem Rufnamen gewählt.“
„Auch Du hast alles bürgerliche und sterbliche von Dir abgestreift, Cliath, als Du den Aufnahmeritus begonnen hast. Niemand kann Dir die Namen nehmen, mit denen Du aufgezogen wurdest. Aber sie taugen nicht für Deine Zukunft!“, sagt einer der Galliards.
„Irgendwie fühle ich mich immer noch halb wie das Girl vom Videoverleih, das ich bis vor einem Monat noch war.“
Die Geschichtensängerin fügt hinzu, „Dies ist ein ferner Lebensabschnitt, den Dein bisheriger Name bezeichnet. Nun, man muss Deinen Stammesnamen in einem Wolfsgeheul zum Ausdruck bringen können! Und auf Lupin können nur Naturbegriffe direkt ausgedrückt werden, das liegt in der Natur der Sache.“
Die Galliards sagen, dass sie der Neuen helfen würden, ihren Stammesnamen zu finden: Er sei womöglich bereits zu ihr gekommen, aber sie habe ihn noch nicht bemerkt! Zuerst solle sie einmal alles berichten, was sich ereignet habe, insbesondere während ihrem Aufnahmeritus.
Nachdem sie aufmerksam der Erzählung gelauscht haben, machen die Kinder Gaias in gedankenverlorenen Stimmen ein paar Vorschläge, wie hellseherisch: Wind-of-November-Wood, Scent-of-November-Wood. Recovers-The-Blade, ist dabei, und Discovers-Peace-In-Storm-Woods, Reveals-The-Place-of-Peace.
„... Der Name, der Deine Seele beschreibt, und damit Dein Schicksal, war bereits darunter“, raunt einer der Galliards wie in Trance, „Höre genau auf den Klang eines jeden, und Du wirst es wissen!“
Zoe schließt angestrengt die Augen, die meditative Stimmung der Galliards hat sie angesteckt. Aber sie hat Angst, etwas falsch zu machen.
„Ich werde Dich benennen, mein liebes Kind“, sagen plötzlich ihre Lippen, „ich glaube zu wissen, welcher Stammesname für Dich ist.“
Zoe öffnet die Augen weit, und blinzelt verblüfft.
„Hab' ich das gesagt? Nein, oder? Das warst Du wieder …“
„Ich habe schon vielen jungen Garou auf den Weg geholfen, Kind. Vertrau' mir“, sagt sie sich selbst.
„Du bist mir letzte Nacht im Traum erschienen! Du warst die Mentorin meines Großvaters …!“
„Das ist wahr! So wahr wie Dein Name Zoe Seeks-For-Peace-In-November-Woodland ist!“
„Oh?“
Ihre Lippen antworten sich selbst, „Ja, denn so wie mein Blut geht Deines direkt zurück auf Nir'Kh'Ulha Seeks-For-Roots-In-the-Land-Beyond. Und da Du ihr so sehr ähnelst, ist es nur richtig, dass auch Dein Stammesname ihrem ähnlich ist!“
„Oh, ich … weiß nicht, was ich sagen soll … ich danke Dir, Vorfahrin!“, raunt Zoe.
Die Galliards schweigen noch eine Weile, Sings-Into-Whisper-Shroud lächelt andächtig. Schließlich sagt sie, „Nun, jetzt wissen wir, wer es ist, von dem das neue Lied handelt, das wir heute zu heulen gelernt haben!“
Da ich so zufrieden mit der Namenswahl bin, notiere ich einen Punkt Ruhm und einen Punkt Weisheit für Seeks-For-Peace-In-November-Woodland.
„Welche Geschichten kennt Ihr noch über meine Vorfahren?“, fragt sie nach längerem Schweigen die Galliards, „Meinen Großvater, und seine Mentorin, und die anderen?“
Sings-Into-Whisper-Shroud lächelt sie an, „Immer eines nach dem anderen, junge Stammesschwester. Zuerst wirst Du die Lehren unseres Stammes hören, und die Gesetze der Garou lernen. Wenn Du unsere Spezies besser kennst und unsere Bräuche, werden wir unser Augenmerk auf Deine Familienangelegenheiten richten.“
„Hm … aber wieso die Zurückhaltung?“
„Nun, weil Dein Großvater hier gut bekannt war seinerzeit — und er viele offene Fragen hinterlassen hat nach seinem Verschwinden. Diese wirst Du erst verstehen können, wenn Du mehr über die Garou weißt.“
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Also lernt Zoe endlich über die Garou: Die Schöpfungsmythen, welche die Kinder Gaias sich erzählen, die Stammesgeschichte, und das Litanei-Gesetz. Verschiedene Galliards, Theurgen, und Philodox unterrichten sie und andere Neue, an den Feuern des winterlichen Versammlungsareals.
So sieht die Litanei der Stämme in dieser Chronik aus (mit abgewandeltem Wortlaut von der alten Übersetzung vom Verlag Feder & Schwert, und keinem Gebot zu Metis, die's ja in dieser Chronik nicht gibt):
Bekämpfe den Wyrm, wo immer er haust und wann immer er sich zeigt
Du sollst das Territorium anderer respektieren
Du sollst eine ehrenvolle Kapitulation akzeptieren
Du sollst Dich Höherrangigen unterwerfen
Der beste Teil der Beute gebührt den Ranghöchsten
Du sollst nicht das Fleisch von Menschen fressen
Du sollst jenen Respekt zeigen, die unter Dir stehen — alle stammen von Gaia
Der Schleier darf nicht gelüftet werden
Mute deinem Volk nicht zu sich um deine Krankheit zu kümmern
In Friedenszeiten darf der Anführer jederzeit herausgefordert werden
In Kriegszeiten darf der Anführer nicht herausgefordert werden
Du sollst nicht tun, was zur Entweihung eines Caerns führt
Es ist Brauch, Cliath nach ihrem Aufnahmeritus mit drei Gaben von der Geisterwelt zu bedenken, und dies wird bei Zoe jetzt nachgeholt. Man erklärt der Neuen, dass es das Phänomen, dass in der Tierwelt ‚Mimikry‘ genannt wird, auch im Schamanismus der Garou gibt. Nur eben nicht biologisch, sondern übernatürlich: Ein Werwolf kann sich durch Beobachtungslernen die Fähigkeiten von verschiedenen Geistern aneignen. (Normalerweise ist das Teil der Charaktererschaffung, ich hole diesen Schritt jetzt noch nach, als tatsächliche ‚Gaben’, also ohne EXP-Kosten.)
Die Ranghöheren beschwören verschiedene Geister des Caerns für Zoe, oder führen sie in der Umbra zu solchen Geistern. Sie soll die Gaben City Running, Razor Claws, und Resist Pain erhalten. Alle drei sind natürlich nicht mal eben per bloßem Fingerschnippen gelernt, sondern sie sich anzueignen stellt in allen Fällen ein langes Ordeal dar. Um City Running zu lernen, hetzt ein Geist Zoe drei Nächte lang durch die Penumbra von San Franciscos Innenstadt. Erst als sie glaubt, nie die Art von Lauf- und Klettergeschwindigkeit zu erreichen, die der Stadtgeist ihr abverlangen will, bemerkt sie, dass sie diese plötzlich besitzt! Im Caern wird sie daraufhin zu einem riesigen Bärengeist geführt, mit dem sie so lange Baumstämme und Felsen zerfurcht, bis sie blutverkrustete Fingernägel hat, aber dafür gelernt hat, ihre Klauen künftig durch Wetzen an Steinen zeitweilig schärfer zu machen (Razor Claws). Ein anderer Bärengeist verleiht ihr die dritte Gabe (Resist Pain), welche am schwierigsten zu erlernen ist, denn sie erfordert, Schulter an Schulter mit dem Bären tiefe Dickichte aus scharfen Dornen und Brennnesseln zu durchwandern, und zwar so lange, bis die Meisterschaft über das eigene Schmerzempfinden erreicht ist.
(Nerd-Anmerkung: Die Gabe City Running ist nicht aus dem Grundregelbuch der Revised Edition, sondern aus der vierten Edition (‚W20‘); sehr nützliche Neuentwicklung.)
In dieser Woche sind auch Zoes übrige Wundlevel aus dem Kampf mit den Tänzern der Schwarzen Spirale verheilt. Sie fühlt sich so stark wie noch nie, wie ein einziges Kraftpaket. Das Caern der Visionen hatte bisher noch keinen Effekt auf ihr Gemüt — während viele der Septenmitglieder sich in Gleichmut und einer meditativen Haltung üben, ist Zoe so energetisch und hibbelig wie eh und je.
☀
Dann soll das Orakel uns vorhersagen, wie es jetzt weitergeht! Communicate Enemy, sagen die Würfel. Das ist einfach, die neue Cliath wird als nächstes in die Kosmologie eingeführt, und bekommt endlich die Natur des Feindes erklärt, des Krieges in den Schatten, und der Weltverschwörung.
Soundtrack: Blue Man Group, Mandelgroove
https://www.youtube.com/watch?v=0URpaZDegbs
Das soll während des monatlichen Versammlungsritus geschehen. Weihnachtlich ist das Ganze nicht mal im Ansatz, denn auch für jene Garou in der Septe, die im christlichen Brauchtum aufgewachsen sind, ist die Weihnachtstradition ein fernes Ding der Vergangenheit. Und ihr Verständnis für den jährlichen Kommerz-Scheiß der Sterblichen haben sie alle lange verloren. Stattdessen wird das Versammlungsareal zwischen den Redwood-Bäumen mit unzähligen Fackeln und steinernen Windlichtern geschmückt. Die backenden Kräuter-Fladenbrote in den Steinöfen riechen ebenso köstlich wie das rohe Fleisch. Über die Mondbrücken kommen an diesem Abend Gäste aus umliegenden Septen, um ihre Loyalitäten zum Caern des Westlichen Auges zu erneuern. Es gibt Repräsentanten aus der Septe der Glitzernden Beute, der Septe des Gefärbten Sands in Arizona, und der Septe von Caldron Rock in Washington State.
Nach dem Eröffnungsgeheul, den zeremoniellen Geisterbeschwörungen, und der Beratung über Streitfälle bilden sich als nächstes verschiedene Gruppen um Geschichtenerzähler im Schein der Lagerfeuer.
Collar-Bone-Snapper der Knochenbeißer-Galliard erzählt frei nach Schnauze von der Endzeit
„Ich bin Collar-Bone-Snapper aus der Septe der Glitzernden Beute, und ich bin aufgefordert worden, Euch heute was über das Ende aller Tage zu erzählen, Leute! Für die, die mich noch nicht kennen: Ich bin der, der neulich fast der neue Septenherr im Caern der Glitzernden Beute geworden wäre! Wie mein Onkel, der ruhmreiche, und zeitlebens verdammt gerissene Jumps-The-Borderline vor mir! Na, Schwamm drüber. Ja, wir, die Krieger der Erdmutter, wir fühlen diese unaufhaltsame Wut, weil Gaia in höchster Gefahr schwebt! Die Phönixprophezeiung ist dabei, sich endgültig zu bewahrheiten. Es heißt: Nur wir können die letzten Zeichen sehen. Das Auge des Wyrms hat sich geöffnet! Die Nation ist zersplittert! Die Endzeit ist gekommen. Diejenigen unter Euch, die in den letzten Monaten und Jahren ihren Ersten Wandel erlebt haben, sind die letzte Generation von Kriegern, sagen die Apokalyptiker in der Garou-Nation. … Wo soll ich anfangen, Leute?“
„Was genau ist der Wyrm?“, fragt Zoe laut, „Was sind Wyrm-Konzerne? Was haben die mit den Tänzern der Schwarzen Spirale zu schaffen?“
Collar-Bone-Snapper grinst manisch, „Eine Frage, die voll okay ist für den Anfang! … Auch wenn sie von einer Cliath kommt, die das längst wissen könnte; das lernen die meisten schon als Welpen. Na ja, scheiß' drauf! … Gaia die Erdmutter besteht aus den drei Kräften der Triade, das wisst Ihr bereits! Aus dem Wylden, der Weberin, und dem Wyrm. Irgendwann zu Anbeginn der Menschheitsgeschichte muss die Weberin insgeheim in Trauer verfallen sein. Das Wylde hinterfragte fortwährend ihre Netze, und der Wyrm zerriss sie, wo er nur konnte! Sollte ihr ewiges Streben nach Struktur und Ordnung denn sinnlos sein? Und darüber, sagen die Ältesten, ist die Weberin in einen Wahnsinn verfallen. Sie strebt bis heute nach der Kontrolle über die beiden anderen kosmischen Kräfte! Das Wylde konnte sie nicht in ihre Netze einspinnen, denn es ist zu formlos. Den Wyrm jedoch fing sie ein, um ihn ungefährlich zu machen, und dadurch auch die Festigkeit der Zivilisation unendlich werden zu lassen! Seitdem jedoch verdirbt der Wyrm das Netzgespinst der Weberin von innen, sowohl in der Umbra, wo diese Mächte existieren, als auch hier in den Welt der Materie! Da er nichts mehr einreißen kann durch seine freien Gewalten, versucht er, durch Einflüsterungen und Korruption alles zu unterwandern, bis alles was existiert unter seinem eigenen Gewicht zusammenbricht! Badabäng, badabumm, Ende der Welt wie wir sie kennen! … Die Wyrm-Konzerne, Cliath, das sind jene Machthaber innerhalb des Menschenapparats, deren Führung sich diesen Einflüsterungen willentlich ergeben haben. Es ist denen gelungen, hinter den Schleier zu blicken. Jetzt versuchen sie, die Welt der Zivilisation so schnell für die Befreiung ihres Meisters vorzubereiten, wie sie können, ohne dabei gänzlich aufzufliegen! Ein paar der weltweit schlimmsten Konzerne sind dabei, sich zu einem verborgenen, globalen Netzwerk zusammenzuschließen, das dieses Ziel verfolgt. Diese Organisation wird Pentex, Incorporated, genannt. Wir wissen erst seit den Neunzigern davon, dass es sie gibt, und tappen immer noch im Dunkeln bei vielen Fragen über ihre Oberbonzen. In jedem Fall besteht sie aus den reichsten und skrupellosesten Sterblichen der westlichen Welt. In den 50ern haben unsere Vorfahren vermutet, die Wyrm-Kräfte hätten ihre ultimative Waffe zur Befreiung ihres Meisters entdeckt — den Atomkrieg! Die Garou-Nation dachte jahrzehntelang, sie würden darauf hinarbeiten, diesen irgendwie geschehen zu lassen. Jene Sterbliche, die ein zu ausgeprägtes Gewissen und zu großen Selbsterhaltungstrieb haben, die haben dies jedoch immer wieder zu sehr erschwert …! Seit der Jahrtausendwende vermuten wir jedoch, dass die Wyrm-Kräfte eine neue ultimative Waffe entdeckt haben. Das Wylde könnte verwendet werden, um die Netze der Weberin zu zerreißen, durch einen globalen Klimawandel. Die Fabrikschlote und Automotoren der Wyrmkonzerne blasen umso unermüdlicher Abgase in die Luft, um eine Welt zu erschaffen, die günstig für das Temperaturempfinden ihres Meisters ist! In den Schatten agieren die Privatarmeen dieser Konzerne, um zu versuchen, sich uns vom Hals zu schaffen, die Garou-Nation. Vor wenigen Wochen erst haben sie versucht, das Caern der Nebelumwobenen Bucht an der Ostküste auszuradieren. Es verbleibt nichts als Krieg — und niemand ist übrig, um ihn zu kämpfen, außer uns!“
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Damit wäre das Orakel wohl abgehandelt, und wir holen uns ein neues Stichwort: Defy Pride. Jemandes Hochmut wird zum Trotze gehandelt. Das setzen wir dann vielleicht in den Zusammenhang mit dem vorher ermittelten Konflikt im Caern. Carmen Aetherclaw von den Uktena hat doch vorhin vor dem Versammlungsrat bestimmt Recht bekommen, und Rowan Wears-The-Shade-Mantle wurde geächtet. Oder? Erstaunlicherweise sagen die Orakelwürfel nein. Das Orakel sagt, stattdessen ist er zurück in die Stadt entkommen. Seinem Mentor und den Ältesten gegenüber hat er vorher beteuert, dort Beweise für seine Unschuld zusammenzutragen … Dann deute ich unser neues Orakel Defy Pride so, dass Carmen Aetherclaws Hochmut zum Trotze beschlossen wurde, vorerst auf Rowans Rückkehr zu warten.
Das klingt ganz so, als würde Atherclaw-rhya, insgeheim in ihrem Stolz beleidigt, die nächste Auftraggeberin für eine neue Queste!
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Die Nacht schließt mit den traditionellen, ausgelassenen Feierlichkeiten ab, um den Versammlungsritus zu vervollständigen. Es gibt ein paar wilde Schaukämpfe und andere Arten des Kräftemessens, ausgelassene Tänze um die lodernden Freudenfeuer, und viele der Kinder Gaias knutschen natürlich (‚Freie-Liebe‘-mäßig) ausgelassen herum, untereinander und mit einigen ihrer weitgereisten Gäste. Zoe hat auch Bock auf Knutschen; nachdem der exzentrische Novak Malgrimov ja in Portland plötzlich Kylah ihr vorgezogen hatte, ist nichts Romantisches mehr passiert. Vor allem würde sie sich aber gerne ablenken von dem apokalyptischen Gerede über Umweltverbrechen und atomare Bedrohungen vorhin. In einem schien Collar-Bone-Snapper jedenfalls Recht zu haben: Wenn sie als Garou die Geschöpfe einer allliebenden Erdmutter sind, dann muss es einen Grund haben, warum sie trotzdem mit dem Fluch dieses furchtbaren Zorns belegt sind. Aber vielleicht ist es tatsächlich kein Fluch, und es ist so wie der Galliard gesagt hat …
„… Wir sind so schrecklich wütend, weil Mutter Erde so schrecklich wütend ist …“, murmelt Zoe zu sich selbst, als sie gerade schweißüberströmt am Rande eines der Tanzplätze steht. Tröstlich daran ist zumindest der Gedanke, dass die Quelle dieses Gefühls demnach nicht dämonisch ist, sondern göttlich.
Die Versammlung kulminiert in den Morgenstunden darin, dass mehrere Werwölfe von den prophetischen Visionen des Caerns gepackt werden, und in Trance verfallen. Alle Feiernden formieren daraufhin wie von selbst einen Kreis um das Herz des Caerns, von reinen Instinkten gelenkt, und verfallen nach und nach in ekstatisches Wolfsgeheul. Zoe fühlt, wie die aufgestaute Energie aus ihrem Körper verdampft, und in das Herz des Caerns fließt. Allen anderen ergeht es ebenso, meint sie zu spüren. Ein verblüffter Respekt für das Heiligtum ergreift sie dabei, sie versteht, dass die Werwölfe diesen Ort ebenso am Leben halten, wie der Ort sie am Leben hält, wie als sei es eine wundervolle Symbiose.
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In der nächsten Nacht ist die ganze Septe eifrig mit Aufräumarbeiten beschäftigt nach der großen Feierlichkeit. Viele Gesichter scheinen etwas verkatert, aber trotzdem bester Laune. Die Aura des Caerns scheint umso reicher, als würde die Gnosis, die in der Frühe aus ihr heraus geflossen ist, ins Herz des Caerns, nun wieder in sie zurückkehren, zusammen mit ein wenig der Gnosis der vielen anderen Versammelten, wie in einer ewigen Wechselwirkung. Zoe fühlt sich äußerst beschwingt davon, aber auch rastlos.
„Zoe“, hört sie irgendwann eine vertraute Stimme, als sie gerade dabei ist, Asche von einer der Feuerstellen in eine Schubkarre zu schaufeln.
„Hallo Echoing Tide!“
„Ich sollte Dich jetzt ja Seeks-For-Peace-In-November-Woodland nennen“, lächelt er.
„Was, wirklich? Ich meine, jetzt immer? Oh nein, hätte meine Vorfahrin bloss etwas Kürzeres gefunden!“
„Entspann' Dich, Dein Rufname kann natürlich weiterhin Zoe sein!“
„Aber … aber was ist das Richtige? Im Sinne der Bräuche, meine ich?“
„Das ist eine ungewöhnliche Frage für jemanden aus Deiner Generation! Zumindest für eine, die nicht unter dem Halbmond geboren ist!“, sagt der Philodox gut gelaunt.
„Ich will nur alles richtig machen ...“
„Keine Sorge, wir prüfen Dich nicht mehr. Du bist längst ein vollwertiges Stammesmitglied! Die nächsten Tests kommen erst, wenn Du im Rang aufsteigen willst.“
„Nicht deswegen, Echoing Tide. Sondern … ich weiß nicht … früher war ich nur dafür zuständig, zu gucken, dass alle VHS-Kassetten richtig zurückgespult sind. In meinem damaligen Leben. Aber die Sachen, die es jetzt zu bedenken gilt, die sind viel, viel komplexer!“
„Keine Sorge, Du wächst da schon hinein. Deswegen bin ich übrigens auch hier.“
„Ach ja?“
„Ich möchte, dass Du zu Carmen Aetherclaw von den Uktena gehst. Sie sucht nach fähigen Kämpfern für eine Sache. Ich möchte, dass Du vorerst nicht mit jemandem über ihre Angelegenheit sprichst.“
„Carmen Aetherclaw ist diejenige, die gestern bei der Ratsversammlung so sauer war!“
„Ja, die Uktena in dieser Septe sind mehrheitlich aufgebracht wegen Rowan Wears-The-Shade-Mantle. Es wäre jetzt gut, Aetherclaw zu helfen, um den Frieden zu wahren. Sie hat mich vorhin angesprochen deswegen, auch weil ich keine Anbindung an diese Septe habe, ich gehöre ja zur Nebelumwobenen Bucht.“
„Aber … ich? Ich bin doch nur …“
„Du bist Anruth, also jemand ohne feste Zugehörigkeit zu einer Septe! Du bist genau die Richtige für diese Unternehmung. Und es wird Dir guttun, Dich wieder unter Menschen zu wagen.“
„Was? Nein, bitte nicht das! Ich muss mich fern halten von den Menschen! Noch dazu ist der Mond bald wieder voll!“
„Ihr werdet erst nach Vollmond zu jagen beginnen. Aber Du kannst Dich nicht immer vor den Sterblichen verstecken, Zoe. Du darfst den Kontakt zu ihnen nicht verlieren.“
„Au weiha. Na gut, ich wende mich an Carmen Aetherclaw. Aber was ist mit Dir?“
„Ich“, sagt Elliot grimmig, „Bin eigentlich mit Mirabelle hergekommen, weil ich Angelegenheiten mit einem Stammesbruder hier zu klären habe. Das hat jetzt Vorrang für mich. Anschließend muss ich zurück zur Ostküste, und wieder meiner eigenen Septe bei ihrem Kriegsgelingen helfen.“
„Was denn für Angelegenheiten?“, fragt Zoe neugierig.
„Ein Stammesbruder und ich sind leider … im Streit.“
„Ach ja? Aber wir sind Kinder Gaias! Wir streiten uns doch nicht untereinander, dachte ich!“
„Überall, wo es Überzeugungen und Ansehen gibt, gibt es leider auch Politik, Zoe.“
Carmen Aetherclaw vom Stamm der Uktena
Wenig später sucht Zoe also wie geheißen Carmen Aetherclaw auf, mit etwas gemischten Gefühlen. Sie stellt sich der Uktena etwas schafhaft vor.
„Gut, dass Du hier bist“, sagt die strenge Ureinwohnerin, „Elliot Echoing Tide ist Dein Mentor? Er schickt Dich?“
„Äh, er ist nicht mein Mentor … ich …“
Dann fällt Zoe sich selbst ins Wort, indem sie sich rügt, „Stottere nicht! Mach' Dich gerade, wenn Du mit einer Ranghöheren sprichst!“
Carmen Aetherclaw mustert die Cliath neugierig, dann sagt sie, „Ich stelle ein temporäres Rudel zusammen. Ich will, dass dieses nach San Francisco geht, und Wears-The-Shade-Mantle stellt! Er sagte, er würde dort Beweise seiner Unschuld zusammentragen — aber in Wahrheit nutzt er die Gelegenheit, um die Kräfte des Feindes zu alarmieren und um sich zu scharen! Er ist gänzlich von den Pfaden unseres Volkes abgekommen! Und die Ältesten geben ihm auch noch Gelegenheit dazu, auf seine Worte vertrauend. Aber er spricht mit einer Lügenzunge.“
„Ich bin gerne bereit, Ihnen zu helfen, Ma'am. Ähm, Aetherclaw-rhya.“
Die Ureinwohnerin schweigt eine ganze Weile, dann sagt sie streng, „Gut. So sei' es. Du reist noch heute Nacht zusammen mit Norman Emberfur und Dora Backtracks-The-Wolfprints nach San Francisco. Ihr trefft unsere Blutsgeschwister in Mill Valley, und bekommt dort die Schlüssel für die Wohnungen.“
„… Wohnungen?“
„Ihr berichtet regelmäßig meinen Blutsschwestern, so lange ihr in der Stadt seid! Emberfur ist vorerst der Leitwolf, er weiß, was zu tun ist. Stelle ihm Deine weiteren Fragen, wir sollten hier nicht allzu lange miteinander gesehen werden ...“
„Äh, okay. Ähm, danke für das Vertrauen!“, und sie ermahnt sich selbst leise, „Stotterte nicht!“
Carmen fügt hinzu, „Und kein Wort zu irgendjemandem, bis ich es erlaube. Dies ist ein Geheimnis!“
Zoe nickt hastig.
☀
Norman Emberfur sieht nicht sonderlich freudig aus, aber das ist nichts Neues.
„Die Blutsgeschwister erwarten uns bereits in der Ortschaft, die versorgen uns mit Zivilklamotten, Zahnputzzeug, und so weiter. Die Septe unterhält ein paar kleine Mietwohnungen in der Stadt, für genau solche Fälle. Da kommen wir unter, während wir versuchen, Rowans Anwaltskanzleien auszuforschen. Hast Du Blutsgeschwister, die Du in die Gegend holen kannst?“
„Nee. Warum?“
„Wäre nicht schlecht, noch ein paar Leute mehr zu haben, als Ausguck, zum Schmiere stehen, für Überwachungsarbeit. All sowas.“
„Hast Du sowas schon öfters gemacht?“, fragt Zoe, etwas beeindruckt.
„Ja, klar. Aber noch nie als derjenige, der alles planen muss! Ich hatte gehofft, statt Dir kommt Echoing Tide mit. Der hat viel mehr Erfahrung als ich.“
„Tut mir echt Leid, Dir zur Last zu fallen! Hast das mit dem Leitwolf schon echt super drauf!“, sagt Zoe etwas eingeschnappt.
„Versteh' mich nicht falsch. Ich bin sehr dankbar, Dich dabei zu haben! Du hast unter Vegas einen Ragabash der Spiraltänzer gerissen, das hat jeder hier bereits gehört! Sollte es zu Kämpfen kommen, kannst Du führen. Ich bin nur nervös, weil wir Aetherclaws Vertrauen enttäuschen könnten.“
Zoe zögert, sie weiß nicht genau, woran sie bei diesem Norman ist.
… Aber wir wissen es:
Norman Escorbado, Emberfur
Alter: 23; Stamm: Kinder Gaias; Vorzeichen: Ahroun; Blut: Garou; Aufzucht: Homid; Rang: Cliath
Attribute: Geschick 3, Konstitution 3, Stärke 3, Charisma 2, Erscheinungsbild 3, Manipulation 2, Geistesschärfe 3, Intelligenz 3, Wahrnehmung (In Wildnissen) 4
Fertigkeiten: Athletik 3, Aufmerksamkeit (Argwohn) 4, Ausdruck 1, Ausweichen 3, Einschüchtern 1, Empathie 2, Handgemenge 2, Überzeugen 1, Ur-Instinkt 3; Bogenschießen (Schnellschüsse) 4, Handwerk 3, Heimlichkeit 3, Nahkampf 1, Überleben 3; Etikette 2, Medizin 1, Okkultismus 1, Nachforschung 1.
Hintergründe: Alliierte (Septe des Westlichen Auges) 2, Reines Blut 1, Ressourcen 1
Gnosis: 4
Rage: 5
Willenskraft: 5
Gaben: Climb Like an Ape, The Falling Touch, Resist Pain, Sense Wyrm
Ausrüstung: Spiegelndes Messer, Lederkleidung und Jagdbogen (alles Zugeeignet), Talens (Pfeile, zusätzlich 10 Plagenpfeile)
Als sie kurz darauf möglichst unauffällig das Caern-Gelände verlassen, schließt sich ihnen wie zufällig die Dritte im Bunde an. Zoe hat sie schon mehrmals flüchtig gesehen, das ist eine der Uktena. Sie lächelt meistens, so auch jetzt, als wäre dies ein hübscher Streich, den sie spielen würden.
Dora Mitchell, Backtracks-The-Wolfprints
Alter: 20; Stamm: Uktena; Vorzeichen: Ragabash; Blut: Garou; Aufzucht: Homid; Rang: Cliath
Attribute: Geschick 3, Konstitution 2, Stärke 2, Charisma 2, Erscheinungsbild 2, Manipulation (Verstellen) 4, Geistesschärfe 3, Intelligenz 3, Wahrnehmung 3
Fertigkeiten: Athletik 3, Aufmerksamkeit (Spionieren) 4, Ausdruck 1, Ausweichen (Nahkampfangriffen) 4, Einschüchtern 1, Empathie 2, Handgemenge 2, Straßenwissen 2, Überzeugen 3, Ur-Instinkt 3; Handwerk 1, Heimlichkeit (Verstecken) 4, Nahkampf 1, Überleben 2; Computer 1, Etikette 2, Linguistik 2, Medizin 1, Okkultismus 2, Nachforschung 3.
Hintergründe: Alliierte (Septe des Westlichen Auges) 1, Ressourcen 1, Vertrauter Geist (Käuzchen) 3
Gnosis: 4
Rage: 2
Willenskraft: 5
Gaben: Blur of the Milky Eye, City Running, Sense Magic
Ausrüstung: Spiegelndes Messer, Lederkleidung, Brille (alles Zugeeignet)
Diese neue Aufgebe definiere ich für die Charaktere als
Queste (Gefahrvoll): Rowan Wears-The-Shade-Mantle in San Francisco finden, und die wahre Bewandtnis seiner derzeitigen Geschäfte aufdecken.
Schalter:
Ich würfle für die drei gemeinsam Charisma+Überzeugen, um gegenüber Carmen Aetherclaw ihr Versprechen zu geben, diese geheime Aufgabe zu erfüllen. Dies ist dann der Ironsworn-Move Swear an Iron Vow. Dabei kommt ein Weak Hit heraus:
Die drei Cliath wirken unsicher, und sie haben noch keine heiße Spur. Sie werden dementsprechend einfach alle Adressen in der Stadt abklappern müssen ...
Dora Backtracks-The-Wolfprints vom Stamm der Uktena
Sie sind alle drei jedenfalls ziemlich aufgeregt, als sie die paar Kilometer rüber marschieren nach Mill Valley, wo sie den Blutsbruder Austin treffen sollen.
„Ihr seid mein erstes richtiges Rudel!“, sagt Zoe enthusiastisch.
„Wir sind gar kein richtiges Rudel!“, grinst Dora, und schüttelt den Kopf.
„Äh, doch! Hat Carmen Aetherclaw doch gesagt!“, widerspricht die Ahroun.
„Dora meint, wir sind ja nur das zeitweilige Rudel, das Carmen beauftragt“, erklärt Emberfur.
Dora nickt, „Kein gemeinsames Rudel-Totem! Kein geteiltes Schicksal! In ein paar Nächten gehen wir jeder wieder unserer Wege.“
„Hm. Oder wir verlängern das Ganze, und suchen uns eine gemeinsame Aufgabe!“, sagt Zoe, „Ich glaube, ich finde Euch ganz sympathisch!“
Dora grinst sie an, „Warte erst einmal, bis Du mich von meiner fiesen Seite gesehen hast! Und dann sprich' erneut.“
„Was ist Dein Mondzeichen?“, will Zoe neugierig wissen.
„Ich habe keins. Ich bin leer ausgegangen bei meiner Geburt. Seitdem muss ich mir irgendwie behelfen, mit anderen Sternen! Manchmal nehme ich auch Kometen, aber die halten nie lange.“
Zoe fragt Emberfur, „Sie ist ein Ragabash, oder?“
Er nickt.
„Hah, schon wieder was richtig geraten!“, frohlockt Zoe.
Dora Backtracks-The-Wolfprints kichert, „Rudel, mein Arsch! Wir passen alle drei doch überhaupt nicht zusammen. Ich glaube ganz ehrlich gesagt, bei uns dreien stimmt die Chemie überhaupt nicht!“
☀
Mill Valley ist eine Ortschaft nahe des Nationalparks, kurz vor der Brücke die nach San Francisco herüber führt. Austin Cuthbert sieht verdächtig nach einem Garou in Homid-Form aus, ein großer, bäriger, langhaariger Bombenleger, mit starkem Bartwuchs und haarigen Handrücken. Es ist erstaunlich, dass er ein Blutsbruder ist, kein Werwolf, und noch dazu derart sanftmütig. Er händigt Emberfur Wohnungsschlüssel aus, gepackte Rucksäcke, Einsatz-Telefone, eine Adressliste, Fahrscheine, Verpflegung, und Bargeld. Für ihn scheinen derartige nächtliche Übergaben reine Routine zu sein.
Sie ziehen die unauffälligen Menschenklamotten über ihre Zugeeigneten Kleider, und nehmen den Nachtbus von Mill Valley aus rüber nach San Fran'. Zoe guckt aufgeregt aus dem Fenster, während sie über die Golden Gate Bridge fahren. Sie ist heilfroh, dass die Sterblichen im Bus allesamt verschlafene Pendler sind, es gibt keinen Stress. Sie erschaudert bei dem Gedanken, was alles passieren könnte; in Las Vegas hatte sie den Bogen beinahe überspannt. Der Dreiviertelmond steht hell am Himmel, und er ist zunehmend …
San Francisco erwartet die drei Werwölfe unter einem Dreiviertelmond
Die drei schmeißen ihre Rucksäcke in die kleinen, etwas muffigen Apartments, die alle im selben Apartmentgebäude liegen. Emberfur gibt die Zimmerschlüssel am Empfang ab, die Rezeptionistin ist ebenfalls eine Blutsschwester, sie weiß Bescheid.
Dann machen die drei sich auf in die Stadt, um schon einmal die Anwaltskanzleien unter die Lupe zu nehmen, welche von den Blutsgeschwistern des verdächtigen Werwolf betrieben werden.
Das verlangt nach einem Wurf auf Wahrnehmung+Nachforschung. Jede Menge Einser sind leider bei diesen Würfen dabei: Die Geräusche und Gerüche der Großstadt lenken die jungen Werwölfe ordentlich ab! Emberfur und Dora haben gemeinsam immerhin vier Erfolge. Zoe würfelt jedoch einen Patzer, was wieder einen davon abzieht.
Mit dem mageren Ergebnis würfle ich wie beim Ironsworn-Move Gather Information beschrieben. Es kommt dennoch immerhin ein Weak Hit dabei heraus. Die Spielregel des Move gibt an, dass zwar Hinweise gefunden werden, aber diese verkomplizieren die Suche, oder führen zu neuen Gefahren! Uuh, welcher Art Gefahren denn? Surrender Nature, sagen die Orakelwürfel.
Hochinteressant, denn das ist ja das, was eine der Anwaltskanzleien gemacht hat — sie haben einen Fall verloren, der nun den verdächtigen Landvermessern ermöglicht, im Nationalpark ihre Vermessungen zu machen, für wer weiß welches Bauprojekt. Die Uktena vermuten, dass die Kanzlei korrupt ist, und den Fall absichtlich verloren hat, um der Septe zu schaden.
Dann sagen wir mal, dass das Auto einer Landschaftsarchitektur-Firma vor dem Gebäude abgeparkt ist. Auf dem Armaturenbrett liegen Akten; sieht so aus, als habe man mit den Anwälten noch irgendeinen außergerichtlichen Termin gehabt gestern. Dora bemerkt dies bei näherem Hinsehen, sie ist offensichtlich recht geschickt als Rechercheurin. Mit dem Einsatz-Smartfon umgehen kann sie auch ganz gut, sie sucht kurz im Internet, und flüstert dann den beiden anderen zu, dass diese Architektur-Firma hier um die Ecke ihr Büro hat.
„Die haben nach ihrer lustigen Besprechung einfach das Auto stehen lassen, vielleicht um noch schön was essen zu gehen!“
„Mit den Anwälten der Gegenseite?!“, flüstert Zoe befremdet.
„Das würde doch für Aetherclaws Verdacht sprechen!“, sagt Dora.
Emberfur knurrt leise, „Das alles beweist noch überhaupt nichts! Aber wenn wir jetzt immerhin den Namen der Architekten-Firma wissen, dann kriegen wir vielleicht heraus, wer die beauftragt hat!“
Den Blick auf dem Smartfon-Bildschirm sagt Dora, „Das bringt uns bisher herzlich wenig. Das ist nämlich ein Gemeinschafts-Architektur-Büro mit … über zehn Mitgliedern …! Jedes davon könnte dasjenige sein, das mit den Landvermessern zusammen steckt!“
Norman schaut hoch in den dunklen Morgenhimmel, und sagt: „Es ist noch nicht mal sechs Uhr früh. Wir haben noch mindestens eine Stunde, um in diesem Architekturbüro einzubrechen, und dort drinnen nach Hinweisen zu suchen. Was denkt Ihr dazu?“
Beide Mädchen nicken.
☀
Sie müssen also Seitwärts Wechseln, um in die Penumbra zu gelangen. Die Ureinwohnerin Dora hat überhaupt keine Schwierigkeiten mit der Barriere, Zoe braucht eine ganze Weile, aber Norman würfelt einen Misserfolg, er kommt nicht durch, und kann es erst in einer Stunde wieder versuchen. Bis dahin ist es zu spät, da geht ja dann in absehbarer Zeit der Büroalltag los. Also muss er wohl draußen Schmiere stehen, während die beiden Mädchen allein ins Bürogebäude eindringen. Immerhin kann er die Zivilklamotten der anderen beiden und das Smartphone einsammeln, die ja nicht mit in die Penumbra gekommen sind.
„… Das ist es wohl! … Ein bisschen schwer zu sagen, aber die Umrisse stimmen, oder?“, raunt Zoe. Die Häuser vor ihnen bestehen nicht aus Mauerwerk, sondern aus metallischen Spinnweben. Sie wirken dadurch beinahe wie Platzhalter, die in der Geisterwelt denselben Raum kennzeichnen, in welchem in der Fleischwelt die Gebäude stehen.
Geschickt klettern sie an den Spinnweben hinauf, und hangeln sich an die Stelle, wo der dritte Stock sein müsste. Von dort aus kibitzt Dora in die Fleischwelt herüber, mit angestrengt blinzelnden Augen.
Die Orakelwürfel entscheiden, dass die Uktena dabei ein paar verdächtige Aktenschränke entdeckt.
Also versuchen sie, Seitwärts zu Wechseln, um in das Büro zu treten. Zoe ergeht es jetzt so wie draußen Norman: Es gelingt ihr nicht, sich ihren Weg durch das Strukturnetz zu bahnen, für eine Stunde sitzt sie fest auf der Geisterwelt-Seite! (Das macht sie ängstlich und ärgerlich, und gibt ihr einen fünften Rage-Punkt.) Dora aber tritt durch die Barriere, und kann versuchen, den Aktenschrank zu knacken. Nur dank einem Willenskraft-Punkt ein knapper Erfolg!
Findet sie hier relevante Infos über den Streit mit der Kanzlei? Jawoll, sagen die Orakelwürfel. Irgendeine Briefkorrespondenz ist da abgelegt zu dem Gerichtsfall. Jetzt haben wir den Namen desjenigen der Architekten, der gegen die Verwaltung des Nationalparks anwaltlich vorgegangen ist. Das ist ja schonmal was. Ist in den Briefen womöglich auch der Name der Landvermessungsfirma mit erwähnt? Nein, das nicht.
Zuletzt sollte ich das Orakel noch fragen, ob Strukturgeister auftauchen: Die Weberinnen-Kräfte finden Wechsel zwischen den Welten suspekt, und die Stadt ist ihr Territorium! Aber die Orakelwürfel sagen, dass jetzt gerade die Luft rein ist.
„… In jedem Fall wissen wir jetzt aber, welchen von den Anwälten aus Rowans Kanzleien wir in unsere Krallen bekommen müssen!“, sagt Norman Emberfur, als sie eine Stunde später wieder vor dem dunklen Bürogebäude versammelt sind.
Das stimmt, also ist das der erste Milestone für die
Queste (Gefahrvoll): Rowan Wears-The-Shade-Mantle in San Francisco finden, und die wahre Bewandtnis seiner derzeitigen Geschäfte aufdecken.
Da diese Suche Gefahrvoll ist, erhalten die Charaktere zwei Punkte Fortschritt dafür.
In der Küchenecke einer der drei Mietwohnungen beraten sie sich daraufhin. Dora hat für alle den total scheußlichen aber bestimmt total gesunden Reformhaus-Tee gekocht, den sie in ihrem Rucksack gefunden hat. Zoe kaut an den Resten ihres Proviants herum.
Die Uktena sagt gerade gut gelaunt, „… Also schnappen wir uns den, diesen, wie heißt das Bleichgesicht noch? James Morley. Wenn das einer der Blutsbrüder von Rowan ist, dann weiß der vermutlich alles, auch, wo sein Verwandter gerade untergetaucht ist.“
Norman macht ein verstimmtes Gesicht, entweder von dem Tee, oder von Doras Vorschlag, „Ich weiß nicht. Wenn wir einen aus dem Verkehr ziehen, dann haben wir gleich Fakten geschaffen. Dann wissen die genau, dass die Septe ihnen heimlich nachstellt. Die Cops werden gerufen. Das macht alles hektisch. Und überhaupt, kann eine von Euch beiden Verhöre machen?“
„Ich kann richtig böse gucken!“, freut sich Dora, und verwandelt ihre Zähne zu Fängen, schneidet eine Grimasse.
„Diese Anwälte von Rowan sind aber allesamt Blutsgeschwister. Die sind Profis. Die lassen sich wahrscheinlich von plumpen Drohungen nicht so richtig einschüchtern.“
„Wen nennst Du hier plump?“, ereifert sich Dora.
Zoe meldet sich kauend zu Wort, „Das ist doch irgendwie auch total fies! Wir sind doch keine Entführer! Was, wenn die allesamt am Ende doch unschuldig sind?“
Norman nickt, „Unwahrscheinlich, aber möglich. Okay, wir konfrontieren diesen Anwalt Morley direkt. Wir geben dem die Chance, uns freiwillig zu helfen, ganz zivilisiert. Wer von Euch ist gut im Reden? … Ich bin das nicht.“
Dora deutet auf Zoe, „Na, Barbie hier! Immerhin ist der Fuzzi ein Bleichgesicht, so wie sie. Die wickelt ihn um den Finger, mit ihrem Zahnpasta-Grinsen!“
Zoe guckt doof, „Wer, ich?! Ich bin gut im Jammern! Ich kann dem einen vorheulen, dass wir selber Angst haben, und nur helfen wollen, ja, das kriege ich hin! Aber das wird wohl kaum funzen bei so aalglatten Rechtsverdrehern!“
„Du überlegst Dir was“, ordnet Norman Emberfur an, „Du hast noch etwas Zeit. Jetzt erstmal hauen wir uns hin, es wird schon hell. Ich wecke Euch um 12 Uhr.“
„Das ist aber wenig Schlaf“, mosert Dora, „Ich werd' grummelig, wenn ich zu wenig Schlaf kriege! Und dann beiße ich Leuten ins Bein!“
Zoe erschaudert leicht, sie bildet sich kurz ein, das Mondlicht durch die dünnen Wände des Gebäudes hindurch zu spüren.
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