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[Unknown Armies] Road Movie

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Bad Horse:
Warum William eigentlich im Wald herumgekrochen ist und uns gesucht hat, weiß ich bis heute nicht. Oder was das Wolfgeheul sollte. Vielleicht hat er ja die Hunde gehört.
Auf jeden Fall hat er Brian und mich in sein Auto gepackt und erstmal zu einer Jagdhütte gefahren, wo auch Sylvia und Kim untergekommen waren. Dann hat er einen Arzt organisiert, der sich um unsere Verletzungen kümmern sollte.
Der Arzt (ich glaube, wir haben seinen Namen nie erfahren) stellte fest, daß Brian eine schwere Gehirnerschütterung hat und definitiv ins Krankenhaus muß, damit man nachprüfen kann, ob der Schädelknochen irgendwie beschädigt ist. Ich hatte nur einen gebrochenen Arm (Überraschung!), einen verstauchten Knöchel und eine geprellte Hüfte. Früher, als ich noch in Chicago gelebt habe, hätte ich ja gedacht, daß das üble Verletzungen sind, und mich für die nächsten drei Wochen ins Bett gelegt, aber mittlerweile ist das fast schon alltäglich.
William hat also zunächst mal den Arzt und Brian ins Krankenhaus gefahren, wo man ihn untersucht hat. Kein Schaden am Knochen, aber eben eine schwere Gehirnerschütterung, die mindestens zwei Wochen strenge Bettruhe erfordert. Ansonsten kann es wohl passieren, daß der Patient plötzlich tot umfällt oder so.
Nachdem Brian im Krankenhaus untergekommen war, kam der Arzt zurück und schubste meine Knochen wieder dahin, wo sie hingehören. Er meinte, dafür müsse er den Arm ja nicht röntgen. Um meinen Fuß oder mein Bein hat sich nicht weiter gekümmert, er meinte nur, ich sollte es halt schonen. Haha. Witziger Kerl.

Während Brian und ich unser kleines Abenteuer mit Onkel Charly hatten, haben sich Sylvia und Kim Gedanken gemacht, wie es jetzt weitergehen soll. Die Hollow Men sind eine Sache, aber die Mafia und Kims Vater eine andere. Die beiden sind also auf die Idee gekommen, daß wir von jetzt an auf Autos und ausgebaute Straßen verzichten sollten. Statt dessen schlugen sie vor, uns ein paar Pferde zu besorgen und querfeldein zu reiten. Williams Bruder Edgar, der eine Ranch betreibt, war sogar bereit, uns sechs Pferde zu leihen (vier Reit- und zwei Packpferde).
Ich fand die Idee Klasse. Ich war ohnehin nie der Meinung, wir müßten so schnell wie möglich nach LA kommen. Und ich mag Pferde. Pferde sind toll. Nicht, daß ich ein besonders guter Reiter wäre (siehe das letzte Kapitel), aber es macht mir Spaß. Und die Vorstellung, durch das größtenteils unbesiedelte Land von Utah und Arizona zu reiten, gefiel mir einfach.

Also war es beschlossene Sache - wir würden unseren Weg zu Pferd fortsetzen. Allerdings hatten wir da ein Problem: Brian. Den hatte der Arzt im Krankenhaus gelassen und uns auch gesagt, daß er frühestens in zwei oder drei Wochen wieder reisefähig sei. Wir würden ihn zurücklassen müssen.
Das war ein Schlag, nicht nur für mich, denke ich. Soviel ich auch über Brian lästern und jammern mag, er gehört zu uns. Ihn einfach zurückzulassen - ich hatte das Gefühl, als würden wir ihn im Stich lassen. Wir haben ihn im Krankenhaus besucht, um mit ihm zu sprechen (ich hatte die Hoffnung, daß er sich vielleicht wie durch ein Wunder erholt hätte. Das hat ja in Craig auch geklappt). Er war blaß wie Kreide und sah nicht aus, als sollte er allein auf die Toilette gehen, geschweige denn, mit uns nach Arizona reiten. Das Wunder blieb aus.
Brian erzählte uns, daß er schon Besuch bekommen hätte: Sein Onkel Charly war zusammen mit Kims Vater bei ihm aufgetaucht. Mr. Parker fragte ihn nach seinem Sohn, aber Brian tat so, als ginge es ihm furchtbar schlecht, und gab ihm keine Antwort. Schließlich ging Parker wieder, in Begleitung von Charles Farrington.
Später sollten Brians Eltern ankommen. Sie hatten schon angekündigt, ihn in die Schweiz zu schicken, auf ein "Internat" (was er damit auch immer meint. Wahrscheinlich eine Uni mit strengen Campus-Regeln oder so). Wir erzählten Brian von unseren Plänen. Es war klar, daß er gerne mitgekommen wäre, aber sich einfach nicht in der Lage dazu fühlte. Also verabschiedeten wir uns, mit vagen Plänen für ein Wiedersehen, die nicht besonders realistisch waren. Ich fühlte mich ziemlich blöde, als wir endlich gingen, und ich schätze, ich war nicht der einzige.

Danach fuhren wir noch mal zu unserem Motel, um unsere Sachen abzuholen (von den FBI-Agenten keine Spur), und gingen einkaufen. Für einen langen Trip durch die Wildnis braucht man einiges an Ausrüstung, und keiner von uns hat wirklich Ahnung von so was. Ja, ich war als Junge mit meinen Verwandten ein paar Mal jagen, und mein Großvater hat mir irgendwann mal haufenweise lustige Kräuter gezeigt, aber das meiste davon habe ich schon lange wieder vergessen. Außerdem ist ein kurzer Jagdausflug nicht mit der Reise zu vergleichen, die wir da vorhatten.
Wir beschlossen, zunächst die Ranch meiner Tante Rose in Arizona anzusteuern. Sie liegt ein wenig südlich von Bagdad, in der Nähe des Santa Maria River. Dort würden wir uns ein wenig ausruhen können, bevor wir weiter nach Californien reiten. Mal schauen, wie oft wir uns verirren.

Nachdem wir mit unseren Einkäufen fertig waren, nahmen Sylvia und Kim noch eine kurze Reitstunde (nein, sie konnten beide nicht reiten). Ich versuchte, mich auszuruhen, schaffte es nicht und ließ mir von einem von Edgars Cowboys erzählen, was ich über die Pferde wissen mußte.
Mein Pferd ist eine niedliche kleine Appaloosa-Stute mit dem schönen Namen Moses (ich weiß nicht, warum sie so heißt. Vielleicht hab ich den Namen auch falsch verstanden, aber sie reagiert darauf). Ich fang jetzt nicht an, von ihr zu schwärmen, sonst hör ich nicht wieder auf, und das wollen wir ja alle nicht, oder?

Wir ließen uns am ersten Tag Zeit. Sylvia und Kim mußten sich erstmal ans Reiten gewöhnen, und viel konnte ich ihnen auch nicht helfen - ich mußte mich daran abfinden, daß mir nicht nur der Arm, sondern auch das Bein weh tat. Und es ist nicht wirklich ein Spaß, mit einer geprellten Hüfte zu reiten. Also machten wir schon ziemlich früh Halt, stellten unser Zelt auf und zündeten ein Lagerfeuer an. Und kurz nach dem Essen tauchten zwei weitere Reiter bei unserem Lager auf: William und Brian.

Brians Gespräch mit seinen Eltern verlief wohl mal wieder in den üblichen Bahnen: Brian sagt, was er will oder nicht will, seine Eltern ignorieren ihn und sagen ihm, was er tun soll, und zum Schluß setzt Brian seinen Kopf irgendwie durch. Das war in dem Fall nicht ganz einfach: Sein Vater wollte ihn schon am nächsten Tag in ein Flugzeug in die Schweiz setzen, Gehirnerschütterung hin, Gehirner-schütterung her.
Naja, wenn seine Gesundheit aber ohnehin aufs Spiel gesetzt würde, dann konnte uns Brian auch genauso gut hinterherreiten. Er klaute sich irgendwo einen Hut, um seine frische Wunde zu überdecken, und machte sich auf den Weg. Ganz allein natürlich, ohne irgendeine Idee, wie es weitergehen sollte. Nur in die Schweiz wollte er nicht, und er hatte die Adresse von der Ranch meiner Tante.
Glücklicherweise las ihn William unterwegs auf (sonst wäre er wohl getrampt) und brachte ihn zu Edgars Ranch. Dort schwangen sich die beiden auf die Pferde (muß ich erwähnen, daß Brian nicht reiten kann?) und machten sich auf den Weg.

Und da war er also, unser Brian, blaß und erschöpft und absolut nicht gesund, aber er war wieder dabei. Scheint, als würden wir ihn nicht so schnell los. (
Ich war heillos erleichtert und froh, ihn wiederzusehen. Irgendwie ist es ohne ihn nicht das gleiche. Unser ruhiges Abendessen verwandelte sich in eine Siegesfeier.

Am nächsten Morgen fiel mir auch ein, wo ich die heilige Tigeraugenkette schon einmal gesehen hatte: Das muß vor ungefähr 15 Jahren gewesen sein, bei irgendeinem Powwow, aber ich weiß nicht mehr, wo. Ich denke, Pine Ridge, weil da immer die großen Treffen sind, aber ich kann mich auch irren. Das war damals zu der Zeit, wo ich nicht mit Fremden geredet habe, also war ich acht oder jünger.

Bad Horse:
Hat jetzt irgendjemand gedacht, wir hätten einen ruhigen Trip und kämen ein paar Wochen später verdreckt, aber glücklich bei meiner Tante an? Nein? Gut. Es ging nämlich schon am übernächsten Tag weiter... (ich weiß nicht, für wen ich diese Einleitungen schreibe. Literarischer Impuls oder so. Wer schreibt schon ein Tagebuch, wenn er nicht insgeheim hofft, daß es eines Tages mal ein anderer lesen wird?)

Die Geisterstadt - Überfall

Die erste Nacht unserer Reise verlief vollkommen friedlich, wenn man davon absieht, daß wir Nachtwachen halten mußten. Sylvia hat dabei die ganze Zeit an ihrem Handgenerator herumgekurbelt und damit ein scheußliches, surrendes Geräusch erzeugt, wie eine Mücke, die an deinem Ohr herumfliegt.

Am nächsten Tag ging es weiter, und gegen Nachmittag kamen wir in die Ruine einer alten Westernstadt. Brian war völlig begeistert - er wollte schon immer mal in eine Geisterstadt. Er hoffte wohl, interessante Geister zu treffen, mit denen er über seine Nahtodeserfahrung plaudern konnte.
Die Stadt (oder besser, das Dorf - so groß war es nämlich
nicht) war vollkommen ausgestorben. Sylvia, Brian und Kim machten sich an die Erkundung, während ich mich um die Pferde gekümmert habe. Im Saloon fanden sie tatsächlich eine Flasche verschlossenen Whisky von achtzehnhunderthau-mich-auf-den-Kopf (irgendwas in den Sechzigern, glaube ich). Die gab es dann zum Abendessen. Hat nicht sonderlich toll geschmeckt, war aber seeehr hochprozentig.

Nach dem Essen wollte Brian noch ein wenig herumstöbern. Sylvia hielt das für keine gute Idee, angesichts seiner Gehirnerschütterung, aber ich habe ihr gesagt, er wäre erwachsen und wüßte schon, was er tut. Daraufhin beschloß Sylvia, sich ordentlich zu betrinken. (Ich verstand erst nicht, warum. Mittlerweile schon.)
Kurz nachdem Brian uns verlassen hatte, hörten wir ein lautes Krachen aus dem Haus, in das er hineingegangen war. Ich lief mit Kim los, Sylvia torkelte hinterher. Im Haus war der Boden teilweise eingebrochen, aber Brian war nichts passiert. Er wollte aber auch nicht aus dem Keller herauskommen, sondern nur noch zehn Minuten spielen auf Entdeckungstour gehen. Durch den Einsturz war nämlich ein alter Gang freigelegt worden, den er sich unbedingt anschauen mußte. Kim, der ihn eigentlich zurückholen sollte, ließ sich von seinem Enthusiasmus anstecken und ging mit. Natürlich, ohne größer Bescheid zu geben. Ich stand also oben und machte mir Sorgen, während die beiden unten einige alte Indianergräber fanden und näher anschauten. Dabei sahen sie, daß einer der Toten - ein Kriegshäuptling, wie es schien - die heilige Kette, die wir aus Salina kannten, um den Hals trug. Immerhin waren die beiden schlau genug, das Ding da zu lassen, wo es hingehört.
Nach etwa einer halben Stunde tauchten die beiden Forscher wieder auf und berichteten strahlend von ihrer Entdeckung. Wir beschlossen, Edgar oder William bei der nächsten Gelegenheit von der Kette und dem ausgestorbenen Dorf zu erzählen.

Wir wollten die Nacht in einem der stabileren Häuser verbringen. Wieder wurden Wachen aufgestellt, und kurz vor Mitternacht, als Kim dran war, passierte tatsächlich etwas. Er hörte leisen Gesang von außerhalb des Dorfes. Als er losschlich, um nachzusehen, was denn los war, sah er einen heiligen Mann und zwei Krieger, die einen Tanz um ein Feuer aufführten. Da ich die nächste Wache hatte, weckte er mich auf und zeigte mir die Zeremonie. Ich kannte den Tanz nicht, aber angesichts der Tatsache, daß die beiden Krieger ihre Bögen, Lanzen und Tomahawks enthusiastisch durch die Luft schwenkten, vermutete ich, daß es sich um einen Kriegtanz handeln könnte. Kim lief los, um den anderen beiden Bescheid zu sagen. Ich blieb zurück, um die drei Indianer weiter zu beobachten.
Schließlich war der heilige Mann mit seinem Gesang fertig. Er sah sich mit schmalen Augen um, bis er mich im Schatten des Hauses entdeckte. Mit einer Hand deutete er in meine Richtung, und die beiden Krieger stürmten mit erhobenen Tomahawks auf mich zu. Nervös trat ich aus den Schatten heraus und hob meine leeren Hände, um zu zeigen, daß ich unbewaffnet war. Das hielt die Krieger aber nicht auf: Mit einem mächtigen Schlag rammte mir einer von ihnen sein Tomahawk in die Brust.
Der Schmerz war echt. Ich wurde ein Stück zurück-geschleudert, fiel hin und rang mühsam nach jedem schmerzerfüllten Atemzug. Einen Augenblick fühlte es sich an, als wäre meine Lunge mit Flüssigkeit erfüllt, und ich mußte husten. Das verstärkte den Schmerz fast ins Unerträgliche, und mir wurde einen Moment lang schwarz vor den Augen.
Ich muß aufgeschrieen haben, als der Krieger mich traf, jedenfalls kamen Sylvia, Kim und Brian besorgt angerannt. Sie stellten schnell fest, daß ich nicht wirklich eine Wunde davongetragen hatte, jedenfalls war davon nichts zu sehen. Aber die Stelle an meiner Brust fühlte sich heiß und verkrampft an. Der Schmerz ließ nur langsam nach.
Gerade als mir die anderen wieder auf die Beine geholfen hatten, hörten wir auf der anderen Seite des Gebäudes die Pferde panisch wiehern. Wir liefen los, um nachzusehen, was los war.

Ohne große Überraschung sahen wir, daß das Leben in die Geisterstadt zurückgekehrt war. Altmodisch gekleidete Leute liefen umher, grüßten einander oder gingen ihrer Arbeit nach. Unsere Pferde waren solche Dinge weniger gewohnt (oder vielleicht waren sie einfach nur intelligenter als wir) und brachen aus. Kim rannte hinter ihnen her, um sie wieder einzufangen, und verschwand erst mal im Wald.
Ich beschloß, ihm zu folgen und ihn zurückzuholen, während sich Sylvia und Brian im Dorf umschauen wollten.
Glücklicherweise hatte Kim schnell eingesehen, daß es keinen Sinn macht, panischen Pferden im stockdunklen Wald hinterherzulaufen, und war umkehrt. Gemeinsam gingen wir zurück zur Stadt.

Sylvia und Brian versuchten, Kontakt zu den Geistern zu bekommen. Sylvia stellte fest, daß die Leute sie wohl nicht sehen konnten, und sie sogar in der Lage war, durch sie hindurchzugehen. Das war allerdings keine schöne Erfahrung, denn an der Stelle, an der sich der Geist befand, wurde es plötzlich eiskalt. Brian allerdings wurde von den Leuten bemerkt. Als er versuchte, einer Frau einen guten Tag zu wünschen, erwiderte sie seinen Gruß zögernd. Offenbar konnte sie ihn aber sehen.
Kurz nachdem Kim und ich wieder in der Stadt angekommen waren, kam Bewegung in die Geister: Männer bewaffneten sich, Frauen und Kinder rannten in die Häuser. Da flogen auch schon die ersten Pfeile aus dem Wald auf die weißen Siedler, gefolgt von einer großen Anzahl indianischer Krieger, die über die Einwohner der Stadt herfielen.
Brian reagierte vollkommen instinktiv: Er schnappte sich zwei kleine Mädchen und versuchte, in die Wälder zu entkommen. Zwei Krieger bemerkten ihn und verfolgten die drei. Sylvia, die hinterher rannte, sahen sie nicht.
Auch Kim rannte los und versuchte, eine Frau irgendwie zu retten, aber er konnte sie nicht mal anfassen. Statt dessen wurde sie vom Schlag eines Tomahawks getroffen und bracht blutüberströmt zusammen. Kims einziger Kommentar dazu war "Cool!".
Das fand ich nun nicht. Ich ließ ihn stehen - sollte er sich doch das "coole" Gemetzel anschauen, wenn er Spaß dran hatte - und folgte Sylvia und Brian. Da gab es mittlerweile heftige Probleme: Die Indianer, die Brian sehen konnten, hatten ihn erwischt und mit ihren Tomahawks nach ihm geschlagen. Allerdings konnten sie ihn zwar treffen, aber nicht wirklich verwunden: Wie bei mir vorher schmerzten die Phantomtreffer zwar, aber es waren keine Verletzungen zu sehen. Trotzdem taumelte Brian und war kalkweiß im Gesicht. Das hier war sicher nicht die Ruhe, die er dringend brauchte.
Sylvia und ich stellten fest, daß wir die Indianer behindern konnten, wenn wir uns genau in ihre Körper hineinstellten. Allerdings wurde es dort rasch sehr, sehr kalt, und unsere Gliedmaßen froren förmlich ein. Also konnten wir das nicht allzu lange machen. Wir spielten eine Weile Haschmich mit den Indianern, die Brian immer noch verfolgten. Irgendwie gelang es ihm, eine Schußwaffe zu ziehen und auf einen der Indianer abzufeuern. Das hatte allerdings denselben Effekt auf sie wie die Schläge der Tomahawks auf Brian: Schmerz ja, echte Verletzung nein. Immerhin hielten sie daraufhin Abstand von ihm.
Schließlich wurde er von einer anderen Gruppe erwischt und erhielt einen Schlag quer über die Kehle. Danach konnte er nicht wieder aufstehen, aber glücklicherweise tat sich im Dorf etwas, das die Indianer ablenkte. Ihr Anführer - der heilige Mann, den ich schon gesehen hatte - rief alle bei dem Haus, unter dem sich die Gräber befanden, zusammen. Dort brachten einige Krieger einen Weißen zu ihm, der die heilige Kette bei sich trug. Der Anführer spaltete ihm den Schädel und nahm den Kultgegenstand wieder an sich. Dann sah er sich noch einmal um, bevor er und seine Krieger das Dorf verließen. Ich bin sicher, daß er uns sehen konnte, aber er hat nichts weiter getan.

Sylvia und ich brachten Brian zurück zu unserem Haus, damit er sich ausruhen konnte. Auch Kim tauchte wieder auf: Er war bei den Gräbern gewesen und Zeuge geworden, wie die Indianer den Weißen, der die Kette gestohlen hatte, einfingen.
Wir waren alle ziemlich müde und fertig. Kim, Sylvia und Brian legten sich schlafen, ich blieb wach (hatte ja Nachtwache). Irgendwann früh am nächsten Morgen kamen die Pferde zurück. Schließlich wußten sie, daß es hier im Dorf Wasser gab.

Als alle wieder wach waren, sprachen wir noch einmal über die Ereignisse in der letzten Nacht. Kim war immer noch völlig begeistert, fand alles "cool" und wollte unbedingt dableiben, um Photos zu machen. Offenbar dachte er, das ganze wäre ein Videospiel oder so etwas. Daß bei dem Gemetzel Menschen gestorben waren, ließ ihn völlig kalt. Wir beschlossen, sofort aufzubrechen und nicht zu versuchen, den Eingang zu den Gräbern zu verschütten (ich weiß nicht, wie man so etwas fachmännisch macht, und die anderen wissen es auch nicht. Also sollten wir es lieber nicht versuchen - die Chancen sind groß, daß wir entweder den Friedhof oder uns selber mit zuschütten). Danach ging ich raus - ich konnte Kims "Hach, war das lustig"-Geschwätz nicht mehr ertragen.

Jetzt stehe ich hier draußen bei den Pferden und krakele das letzte Kapitel in mein Notizbuch. Kann bestimmt keiner lesen.
Nebenher versuche ich mir keine Sorgen zu machen, weil mein rechter Fuß so stark geschwollen ist, daß er in keinen Schuh mehr paßt. Oder weil er mittlerweile mehr violett als rot ist - das ist sicher nur ein Bluterguß. Allerdings kann ich nur hoffen, daß wir in der nächsten Zeit nicht mehr großartig laufen müssen. Als ich heute morgen aufgestanden bin, konnte ich gar nicht mehr auftreten, und bis zu meinem Pferd bin ich nur gekommen, weil ich so wütend auf Kim war. Aber der Arzt hat gesagt, er ist nur verstaucht. Ich muß ihn nur ein bißchen schonen, dann kommt er schon wieder in Ordnung. Hoffe ich.

Bad Horse:
Ich lebe noch, und mein Fuß ist auch noch dran. Nur, falls sich jemand Sorgen gemacht hat. Nach unserem Aufbruch ging es dann gleich weiter:

Die Hütte - eine Art Pause

Irgendwann gegen Mittag ist Sylvia aufgefallen, daß es meinem Fuß nicht so gut ging. Daraufhin haben wir beschlossen, bei der nächsten Gelegenheit eine Pause einzulegen. Brian erzählte etwas davon, eine Hütte oder so zu finden - zunächst hielt ich das für absurd (wir waren mitten in der Wildnis von Utah), aber er behielt prompt recht: Auf einer Wiese, in der Nähe eines kleinen Baches, fanden wir eine Hütte. Besser gesagt, ein ausgewachsenes Blockhaus mit zwei Stockwerken und einem Stall für sechs Pferde.
Die Hütte wurde von einem alten Mann (James) und seiner Frau (Anne) bewohnt. Es gab dort keine Elektrizität, kein Telefon, nichts, was darauf hingewiesen hätte, daß wir uns im 21. Jahrhundert und nicht ein- bis zweihundert Jahre früher befinden. Erinnerte mich irgendwie an das Haus meines Großvaters, das allerdings kleiner und nicht so gut in Schuß ist.

Die beiden älteren Leutchen waren ganz erfreut, uns zu sehen. Seit zwei Jahren hätten sie keine Gäste gehabt. Sie waren sehr hilfsbereit, und als sie merkten, daß es Brian und mir nicht gerade gut ging, luden sie uns ein, doch ein paar Tage bei ihnen zu bleiben und uns zu erholen. Kann auch sein, daß Sylvia sie gefragt hat, ob wir dürfen. Das Ergebnis war dasselbe: Wir stellten unsere Pferde in den Stall und richteten uns in den Gästezimmern ein.
James und Anne waren Selbstversorger: Er ging auf die Jagd und stellte Fallen, sie sammelte im Wald Beeren, Pilze, Wurzeln und andere essbare Sachen. Brian wollte erstmal nicht glauben, daß man so wirklich leben kann. Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß früher ganze Völker auf diesem Kontinent genau so gelebt haben, aber ich denke, ganz überzeugt war er nicht. (Ich ja auch nicht. Die Jäger- und Sammler-Völker waren größtenteils nomadisch oder halbnomadisch.)

Der erste Abend verlief ruhig und friedlich: Wir aßen, und dann ging es früh ins Bett. Am nächsten Morgen bot Sylvia an, daß sie und Kim dem Ehepaar bei ihren täglichen Aufgaben helfen könnten. Die beiden waren erfreut, denn es gab tatsächlich etwas, das die beiden für sie tun konnten: Über den Bach in der Nähe des Hauses führte eine Brücke, die leider beim letzten Unwetter beschädigt worden war. Die sollten Sylvia und Kim nun reparieren.
Der Bach war nicht sonderlich breit, vielleicht zehn oder fünfzehn Fuß, und auch nicht tief, aber er hatte eine reißende Strömung und einen sehr unregelmäßigen, steinigen Grund. Daher war die Brücke die einzige Möglichkeit, den Bach wirklich sicher zu überqueren. Es handelte sich um eine einfache Holzbrücke aus stabilen Planken, die aber teilweise aus der Verankerung gerissen und stark beschädigt waren. Sylvia und Kim verbrachten den Tag damit, neue Bretter einzusetzen und festzunageln. Brian blieb im Bett und schlief die meiste Zeit. Ich schonte meinen Fuß (und meinen Arm, und mein Bein...) und schrieb größtenteils. Kurze Zeit war ich draußen, um die Pferde zu versorgen und aus dem Stall zu lassen, aber auch da bin ich nicht viel herumgelaufen.

Gegen Abend zog ein Gewitter auf, und als Sylvia, Kim, James und Anne zurückkamen, war der Himmel schon schwarz und wolkenverhangen. Noch vor dem Abendessen ging es richtig los: Blitze, Donner, heftiger Regen und Windböen. Ich bin zum Stall gelaufen, um die Pferde zu beruhigen, die sehr unruhig und nervös waren. Sylvia kam später mit dem Abendessen rüber, um mir Gesellschaft zu leisten (Brian hatte sich Sorgen gemacht, weil ich allein bei den Pferden bleiben wollte).
Das Gewitter war ganz schön unheimlich, vor allem, als einige Zweige gegen den Stall schlugen, sodaß es klang, als würde jemand gegen die Wand hämmern. Das Geräusch machte Sylvia und mich nervös, und ich öffnete die Stalltür, um nach draußen zu schauen. Es war verdammt dunkel, aber wir konnten durch die Regenschleier eine Gestalt erkennen, die von Haus weg in Richtung Wald lief. Ein Blitz erhellte die Person kurz, und wir erkannten Brian. Sylvia lief los, um herauszufinden, was mit ihm los war, konnte ihn aber im Wald nicht finden. Ich dachte, ich hätte gesehen, wo er verschwunden war, und hinkte ebenfalls in Richtung Bäume (soviel zum Thema "Fuß schonen" für diese Nacht).
Unterwegs trafen wir Kim, der gerade aus dem Haus kam. Zu dritt machten wir uns auf die Suche nach Brian, der hinter irgendeinem Baum saß und wahrscheinlich eingeschlafen war. Als wir in seiner Nähe stehenblieben, um zu beraten, wachte er jedenfalls auf und erschreckte uns erst mal alle fast zu Tode. Dann behauptete er, er hätte irgendwo eine Frau um Hilfe rufen gehört, konnte aber nicht sagen, wer und von wo. Sylvia, Kim und ich hatten jedenfalls nichts davon bemerkt.
Im strömenden Regen kehrten wir dann alle klatschnass zum Haus (bzw. zum Stall) zurück und legten uns schlafen. Mitten in der Nacht schreckte Sylvia jedoch auf: Sie hatte ein seltsames Gefühl, und als sie aus dem Fenster schaute, sah sie eine Gestalt, die in Richtung der Brücke lief. Als sie bei Brian anklopfte, stellte sie fest, daß er nicht da war.
Sylvia weckte Kim und mich, wir zogen Regenjacken an und machten uns auf den Weg, um Brian wieder in sein Bett zu bringen. Wir fanden ihn an der Brücke, wo er eifrig damit beschäftigt war, die neu befestigten Planken wieder herauszureißen und die ganze Holzstruktur zu demolieren. Gerade als wir ankamen, verlor er den Halt auf dem glitschigen Holz und stürzte in den angeschwollenen, eiskalten Bach. Mit vereinten Kräften konnten wir ihn wieder herausziehen und zum Haus zurückbringen.

Dort steckten wir seine Füße erstmal in ein heißes Fußbad und wickelten ihn in eine trockene Decke. Er kam kurz zu sich und erzählte uns in heller Panik, Hope läge dort draußen, sei unter einem Baum eingeklemmt und wir müßten ihr helfen. Er hätte es nicht geschafft, den Baum wegzubewegen, die Äste wären immer wieder gebrochen. Offenbar glaubte er wirklich, daß die gute Hope dort draußen ins Lebensgefahr schwebte. Ich konnte ihn erst beruhigen, als ich behauptete, wir hätten sie in ein Krankenhaus gebracht.
Nachdem Brian das Bewußtsein wieder verloren hatte, schleppten Kim, Sylvia und ich ihn mit vereinten Kräften in sein Bett. Kim beschloß, den Rest der Nacht lieber in Brians Zimmer zu verbringen und aufzupassen, daß er nicht noch einmal zur Brücke oder sonstwohin laufen würde. Ich verbrachte noch ein paar spaßige Minuten damit, Aststückchen aus meinem Fuß zu graben (wir erinnern uns: Wegen des angeschwollenen Knöchels konnte ich keinen Schuh anziehen), dann ging ich auch in mein Bett. Das Gewitter hatte mittlerweile nachgelassen, und die Pferde waren ruhig, also mußte ich nicht im Stall schlafen.
Am nächsten Morgen war mein Knöchel natürlich weiterhin geschwollen. Ein Tag Ruhe hatte die Nacht Herumgerenne nicht wirklich ausgeglichen. Brian ging es auch nicht sonderlich gut: Er hatte sich - zusätzlich zu seiner Gehirnerschütterung - auch noch eine leichte Erkältung eingefangen.

Wir beide mußten also mal wieder im Haus bleiben. Sylvia und Kim brachen auf, um die Brücke zu reparieren, und wurden erst mal nicht mehr gesehen. Aber das war ja auch verständlich: Schließlich wollten sie das Ding nicht nur wieder instand setzen, sondern es auch noch so sicher machen, daß es nicht mehr so schnell kaputtgehen konnte. Also vernagelten sie kreuz und quer Planken und Bretter (ästhetisch betrachtet sieht das sehr hübsch aus, ist aber nicht gerade praktisch, wenn man die Brücke überqueren will). Danach übernahmen Kims künstlerische Instinkte die Kontrolle, und sie bauten mit einigen Holzstreben und viel, viel Seil die Golden Gate Brigde nach. Fragt mich nicht, wie sie das geschafft haben, aber ich muß zugeben, daß das Ergebnis irgendwie cool aussieht. Und es paßt auf eine ganz merkwürdige Art und Weise sogar in die Wildnis. Schade, daß wir das nicht fotografieren konnten.
Ich habe mich eine Weile mit Brian über die Ereignisse in der letzten Nacht unterhalten. Er meinte, es könnte sein, daß die Brücke irgendetwas gefangen hält, und daß dieses Etwas Hilfe bräuchte. Da sieht man mal, wie weit es mit mir schon gekommen sind: Statt ihn auszulachen, habe ich ernsthaft darüber nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß er recht haben könnte. Allerdings war ich nicht sicher, ob es eine gute Idee wäre, dem Ding unter der Brücke zu helfen. Das Land sah ja nicht krank oder unnatürlich aus, im Gegenteil.

Oh, und Brian hatte in der Nacht vorher einen seltsamen Traum: Er sah die beiden FBI-Agenten (die, die uns von Steamboat Springs nach Salina gefolgt sind) Hope auf einem schmalen Pfad verfolgen. Ich weiß nicht genau, was da noch passiert ist, aber sie haben ihm gesagt, sie würden ihn "morgen abend" treffen.

Eigentlich wollte ich mir an diesem Morgen diese fantastische Brücke, um die es ging, noch einmal ansehen, aber da hat mein Knöchel nicht mitgemacht. Ist einfach unter mir weggeknickt. Blödes Teil. Reicht es nicht, wenn mein Arm im Streik ist? Jedenfalls blieb ich dann doch da.
Am frühen Nachmittag kamen Sylvia und Kim zurück, völlig begeistert von ihrem Machwerk. Brian erzählte ihnen von seiner These, daß die Brücke etwas gefangen halten würde, aber weder Sylvia noch Kim hatten große Lust, sie wieder einzureißen. Außerdem denke ich, daß sie auch nicht der Meinung waren, daß wir irgendwas helfen müßten, das Brian fast umgebracht hatte. 
Kim suchte nach einer Kamera, um die neue Brücke zu fotografieren, stellte dabei fest, daß er sein Foto-Handy irgendwo in Salina weggeworfen hatte, und trottete dann mit einem Zeichenblock wieder zurück zum Bach. Da saß er dann und versuchte, die neue 'London Brigde' zu zeichnen. Aber irgendwie wollte es nicht recht gelingen, und so riß er Blatt um Blatt mit mißlungenen Zeichnungen von seinem Block, knüllte sie zusammen und warf sie in den Bach. (Offenbar konnte er früher mal zeichnen, aber keine Musik machen. Jetzt ist es umgekehrt.)
Später ging Sylvia los, um Kim zum Abendessen zu holen. Als sie sah, daß er dabei war, Papierfetzen in den Bach zu werfen, war sie nicht sehr begeistert und hat ihn erstmal angeblafft, was er sich dabei denkt. Das war nicht ganz das, was Kim gerade brauchte, und er war erstmal verärgert und beleidigt. Während des Abendessens war er sehr schweigsam und in sich gekehrt. Danach verließ er die Hütte wieder, weil er noch einen Abendspaziergang machen wollte.

Sylvia und ich machten uns natürlich Sorgen um ihn, aber es gab eigentlich keinen Grund, ihn zu bitten, nicht zu gehen. Also öffneten wir das Fenster (wir waren mal wieder dazu übergegangen, zu zweit in einem Zimmer zu schlafen), um im Notfall zu hören, wenn jemand um Hilfe schreit. Das war eine gute Idee: Ungefähr eine halbe Stunde, nachdem Kim aufgebrochen war, hörten wir einen lauten Ruf, der nur von ihm stammen konnte. Ich rannte sofort los (dank dem Adrenalin habe ich meinen blöden Knöchel erst mal gar nicht gespürt, das kam dann später), Sylvia lief über den Gang und sagte Brian Bescheid. Der hatte den ganzen Tag geschlafen und war wieder einigermaßen fit, mußte sich allerdings erst anziehen.
Kim war bei seinem Spaziergang bei der Brücke gewesen, als plötzlich ein Bär auftauchte. Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber bei der Flucht geriet Kim in den Bach und wurde irgendwie über einen kleinen Wasserfall gespült. Nach einigen spaßigen Spielchen mit dem gereizten Bär, ein paar netten Bäumen (auf die Sylvia und ich geklettert sind), der lustigen Brücke (auf der Brian hingefallen ist und fast von dem Bär angeknabbert worden wäre) und der Schrotflinte (deren Knall den Bären dann endlich vertrieben hat) fanden wir Kim am Fuß eines Abhangs mit einem gebrochenen Bein. Willkommen im Veteranenverein des A-Teams, Kim.

Brian und Sylvia rannten zurück zum Haus, um eine Bahre oder so etwas zu holen, und zusammen haben wir es irgendwie geschafft, Kim zurück zu tragen. Da keiner von uns so richtig viel Ahnung hat, wie man einen gebrochenen Knochen wieder einrenkt (ich weiß nur, daß mein Arm im Krankenhaus immer geröntgt worden ist, aber ich nehme an, das war nur, weil die Ärzte da Weicheier sind), haben wir Anne geweckt und sie gebeten, sich Kims Bein mal anzusehen.
Der Knochen war nur angebrochen (zwei Wochen Ruhe statt sechs, immerhin). Anne hat eine Schiene dran gebunden, einen Verband mit ein paar Kräutern drumgewickelt und Kim ins Bett gescheucht. Da er außer ein paar Schmerzmitteln auch noch einen großen Schluck Alkohol intus hatte, war er damit erst mal außer Gefecht gesetzt.

Ganz im Gegensatz zu Brian, der jetzt natürlich wach war und die Gelegenheit ausnutzen wollte, um auf der Veranda herumzusitzen und auf die FBI-Agenten aus seinem Traum zu warten. Sylvia und ich leisteten ihm Gesellschaft (wir hatten Angst, daß er sich wieder daran macht, die Brücke zu demolieren), aber es ist nichts passiert. Kurz nach eins gingen wir schließlich alle ins Bett.

Am nächsten Tag haben wir nicht viel gemacht. Ich habe versucht, meinen Knöchel zu schonen (obwohl ich nicht davon ausging, daß es viel nützen würde), Kim konnte mit seinem Bein ohnehin nichts unternehmen, und Brian war auch nicht so ganz fit. Sylvia hat Anne im Haushalt geholfen und sich um die Pferde gekümmert. Ansonsten haben wir ein bißchen miteinander geredet, Sylvia mit Brian (ich weiß nicht, worüber) und ich mit Kim.

Ach, jetzt weiß ich wieder, was wir noch gemacht haben: Wir haben mit Anne über die Brücke geredet. Sie hat uns erzählt, daß sie mit ihrem Mann schon seit ungefähr 30 Jahren in der Gegend lebt. Die Brücke war schon da, bevor sie kamen.
Ein alter Indianer erzählte ihnen, daß es eine Legende um den Bach herum gäbe: Der Bach ist die Lebensader des Landes und wurde früher von den Indianern in dieser Gegend verzweifelt gegen die Siedler verteidigt. Ein Krieger soll sogar sein Leben geopfert haben, um die Weißen von dem Wasser fernzuhalten.
Der alte Mann hatte schon lange vor Anne und James in dieser Gegend gelebt, also schätze ich, er hätte die Brücke zerstören können, wenn er das gewollt hätte. Da er das aber offensichtlich nicht getan hat, müssen wir sie auch nicht unbedingt einreißen.
Anne behauptete, der Alte sei ein Navajo gewesen. Da wäre er aber ziemlich weit nördlich von seinem Stamm gewesen. Andererseits wußte sie es auch nicht mit Sicherheit - vielleicht hat sie die Stämme einfach nur durcheinandergebracht.

Beim Abendessen hörten wir draußen Hufgetrappel. Als ich aus dem Fenster sah, erkannte ich unsere Freunde vom FBI, den älteren Blonden und den jüngeren Schwarzhaarigen. Alle beide ganz in Schwarz, mit langen Trenchcoats und Sonnenbrillen. Naja, vielleicht sind sie doch keine FBI-Agenten. Oder sie haben viel zu viele Filme gesehen.
Vor der Hütte stiegen sie ab und klopften an die Tür. Ich machte auf und wollte erstmal wissen, was denn los wäre. Hätte ja sein können, daß sie Ärger machen wollten, und da mußten wir den alten James nicht vorschicken. Aber die beiden blieben ganz höflich, stellten sich mit den Namen "Smith" und "Jones" vor und fragten, ob sie nicht die Nacht über bleiben könnten. Zögernd willigte James ein (ich glaube, so ganz geheuer waren ihm die beiden Typen nicht), und sie stellten ihre Pferde zu unseren in den Stall.
Beim Abendessen machten wir so etwas ähnliches wie Small Talk, nur viel angespannter. Die beiden behaupteten, sie kämen aus Denver und wollten nach Tucson, Arizona. Sie benahmen sich, als hätten sie uns noch nie gesehen, obwohl Brian in Salina mit ihnen wegen der Hollow Men gesprochen hatte. Im Gespräch erfuhren wir, daß sie die Geisterstadt gesehen, aber angeblich nie betreten hatten.

Irgendwie waren mir die beiden Typen unheimlich: An ihnen war etwas falsch. Sie bewegten sich so seltsam präzise, sprachen wie Figuren in einer Fernsehserie und blickten auf eine Art umher, die unecht wirkte. Selbst wenn sie Gefühle zeigten (eher selten), wirkte es gestellt. Künstlich. Ich weiß nicht genau, wie ich es besser beschreiben soll, oder was genau mich an den beiden gestört hat. Irgendwas hat ihnen gefehlt, vielleicht ist es das. Aber ich könnte nicht sagen, was es war. 
Nach dem Abendessen gingen dann alle auf ihre Zimmer. Smith und Jones quartierten sich - genau wie wir - zu zweit in einem Raum ein. Auch James und Anne zogen sich zurück.

Es verging nicht viel Zeit, bevor wir die Trommeln im Wald hörten. Wir kannten den Takt schon aus der Geisterstadt: Es waren die Trommeln der alten Ute-Indianer, die zum Angriff riefen. Brian (oder Kim?) vermutete sofort, daß Smith und Jones die Kette aus der Geisterstadt gestohlen hatten, und die Ute kamen, um sie wiederzuholen. Sylvia und Kim rannten nach unten, aus dem Haus, ich hinkte hinterher. Brian wollte die beiden Typen wecken und nach der Kette fragen.
Aber als er an der Tür klopfte, reagierte niemand. Da er von draußen schon das Kriegsgeheul der Ute hören konnte, schnappte er sich die Axt (was hatte die eigentlich in deinem Zimmer zu suchen, Brian?) und begann, die Tür einzuschlagen. Smith und Jones schienen den Krach nicht zu hören, aber James und Anne wachten auf. Verständlicherweise waren sie von Brians Versuch, ihr Haus zu demolieren, wenig begeistert. Das war allerdings der Moment, in dem die ersten Pfeile der Ute schon in die Seite des Hauses einschlugen, und James aufging, daß er von Indianern angegriffen wurde.

Bad Horse:
Sylvia und Kim waren draußen und liefen den Indianern entgegen (ich weiß nicht mehr warum, aber ich bin sicher, es gab einen guten Grund dafür). Ich wollte eigentlich hinterher, konnte aber nicht sehr schnell hinken. Als ich oben die Axtschläge hörte, beschloß ich, lieber umzukehren und nach Brian zu sehen. Irgendwie dachte ich mir schon, daß James und Anne nicht so erfreut reagieren würden.
Aber als ich oben ankam, waren die ersten Indianer schon auf Schußreichweite heran, und James kam mir auf der Treppe entgegen. Sein Gesicht war wutverzerrt, und er murmelte etwas von "verdammten Rothäuten", denen er es schon zeigen werde. Ich achtete nicht weiter auf ihn.
Oben hatte Brian die Tür schon fast eingeschlagen und konnte sie mit einem kräftigen Tritt öffnen. Die beiden Typen lagen voll bekleidet auf ihren Betten und schienen zu schlafen. Während Brian anfing, ihre Satteltaschen zu durchwühlen, sah ich mir Smith näher an. Er atmete und hatte auch einen Pulsschlag, wachte aber nicht auf. Erst als ich ihm eine leichte Ohrfeige versetzte, griff er blitzschnell nach meinem Arm und hielt ihn eisern fest.
Ich hatte eine kurze Diskussion mit ihm darüber, was eigentlich los ist und wem die Kette rechtmäßig gehört. Die Zeit nutzte Brian aus, fand das Schmuckstück in der Satteltasche und lief nach unten.

Als ich merkte, daß er nicht mehr da war, verließ ich das Zimmer auch (Smith hatte meinen Arm zwischenzeitlich wieder losgelassen). Ich machte noch einen kurzen Abstecher zu meinem Zeug, um das Uncompaghre-Wörterbuch zu holen, dann rannte ich auch nach unten.
Kim und Sylvia hatten sich ins Gras fallen lassen, als die Indianer anfingen, mit Pfeilen zu schießen. Im Gegensatz zu den Indianern in der Geisterstadt schienen die hier durchaus real zu sein - zumindest real genug, um uns zu verletzen.
James tauchte am Fenster auf und fing seinerseits an, mit seinem alten Gewehr auf die Angreifer zu schießen. Kim schrie, er solle aufhören, wir wüßten, was die Ute wollten, aber James hörte nicht auf ihn. Mitten im Pfeilhagel sprang Kim auf und lief gebückt auf die Hütte zu, um den alten Mann aufzuhalten. Dabei erwischte ihn ein Pfeil am rechten Ohr, aber das hielt ihn nicht auf. Er kam an das Fenster und griff nach James´ Gewehr.
Die beiden rangen miteinander um die Waffe, als Brian unten ankam. Er versuchte zuerst, James mit Worten zu beruhigen, aber der alte Mann blieb stur und versuchte, auf Kim anzulegen. Brian zog seine eigene Waffe und brüllte, er sei vom CPD und James solle sein Gewehr sofort fallen lassen, sonst müsse er von der Schußwaffe Gebrauch machen. James zögerte noch einen Moment, dann ließ er die Waffe tatsächlich fallen.

Als ich die Treppe herunterkam, hatte Brian gerade ein weißes Tuch gepackt, um damit zu signalisieren, daß wir verhandeln wollen. Er gab mir die Kette, da ich als einziger ein paar Worte Uncompaghre spreche, und wedelte mit seiner weißen Fahne aus der Tür. Plötzlich griff eine Hand nach der improvisierten Flagge und riß sie Brian weg. Im nächsten Moment stand ein hünenhafter Krieger in der Tür und hielt ihm seine Tomahawk an die Kehle. Ich sagte ihm, wir wären keine Feinde, wir hätten die Kette, wir wollten keinen Kampf. Dabei hielt ich ihm das Schmuckstück hin. Er nahm es an sich, ohne Brian loszulassen, und verließ die Hütte mit der Kette und seiner Geisel. Ich folgte ihm - Brian konnte ihn nicht verstehen, und ich wollte ihn nicht allein lassen.
Als der Krieger merkte, daß ich hinter ihm war, sagte er, ich solle zurück bleiben, also hielt ich mehr Abstand. Im Wald trafen die drei überlebenden Ute wieder zusammen. Einer von ihnen hielt Brian einen Vortrag, von dem ich nur ein paar Worte verstehen konnte, "unser Eigentum", "Verräter" und natürlich "Kette". (Ich nehme an, er ging irgendwie davon aus, daß jemand, der auf seinem Land herumlief, auch seine Sprache verstehen sollte. Was Brian aber leider nicht tat).
Dann griff er sich ein Büschel von Brians Nackenhaaren und schnitt sie und die Haut darunter mit seiner Axt ab. Dann sagte er leise etwas, was Brian nicht verstand. Ich war zunächst zu weit weg, aber als ich Brians schmerzhaftes Aufkeuchen hörte, ging ich näher. Der Krieger wiederholte das Wort, und diesmal verstand ich es: "Lauf."

Ich rief Brian die Übersetzung zu, und gemeinsam machten wir uns aus dem Staub. Die Indianer folgten uns nicht. Brian rannte wie ein Besessener, er hatte offenbar gedacht, die Ute wollten ihm den Schädel einschlagen wie dem Dieb in der Geisterstadt. Erst als er aus dem Wald heraus auf die Lichtung kam, auf der die Hütte von James und Anne stand, hielt er an und brach zusammen. Sylvia, die den ganzen Angriff über in Deckung im hohen Gras gelegen hatte, rannte zu ihm hin, um sich um ihn zu kümmern.

Smith und Jones hatten die Hütte mittlerweile ebenfalls verlassen. Gerade als ich auch aus dem Wald kam (ich konnte nicht so schnell rennen wie Brian, nicht mit meinem blöden Knöchel), sah ich, wie sie auf die Pferde stiegen und losritten. Ich dachte, sie wollten die Ute suchen, um ihnen die Kette wieder abzunehmen, also kehrte ich um und lief wieder in den Wald. Genug Worte für eine Warnung an die drei Krieger würde ich schon zusammenkriegen.
Natürlich waren sie nicht mehr da, wo ich sie zuletzt gesehen hatte, aber davon ließ ich mich nicht aufhalten. Es war nicht sonderlich schwierig, die Pferde der beiden Typen zu finden. Leider (oder glücklicherweise) waren Smith und Jones nicht mehr bei ihnen, sondern hatten sie im Wald angebunden. Nachdem ich die beiden Tiere verscheucht hatte, machte ich mich auf die Suche nach ihren Besitzern. Und natürlich kam es, wie es kommen mußte: Ich verlief mich im dunklen Wald. Manchmal sollte ich wirklich daran denken, daß ich ein Stadtjunge bin und kein wildniserfahrener Dakota.

Bei der Hütte versorgte mittlerweile Anne Kims blutendes Ohr und Brians aufgeschnittenen Nacken. Das war gar nicht so einfach: Als Brian merkte, daß ich nicht hinter ihm aus dem Wald gekommen war, wollte er sofort losrennen und mich suchen. Es brauchte Sylvias und James` ganze Überredungskunst, ihn davon abzuhalten. Er beschränkte sich dann darauf, vor der Hütte einmal in die Luft zu schießen und in unregelmäßigen Abständen meinen Namen zu brüllen, bis er heiser war. James versprach ihm schließlich, sich sofort bei Sonnenaufgang auf die Suche nach mir zu machen. Brian sah ein, daß er Schlaf brauchen würde, und legte sich drei Stunden hin. Danach war er allerdings noch lange nicht fit, und es gelang James, ihn zu überzeugen, daß er bei der Suche nur im Weg sein würde. Dann brach der alte Mann allein auf.

Ich hatte mich solange auf einem Baumstumpf niedergelassen. Ich wußte ungefähr, in welche Richtung ich von der Hütte aus gelaufen war. Bei Sonnenaufgang am nächsten Tag wollte ich mich orientieren und auf die Suche nach dem Bach machen. Das war ein ziemlich guter Plan, und er hätte wahrscheinlich auch geklappt, wenn nicht mitten in der Nacht irgendetwas fürchterlich geknarzt hätte und ich nicht in Panik geraten und blindlings losgerannt wäre. Hmm, das wollte ich eigentlich nicht erzählen, aber jetzt ist es wohl zu spät. Durchstreichen mag ich´s nicht.
Am nächsten Morgen hatte ich natürlich keine Ahnung mehr, wo ich war, aber ich dachte mir, daß der Bach wahrscheinlich im Tal fließen würde, also stolperte ich bergab. Ich kann nicht ganz falsch gewesen sein, denn unterwegs traf ich James, der nach mir suchte. Eine Weile lang gingen wir gemeinsam zurück, bis ich nicht mehr laufen konnte. Ging einfach nicht mehr, der Knöchel hatte einfach die Schnauze voll. Ich bin so lange gelaufen, wie es ging, und dann bin ich sang- und klanglos umgekippt. Der alte Mann hat mich zurück zur Hütte getragen. Peinlich.

Danach war erstmal Schluß mit Exkursionen. Brians Kopf maulte wieder, mein Knöchel sah aus wie eine rot-violette Melone und Kims Bein hatte das Herumgerenne letzte Nacht auch nicht sehr gut getan. Sylvia war nichts passiert. Naja, die ist ja auch vernünftig. Und nicht der Lone Ranger. (Wo kam das denn her? Ich schätze, ich würde mich gern auch für vernünftig halten. Leider sind mein Knöchel und mein Arm ganz anderer Ansicht, und es ist schwer, die zu ignorieren. Und wenn ich schon nicht vernünftig bin, will ich lieber ein harter Mann sein als ein Kindskopf. ()

Ach so, als James mich zurückbrachte, schlief Sylvia noch. Brian sorgte dann dafür, daß der Alte mich zu ihr ins Bett legte, unter dieselbe Decke. Sie hat nichts davon gemerkt.
Ich weiß nicht, was das sollte, lieber Brian. Es war Sylvia und mir irgendwie peinlich, als wir aufgewacht sind. Ja, wir haben schon öfter im selben Bett geschlafen, aber jeder unter seiner eigenen Decke. Keiner von uns beiden verspürt den Wunsch, mit dem jeweils anderen herumzukuscheln. War das klar und verständlich ausgedrückt?

Während Brian, Kim und ich herumlagen und nicht viel tun konnten, untersuchte Sylvia die Satteltaschen von Smith und Jones. Sie hat eine vollständige Liste, aber der ungefähre Inhalt war:
- Kleidung
- drei Paar Sonnenbrillen
- zwei Kännchen Öl
- 5 CD-Roms mit hunderten von pdf-Dateien
- Kaffeebonbons
- zwei runde, silbrige Broschen mit einem roten Edelstein und einer Zierkerbe.
- ein Paar Handschellen (ohne Schlüssel)
- Pferdestriegel und anderes Pflegezeug für Pferde

Die Broschen beschäftigten uns natürlich. Sie sahen metallisch aus, waren auch angemessen schwer, bestanden aber aus Plastik (das hat Kim festgestellt, als er darauf herumgelutscht hat. Ich weiß nicht, warum Kim auf der Brosche lutschen wollte. Claire hätte sicher eine interessante Erklärung dafür... ). Wir vermuten, daß sich etwas im Inneren befindet, haben sie aber bisher nicht aufgemacht, weil Brian und Sylvia der Meinung waren, es könnte Sprengstoff drin sein.
Merkwürdigerweise hatten die beiden Typen keine Hygieneartikel dabei. Keine Zahnbürste, kein Shampoo, kein Rasierzeug. Und die sahen nicht gerade unrasiert aus.
Da wir die CD-Roms sehr spannend fanden, mußten wir den Akku von Sylvias Laptop aufladen. Ja, mit diesem blöden, surrenden, kleinen Kurbel-dir-einen-Ast-ab-Handgenerator. Drei Tage haben wir gebraucht, bis der Akku halbwegs voll war. Dabei konnten wir uns wenigstens ein bißchen ausruhen.

Sylvia hat während dieser Zeit Anne beim Sammeln von Pilzen und Beeren geholfen. Wir durften ja nicht aufstehen, also beschränkte sich unser Zeitvertreib auf Kurbeln. Okay, ich bin ehrlich, Brian und Kim haben den Hauptanteil der Arbeit gemacht. Mit links zu kurbeln ist irgendwie ungeschickt.
Smith und Jones tauchten nicht wieder auf. Entweder haben die Indianer sie erwischt, oder sie sind auf die falsche Zeitschiene geraten. (Foreshadowing strikes again!)

Schließlich war es soweit: Wir konnten die CD-Roms öffnen. Auf jeder davon waren viele pdf-Dateien, jede einzelne mit einem Passwort gesichert. Sylvia, Kim und Brian mutierten kurz zu einem Hackerclub und erzählten sich gegenseitig, wie sie ein solches Passwort innerhalb von nur wenigen Wochen knacken könnten, wenn sie nur Anschluß ans Internet hätten. Ich schätze, daraus wird in der nächsten Zeit nichts. Sind wahrscheinlich sowieso nur Backup-Programme für die FBI-Androiden.
Sylvia lud die Dateien auf ihr Laptop runter und packte die CDs wieder in die Satteltaschen. Die wollten wir mitnehmen und beim nächsten Polizeirevier abgeben. Schließlich könnte es immer noch sein, daß Smith und Jones zum FBI gehören.

Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von James und Anne. Es ging uns allen besser, mein Fuß passte wieder in einen Schuh, und wir wollten endlich weiter. So freundlich die beiden Alten zu uns waren, irgendetwas war seltsam an ihnen, auch wenn ich nicht sagen kann, was. Ich mochte James nicht, weil er ein paar rassistische Bemerkungen gemacht hat, aber das war es nicht (denke ich).

Da fällt mir ein: Während der drei Tage fiel mir ein, wo ich die Tigeraugenkette schon einmal gesehen hatte. Es war bei einem großen Lakota-Powwow auf Pine Ridge. Da hieß es, die Kette wäre den Lakota heilig und würde ihrem Stamm gehören. Ich weiß nicht, wer sie damals trug, aber vielleicht fällt es mir ja noch ein. Oder ich frage meinen Großvater. Wenn sie unserem Stamm heilig ist, dann weiß er auch etwas darüber.
Brian, Sylvia und Kim waren nicht so erstaunt wie ich. Sie vermuteten, daß es vielleicht mehrere Ketten geben könnte, die als Geschenke oder Bündniszeichen zwischen den Stämmen gedient hätten. Oder die Kette sei das Beutestück eines Lakota gewesen. Das kann immerhin sein, aber irgendwie glaube ich das nicht. Heiligen Schmuck zieht man nicht in den Krieg an, es sei denn, es ist Kriegsschmuck. Aber so sah die Kette nun wieder nicht aus. Ich hoffe, mir fällt noch ein, wer sie getragen hat, dann weiß ich vielleicht mehr.

Bad Horse:
Und dann passierte das, worauf wir alle schon unterbewußt gewartet hatten: Wir gerieten in die Vergangenheit. Allerdings nicht so, wie wir dachten...

Die Brücke - Norden und Süden

Wir ritten einige Tage völlig friedfertig durch die bewaldeten Berge von Utah. Wenn es nicht ständig irgendwelche Vögel gegeben hätte, die meinten, es wäre doch toll, morgens um halb Fünf einen Mordsradau zu machen, wäre es das Paradies gewesen. Naja, so viel zur "Ruhe der Natur".
Der nächste Ort, an dem wir anhalten wollten, war Antimony, immer noch in Utah. Dort hofften wir, ein paar Vorräte einzukaufen, und vielleicht ein Telefon zu finden, damit wir mal wieder Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können. Leider wurde daraus nichts. Hey, wir hatten sechs Tage Ruhe, allmählich wurde es ja auch Zeit für ein bißchen Action, oder?
Am Ufer des Otter Creek fanden wir eine Leiche. Nein, das ist falsch. Als wir Timothy fanden, war er noch keine Leiche. Nur kurz davor. Er kroch schwer verletzt durchs Gras, als wir bei ihm ankamen, und starb kurz darauf in Sylvias Armen. Kein großes Rätsel, woran: Er hatte zwei Einschußlöcher in der Brust.
Das Merkwürdige an Timothy war seine Kleidung: Er trug eine blaue Nordstaatenuniform aus der Zeit des Bürgerkriegs. Zuerst vermuteten wir ja, er könne ein Reenactor sein, aber keiner von uns dachte wirklich, daß sein Tod auf eine Fehde zwischen Bürgerkriegsfanatikern zurückging. Seine Uniform sah eigentlich auch sehr originalgetreu aus. Er hatte einen Einberufungsbefehl bei sich, der ihn an den Junction Creek zur 7. Infanterieeinheit bestellte, um dort die Brücke zu halten. Natürlich war das auch die Brücke, die wir hätten überqueren müssen, um nach Antimony zu kommen.
Wir beschlossen, den guten Mann am Ufer liegenzulassen und die Polizei zu verständigen. Seinen Befehl nahm Brian mit.

Nach Antimony hatten wir von Otter Creek aus noch zwei oder drei Stunden zu reiten, also wollte Sylvia traben üben. Brian und Kim waren noch zu angeschlagen, um schneller als Schritt zu reiten, und so blieben sie ein Stück zurück. Außerdem ist es ohnehin einfacher, nur einer Person zu zeigen, wie man sich auf einem Pferd bewegt.
Sylvia und ich waren gerade mitten auf dem Weg, als vor uns eine Mörsergranate (oder wie die Dinger heißen) explodierte. Sylvia flog vom Pferd, ich konnte mich oben halten, aber natürlich ging Moses durch. Und plötzlich explodierten überall um uns herum Geschosse. Brian und Kim, die nicht allzu weit hinter uns waren, gerieten auch ins Kreuzfeuer - Brian stürzte, Kim konnte sich halten.
Nach einigem Hin und Her wurden unsere Pferde von ein paar Soldaten in Nordstaatenuniform eingefangen (außer denen, die Kim zurückbrachte).

Die Jungs waren ein bißchen seltsam drauf: Sie dachten, wir wären ihre Verstärkung. Sie dachten auch, wir hätten ebenfalls Nordstaatleruniformen an, und außerdem hielten sie Sylvia für einen Mann. Kims seltsame Fragen und unsere Proteste übergingen sie einfach. Sagten, wir müßten auf den Major warten, und brachten uns erstmal hinter ihren Stellungen unter.
Brian hatte diesen militärischen Tonfall richtig gut drauf. (Ich weiß nicht, warum. Ich schätze, er hat ein paar Computerspiele in der Richtung gespielt. Ich bin kein so großer Fan von Kriegs- oder Strategiespielen.) Wir haben als erstes festgestellt, daß "Ist das hier real?" die falsche Frage ist - "Ist das real genug, um uns umzubringen?" war viel besser. Und die Antwort auf diese Frage war leider eindeutig "Ja", die Mörserdingersplitter hatten mir und Sylvia einige blutige Kratzer gerissen. Also beschlossen wir, die Situation als real zu behandeln und möglichst schnell zu sehen, daß wir hier wegkamen.

Nachdem das Donnern der Geschütze nachgelassen hatte, tauchte ein alter Haudegen bei uns auf, Major Carlisle. Er gab uns erstmal was zu trinken und erklärte uns dann, daß es unsere Aufgabe sei, die verdammte blöde Brücke einzunehmen. Warum? Befehl vom Oberkommando. An anderen Details war er nicht sehr interessiert.
Wir durften dann erstmal gehen und kriegten ein Zelt zugewiesen. Unterwegs stellten wir fest, daß die Soldaten der Meinung waren, es sei der 5. August 1863 (also mitten im Bürgerkrieg; wenn ich auch bisher nie gehört habe, daß da in Utah gekämpft wurde - das war zu dem Zeitpunkt noch nicht mal ein Bundesstaat). Wir kamen auch am Lazarettzelt vorbei, wo einem jungen Mann gerade das Bein abgesägt wurde.

In unserer Unterkunft überlegten wir uns lange und ausführlich, was wir jetzt tun könnten. Es war klar, daß wir am nächsten Morgen nicht auf der Brücke kämpfen wollten. Also mußten wir mehr über die Situation an sich erfahren.
Kyle, ein junger Soldat, erzählte uns, daß die Kämpfe an der Brücke "schon seit Ewigkeiten" andauerten. Die Nordstaatler waren nicht sehr motiviert, was ihren Auftrag an sich anging, aber von ihrer Sache waren sie vollkommen überzeugt. Friedensverhandlungen fielen also flach.
Unsere Pferde wurden von einem einzelnen Stallknecht bewacht, und es gab ein gut gefülltes Munitionsdepot. Brian und ich durften das Lager sogar verlassen, um Timothys Leiche zu holen. Dabei sahen wir, daß auch auf der Nordseite Wachen aufgestellt waren, allerdings nicht sehr viele.
In der Hoffnung, vielleicht noch einige andere Leute aus unserer Zeit zu finden, ging Kim durchs Lager und spielte moderne Lieder auf seiner Gitarre. Im Lazarettzelt wurde er fündig: Zwei schwer verletzte junge Männer summten sein Lied mit, aber beide waren nicht wirklich ansprechbar (dem einen fehlte ein Arm, dem anderen ein Bein).

Es wurde immer später, und wir wußten immer noch nicht, was eigentlich los war. Irgendetwas stimmte hier nicht, und das hatte nichts damit zu tun, daß der Bürgerkrieg schon seit über 140 Jahren vorbei war oder nie hier in der Gegend ausgekämpft wurde. Die Leute waren einerseits so kampfmüde, aber andererseits so blind gehorsam...
Ich hatte eigentlich vor, eine Ablenkung zu inszenieren und abzuhauen, aber Brian wollte nicht. Er dachte, daß es eine andere Lösung geben müßte, und er hatte auch recht (wir sind ein bißchen aneinander geraten, weil er nicht sagen konnte, was wir genau machen sollten, und ich einfach nur irgendwas tun wollte, was er aber für viel zu gefährlich hielt).

Irgendwann fiel uns auf, daß wir den blinden Gehorsam der Leute vielleicht irgendwie ausnutzen könnten. Sie mußten die Brücke erobern, das sagte der Befehl, aber wenn die Brücke nicht mehr da wäre? Sie konnten das Ding nicht in die Luft sprengen, sie hatten keinen Befehl dazu, aber wir? Uns war doch der blöde Befehl egal.
Also brachten wir den Major dazu, uns einen Wisch auszustellen, der besagte, daß wir Munition und Dynamit zur vordersten Frontlinie bringen sollten. Er wußte ganz genau, was wir vorhatten, aber er unterschrieb trotzdem. Mit einem Grinsen.
Wir schleppten das ganze Zeug mit einem Karren auf die Brücke und überliessen den Rest Brian. Der baute sich mittlerweile aus Timothys Taschenuhr, Sylvias Laptopakku, dem kaputten Kurbelgenerator (der hatte nach der Drei-Tage-Kurbeln-Aktion den Geist aufgegeben) und noch ein paar anderen Kleinigkeiten einen Zeitzünder zusammen. Manchmal hat er echte MacGyver-Qualitäten.

Jedenfalls zündeten wir sieben Kisten mit Dynamit-Stangen mitten auf der Brücke. Das war die erste Explosion bei dieser ganzen Geschichte, die wirklich filmreif aussah, und sie zerriß das hölzerne Gerüst beinahe vollständig. Hinterher standen am Ufer des Flusses nur noch ein paar schwelende Brückenköpfe.
Die Nordstaatler waren völlig begeistert. Der Major rief die ganze Zeit: "Es ist kaputt, das blöde Ding ist endlich kaputt", und die anderen Soldaten fielen sich lachend in die Arme. Brian klaute sich einen Feldstecher, konnte aber nicht sehen, wie die Südstaatler auf der anderen Seite reagierten. Jedenfalls fingen sie nicht an, mit ihren Mörsern zu feuern.
Trotz der Euphorie wollten wir so schnell wie möglich weg. Wir stiegen auf unsere Pferde und die beiden FBI-Tiere, griffen uns unsere Vorräte und alles, was uns der Quartiermeister gegeben hatte (inklusive der schicken blauen Uniformen), und ritten in den Sonnenaufgang davon.

Gegen Mittag kamen wir noch einmal zurück. Das Lager der Nordstaatler war noch da, aber vollkommen verlassen. Auch auf der anderen Seite war niemand mehr zu sehen. Und die blöde Brücke war tatsächlich kaputt.
Da wir den Fluß jetzt nicht mehr überqueren konnten, beschlossen wir, nach Westen zu reiten, auf die Stadt Kingston zu. Mal schauen, ob wir immer noch im Jahr 1863 sind, wenn wir da ankommen. Und ob die Leute in uns immer noch vier nette junge Männer anglo-amerikanischer Herkunft sehen....

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