Pen & Paper - Rollenspiel > Pen & Paper - Spielberichte

[Unknown Armies] Road Movie

<< < (6/8) > >>

Bad Horse:
Irgendwie fehlen mir die kleinen Überschriften. Sieht komisch aus ohne. Geht es euch auch so?

Tropic - All Inclusive

Nach einem längeren Ritt durch die Canyons von Utah kamen wir endlich in Tropic an, einem Touristennest mitten im Bryce Canyon Park. Cleo´s war leicht zu finden - aus irgendeinem Grund (der uns später natürlich klar werden sollte) hatte das Restaurant ein Hawaiithema. Wir wurden also mit 'Aloha' begrüßt und mit Blumenkränzen behängt. Auf der Karte fanden sich alle möglichen pseudo-hawaiianischen Angebote: Hawaii-Burger, Hawaii-Pizza, Hawaii-Chili... Das besondere an all diesen Gerichten war, daß sie auf Teufel-komm-raus mit Ananas dekoriert waren. Ansonsten schmeckten sie eigentlich wie die Originalversionen.
Während wir gegessen haben, traten verschiedene Künstler auf - ein Zauberer, der Brian verschwinden und wieder auftauchen ließ (großes Erstaunen), eine Hula-Gruppe und ein rassistischer Komiker, der meinte, es wäre doch lustig, ein paar Witze über doofe Indianer zu erzählen. Bei dieser Vorstellung verging mir der Appetit, und ich bin erstmal kurz raus. Zum Nachtisch - nachdem der Depp fertig war - traf ich mich dann wieder mit den anderen.

Als wir Cleo´s wieder verließen, standen wir plötzlich nicht auf der Hauptstraße von Tropic in Utah, sondern mitten in einem Ferienressort mit Palmen, weißem Strand und netten Bungalows. Im Hintergrund rauschte das Meer. Ein freundlicher Angestellter begrüßte uns und gab uns rote Bändchen, die wir uns ums Handgelenk binden sollten, zum Zeichen, daß wir Gäste waren. Einige mißtrauische Nachfragen ergaben, daß wir auf der Insel Tropicana waren, die zur Inselgruppe Hawaii gehört, aber kein amerikanisches Territorium ist. Angeblich hatte Brian vor einigen Wochen einen All-inclusive-Urlaub für vier Personen gebucht. Noch fünf Tage durften wir auf der Insel verbringen, uns entspannen, irgendwelche Kurse belegen und alles machen, wonach uns der Sinn stand. War ja all-inclusive - alle Wünsche würden uns hier erfüllt werden.

Natürlich waren wir mißtrauisch (okay, Sylvia, Brian und ich waren mißtrauisch, Kim fand das alles einfach nur toll). Bisher hatten wir ständig Horror- oder Actionfilme nacherlebt - und uns fielen einige Filme ein, die mit Kommentaren wie 'Euch werden alle Wünsche erfüllt' anfingen. Die endeten meistens damit, daß haufenweise Leute aufgegessen oder geistig übernommen werden. Darauf hatte ich keine Lust, Sylvia und Brian auch nicht. Kim war das, glaube ich, eher egal - Hauptsache, er konnte Musik machen.

Aber da wir schon mal da waren, konnten wir auch Gebrauch von den Angeboten machen. Der Angestellte hatte uns freundlich erklärt, daß die Fähre zurück erst in fünf Tagen gehen würde, und daß man die Insel vorher nicht verlassen könnte (das stimmte nicht, wie wir später feststellen sollten - vielleicht hat er es auch anders formuliert, aber wir hatten den Eindruck, wir müßten die nächsten fünf Tage auf jeden Fall auf Tropicana verbringen).
Brian und Sylvia wollten einen Reitkurs machen, Kim wünschte sich ein bestimmtes Instrument. Offenbar geisterte ihm schon seit New Fortune ein Lied im Kopf herum, das man aber nur auf diesem Instrument spielen konnte. Einem sehr seltenen Instrument, von dem es weltweit nur drei Exemplare gibt: Eine Art Gitarre, aber mit anders angeordneten Saiten oder so - ich habe keine Ahnung von Musikinstrumenten. Auf jeden Fall brauchten die Jungs vom Inselteam nur drei Stunden, um ihm sein Instrument zu besorgen. Einen Aufpreis mußte er dafür nicht bezahlen. Bei dem 'all-inclusive'-Angebot waren auch solche Sonderwünsche dabei.

Brian und Sylvia absolvierten ihren Reitkurs auf ihren eigenen Pferden, die ebenfalls auf der Insel waren. Dabei lernte Brian Rachel kennen, eine junge Touristin, die mit ihren Eltern ebenfalls einen all-inclusive-Urlaub gebucht hatte. Die beiden verstanden sich ganz gut und verabredeten sich für den Abend. Sylvia hielt sich eher zurück (vielleicht war auch einfach niemand dabei, der sie interessierte).

Ich war erstmal eine Weile am Strand. Dort traf ich Sarah Ott, eine deutsche Touristin, die ebenfalls mit ihren Eltern im Urlaub war. Außerdem hatte sie noch einen jüngeren Bruder dabei, Maximillian. Wir haben uns eine Weile über alles mögliche unterhalten und abends für die Disco verabredet. Sie schien ganz nett zu sein, und es war schon ziemlich lange her, daß ich das letzte Mal mit einer Frau verabredet war. Gegen einen kleinen Urlaubsflirt hatte ich nicht das geringste einzuwenden, ganz im Gegenteil.

Der Abend verlief dann auch sehr nett. Wir waren alle zusammen in der Disco, mit Rachel und Sarah. Sylvia saß in der Ecke und trank bunte Cocktails, Kim durfte ein Solo auf seinem Instrument spielen und hatte sofort eine Horde Groupies am Hals (darunter auch Sarahs Bruder) und Brian verschwand irgendwann mit Rachel.
Ich und Sarah sind auch spazieren gegangen. Es war total romantisch, Meer, Sterne, weißer Strand... da kam dann so eins zum anderen, und wir haben miteinander geschlafen.

Am nächsten Morgen sind wir (Sarah und ich) zusammen mit ihren Eltern frühstücken gegangen. Ihr Vater hatte offenbar irgendwelche komischen deutschen Indianerromane gelesen und meinte jetzt, alles mögliche darüber zu wissen - jedenfalls begrüßte er mich mit 'Howgh, mein Bruder' und ähnlichen Phrasen. Ich habe eine Weile lang versucht, ihm zu erklären, daß das ziemlich unpassend ist, aber ich glaube nicht, daß er mich verstanden hat. Sarah und ihrem Bruder war sein Getue unglaublich peinlich, aber ich hatte so gute Laune und er war so aufrichtig bemüht, daß es mich nicht wirklich gestört hat.

Brian saß mit Rachel und deren Eltern am Frühstückstisch. Er hielt Händchen mit ihr, und so, wie die beiden sich anguckten, war klar, daß sie die Nacht zusammen verbracht hatten. Das wäre auch alles Klasse gewesen, wenn nicht genau in dem Moment Hope Smith in den Frühstückssaal gekommen wäre.
Ja, genau, die Hope Smith. Brians große 'Oh mein Gott, ich muß sie retten' Flamme aus Hill Rose. Ich weiß nicht, wo sie auf einmal herkam. Sie sah Brian und lief freudestrahlend auf ihn zu - zumindest bis sie sah, daß er Händchen mit Rachel hielt. Natürlich wollte sie wissen, wer Rachel ist, Rachel wollte wissen, wer sie ist, und Brian saß mitten drin und wußte nicht so ganz, was er machen sollte.
Schließlich stürmte Hope aus dem Saal, Brian hinterher. Rachel war nicht sehr begeistert, verzichtete aber glücklicherweise darauf, ebenfalls hinterherzurennen. Etwa eine halbe Stunde später kam Brian wieder, allein. Es war ihm nicht gelungen, Hope zum Bleiben zu überreden. Sie hatte die Insel mittlerweile schon wieder verlassen - mit der Fähre, die angeblich erst in vier Tagen abfahren sollte. Rachel hat Brian dann noch ein paar unschöne Dinge gesagt und ist ebenfalls abgerauscht. Zumindest aus dem Speisesaal.

Das war der Moment, in dem Sarah anfing, mir auf die Nerven zu gehen. Ich wollte eigentlich mit Brian reden - es war ja offensichtlich, daß es ihm nach dieser seltsamen Geschichte nicht gerade spitzenmäßig ging. Erst wollte Sarah unbedingt mitkommen, obwohl sie Brian kaum kannte, und dann war sie beleidigt, als ich ihr sagte, daß es besser wäre, wenn ich allein mit ihm sprechen würde. Das fand ich ein bißchen daneben.
Später habe ich sie dann wiedergetroffen, als wir zusammen einen Kurs in Hawaiianisch belegt haben. Ist eine interessante Sprache, und ich dachte mir, wenn ich schon mal hier bin, was spricht dagegen, ein bißchen was zu lernen? War auch ganz lustig, Sarah und ich haben uns wieder vertragen und viel Spaß gehabt. Nur als sie dann anfing, davon zu reden, daß wir ja später zusammenziehen und eine Ranch haben könnten, fand ich das reichlich voreilig. Schließlich hatten wir uns ja grade erst kennengelernt. Aber irgendwie habe ich es nicht geschafft, ihr klarzumachen, daß sie für mich eigentlich nur ein netter Urlaubsflirt ist.

Brian hatte in der Zwischenzeit einen Alchemiekurs belegt. Der Kurs erinnerte stark an die Unterrichtsstunden bei Professor Snape, die in den Harry-Potter-Romanen beschrieben sind: Ein unfreundlicher Lehrer, der Brian die ganze Zeit runtermachte, lustige Experimente mit Gegengiften und anderen Tränken an einem unglücklichen Kursteilnehmer names Pillington, blubbernde alchemische Mischungen, die alle möglichen Zwecke erfüllen sollten (es aber nicht unbedingt taten, wenn ich das richtig verstanden habe). Brian durfte das Buch mit den alchemischen Rezepten nach dem Kurs behalten. Ich bin immer noch nicht sicher, ob das wirklich so gut war. Besonders erfolgreich war Brian in der Herstellung dieser komischen Tränke bisher jedenfalls nicht.

Kim machte einen Musikkurs mit seinem neuen Instrument, und Sylvia verkroch sich in die Bibliothek, um ein wenig zu lesen. Dabei fand sie ein seltenes, sehr fachspezifisches Buch über Genetik, das eigentlich nur in einigen wenigen Spezialsammlungen herumsteht. Nicht einmal die U of C hat dieses Buch.
Ich weiß nicht, warum Sylvia sich deswegen so aufgeregt hat. Sie sagte, es sei ein Beweis, daß hier auf der Insel etwas nicht stimmen würde, aber das wußten wir eigentlich auch schon vorher. Die wenigsten tropischen Inseln haben wurmlochartige Eingänge von Utah aus. Vermute ich zumindest.

An diesem Abend passierte nicht mehr viel. Kim wurde beim Musikspielen am Strand massiv von seinen Groupies belästigt, die ihn nicht mal zum Essen fortgehen lassen wollten. Glücklicherweise konnten wir die Kids überzeugen, daß er mit vollem Magen viel besser spielen könnte... Ich glaube, er ist dann später mit einem seiner Groupies im Schlafzimmer verschwunden, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Ich habe die Nacht jedenfalls wieder mit Sarah verbracht. Ich weiß, ich weiß, das hätte ich vielleicht besser lassen sollen - es war ja klar, daß ihr Interesse an mir viel ernsthafter war als meins an ihr. Aber ich hatte keine Lust auf eine Konfrontation mit ihr, also habe ich einfach mitgemacht.
Das Problem hatte ich schon früher immer mit Frauen: Ich kann einfach nicht 'Nein, danke' sagen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich solange mit Claire zusammen war. Und warum die Sache mit Mel so schief gelaufen ist. Aber das geht jetzt echt zu sehr ins Detail und hat mit diesem Bericht absolut nichts zu tun.

Weiter im Text:
Am nächsten Tag stand für Sylvia, Brian und mich ein Schußwaffenkurs auf dem Programm. Rachel und Sarah hatten sich ebenfalls angemeldet, und Rachel sah die ganze Zeit so aus, als würde sich lieber auf Brian als auf die Zielscheibe schießen. Sarah klebte die ganze Zeit an mir dran und wollte, daß ich ihr dies und das zeige. Das nervte nun wieder, schließlich wollte ich selber üben und die Chance ausnutzen, mal einen professionellen Lehrer zu haben. Nach der x-ten Frage wurde ich unfreundlich, und Sarah zog schmollend von dannen.
Brian fing ein Gespräch mit ihr an und erzählte, ich hätte Bindungsängste, blablabla (erinnert mich jetzt irgendwie an Claires Gefasel). Sie sollte einfach die Unnahbare spielen, dann würde ich schon wieder auf sie anspringen. Das peinliche daran ist, daß es geklappt hat... ich dachte eben, sie wäre verletzt, und wollte das ganze wieder halbwegs ins Lot bringen.

Während wir auf Pappscheiben schoßen, unterzog sich Kim einer Operation. Sein Ohr klingelte seit der Schießerei in New Fortune in unregelmäßigen Abständen immer wieder, und die Bediensteten von Tropicana versicherten ihm, sie könnten das beheben. Das haben sie auch geschafft: Jetzt klingelt sein Ohr nicht hin und wieder, sondern er hört einfach gar nichts mehr damit. Naja, Beethoven war ja zum Schluß auch taub.

Vor dem Abendessen hingen wir bei Kim auf dem Zimmer herum, das wieder mal von seinen Groupies belagert wurde. Schließlich ging ihm das Gegröhle so sehr auf die Nerven, daß er den Zimmerservice anrief und die Leute bat, sich darum zu kümmern, daß er nicht mehr belästigt werden würde.
Ungefähr drei Minuten später hörte das Gegröhle abrupt auf. Als wir vorsichtig aus dem Zimmer schauten, war der Gang davor leer. Nur ein einsames rotes Bändchen lag herum. Eins von den roten Bändchen, die alle Gäste auf der Insel trugen.
Wir waren ein bißchen beunruhigt, weil wir nicht wußten, was mit den Groupies passiert war. Auf Anfrage erklärte uns die Rezeption freundlich, die Störenfriede wären 'entfernt' worden. Als wir uns auf die Suche nach Sarahs Bruder Max (der ja zu den Groupies gehört hatte) machten, konnten wir ihn nirgendwo auftreiben. Er schien von der Insel verschwunden zu sein.

Brian kam auf die Idee, einen alchemischen Trank zu brauen, der uns helfen würde, Max wiederzufinden. Dafür brauchte er allerdings irgendwas persönliches von dem Jungen... Das war dann mein Job: Sarah und Max schliefen in demselben Zimmer. Also ging ich los, um sie zu verführen. Kein Problem, trotz ihrer 'Unnahbarkeit' stand sie immer noch mich, und ich konnte sie auch überreden, diesmal zu ihr zu gehen. Nachdem wir Sex miteinander hatten, ist sie eingeschlafen. Ich habe eine von Max´ benutzten Socken geklaut und mich davon gemacht. Das war ganz schön schäbig von mir, einfach so mit ihr zu schlafen, nur um in ihr Zimmer zu kommen. Obwohl ich ja wußte, daß sie sich in mich verliebt hatte. Ich kam mir ziemlich mies vor.
Brian mischte sein Gebräu, warf die Socke hinein und trank das ganze aus (wenn ich gewußt hätte, daß er es trinken muß, hätte ich nach etwas anderem als nach einer Socke geschaut... andererseits weiß ich nicht, ob ein Fußnagel-Cocktail so viel lustiger für ihn gewesen wäre). Der Effekt trat unmittelbar ein: Brian gab ein seltsames Geräusch von sich und rannte aus dem Zimmer wie ein angestochener Luftballon. Sylvia und ich folgten ihm - er hatte ein Gegenmittel gebraut, für den Fall, daß etwas mit dem Gebräu schiefgehen sollte. Weise Voraussicht.

Bad Horse:
Knurrend und schnüffelnd raste Brian auf Rachels Zimmer zu, rannte hinein und warf sich auf das schlafende Mädchen. Dabei wedelte er enthusiastisch mit seinem Hinterteil und fing an, Rachel übers Gesicht zu schlabbern. Offenbar war da etwas zu viel Essenz vom Hund in seinem Trank...
Gemeinsam gelang es Sylvia und mir, Brian das Gegenmittel einzuflößen. Wieder wirkte das Gemisch schlagartig: Von einer Sekunde auf die andere war Brian wieder normal. Leider hatte Rachel nur sehr wenig Verständnis für seine alchemischen Versuche - sie war unglaublich sauer. Wir konnten sie nicht davon abhalten, die Rezeption anzurufen und zu bitten, dafür zu sorgen, daß Brian sie nicht mehr belästigt. Es sah so aus, als sollten wir demnächst herausfinden, was mit Leuten passiert, die hier jemanden belästigen.

Kim war bei der Sache natürlich nicht dabeigewesen - er war raus zum Strand gegangen, um dort ungestört zu musizieren. Nach der Geschichte mit Brians Trank ging ich zu ihm, um nachzusehen, ob er in Schwierigkeiten war. War auch besser so: Kim hatte in der Zwischenzeit bei der Rezeption angerufen und darum gebeten, wieder belästigt zu werden. Er meinte seine Groupies, aber leider hat er das nicht ganz so spezifisch gesagt.
Der Wunsch wurde ihm prompt erfüllt: Eine Gruppe Besoffener schwankte heran und machte ein paar rassistische Bemerkungen über Asiaten. Ich sagte ihnen, sie sollten verschwinden, sie wechselten spontan ihr Ziel und fingen an, auf mich loszugehen. Obwohl sie ziemlich betrunken waren, sah es nicht gut für mich aus - sie waren immerhin zu sechst, und ich wollte nicht unbedingt auf die Kerle schießen.
Wieder rief Kim bei der Rezeption an und bat darum, die Kerle zu beseitigen. Kein Problem, ungefähr eine halbe Ewigkeit später (ein oder zwei Minuten, aber mir kam es länger vor) tauchten ein paar Angestellte auf und beschossen die Betrunkenen mit seltsam aussehenden Waffen. Bei jedem Treffer verschwand einer der Typen - wohin, weiß ich bis heute nicht.

In der Zwischenzeit versuchte einer der Angestellten, Brian zu entsorgen. Er bedrohte ihn mit einer dieser lustigen Pseudopistolen, aber es gelang Brian und Sylvia, den Mann zu entwaffnen und ein paar gezielte Fragen zu stellen. Sie fanden heraus, daß Wünsche nicht aufgehoben werden können - auch nicht mit neuen Wünschen. So wie es aussah, mußte Brian von der Insel verschwinden.
Als Kim und ich zu den beiden stießen, wünschte sich Sylvia, daß man uns lebendig und unversehrt nach L.A. bringt, zusammen mit unseren Pferden und unserem Gepäck.
Wir wurden in eine Art Hangar gebracht. Nach einigen weiteren Spezifikationen (wir wollten bei Bewußtsein bleiben, ich wollte keine Spritze, und so weiter) kriegten die anderen ein Medikament verabreicht, daß ihre Muskeln lähmte. Mich banden die Jungs in einer Transportkiste fest, die anderen wurden einfach so in die Kisten hineingelegt. Dann ging´s los: Wir wurden in ein Flugzeug verladen und weggeflogen. Einige Zeit später warf jemand die Kisten ab. Wir fielen ein Stück (lange genug, um wirklich in Panik zu geraten), dann öffneten sich die Fallschirme und wir glitten mehr oder weniger sanft zu Boden.

Dort erwarteten uns zwei Überraschungen: Neben uns, unserem Gepäck und unseren Pferden waren noch zwei andere Kisten abgeworfen worden. In einer davon war Sarah Ott, die sich offenbar gewünscht hatte, den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen, und in der anderen der Sarg von Kims Mutter. Er muß vergessen haben, den Leuten zu sagen, daß er sie lebendig wieder haben will.
Nach diesem Schock erwartete uns ein zweiter (wenn auch nicht ganz so großer): Wir waren nicht etwa in Los Angeles gelandet, sondern auf der Farm von Lars Armstrong - der L.A.-Farm. Da hat jemand echt Sinn für Humor, denn das war die Farm in der Nähe von Panguitch, auf der Brian logiert hatte, während das CIA Sylvia, Kim und mich festhielt.

Gut, das warf uns ein paar Tagesreisen zurück, aber das war nicht weiter dramatisch. Das Problem war nur, was wir mit unseren beiden Gästen - Sarah und dem Sarg - tun würden. Sarah konnten wir überreden, zurück nach Deutschland zu ihren Großeltern zu fliegen, auch wenn das hieß, daß wir sie zum nächsten Flughafen nach Cedar City begleiten mußten.
Aber der Sarg? Wie hätten wir das der Polizei erklären sollen? Schließlich lag das Grab von Mrs. Parker in New York... und Kim wollte den Sarg nicht allein lassen. Nach längerer Diskussion rief er seinen Vater an und bat ihn, zu Armstrongs Farm zu kommen und den Sarg abzuholen.

Kims Vater war natürlich nicht sehr begeistert. Er tauchte noch in derselben Nacht in einem Hubschrauber auf und wollte außer dem Sarg auch noch Kim mitnehmen. Ich glaube, Kim wäre mit ihm mitgegangen, wenn sein Vater auch nur das geringste Fingerspitzengefühl gezeigt hätte. Aber Samuel Parker ist offenbar gewohnt, sich um jeden Preis durchzusetzen, und hat nicht einmal versucht, Kim eine Wahl zu geben.
Als er merkte, daß Kim seine Entscheidung getroffen hatte, wurde er aggressiv, erzählte etwas davon, daß uns das noch leid tun würde und daß er von nun an keinen Sohn mehr hätte. Dann flog er mit dem Sarg davon.

Wir ritten weiter bis Cedar City, wo wir Sarah ablieferten und noch einige Einkäufe tätigten. Ich rief meinen Vater an und erzählte ihm, daß mein Arm wohl für immer kaputt ist. Er war natürlich nicht begeistert, blieb aber ruhig. Ich schätze, wenn ich wieder zu Hause bin, werden wir über alles sprechen, aber im Augenblick läßt er mir einfach den Freiraum, den ich brauche. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar.

Kim gelang es in Cedar City, zwei der Pdf-Dateien, die wir Smith und Jones abgenommen hatten, zu entschlüsseln. Es waren zwei Gedichte: The Hollow Men von Eliot (10.12.1876), und Parsifal von Wolfram von Eschenbach, in Mittelhochdeutsch (10.86.1101). Kim war enttäuscht - er fängt mit Gedichten wenig an, aber ich fand das sehr interessant. Warum sollten zwei seltsame (Pseudo?)agenten verschlüsselte Dateien mit Gedichten mit sich herumtragen? Gute Frage. Ich weiß nicht, ob es nur ein Code ist. Vielleicht hat das auch andere Gründe. Worte können ganz schön mächtig sein.

Als nächstes ritten wir zurück nach Tropic, um uns nochmal bei Cleo´s umzuschauen. Dabei landeten wir kurzfristig noch mal auf Tropicana, aber mein erster, unwillkürlich geäußerter Wunsch war, daß man uns alle sofort wieder zurückbringen sollte. Und bevor die anderen  noch irgendwelche lustigen Wünsche äußern konnten - außer Kim, der den Angestellten zur Seite nahm und ihm irgendwas erzählte -, waren wir schon wieder in Tropic. Puff.
Oh, wir waren übrigens diesmal nicht die einzigen, die von Utah aus nach Tropicana ge-wurmlocht worden waren: Da war noch ein Hollow Man, der uns schon vorher in Tropic aufgefallen war. Noch ein Grund mehr, nicht da bleiben zu wollen. Wer weiß, was dem sonst für Wünsche eingefallen wären.

Die Leute in Cleo´s - und auch auf Tropicana - hatten übrigens eine merkwürdige Einstellung, was die Behandlung ihrer Angestellten angeht: Ein Page, der irgendwie Brians Ausweis beim Rücktransport nach Utah verbummelt hatte, wurde als Strafe ganz übel zusammengeschlagen. Die Wirtin schien das für ganz normal zu halten. Wir haben zwar die Polizei gerufen, aber ich hatte den Eindruck, daß der Sheriff von Tropic ein guter Freund von Cleo ist und der Sache nicht allzu viel Beachtung schenken wird.

Bad Horse:
Jedenfalls führte uns die Begegnung mit dem Hollow Man (bzw. seinem Terminplaner) in Tropic direkt ins nächste Kapitel:

Las Vegas - Der Navajo-Schatz

Wir waren gerade dabei, aufzubrechen, als wir das Motorrad unseres Hollow Man unbeaufsichtigt am Straßenrand herumstehen sahen. Kim wollte es sofort klauen, aber wir konnten ihn davon abhalten. Was sollten wir auch mit einem gestohlenen Motorrad anfangen? Sylvia und Brian kamen auf die Idee, seine Satteltaschen zu durchsuchen. Zwischen gebrauchten Socken, Rasierzeug und anderem Krimskrams entdeckten wir einen Terminplaner.
Darin fanden wir zwei Daten, die uns wichtig erschienen: „08.09.: Don treffen“ und „09.09. Angelita, Caesar´s Palace, 10.30 Uhr“. Außerdem gab es vor zwei Wochen (Mitte August) einen Bikertreff in Flagstaff.
Natürlich konnten wir nicht mit Sicherheit sagen, ob mit ‘Don’ mein Cousin und mit ‘Angelita’ Sylvias Schwester gemeint waren oder nicht. Aber wenn es sich tatsächlich um die beiden handelte, mußten wir etwas unternehmen. Ich rief Don an und warnte ihn, daß er sich am 8. lieber vorsehen sollte. Sylvia versuchte, ihre Schwester oder ihren Ehemann zu erreichen, hatte aber zunächst keinen Erfolg. Auch ein Anruf beim Caesar´s Palace in Las Vegas brachte nichts - die Rezeption war nicht bereit, Sylvia zu erzählen, ob ihre Schwester sich angemeldet hatte oder nicht.

Also kippten wir dem Hollow Man ein bißchen Hawaiichili in den Tank, klebten ihm ein Bild von einem putzigen rosa Kaninchen auf sein Bike und brachen auf nach Las Vegas. Es war schon der erste September, wir hatten nur acht Tage Zeit, um rechtzeitig dorthin zu kommen. Das hieß Gewaltritt, ein Stück davon sogar durch die Wüste. Ich bin froh, daß wir mittlerweile alle halbwegs geübte Reiter sind, sonst hätten wir das wohl nicht geschafft.
Zwischenzeitlich - am 04. September - hatte Sylvia Geburtstag, ihren dreiundreißigsten. Wir haben ihr einen Motorradhelm und eine Schachtel Zigarren geschenkt. Den Motorradhelm, damit sie sich tarnen kann (irgendwer hat ihr einen von den rosa-Kaninchen-Aufklebern, die der Hollow Man in Tropic abbekommen hatte, auf den Helm gepappt...), und die Zigarren, damit sie sie rauchen und „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“ sagen kann.
Der Helm schien ihr zu gefallen, sie hat ihn den gesamten Ritt über getragen - nur das putzige Kaninchen hat sie wieder abgepopelt. (Schade, ich dachte, wir könnten in Zukunft die Rosa-Kaninchen-Gang sein .)

Nach acht Tagen kamen wir früh am Morgen des 09. September in Las Vegas an - völlig verdreckt, erschöpft und ausgelaugt, aber wir waren da. Als erstes mieteten wir uns im Excalibur ein, da hatten sie sogar Platz für unsere Pferde (die den Ritt übrigens erstaunlich gut verkraftet haben). Als nächstes machten wir uns auf den Weg zum Caesar´s Palace, um dort nach Dr. Angelita Sinclair zu suchen.
Sylvia erfuhr an der Rezeption, daß eine Dr. Sinclair hier abgestiegen sei, sie aber telefonisch nicht zu erreichen wäre, weil das Caesar´s gerade eine allgemeine Telefonstörung hätte. Aber der Angestellte gab Sylvia die Zimmernummer - das hätte uns eigentlich stutzig machen sollen, das machen sie normalerweise nämlich nicht. Sylvia war allerdings so in Sorge, daß sie das nicht registrierte. Sie und Kim fuhren mit dem Aufzug nach oben, während Brian und ich unten warteten. Wir wollten Angelita ja nicht nur deswegen verpassen, weil wir alle im Aufzug herumstanden.

Als Sylvia und Kim oben ankamen, war Angelitas Zimmer zunächst leer. Sie schauten sich um, und dabei wurde Sylvia von einem Hollow Man, der im Gang gewartet hatte, gefangen genommen. Es gelang ihr, vorher noch unsere vereinbarte Notfall-SMS abzuschicken, aber Brian und ich waren ohnehin schon nervös geworden und auf dem Weg nach oben.
Als wir in dem Stockwerk ankamen (ich weiß nicht mehr, welches es war), war die Tür von Angelitas angeblichem Zimmer zu. Dahinter hörten wir Stimmen murmeln, und dann plötzlich einen Schlag und einen Aufschrei - Sylvia. Ich trat die Tür ein (ich habe noch nie vorher eine Tür eingetreten, aber es war eigentlich ganz einfach), Brian rief, sie sollten die Waffen fallen lassen. Ich sah, wie der Hollow Man seine Waffe auf Sylvia richtete, und schoß auf ihn. Traf ihn auch, aber nicht tödlich.
Leider war das nicht der einzige Hollow Man im Raum. Ein zweiter hatte Kim gefangengenommen und hielt ihm seine Pistole an den Kopf. Er forderte uns auf, die Waffen fallenzulassen. Wir taten es. Brian zückte sein Handy und versuchte, die Polizei anzurufen, aber der Hollow Man sah, was er tat, und sagte ihm, er solle das Handy ebenfalls fallenlassen. Brian gehorchte. Immerhin hatte er die Nummer schon gewählt und auf ‘anrufen’ gedrückt.
Mit Kim als Geisel zwangen die beiden Hollow Men uns, ins Treppenhaus zu gehen und nach oben zu steigen. Leider konnte der, den ich angeschossen hatte, noch laufen. Also liefen Brian und ich vorne, dann Sylvia, dann Kim mit der Pistole im Rücken und zum Schluß die beiden Hollow Men, erst der unverletzte und hinter ihm der verletzte.

Ich wußte nicht, was uns auf dem Dach vom Caesar´s erwartete, aber ich vermutete, daß die beiden Kerle dort Verstärkung erhalten würden. Oder uns einfach zwingen wollten, zu springen. Egal, ich glaubte nicht, daß die Situation sich für uns auf dem Dach verbessern konnte. Also ging ich ein Risiko ein: Ich sprang den Kerl mit der Waffe an.
Ich erwischte ihn nicht besonders gut, er schoß, Kim stolperte nach vorne und fiel. Brian sprang den Verletzten an, und danach wurde es chaotisch. Ich zog mein Messer, wollte den unverletzten Hollow Man erwischen, verlor das Gleichgewicht und fiel zusammen mit dem Verletzten die Treppe herunter. Brian hob die Waffe auf, die der Verletzte verloren hatte. Sylvia fing an, die Polizei per Handy zu rufen, der unverletzte Hollow Man schoß auf sie, bis Brian ihn zweimal von hinten erwischte. Ich hatte mein Messer an der Kehle des Verletzten, als der Sicherheitsdienst des Hotels ankam.

Danach tauchte auch noch die Polizei auf, und es wurde etwas unübersichtlich. Kim, der verletzte Hollow Man und ich wurden erstmal ins Krankenhaus gebracht. Kim lebte noch, er hatte nur einen glatten Durchschuß in der Seite. Nichts lebenswichtiges getroffen. Glück gehabt. Ich hatte nur einen Haufen Prellungen und Schürfwunden, nichts gebrochen, nichts gezerrt. Auch Glück gehabt.
Die Polizei behielt Brian und mich - nachdem ich von einem Arzt untersucht worden war - erstmal da. Immerhin hatten wir irgendwelche Leute angeschossen oder getötet. Sylvia war außer sich vor Sorge: Sie hatte die Hollow Men auf dem Weg nach oben nach ihrer Schwester gefragt. Der unverletzte Kerl grinste nur und behauptete, sie hätten viel Spaß mit Angelita gehabt. Sylvia wußte, daß ihre Schwester hochschwanger war, und sie hatte bei allen Versuchen, sie unterwegs zu erreichen, keinen Erfolg gehabt.

Ich rief natürlich Don an - der den 08. September übrigens unbeschadet überstanden hatte -, und bat ihn, nach Vegas zu kommen, weil wir mal wieder legale Schwierigkeiten hätten. Das erwies sich zunächst als unnötig: Nachdem wir ein paar Stunden in einer Zelle gewartet hatten, tauchten zwei geschniegelte Anwälte auf und holten uns raus. Offenbar war es ihnen gelungen, den Staatsanwalt zu überzeugen, keine Anklage gegen uns zu erheben.
Die beiden hießen George MacLure und William Hanson und arbeiteten für Mr. Archibald Summers, der sie gebeten hatte, sich um uns zu kümmern. Sie wußten nicht, warum, überbrachten uns aber eine Einladung zum Mittagessen mit unserem Wohltäter für den nächsten Tag im Luxor. Wir sagten natürlich zu.

Danach kriegten Brian und ich unseren beschlagnahmten Kram wieder zurück. Als die Polizisten mir meine Waffe gaben, stellte ich fest, daß es zwar dasselbe Modell war, aber definitiv nicht meine Pistole. Ich weiß nicht mal genau, woran ich das gemerkt habe - vielleicht stimmte das Gewicht einfach nicht ganz, oder der Griff war ein bißchen anders geriffelt, keine Ahnung. Sollte es mich jetzt beunruhigen, wie vertraut mir meine Glock mittlerweile ist? Vielleicht, aber eigentlich tut es das nicht. Mich beunruhigte in dem Moment viel mehr, daß das eben nicht meine Waffe war.
Ich habe die Ausgabe der falschen Pistole abgelehnt. War ja nicht meine, und das habe ich den Polizisten auch gesagt. Die wußten auch nicht, was das zu bedeuten hatte, wollten die Waffe aber mal durch ihren Computer jagen. Ich versprach ihnen, die Dokumente von meiner Glock sofort per Fax zu schicken. Wenn die Waffen nicht in der Asservatenkammer durcheinander geraten waren (und so etwas kommt vor, Don hat mir da ein paar haarsträubende Geschichten erzählt), dann war hier etwas ganz schön faul.

Brian und ich holten Sylvia ab, die immer noch auf Neuigkeiten von ihrer Schwester warteten. Gemeinsam fuhren wir ins Krankenhaus, um nach Kim zu schauen. Dem ging es schon wieder ganz gut, er war bei Bewußtsein und wollte einen Laptop haben, um die blöden Pdf-Dateien weiter zu entschlüsseln.
Nach dem Besuch gingen wir zurück ins Excalibur, um erstmal zu duschen und ein paar Sachen für Kim zusammenzusuchen. Im Hotel erfuhren wir, daß für den Abend ein Ritterturnier mit Bankett geplant war. Das klang eigentlich ganz gut - etwas Entspannung konnten wir alle brauchen.
Sylvia telefonierte noch ein wenig herum und erfuhr schließlich, daß ihr Schwager in Ägypten bei einer Ausgrabung ist (er ist Archäologe und heißt ebenfalls Dr. Sinclair - da er Afrikaner ist, war es ihm offenbar zu umständlich, seinen früheren Nachnamen dauernd buchstabieren zu müssen). Es gelang ihr, ihn über das British Museum in Kairo zu erreichen. Er war ganz erfreut, von ihr zu hören, und ja, seine Frau war bei ihm. Nach Sylvias Warnung bei einem früheren Telefongespräch hatte sie beschlossen, lieber mit nach Ägypten zu fliegen. Das Kind war auch schon da, ein Junge, der den schönen (?) Namen Thutmoses erhalten hatte. Angelita sprach eine Weile mit Sylvia, sie verstand gar nicht, warum ihre Schwester so viel Aufregung veranstaltet hatte. Oh, und wenn sie schon mal dran war - konnte sie vielleicht die Nachbarn bitten, sich um die Blumen zu kümmern? Gut, daß die Sinclairs keine Haustiere haben.

Im Krankenhaus entzifferte Kim eine weitere Datei, aber da waren nur 50 Seiten Nullen und Einsen enthalten. Wenn es ein Binärcode war, dann keiner, den er oder Brian entschlüsseln konnten. Ein Gedicht war es nicht - es gibt Binärgedichte, aber die sind normalerweise nicht 50 Seiten lang.
Da Kim schon wieder so fit aussah, fragten wir, ob wir ihn zum Bankett mitnehmen könnten. Der Arzt war zwar nicht begeistert, entließ ihn jedoch auf eigene Verantwortung.

Das Bankett am Abend war ganz nett: Pseudo-mittelalterliche Bedienung, Turnier mit Lightshow, Gaukler, Feuerspeier, Heavy Metal (fragt mich nicht, warum die Ritterspiele damit unterlegt waren... vielleicht, weil die Ritterknilche Metall trugen) und Hollow Men. Ja, die Jungs waren auch da. Sie haben sich auch kurz bei uns blicken lassen und uns zugenickt, aber ansonsten waren sie friedlich. Wir auch, schließlich waren lauter Zivilisten um uns herum. (Zivilisten? Und was sind wir? Die Special Task Force? Naja, Tatsache ist, daß wir mittlerweile wahrscheinlich mehr Erfahrung mit Schußwechseln und anderen Gewaltausbrüchen haben als der durchschnittliche amerikanische... Zivilist.)

Am nächsten Tag haben wir uns auf das Treffen mit Archibald Summers vorbereitet. Im Internet stand einiges über ihn: Er ist der CEO von Summers Transports Inc., einer Transport- und Logistikfirma, er lebt normalerweise in Los Angeles (ausgerechnet), und er hat Kontakte zur Mafia. Bei der letzten Information waren wir uns nicht ganz sicher, schließlich konnten wir im Internet ja auch herausfinden, daß mein Dad ein al-Qaida-sympathisierender Ökoterrorist ist. Ich rief meinen Onkel Harry an (der Polizist, der für organisiertes Verbrechen zuständig ist) und fragte mal nach, ob er irgendwas über Summers wußte. Er versprach mir, sich kundig zu machen, aber das konnte natürlich dauern. Meinen Dad habe ich auch angerufen und nach STI gefragt, der kennt sich mit diesem Wirtschaftskram schließlich aus. Nach seinen Informationen gehört die Firma zu den fünf größten Transportunternehmen der USA. Also ist Summers eine echt große Nummer.

Bad Horse:
Das Treffen mit Summers fand, wie schon gesagt, im Luxor statt. Nach dem hevorragenden Essen erfuhren wir dann, was er eigentlich von uns wollte: Vor einiger Zeit haben die Hollow Men den Navajo ein paar heilige Indianerketten gestohlen, die sich jetzt im Penthouse des Mirage befinden würden. Summers bat uns nun, die Ketten für zwei seiner ‘Klienten’ zu besorgen - wie, sei ihm egal. Die Klienten wollten ungenannt bleiben, wären aber selber Navajos, hätten aber irgendwelche ungenannten Schwierigkeiten, weshalb sie sich erst bei der Übergabe mit uns treffen könnten.
Wir wußten nicht so ganz, wie wir reagieren sollten, also sagten wir Summers, wir müßten uns das überlegen. Er lächelte freundlich, gab uns einen Umschlag mit Informationen über die Ketten und das Penthouse, stellte uns eine Belohnung in Aussicht und machte ein paar Bemerkungen über Kims seltenes Instrument. Dann kriegten wir noch eine Visitenkarte mit der Nummer seines Privatsekretärs, damit wir ihn bei Fragen erreichen konnten. Als wir gingen, konnte ich mich nicht davon zurückhalten, die Titelmelodie vom A-Team zu pfeifen.

@A-Team: Ich fand die Serie toll, als ich ungefähr zehn oder elf war. Wir haben das damals stundenlang gespielt - ich war immer Face, wenn es jemanden interessiert. Die Phase ging irgendwann vorüber, aber ein paar von den Sachen, die uns gerade passieren, erinnern mich stark an damals. Das nur, um meine ständigen Referenzen zu erklären.

Zurück in unserem Hotel wußten wir nicht so ganz, was wir von der Sache halten sollten. Summers´ Bemerkungen über Kims Instrument hatten vage bedrohlich geklungen - kannte er denjenigen, dem das Ding ursprünglich gehört hatte? Woher wußte er überhaupt davon? Seit wir in Vegas waren, hatte Kim nicht darauf gespielt.
Die Geschichte mit der Kette war ebenfalls ziemlich nebulös. Was hatten die Hollow Men damit zu tun? Wohnte einer von denen im Penthouse des Mirage? Wer waren diese obskuren Navajo, und was wollten sie mit den Ketten? Was waren das überhaupt für Ketten? Summers hatte uns ein Bild von ihnen gegeben. Sie ähnelten der Tigeraugenkette, mit der wir schon häufiger zu tun hatten, nur waren sie mit Türkisen verziert. Eins war sicher: Wir brauchten mehr Informationen.

Als erstes rief ich Natalie Begay an, eine Kunststudentin, die ich in der Navajo Nation kennengelernt hatte. Nachdem ich ihr die Bilder gefaxt hatte, konnte sie mir sagen, daß es sich bei den beiden Ketten um sogenannte Häuptlingsketten handeln würde, die von den Ältesten der jeweiligen Clans getragen werden. Irgendwie glaube ich nicht, daß es sich bei den beiden Bekannten von Summers um Älteste handelt. Die schienen ziemlich reich zu sein. Oder gar nicht zu existieren.

Dann machten wir uns auf den Weg ins Mirage, um herauszufinden, wer sich eigentlich im Penthouse eingemietet hatte. Leider hatten wir an der Rezeption keinen Erfolg, also besorgten sich Brian und Sylvia einen Job im Mirage - Sylvia als Zimmermädchen, Brian als Küchenhilfe. Kim erhielt zunächst die Auskunft, sie bräuchten keine Musiker, aber nachdem er dem Manager eins seiner Stücke aufs Band gespielt hatte, änderte der spontan seine Meinung und buchte Kim noch für denselben Abend.
Ich verabredete mich mit einer der Angestellten zur Abendshow und machte mich dann auf die Suche nach Reportern. Schließlich gab das Mirage einiges an Stories her. War auch nicht weiter schwierig, einen zu finden. Ich erzählte ihm, daß ich hin und wieder für die Studentenzeitung in Chicago geschrieben hätte (stimmt sogar) und jetzt vielleicht einen Artikel über Las Vegas zusammenstellen wollte. Während er sich mit mir über das Mirage und andere Hotels unterhielt, konnte ich herausfinden, daß im Penthouse ein gewisser Scheich Achmed ibn Faroud abgestiegen sei. Das klang ja nicht nach einem Hollow Man.

Wir fanden ziemlich schnell heraus, daß Scheich Achmed ein entfernter Verwandter des saudischen Könighauses ist und nur einmal im Jahr in die Staaten kommt - nach Las Vegas, um zu spielen. Er schätzt Gesellschaft nicht sehr, er hat seine eigenen, privaten Räume, in denen er spielt. Veranstaltungen und Shows interessieren ihn nicht. Es sieht nicht so aus, als hätte er Verbindungen zur Mafia oder zu den Hollow Men. Allzu lange wollte er auch nicht bleiben - es hieß, er würde schon in einer Woche wieder abreisen.

An diesem Abend hatte Kim seinen Auftritt im Mirage. Ich war da, zusammen mit Monica, der Animateurin, die ich vorher eingeladen hatte. Es war ziemlich voll, sogar ein paar Hollow Men waren da. Ich erfuhr von meiner Begleiterin, daß die sich häufiger im Mirage herumtreiben. Sie war der Meinung, daß wären eigentlich ganz nette Kerle. Dazu hatte ich nicht sehr viel zu sagen.
Kims Auftritt zog jedenfalls alle Zuschauer in seinen Bann. Ich meine das wortwörtlich: Die Leute hörten ihm mit offenem Mund und glasigen Augen zu, sogar die Hollow Men. Ich schien der einzige zu sein, der davon nicht betroffen wurde, ansonsten waren alle völlig gefesselt: Alte Leute, junge Leute, Schwarze, Weiße, Biker und Geschäftsleute. Schön für Kim, aber ich fand das nicht gerade beruhigend. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, wo er seine musikalischen Fähigkeiten eigentlich her hat. Aber ich bezweifle, daß es viel Sinn hat, mit ihm darüber zu reden. Er ist ja selbst völlig von seiner Musik besessen. Mein Fall ist sie, ehrlich gesagt, nicht unbedingt. Ich meine, sie ist nicht schlecht, aber es gibt Sachen, die ich lieber höre. Immerhin kann ich mich über die Texte nicht beschweren... naja, sind ja auch von mir. 
Danach bot ihm das Mirage einen Vertrag auf Lebenszeit an, auf den Kim jedoch nicht einging. Statt dessen wollte er sich für eine Woche verpflichten - Brian und Sylvia würden eine Woche im Mirage arbeiten müssen, bevor sie ihren Lohn kriegen konnten, also wollten wir auf jeden Fall so lange da bleiben. Die Hollow Men im Mirage schienen ja friedlich zu sein.
Kim kriegte außerdem noch einen Plattenvertrag angeboten - innerhalb eines Jahres sollte er für ein Studio in Los Angeles eine Platte aufnehmen. Das schien ihm machbar, also unterschrieb er den Vertrag. Naja, ich wünsche ihm alles Gute. Länger als ein Jahr sollten wir eigentlich nicht mehr nach L.A. brauchen.

Vier oder fünf Tage lang pendelte sich eine gewisse Routine ein: Brian und Sylvia arbeiteten, Kim bereitete sich auf den Abend vor, und ich saß im Foyer des Mirage herum, schrieb an meiner Geschichte und beobachtete die Leute.

Zwischendurch hatte Kim mal wieder Probleme mit aufdringlichen Groupies. Irgendwann fand Sylvia, die sich mit ihm ein Zimmer teilte, drei halbnackte junge Mädchen in ihrem Bett, die auf Kim warteten. Die Mädels haben ihr 200 Dollar gegeben, damit sie das Zimmer verläßt und irgendwo anders hingeht.
Brian, das Genie, kam auf die Idee, ebenfalls abzukassieren. Aber als die Mädchen hörten, daß er ein Freund von ihrem Idol ist, zerrten sie ihn einfach mit ins Bett. Ich weiß nicht genau, was dann noch passiert ist, jedenfalls ging Kim später rein und Brian kam kurz danach raus.
Am nächsten Morgen fiel Kim dann auf, daß seine drei Grazien alle noch verdächtig jung aussahen. Naja, zumindest hat er verhütet. Wahrscheinlich zumindest.
Das Groupie-Problem wurde nie so akut wie auf der Insel, aber ab und zu mußte ich trotzdem Bodyguard für Kim spielen und die Leute überzeugen, daß er ab und zu auch mal Ruhe braucht.

Schließlich rief Summers an - er wollte wissen, wie wir uns entschieden hätten. Wir verabredeten, uns am nächsten Tag mit ihm zu treffen, wieder im Luxor. Dort erklärten wir, wir würden versuchen, an die Ketten heranzukommen, aber wir wüßten noch nicht, ob wir das schaffen könnten (eigentlich hatten wir vor, die Woche abzuwarten, unser Geld zu kassieren und dann zu verschwinden. Wäre wahrscheinlich auch intelligenter gewesen). Brian fragte nach Spesen, und Summers gab uns einen Scheck über 5.000 Dollar. Als nächstes wollten wir wissen, ob er schon auf legalem Weg versucht hätte, an die Ketten zu kommen. Summers zuckte mit keiner Wimper, erklärte uns, daß man sie ihm nicht verkaufen wollte, aber daß uns das nicht abhalten solle, es selber auf diese Weise zu versuchen. Schade eigentlich, wir hatten ein Band mitlaufen. Wäre doch schön gewesen, wenn wir eine Aufforderung zu einer Straftat hätten aufnehmen können.

Nach dem Gespräch beschlossen wir, es tatsächlich mit einem Kaufangebot zu versuchen. Wir warfen uns in unsere guten Klamotten, machten einen Termin beim Management aus und boten an, die Ketten zu kaufen. Zu unserer Überraschung war der Manager einverstanden: Er wollte 6.000 Dollar für beide Ketten. Leider könnten wir die Schmuckstücke erst abholen, wenn der Scheich ausgezogen wäre, weil er keine Fremden in seinem Penthouse haben will. Das wäre dann übermorgen. Nach kurzem Zögern stimmten wir zu.
Das war ja sehr einfach gewesen. Natürlich zu einfach... aber ich greife vor. Zuerst riefen wir bei Summers an und erklärten ihm, wir bräuchten nochmal 10.000 Dollar (das zusammen mit dem früheren Scheck sollte den Kaufpreis abdecken und uns bis nach L.A. bringen). Er war nicht begeistert, ließ uns das Geld aber zukommen.
Kurz darauf erfuhren wir von meinem Dad, daß Summers Geschäfte mit Brians Onkel Charly macht und Anteile am Mirage besitzt. Nicht gerade beruhigend, aber das erklärte immerhin, warum die ganzen Hollow Men in dem Hotel herumhingen. Wir vermuteten, daß Summers gehofft hatte, uns mit dem Auftrag eine Falle zu stellen und uns in legale Schwierigkeiten zu bringen.

Apropos legale Schwierigkeiten: Zwischenzeitlich war Don in Las Vegas eingetroffen und hatte die Sache mit der vertauschten Pistole irgendwie geklärt. Die Waffe, die sie mir auf der Polizeiwache aushändigen wollten, war gestohlen gemeldet und gehörte eigentlich Daniel H. Wilde aus Massachusetts.
Don blieb nicht allzu lange, aber am Abend ging er mit Sylvia ein paar Cocktails trinken. Ich bin ja mal gespannt, was daraus wird. Ist ja nicht so, als würde ich nicht schon seit geraumer Zeit versuchen, die beiden miteinander zu verkuppeln. 

Am übernächsten Tag gingen wir wieder zu unserem Freund, dem Manager, zusammen mit einem Experten, der uns die Echtheit der Ketten bestätigen sollten. Sie waren echt, und die Übergabe verlief soweit ohne Probleme. Der Ärger ging erst los, als wir versuchten, das Mirage zu verlassen.
Die Hollow Men, die uns jetzt seit einer Woche geflissentlich übersehen und ignoriert hatten, ‘erkannten’ uns ganz plötzlich - mit dem lauten Ruf „Das sind ja die!“ zogen sie ihre Waffen und fingen an, wild drauflos zu ballern. Mitten im Foyer, wo noch Dutzende von anderen Gästen herumstanden oder an den Spielautomaten saßen. Wir rannten los. Die anderen Leute rannten auch los, wild durcheinander. Die Massenpanik war perfekt.

Sylvia und Kim nahmen die Kette und versuchten, das Hotel zu verlassen und sie in Sicherheit zu bringen. Brian und ich lockten die Hollow Men hinter uns her, um sie von den anderen beiden abzulenken.
Die Spielautomaten sind im Mirage in lauter kleinen, lauschigen Räumen aufgebaut - ein echtes Labyrinth, in dem wir versuchten, unterzutauchen. Es gab einige Schußwechsel mit unseren Verfolgern, und die Kerle waren nicht gerade zimperlich. Denen war es egal, wer in die Schußlinie lief, Hauptsache, sie konnten auf uns schießen. Ich wurde von einem Streifschuß an der rechten Schulter getroffen, nachdem die Kugel den Körper eines anderen Mannes durchschlagen hatte. Mehrere Kronleuchter wurden von den schießwütigen Biker runtergeschossen und fielen auf die panische Menge. Ich habe auch einen Kronleuchter  erwischt - ich habe versucht, möglichst nach oben zu schießen, damit ich bei einem Fehlschuß nicht irgendwelche Gäste treffe. Der Kronleuchter fiel und traf ein paar Leute. Verdammt, aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Mit dem Messer auf herumballernde Hollow Men loszugehen erschien mir nicht sonderlich intelligent.

Kim wurde auch von einem Kronleuchter getroffen (nicht meinem), aber nur leicht verletzt. Er und Sylvia entkamen den Hollow Men, die sie verfolgten, und verließen das Hotel. Draußen herrschte ebenfalls Panik - die flüchtenden Leute aus dem Mirage verstopften die Zufahrtswege, sodaß die Polizei nicht richtig herankam.

Brian und ich spielten in der Zwischenzeit weiter Haschmich mit den Hollow Men. Das konnte ja nicht ewig gut gehen - wir hatten eine kurze Schießerei zwischen ein paar Spielautomaten, ich traf einen Hollow Man, ein Hollow Man traf mich, und ich ging zu Boden. Es war komisch, ich spürte erstmal gar keinen Schmerz, nur einen kräftigen Schlag gegen meine Brust, und dann konnte ich auf einmal nicht mehr stehen bleiben. Oder die Hand mit der Waffe heben. Irgendwie war es auf einmal sogar schwierig, richtig zu atmen. So als läge ein ungeheures Gewicht auf meiner Brust. Ich hörte noch einige Schüsse, Schreie, dann kam der Schmerz wie eine Faust auf mich zugeflogen und es wurde schwarz, schwarz, schwarz.

Ich muß jetzt leider Pause machen. Sorry. Stellt euch das ganze wie einen Cliffhanger in einer fortlaufenden Fernsehserie vor: Ich liege auf dem Boden, in meiner linken Brust ein blutiges Einschußloch, und es wird abgeblendet. Vielleicht seht ihr ja auch noch, wie einer der Hollow Man Brian ins Bein schießt. Oder wie jemand hinter ihn tritt, ihm eins über den Schädel zieht und er ohnmächtig umkippt. Vielleicht schwenkt die Kamera sogar noch mal nach draußen, und ihr werdet Zeuge, wie jemand Sylvia und Kim ebenfalls bewußtlos schlägt. Wer? Das könnt ihr leider nicht erkennen. Wenn ihr wissen wollt, wie es weitergeht, müßt ihr nächste Woche wieder einschalten. Danke für euer Verständnis.

Bad Horse:
Tja, ich bin fies, oder? Jedenfalls könnt ihr mich jetzt erwürgen - ich bin noch am Leben. Es war ziemlich knapp, aber wir sind alle noch am Leben. Wahrscheinlich zumindest.

Tucson Revisited - Das Finale
 

Wir kamen in einem blaugekachelten Kellerraum wieder zu uns. Man hatte uns auf Rollbetten gelegt, wie sie im Krankenhaus verwendet werden, und lustige weiße Kittel angezogen (ohne Unterwäsche). Unsere Wunden waren verbunden und behandelt worden.
Kim und Sylvia schauten sich kurz im Raum um und stellten fest, daß außer uns und den Betten nichts mehr herumstand oder -lag. Die Tür war verschlossen, hatte allerdings ein kleines Glasfenster. Dahinter war ein dunkler Gang zu erahnen.
Brian und ich beschäftigten uns währenddessen mit unseren Wunden. Brian hatte - wie schon erwähnt - eine Kugel ins Bein bekommen und konnte sich nur hinkend fortbewegen. Meine Brustwunde schien ziemlich ernsthaft zu sein, jeder Atemzug schmerzte. Allein das Aufsetzen auf dem Bett erforderte größere Anstrengung. Trotzdem war die Wunde nicht vollkommen frisch - an meinem Arm fand ich Einstichspuren von Spritzen und Kanülen. Offenbar hatte ich einige Zeit am Tropf gehangen. Die anderen hatten ähnliche Wunden an ihren Armen.

Kim und Sylvia standen vorne am Fenster und diskutierten mit Brian herum, wie man es am besten einschlagen könnte. Oder ob man überhaupt sollte. Ich dachte mir, es wäre wohl besser, hier erstmal rauszukommen - ich meine, verbundene Wunden sind ja ganz schön, aber ein echtes Krankenhaus war das hier nicht - also quälte ich mich auf die Beine, ging zu dem blöden Fenster und schlug es mit der Armschiene ein (praktisches Ding, eigentlich). Dann legte ich mich wieder hin, weil diese komischen schwarzen Flecken anfingen, vor meinen Augen herumzutanzen.
Kim gelang es, den Schlüssel, der auf der Gangseite steckte, herauszuziehen und die Tür damit von innen zu öffnen. Von irgendwelchen Wachen war weit und breit nichts zu sehen - die hätten ja auch den Lärm hören müssen, als die Glasscheibe zu Bruch ging. Trotzdem waren wir vorsichtig und machten im Gang erstmal kein Licht an.

Da Brian und ich nicht richtig laufen konnten, setzte er sich zu mir aufs Rollbett, und Sylvia schob uns durch die Gegend.
Im nächsten Raum fanden wir medizinische Geräte, darunter Skalpelle und andere potentielle Waffen. Nachdem wir uns ausgerüstet hatten, suchten wir weiter nach einem Ausgang. Der war auch nicht so schwierig zu finden - am Ende des Ganges gab es einen Aufzug. Nach einigem Hin und Her fuhren wir ins Erdgeschoss und schauten uns dort um.
Wir stellten fest, daß wir uns in einem leerstehenden Krankenhaus befanden. Außer uns schien niemand hier zu sein. Da die Eingänge alle mit Brettern vernagelt waren, fuhren wir ins erste Untergeschoss, auf der Suche nach einem anderen Weg nach draußen.

Und wir fanden ihn: Auf dem Parkdeck stand ein einzelner Wagen - Sylvias alter Van, mit dem wir damals in Chicago aufgebrochen waren. Oder zumindest einer seiner nahen Verwandten. Der Schlüssel steckte im Zündschloß, also verloren wir keine Zeit und fuhren los. Das Tor zum Parkdeck stand wundersamerweise (?) offen.
Es wurde schnell offensichtlich, daß wir uns nicht mehr in Las Vegas befanden. Aber der neue Ort war uns auch nicht gerade unbekannt: Wir waren wieder in dem ersten Tucson (das sich übrigens in Iowa befindet) gelandet. Ja, dem Tucson mit der seltsamen Kirche, wo Brian und Kim einen Axtmörder erledigt haben, und wo wir alle in der merkwürdigen Psychiatrie gelandet waren.

Da unser unbekannter Wohltäter vergessen hatte, außer dem Wagen auch noch andere Kleinigkeiten wie vernünftige Kleider oder Geld bereitzulegen, brauchten wir dringend Hilfe. Als erstes versuchte ich natürlich, Don oder meinen Dad anzurufen, aber als ich dem Operator die Nummer für das R-Gespräch nennen sollte, konnte ich mich absolut nicht mehr daran erinnern. Das hätte mich nicht weiter beunruhigt (mein Zahlengedächtnis ist - naja - eher unterdurchschnittlich gut), aber mir wurde klar, daß ich alle relevanten Zahlen vergessen hatte: Meinen Geburtstag, mein Alter, meine Hausnummer... Den anderen ging es genauso. Das machte das Telefonieren natürlich schwierig, denn die Auskunft, die uns die Nummern hätte sagen können, kostet ja auch Geld.

Bevor wir etwas anderes unternahmen, beschlossen wir, bei der hiesigen Kirche vorbeizufahren und uns das Relief dort noch einmal anzugucken. Die Kirche war offen und das Bild noch da, genauso, wie wir es in Erinnerung hatten. Leider waren außer dem Bild auch noch zwei ältere Betschwestern da, die es nicht so witzig fanden, daß wir nur in kurzen weißen Kitteln unterwegs waren. Eine der beiden zeterte Kim an, der wurde patzig, und sie fing an, mit ihrer Handtasche auf ihn loszugehen. Als ich mich einmischte, hab ich auch eine gefangen, was bei meinem gesundheitlichen Zustand wieder mal meine alten Freunde, die tanzenden schwarzen Flecken, herbeirief. (Ich habe die beiden größten Hugo und Bertram getauft). Immerhin gelang es Sylvia, die gute Frau zu überzeugen, nicht weiter auf uns einzudreschen.

Nachdem wir die Kirche verlassen hatten, fuhren wir zur Polizei. Vielleicht hätten wir es von Tucson aus auch bis nach Chicago geschafft, aber wenn uns unterwegs der Wagen verreckt wäre (was ja nun durchaus im Bereich des Möglichen lag), hätten wir ganz schön alt ausgesehen.
Brian, mißtrauisch wie immer, blieb erstmal draußen, während Sylvia, Kim und ich in die Polizeistation stiefelten und den beiden Cops da unsere Geschichte erzählten.
Einer von beiden hatte schon von der Schießerei im Mirage gehört. Allerdings waren die zwei verwundert, daß wir ausgerechnet im alten Krankenhaus wieder aufgewacht waren - das war doch wegen Asbestverseuchung geschlossen worden. Abgebrannt? Nein, ein Krankenhaus ist in Tucson noch nie abgebrannt... Wir hatten nach unseren letzten Besuch ja auch nicht nachgeschaut, ob es wirklich ein Feuer gegeben hatte. Der Arzt damals hatte uns nur einen Zeitungsartikel über den Brand und über den Mord an dem Chefarzt, Bill Toge, gezeigt. Und wir braven Schäfchen glaubten ihm natürlich - hey, er hatte einen weißen Kittel an!

Von der Polizeiwache aus konnten wir erstmal telefonieren. Als meine Eltern hörten, daß wir nur 300 Meilen entfernt waren und Hilfe brauchten, wollten sie sich sofort auf den Weg machen und uns alle nötigen Sachen bringen. Sie hatten sich schon Sorgen gemacht - die Schießerei im Mirage war schon fast eine Woche her, und seitdem hatten sie nichts mehr von uns gehört.
Kim rief im Excalibur an, wegen seinem Instrument. Die Leute an der Rezeption erklärten ihm, daß sie seine Sachen schon an seine Heimatadresse losgeschickt hätten, nachdem wir uns ja länger als drei Tage nicht eingecheckt hatten. Kim drehte fast durch - sein kostbares Instrument, in den Händen seines Vaters! Er rief sofort bei Don an und bat ihn, das Ding doch wiederzuholen. Don, der ein netterer Kerl ist, als irgendeiner von uns verdient hat, erklärte sich bereit, am nächsten Tag nach New York zu fliegen und mit Kims Vater zu reden.

Die beiden Polizisten versorgten uns erstmal alle mit Kleidung (auch Brian, der inzwischen ebenfalls hereingekommen war) und brachten uns dann in einem Motel unter. Dort ruhten wir uns nicht etwa aus (naja, wir hatten ja auch fast eine Woche lang geschlafen), sondern telefonierten wild in der Gegend herum. Schließlich wußten wir nicht, wie wir eigentlich nach Tucson gelangt waren, und ob das Ganze nicht vielleicht eine Falle sein könnte. Und wo war überhaupt die blöde Kette geblieben? Warum hatte niemand nach uns gesucht? Wer hatte uns nach Tucson gebracht? Wieso konnte sich keiner von uns an irgendwelche Zahlen erinnern?

Oh, da fällt mir noch etwas ein: Als wir bei der Kirche waren, kamen wir auch an dem Friedhof von Tucson vorbei. Dort entdeckte Sylvia einen Grabstein, auf dem der Name 'Kay Branden' stand - unsere Polizistin, die wir in dem Axtmörder-Ort (dem ersten) zurückgelassen hatten. Laut Todesdatum war sie nur wenige Tage nach unserer Abfahrt aus Tucson gestorben. Ob sie wohl wirklich dort liegt? Was hat sie eigentlich in Tucson gemacht? Hat sie versucht, uns zu folgen? Irgendwann werden wir das herausfinden müssen... vielleicht hat ja 'der Fluch' wieder zugeschlagen, sobald sie allein war, und sie ist bei irgendeinem blöden Unfall umgekommen.

Ich war eigentlich nicht so begeistert davon, daß meine Eltern nach Tucson kommen wollten. Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Aber was hätten wir denn machen sollen? Wir brauchten schließlich ein paar passende Kleider, frische Unterwäsche und die Möglichkeit, wieder an unsere Bankkonten heranzukommen. Also ging das eine Weile telefonisch hin und her, bis meine Eltern mich überzeugten, daß ihnen schon nichts passieren würde. Halbwegs beruhigt hörte ich das Klicken, als sie auflegten. Und dann hörte ich das zweite Klicken in der Leitung. Irgendjemand hatte uns belauscht.

Besorgt versuchte ich, meinen Eltern eine Warnung zukommen zu lassen, aber sie waren auf einmal nicht mehr erreichbar. Also machte ich mich auf die Suche nach einer Telefonzelle, begleitet von Sylvia. Nach ungefähr zehn Stunden Marsch (na gut, es war nicht ganz so lang, aber es kam mir definitiv so vor) fanden wir eine, aber leider war sie kaputt. Als wir ins Motel zurückkamen, waren die Telefone dort auch tot. Wie es schien, gab es keine Möglichkeit, von Tucson aus meine Leute in Chicago zu erreichen.
Also machten wir uns auf den Weg nach Des Moines, der nächsten großen Stadt, wo meine Eltern am folgenden Morgen mit dem Flugzeug ankommen wollten. Vielleicht konnten wir sie ja noch rechtzeitig abfangen.

Aber kurz hinter Tucson passierte das übliche: Unser Wagen gab ein komisches Geräusch von sich und blieb stehen. Das wäre ja fast witzig gewesen, wenn ich mir nicht so große Sorgen um meine Eltern gemacht hätte.
Wir beschlossen, den Wagen stehen zu lassen und zu trampen, aber unterwegs las uns die Polizei von Tucson auf. Nach einem kurzen Zwischenspiel mit dem Telefon auf der Wache (ich konnte niemanden erreichen) erklärte sich einer der beiden Cops bereit, uns nach Des Moines zu fahren. Aber wir waren kaum unterwegs, als wir hinter uns das Geräusch von circa einem Dutzend Motorräder hörten.

Es waren natürlich die Hollow Men. Sylvia und Brian riefen dem Cop zu, er solle sich beeilen, schneller fahren, die Typen auf den Bikes wären hinter uns her. Aber ich schätze, das wußte er schon. Er trat auf die Bremse und hielt an. Die Biker schienen ihn zu kennen. Es war eine Falle.
Bei den Hollow Men war ein anderer Mann, eine Art Arzt. Die Biker wiesen uns mit vorgehaltener Waffe an, auszusteigen. Dann wollte der Arzt-Kerl uns eine Spritze geben. Ihr wißt ja mittlerweile, wie ich auf Spritzen reagiere, deswegen sollte es auch niemanden überraschen, daß ich mein Messer aus der Schiene zog und damit auf ihn losging. Es gelang mir, ihm einen tiefen Schnitt quer übers Gesicht beizubringen, bevor der erste Hollow Men mir in den Bauch schlug.
Ich war nicht sehr fit, also ging ich zu Boden. Dann trat mich jemand, und noch jemand, in Bauch und Rücken, mit voller Kraft. Ich überlegte noch, ob ich versuchen sollte, einen der Kerle mit dem Messer zu schneiden, aber die Tritte kamen zu schnell, zu brutal, ich konnte mich nicht mehr rühren. Vage hörte ich noch, wie Sylvia rief 'Hört auf, hört auf, ihr bringt ihn um', und fragte mich noch, von wem sie redete, dann wurde es immer dunkler, der Schmerz wurde unerträglich, und ich fiel langsam in Ohnmacht.

Als ich wieder zu Bewußtsein kam, ging es mir seltsamerweise besser. Ja, natürlich schmerzte jeder Atemzug, aber jetzt tat einfach alles weh, nicht nur die Wunde in meiner Brust. Ich kann nicht erklären, warum, aber irgendwie machte es das einfacher.
Der Arzt der Hollow Men hatte mir einen neuen Verband um die Brust verpasst. Mein Hemd war blutverschmiert, offenbar war die Wunde bei den Tritten wieder aufgegangen. Mein ganzer Oberkörper war eingewickelt, und das war auch besser so - später erfuhr ich, daß ich mehrere gebrochene und angeknackste Rippen hatte.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln