Autor Thema: Frei sein - allein sein  (Gelesen 872 mal)

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Offline Rohaja

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Frei sein - allein sein
« am: 31.05.2008 | 22:53 »
Da sitze ich nun, mit meinem Zeugnis in der Hand.
Jetzt ist alles vorbei, der Druck, der Zwang, die Unlust, jetzt bin ich frei. Cool, dachte ich. Jetzt kann ich machen, was ich will.
Ich machte mich auf in Richtung Parkplatz. Vor dem Auto standen bereits Wilma, Raul und Enes. Enes heulte. Er hatte versucht seinem Vater zu erzählen, dass er jetzt einige Zeit aus seinem Leben verschwinden werde, sein Vater hatte aber nichts von alle dem verstanden und versuchte Enes vergeblich mit seiner Cousine zu verheiraten. Raul schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Eines der Augen war blau, seine Mutter konnte es nicht fassen, dass er als einziger Mann in der Familie es wagte zu gehen. Wilma stand da, mit einem Lappen, offensichtlich wollte sie Rauls Auge kühlen.
Und?, fragte Raul. Wie sieht es aus?
Gut, sagte ich. Wir können losfahren.
Na, das ist doch mal eine gute Nachricht, sagte Raul. Dann lass uns fahren, bevor meine Mutter noch hier auftaucht.
Wartet, sagte Wilma. Ich, ich kann nicht.
Wir starrten sie an.
Diese non-verbale Reaktion verwirrte Wilma, hatte sie doch fest damit gerechnet, dass Raul augenblicklich die Geduld verlieren würde.
Ich, ich habe einen Praktikumsplatz. Ab morgen.
Schweigen.
Mein Husten unterbrach die Stille.
Immer noch schweigen.
Ein Vogel zwitscherte.
Schweigen.
Es tut mir Leid, sagte Wilma, aber das ist die Chance für mich. Ihr müsst das verstehen. Ich brauche dieses Praktikum.
Ja klar, genauso, wie ich meinen Vater oder Raul seine Mutter braucht, entgegnete Enes.
Nein, ihr versteht das nicht.
Wir verstehen das nicht?. Raul riss seine Augen noch weiter auf, sofern das überhaupt möglich war. Aber sie erschienen mir noch größer als vorher.
Wir verstehen das nicht? Ich will hier weg und musste mir von meiner Mutter eine überbraten lassen und Enes wird seinem Vater nicht mehr in die Augen schauen können und du kommst mit einem Praktikum?
Ach Raul, sagte Wilma. Es ist doch nicht nur das Praktikum. Meine Mutter meinte ohne Praktikum bekommt man heute keinen guten Job mehr und irgendwann müssen auch wir Geld verdienen – ob du es willst oder nicht.
Deine Mutter sagt auch, dass Enes, ein Terrorist sei.
Sie eben etwas emotional, entgegnete Wilma. Seitdem sie ihren Job verloren hat, versucht sie die Schuld eben jedem zuzuschieben, den sie in der Zeitung als Schuldigen ausmachen kann.
Warum lässt du dir dann so vieles von ihr vorschreiben?
Ich lasse mir nichts vorschreiben, ich versuche auf ihre Ratschläge zu hören.
Das ist ja toll, aber ist dir auch mal aufgefallen, dass wir gerade alle genau das Gegenteil tun, nämlich nicht auf die Ratschläge unserer Eltern zu hören?
Wilma schwieg. Ich sah ihr an, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte.
Ihre Mutter war wahrscheinlich wieder am trinken und ihr Vater am arbeiten. Wilma stand zwischen ihren Eltern und ihrer Zukunft, genauso wie Enes, Raul und ich.
Das Gute an meinen Eltern war, dass sie mir vertrauten und sich damit zu Frieden gaben, dass ich bei meiner Schwester in Berlin bin – natürlich unter dem Aspekt, dass ich bald wiederkehre, mein Studium mache und dann selbst Geld verdiene, damit ich ihnen nicht mehr auf der Tasche sitze. Meine Schwester schwieg natürlich – das hatte sie schon oft getan.
Wilma aber hatte Angst ihre Eltern alleine zu lassen, genauso wie Raul, dessen Mutter darauf hoffte, dass Raul endlich Geld verdienen würde, um der Familie ein halbwegs besseres Leben zu ermöglichen.
Ich bewunderte Raul und auch Wilma. Ich konnte verstehen, dass beide unglaublich große Schuldgefühle hatten, zu gehen. Aber sie wollten nicht wie ihre Eltern enden. Sie wollten nicht unter den Diktaten dieser Gesellschaft untergehen.
Enes hatte es nicht viel einfacher. Er lies einen störrischen Vater zurück, der der Familie von Enes Cousine bereits eine Heirat versprochen hatte.
So teilten wir alle dasselbe Problem: Während wir nach dem Abitur die Freiheit witterten, freuten sich unsere Eltern darauf, dass wir endlich mehr Verantwortung übernehmen würden, um ihnen im Gegenzug nach 18jähriger Dauerpension unter die Arme zu greifen.
Eine Forderung seitens der Eltern, die wohl fast überall auf der Welt zu finden ist.  Aber es war auch eine Forderung, auf die gerne gehört wurde. Egal ob unsere Mitschüler eine Ausbildung anfangen würde, ob sie heiraten würden, oder mit dem Studium anfangen würden, sie taten es alle, weil sie wussten, sie würden für diese Tat belohnt werden – von wem auch immer.
Aber eine Belohnung zu welchem Preis?
« Letzte Änderung: 31.05.2008 | 23:53 von Rohaja »

WitzeClown

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Re: Frei sein - allein sein
« Antwort #1 am: 31.05.2008 | 23:40 »
Hm...wie beschreibt man diese Prosa am bessten?

Ich schwanke zwischen: schlecht, billig und amüsant.

Kann mir jemand weiterhelfen? 

Plansch-Ente

  • Gast
Re: Frei sein - allein sein
« Antwort #2 am: 31.05.2008 | 23:45 »
Nicht unbedingt mein "Lieblingsgenre", aber ich fand es sehr flüssig und gut zu lesen und es hat mich vom Anfang bis kurz vor Ende auch "bei der Stange" gehalten (wie man so schön sagt), da die Dialoge schnell und passend geschrieben sind.

Nur weiter so...

Offline Rohaja

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Re: Frei sein - allein sein
« Antwort #3 am: 1.06.2008 | 11:53 »
Ich habe mir das Ganze nochmal duchgelesen und mir ist aufgefallen, dass tatsächlich einige Sachen "billig", bzw. sehr sehr platt sind.
Ich habe sie mal rausgestrichen:


Da sitze ich nun, mit meinem Zeugnis in der Hand.
Jetzt ist alles vorbei, der Druck, der Zwang, die Unlust, jetzt bin ich frei. Cool, dachte ich. Jetzt kann ich machen, was ich will.
Ich machte mich auf in Richtung Parkplatz. Vor dem Auto standen bereits Wilma, Raul und Enes. Enes heulte. Er hatte versucht seinem Vater zu erzählen, dass er jetzt einige Zeit aus seinem Leben verschwinden werde, sein Vater hatte aber nichts von alle dem verstanden und versuchte Enes vergeblich mit seiner Cousine zu verheiraten. Raul schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Eines der Augen war blau, seine Mutter konnte es nicht fassen, dass er als einziger Mann in der Familie es wagte zu gehen. Wilma stand da, mit einem Lappen, offensichtlich wollte sie Rauls Auge kühlen.
Und?, fragte Raul. Wie sieht es aus?
Gut, sagte ich. Wir können losfahren.
Na, das ist doch mal eine gute Nachricht, sagte Raul. Dann lass uns fahren, bevor meine Mutter noch hier auftaucht.
Wartet, sagte Wilma. Ich, ich kann nicht.
Wir starrten sie an.
Diese non-verbale Reaktion verwirrte Wilma, hatte sie doch fest damit gerechnet, dass Raul augenblicklich die Geduld verlieren würde.
Ich, ich habe einen Praktikumsplatz. Ab morgen.
Schweigen.
Mein Husten unterbrach die Stille.
Immer noch schweigen.
Ein Vogel zwitscherte.
Schweigen.
Es tut mir Leid, sagte Wilma, aber das ist die Chance für mich. Ihr müsst das verstehen. Ich brauche dieses Praktikum. Ihr versteht das nicht.
Wir verstehen das nicht?. Raul riss seine Augen noch weiter auf, sofern das überhaupt möglich war. Aber sie erschienen mir noch größer als vorher.
Wir verstehen das nicht? Ich will hier weg und musste mir von meiner Mutter eine überbraten lassen und Enes wird seinem Vater nicht mehr in die Augen schauen können und du kommst mit einem Praktikum?
ich versuche nur auf die Ratschläge meiner Mutter zu hören. Wenn ich das Praktikum jetzt nicht nehme, dann bekomme ich diese Chance vielleicht nie mehr.
Das ist ja toll, aber ist dir auch mal aufgefallen, dass wir gerade alle genau das Gegenteil tun, nämlich nicht auf die Ratschläge unserer Eltern zu hören?
Wilma schwieg. Ich sah ihr an, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte.
Ihre Mutter war wahrscheinlich wieder am trinken und ihr Vater am arbeiten. Wilma stand zwischen ihren Eltern und ihrer Zukunft, genauso wie Enes, Raul und ich.
Das Gute an meinen Eltern war, dass sie mir vertrauten und sich damit zu Frieden gaben, dass ich bei meiner Schwester in Berlin bin – natürlich unter dem Aspekt, dass ich bald wiederkehre, mein Studium mache und dann selbst Geld verdiene, damit ich ihnen nicht mehr auf der Tasche sitze. Meine Schwester schwieg natürlich – das hatte sie schon oft getan.
Wilma aber hatte Angst ihre Eltern alleine zu lassen, genauso wie Raul, dessen Mutter darauf hoffte, dass Raul endlich Geld verdienen würde, um der Familie ein halbwegs besseres Leben zu ermöglichen.
Ich bewunderte Raul und auch Wilma. Ich konnte verstehen, dass beide unglaublich große Schuldgefühle hatten, zu gehen. Aber sie wollten nicht wie ihre Eltern enden. Sie wollten nicht unter den Diktaten dieser Gesellschaft untergehen.
Enes hatte es nicht viel einfacher. Er lies einen störrischen Vater zurück, der der Familie von Enes Cousine bereits eine Heirat versprochen hatte.
So teilten wir alle dasselbe Problem: Während wir nach dem Abitur die Freiheit witterten, freuten sich unsere Eltern darauf, dass wir endlich mehr Verantwortung übernehmen würden, um ihnen im Gegenzug nach 18jähriger Dauerpension unter die Arme zu greifen.