*hust* Ich hab da mal was vorbereitet. Vorsicht: Könnte individuelle Meinung enthalten.
Geschichte des StORSNachdem D&D (einschließlich AD&D) in den 80ern zum Massenphänomen geworden war, blieb die Spielerschaft nicht mehr auf Wargaming-Freaks beschränkt, die schon vorher in ihrem Basement in Iowa den Amerikanischen Bürgerkrieg mit Miniaturen nachgespielt hatten. Da D&D Wargaming-Tradition und Fantasy-Hype verband, waren es vielmehr vor allem Tolkien-Fans, die ihre eigenen kleinen Mittelerde-Geschichten schrieben (aber sie ohne Internet noch mit niemandem teilen konnten) und dann D&D als Medium nutzten, um ihre Ideen an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Stichwort Dragonlance.
Was diese Leute verband, war ein Interesse daran, die Art von Geschichten, wie sie sie regelmäßig tagträumten oder mit ihrem Kugelschreiber auf Karoblöcke kritzelten, mit anderen zu teilen, unter Benutzung der Methode Rollenspiel. Es ist historisch nicht überliefert, in wie vielen Runden dies in kooperativer, offener, nicht drangsalierender, funktionaler, also für alle Beteiligten erbaulicher Weise stattfand. Überliefert ist aber jener fatale Irrtum, der geschah, als Autoren versuchten, diese Art zu spielen in verkäufliche Szenarien zu gießen. Es setzte sich die Idee durch, dass nur ein allmächtiger Spielleiter, gleichsam mit Gewalt, für eine „gute Story“ sorgen könne. Das Railroading war geboren.
Wer Vampire: the Masquerade (1st Edition) von 1991 aufmerksam liest, wird feststellen, dass genau diese Entwicklung dem Autoren, Mark Rein-Hagen, ein Dorn im Auge war. Er wollte Story, im Sinne von Dramatik, im Sinne von Pathos, im Sinne von großen Gefühlen, von Persönlichkeitsentwicklung, innerem Konflikt, von Spielinhalten, die das Potential haben, die Spielenden tief zu bewegen. Und er erkannte, dass genau dafür erforderlich war, dass ein Teil dieser Inhalte von den Spielern selbst kam. Dass alle gleichermaßen zum Spiel beitrugen, die „Story“ sich aus diesen Beiträgen organisch und für alle überraschend entwickelte.
Zugleich gab es auch ein weiteres Problem, das die Vampire-Regeln lösen sollten, aber nicht konnten, wie sich später herausstellte (vor allem nach dem Players Guide und den ganzen anderen Ergänzungen): Die meisten Runden spielten noch immer D&D oder Derivate, die für story-orientiertes Rollenspiel keinerlei Hilfestellung boten, dafür aber jede Menge Ablenkung in Form von Mechanismen, die ganz andere Erwartungen bedienten.
Vampire war vor allem deshalb ein so großer Erfolg, weil es all jene magisch anzog, die von D&D & Co. frustriert waren. Ich vermute auch, dass es viele Spielrunden gab, die den Text ebenso aufmerksam und begeistert lasen wie ich, und an ihrem Spieltisch der Vision des Autors treu blieben. Ebenso gab es aber auch viele, die dies wohl nicht taten, und als man Mark Rein-Hagen Vampire weggenommen hatte und anfing, eigene Railroading-Szenarien zu publizieren, war es schon ein bisschen wie mit dem Jungen, der von seinem Vater immer geprügelt wurde und es dann bei seinen Kindern auch so machte („nur zu ihrem Besten“).
Dann kam 1998 Ron Edwards mit „System Does Matter“ aus dem Knick und präsentierte Sorcerer als Gegenentwurf zu Vampire. Hier wurde Bass-Playing als Leitstil vorgestellt, und es gab zwei wesentliche Unterschiede zu Vampire: Die Kewl Powerz der Charaktere waren nicht ihre eigenen, sondern die eines Dämonen, der sie ihnen jederzeit versagen konnte, und die Menschlichkeit war viel volatiler und keiner Hierarchie der Sünden mehr unterworfen – für einen Charakter mit Menschlichkeit 1 galten dieselben moralischen Maßstäbe wie für einen mit Menschlichkeit 10, die zudem individuell festgelegt werden konnten, um dem Thema des Spiels gerecht zu werden. Wenige andere Spiele dieser ersten Generation der Forge (eigentlich noch vor dem Forge-Forum) würde ich noch zum StORS mit dazu zählen, ehe dann, ausgehend von Universalis, eine neue Form und Philosophie Einzug erhielt, die mit der hier beschriebenen Spielweise nur noch wenig zu tun hatte.
Praxis des StORSEher eine Unart als eine Art des StORS ist Railroading. Immer mal wieder hört man von Gruppen, die sich rumzanken, weil die Spieler sich nicht gängeln lassen wollen. Ich persönlich glaube ja, dass ein halbwegs intelligenter SL das geschriebene Abenteuer nicht derart stumpf mit dem Holzhammer durchprügeln wird, egal was die Spieler machen. Aber richtig ist, dass es viele Illusionisten da draußen gibt, die ihre Spieler gezielt täuschen, um ein dramatisches Geschehen nach einem bestimmten, vorher feststehenden Drehbuch zu inszenieren.
In einer Runde, in der die Kommunikation und das Miteinander funktioniert, bricht eine solche Praxis jedoch schnell auf. Die Spieler riechen den Braten, der SL zwinkert ihnen zu, sie grinsen und machen halt das, was er offensichtlich will. An anderer Stelle machen sie es nicht, weil sie was Besseres vorhaben, und er geht darauf ein und muss sein Drehbuch jetzt eben neu schreiben, was er improvisierender Weise auch tut. Oder ein Spieler kommt nach dem Abenteuer zu ihm und wünscht sich was fürs nächste Mal, was er dann auch bekommt.
So gibt es einen fließenden Übergang hin zur anderen Seite des Spektrums, wo der SL keinerlei Drehbuch vorbereitet hat und überhaupt nur sehr wenig aktiven Einfluss auf die Story nimmt, sondern vielmehr lediglich den Handlungsrahmen vorgibt und im übrigen einfach auf die Handlungen der Spieler reagiert. Dies wiederum setzt voraus, dass auch die
Spieler ihre Charaktere auf eine bestimmte Weise spielen, vielleicht nicht bewusst und gezielt im Sinne eines bestimmten Handlungsverlaufes, aber doch zumindest instinktiv „dramatisch“.
D.h. wir haben ein weites Spektrum von funktionalen, kooperativen Spielweisen, denen jedoch allen folgendes gemeinsam ist:
- Wettbewerb zwischen den Spielern oder auch zwischen Spieler und SL spielt keine große Rolle, eine Niederlage des Charakters wird nicht als Niederlage des Spielers betrachtet, sondern, wenn die Umstände entsprechend sind, als tolle Wendung der Story.
- Simulation ist keine heilige Kuh. Je nach Gruppe mag mehr oder weniger Wert auf Konsistenz und Plausibilität gelegt werden, aber ein Spieler kann jederzeit was zum Hintergrund seines Charakters hinzuerfinden oder der SL den Hintergrund des Abenteuers umschmeißen, wenn ihm was einfällt, das besser passt – solange es nicht im Widerspruch zu den bereits ins Spiel eingeführten Fakten steht.
- Charaktere haben so etwas wie eine Persönlichkeit. Das ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal, aber nichtsdestotrotz eine Voraussetzung.
- Die Beteiligten legen Wert auf so etwas wie Dramaturgie, vielleicht nicht um jeden Preis (insbesondere nicht um den Preis der Gängelung oder des Plausibilitätsbruches), aber dass es so etwas wie einen Spannungsbogen und einen Höhepunkt gibt, ist ein legitimes Interesse, das die Mitspieler bei ihren Beiträgen zum Spiel mit berücksichtigen.
- Die Gefühle und die persönlichen Beziehungen der Charaktere spielen im Spiel eine wichtige Rolle, und ihnen wird entsprechendes Augenmerk gegeben.
Meiner Erfahrung nach geht StORS zudem oftmals mit einer großen Begeisterung für ein bestimmtes Quellenmaterial einher, das zugleich als Inspiration und auch als Grundlage für das Spiel dient und damit das leistet, was die Regeln in dem Fall nicht tun, nämlich die Spieler auf eine gemeinsame Linie einzuschwören.