Der erste ist die Eignung von statischen Texten zur reinen Informationsübermittlung.
Ich habe ein Hörbuch - bisher nur eins. Ich habe den Text dieses Buches also niemals anders vermittelt bekommen als durch Hören, und der Sprecher hat das Buch in herkömmlichsten Sinne vorgelesen. Trotzdem konnte ich den Inhalt aufnehmen und kann die Geschichte und einzelne Szenen daraus jetzt noch nacherzählen, obwohl es über drei Jahre her ist, daß ich es gehört habe.
Ich denke, die Beispiel ist besser als das der Vorlesung, weil es der Situation näherkommt. In einem Text, der eine bestimmte Szene "einfängt", muß man gar nicht - wie in einer Vorlesung - volle Aufmerksamkeit für alles beweisen. Es ist ganz und gar zulässig, bestimmte Dinge nur kurz aufzunehmen, sie in ein "Hintergrundrauschen" umzusetzen, das eine bestimmte "Stimmung" wiedergibt. Rollenspiel ist für mich mehr als Informationsvermittlung, und es darf meines Erachtens auch mal Szenen zum Zurücklehnen und "Erholen" (der Charaktere wie der Spieler) geben. Vorlesetexte können da durchaus das
richtige Signal geben - und müssen gar kein zusätzliches
anderes Signal geben, z.B. daß das folgende wichtig ist. Es ist für mich durchaus vorstellbar, in einem "Sanddkasten"-Spiel für jede Stadt zwei bis fünf Vorlesetexte zu haben, die die Stadt zu jeweils verschiedenen Zeiten schildern (tags, nachts, zu bestimmten besonderen (Fest-)Zeiten). Was würden die dann für eine "Wichtigkeit" implizieren?
Und wie beim Hörbuch macht die Art, wie gelesen wird, sehr viel aus. Die Hörbücher von Rufus Beck, die ich im Radio gehört habe, waren einfach ein Genuß.
Sobald du etwas vorliest, wissen die Spieler automatisch dass die Situation die ihnen beschrieben wird statisch ist, dass sie also nichts von dem was beschrieben wird erspielt haben können.
Ich halte das für völlig in Ordnung, wenn sie etwas begegnen, worauf die Charaktere keinen Einfluß haben konnten. Eine fremde Stadt - was sollen sie da je "erspielt" haben? Eine von ihnen neu entdeckte Küste - welchen Einfluß sollen sie bisher auf die gehabt haben? Welchen Einfluß könnten sie je gehabt haben, diese Küste zu formen? Was daran entwertet, was sie getan haben? Wenn sie ein freies, flaches Land betreten, ist es ihre Schuld, daß da keine Berge stehen? Wenn sie ein unzugängliches Bergland vor sich sehen, entwertet das ihre bisherigen Leistungen, weil da immer noch keine bequeme Straße zu finden ist? Das würde "Superhelden" voraussetzen, denen mag man so etwas vorhalten - aber nicht alle Rollenspiele gehen von Superhelden aus.
Insofern ist das Element des von den Spielern Unbeeinflussten ja durchaus von Zeit zu Zeit an seinem Platz. Und eine ausfürhrlichere Beschreibung muß nicht nur wiedergeben, was sie in nur einem Moment wahrnehmen - je nachdem, wie langsam sie sich nähern, haben sie ja durchaus eine ganze Weile und verschiedene Perspektiven, aus denen sie Dinge bemerken können, und das darf ein Text auch so wiedergeben.
Was die Stadt angeht, könnten die Charaktere dort natürlich bekannt sein. Aber muß das in der Stadtbschreibung zwingend schon vorkommen? Wenn ja, kann der Vorlesende es vermutlich entsprechend umbauen (wenn er den Text nicht eh selbst geschrieben hat).
Btw. - ich bin selbst zuweilen in "Vortragssituationen" außerhalb des Rollenspiels. In bestimmten kann ich inzwischen frei sprechen, in anderen habe ich einen Text für 15 bis 25 min wörtlich ausformuliert vor mir liegen. Ich bin nicht firm genug, um die Sache frei zu gestalten, also hilft mir das. Ich werde trotzdem von Zeit zu Zeit erneut angefragt - nicht weil die Leute nicht wüßten, daß ich ablese, sondern weil ich das Ablesen vorher zur Not tagelang übe und dann entsprechend gut kann. Vorbereitung auf einen Vorlesetext macht also auch einen Unterschied...
Nicht alle Menschen können gut vorlesen, und nicht alle Vorlesetexte sind gut. Das betrifft im Rollenspiel auch die Frage, ob der Text nur in bestimmten Momenten paßt. Wenn man mehrere Texte (oder passende Versatzstücke, die man zur passenden Situation zusammennimmt) hat, ist das natürlich leichter, als
einen Text zu schreiben, der nicht situationsspezifisch ist. Aber Menschen, die geübt haben, vorzulesen (am besten an dem entsprechenden Text), können einen guten Text zu etwas machen, das ein improviersiertes "äh, ja, da ist noch" wie ein hilfloses Gestammel dastehen läßt. Sie sind, wie Jörg richtig sagt, ein Werkzeug - und eins, das offenbar auch hier viel zu leicht unterschätzt wird, sowohl was die Komplexität der Handhabung angeht wie auch, was die wünschenswerte Wirkung darstellt. Schlecht eingesetzt, ist es kein besonders gutes Werkzeug, aber gut eingesetzt... sind die Ergebnisse leicht der Mühe wert.
Mal ne Idee andersrum drüber nachzudenken: Wie würdet ihr euch fühlen wenn plötzlich Spieler was vorbereitetes vorlesen dass der Charakter macht?
Och, je nachdem... gerade, wenn es ein guter Text ist, fände ich das überraschend. Aber ich würde es in jedem Fall
ernster nehmen als das Übliche, weil es dem Spieler offenbar so wichtig war, daß er sich vorbereitet hat. Das heißt, für mich wäre das so ungefähr das Signal: "Hier hat er was, das bedeutet ihm besonders viel - jetzt bist Du dran: Was ist es, was will er, und wie kannst Dui hm das möglichst stilvollendet zukommen lassen, so daß er in Nachhinein findet, daß das die beste Szene für ihn war, die er sich wünschen konnte!" Das allerdings unterscheidet die Situation auch stark von der, wenn ein Spielleiter etwas vorliest, da muß keine besondere Wichtigkeit hinterstecken. Wenn ein Spieler es gewohnheitsmäßig täte, würde das die gefäühlte Wichtigkeit entsprechend sinken lassen.