Nein, ist es nicht. Oder kannst Du folgende Fragen verbindlich mit Textzitat beantworten, die man für Rollenspielkampagnen zumindest ganz ungefähr beantwortet haben müsste: [snip]
Genau diese Art von Fragen sind es, die man mit den oben umrissenen Methoden mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit bearbeiten kann, wenn man die entsprechenden Hinweise liest. Zweck von Rollenspiel ist Nebenschöpfung - sei es in einer Welt, die durch ein Spielsystem definiert wird oder eine nach einer literarischen Vorlage. Im zweiten Fall werden meist die Fragen nicht direkt beantwortet, doch im Fall von Tolkien hat er viele Hinweise hinterlassen, die einem die Erarbeitung einer Antwort erleichtern. Durch solide Textarbeit lassen sich Antworten erarbeiten, die einen höheren Grad an Werktreue besitzen als solche, die man "aus dem Bauch heraus" entwickelt.
Tolkien selber schreibt ja im bekannten Brief #131, daß seine Schöpfung auch "other minds and hands" Raum für weitere Ausschmückungen und Ausarbeitungen lassen solle. Ihm war bewußt, daß er niemals alle Informationsbedürfnisse seiner Leser selber befriedigen könne (Letters, #187).
Insofern ist es sicher keine Häresie, wenn man mit einem soliden Quellenrechercheansatz selber Material entwickelt, welches sich größtmöglich an die fixen Vorgaben anlehnt.
Eine definierte Welt ist was anderes. Das Einzige, was Mittelerde liefert, ist ein Gefühl, "bei den Gefährten auf der Welt mit" zu spielen. Das wiederum ist eher witzlos, wenn man in ganz anderen Zeitaltern oder an anderen Orten spielt.
Nein, das liefert allenfalls der LotR. Mittelerde ist viel mehr als die Romanhandlung. Das sind zwei Dinge, die man sauber trennen sollte.
Tolkien sagt uns beispielsweise, daß im gondorischen Königshaus nach dem Sippenstreit Mißtrauen und Realpolitik (i.S. von Eliminierung möglicher Rivalen in der Verwandtschaft) verstärkt hervortraten, und dies den Niedergang von Anárions Linie beschleunigte. Wir erfahren das militärische Potential Gondors zur Zeit des Ringkrieges, woraus sich über Quervergleiche recht gute Rückschlüsse auf die Bevölkerungszahl ableiten lassen. Wir erfahren, daß die Truchsessen von der verborgenen Linie im Norden wußten, dies aber aus Eigeninteresse (Herrschaftsanspruch) ignorierten. Wir erfahren die exakten Regierungs- und Lebensdaten der Könige von Númenor, Arnor/Arthedain/Stammesführer und Gondor (plus Truchsessen und Linie vonn Imrazôr). Hieraus kann man hervorragend eine Eichkurve für númenorische Lebenserwartung über zwei Zeitalter erstellen. Dies ist direkt fürs Rollenspiel releavnt, wenn man númenórische Charaktere hat und deren Lebenserwartung benötigt.
Die Liste lässt sich noch viel weiter fortsetzen; dies nur mal aus dem Handgelenk.
Für eine lediglich vage "gefühlte" Welt sind das schon eine Menge Details. Wie gesagt, man muß sich viele - begründete - Antworten durch mühsames Quellenstudium erarbeiten, da dies Punkte betrifft, die Tolkien offengelassen hat.
Welchen Anspruch an eigene Entwicklungen man hat, kann nur jeder für sich entscheiden, ich persönlich bevorzuge es, ein Maximum an relevanten Quellen zu sichten, bevor ich versuche eine Antwort zu entwickeln. Je nach Gesichtspunkt stehen gute Quellen zur Verfügung, die die Antwort vergleichsweise einfach machen (z.B. númenórische Lebenserwartung), bei anderen Punkten ist man viel auf eigene Urteilskraft angewiesen, weil die Quellen ausgesprochen dünn sind (z.B. 4. Zeitalter nach Aragorns Herrschaft).