Pen & Paper - Spielsysteme > Rolemaster
Rolemaster noch zeitgemäß?
Suboptimant:
--- Zitat von: oliof am 14.12.2009 | 09:17 ---In der Rolemaster-Runde wo ich mitspiele, wagt der Spielleiter nach über 20 Jahren ausschließlicher Rolemaster-Leiterei den Absprung auf ein anderes System. Eines, dass er laut eigenem Bekunden für "leicht maneuvrierbar" hält.
--- Ende Zitat ---
Da bin wohl ich gemeint. :)
Ich möchte mal gewissermassen aus Insider-Sicht ein paar Aspekte darlegen, positive und negative. Fangen wir mit letzterem an:
Ich halte Rolemaster immer noch für ein grossartiges System. Aber mittlerweile wohl eher so, wie jemand, der seine 1930er Harley toll findet. Für die Fahrt in die Stadt nimmt er dann doch seine neue Yamaha.
Etwas weniger metaphorisch: Rolemaster hat halt deutliche Nachteile, vor allem was die Einsteigerfreundlichkeit betrifft. Da erklärt man stundenlang vor sich hin und alle kommen sich vor wie beim Arbeitsamt beim Formular ausfüllen (Achtung Polemik :) ). Mal als Gastspieler vorbei schauen klappt hier nicht so richtig. Und die Spieler stehen auch in der Pflicht, sich da reinzuarbeiten in die Vielzahl an Büchern. Am Ende kann es passieren, vor allem in einer Runde mit lauter RM-Neulingen, dass man als SL doch sehr viel Autoriät über die Regelauslegeung hat, und es nicht so verläuft, dass die Spieler selbständig regelsicher agieren können.
In unserer Runde sah das eben so aus:
--- Zitat von: oliof am 14.12.2009 | 09:17 ---Lustig war halt – nur so zur Illustration wie die Systeme sich unterscheiden – dass besagter SL etwas besorgt war über die Verantwortung des SL für das Magiesystem bei LoME. Woraufhin die beiden Spieler mit denen er drüber gesprochen hat, unisono mit "wieso, bei Rolemaster legst Du das doch auch für uns aus" antworteten.
--- Ende Zitat ---
Und ich gebe ihm hier voll Recht! Und bin schon gespannt, wie das sein wird, wenn wir auf LoME umsteigen, wenn auch vorerst nur testweise. Aber ein Zurück gibt es nicht mehr, die Brücke ist abgerissen. :)
Das "für uns auslegen" ist eben der gelungenen Komplexität geschuldet, die man nur überblickt, wenn man eine Zeit lang eher nichts anderes macht. Dieses Gespräch war auch wieder ein kleiner Augenöffner.
Ein weiterer Nachteil war der Effekt, dass man mit RM sehr leicht sehr schnell ultra-high-powered spielte. Etwa ab Level 10 hoben die Magier ab und waren nicht mehr zu bremsen. Deswegen haben wir jahrelang etwa ab Level 10 neue Figuren angefangen. Wer auf solch krasse Fantasy steht, wird hier definitiv bedient, und wir hatten ja auch lange Spass daran.
Apropos Magie: Das Geröllproblem, das vorher mal auftauchte, ist rein statistisch meiner Erfahrung nach simpel zu lösen. Bei uns waren fast alle Charaktere magiebegabt. Es gab also immer mindestens einen in der Gruppe, der den Zauber "Float" konnte, entweder als Essence Open/Closed List, oder als Base List im Semi Bereich (Beastmaster/Warrior Mage) oder einfach, weil er sich die unfassbar spielstörende "Lofty Movements"-Liste irgendwie anders angeeignet hat. Da geht's dann ab Level 4 (glaub ich) los, ein Würfelwurf und der ganze Kahn ist schwerelos. :)
Aber Rolemaster ist eben auch toll: Wenn alle drin sind im Regelwerk, kann man unglaublich viel machen. Ich verweise auf solch wahnsinnige Veröffentlichungen wie das Alchemy-Companion oder das Elemental Companion. Mir kommt Rolemaster vor wie eine Liebhaberei (daher die Harley), der man hier und da einen weiteren Schnörkel gönnt. Und aus der Vielzahl an Regel-Optionen (ja, ausdrücklich Optionen, in jedem Buch so vorausgeschickt) kann man sich dann seine Hausregeln zusammenbasteln. Ich habe immer andere Systeme belächelt mit ihren paar Zaubern und ihren paar Klassen. Mir war halt der Reichtum an abgedruckten (!) Möglichkeiten wichtig. Und vor allem auch die Trennung von Klasse (Profession) und Volk (Race).
Abgedruckt, weil dieser Reichtum in anderen Systemen wie LoME halt nicht in Buchform vorliegt, deswegen aber nicht zwingend fehlt. Er wird halt in die Fantasie und Kreativität der Spieler verlagert. Eine Idee, der ich immer mehr den Vorzug gebe. RM hat natürlich immer Inspiration gegeben durch seine Auswahl. Das lässt dann die Aussage schwanken, dass Rolemaster eher was für fortgeschrittene Spieler sei, und die adneren eher Einsteigersysteme. Ausgearbeitete Zaubersprüche geben einem halt auch ein Geländer durch den Nebel der Möglichkeiten.
Und es stimmt: Wenn man seinen Charakter erstmal hat, dann läuft das Spiel ganz flüssig. Wir spielten es sehr kampforientiert, bietet sich durch das Regelwerk ja auch an, und dadurch wurden die Kämpfe sehr lang (bis zu 4 Stunden), aber irgendwie wollten wir das wohl so. Hat sich auch geändert, bei mir jedenfalls.
Warum habe ich so lange an diesem System festgehalten? Da gibt es ein paar Aspekte, die hier noch gar nicht aufgetaucht sind, bzw nicht ausreichend:
1. Wir kannten kaum was anderes.
2. Wir haben damit angefangen und waren zufrieden. Die Idee, (ständig) Regelwerke zu wechseln oder mal One-Shots zu spielen, hatten wir gar nicht.
3. Oft bestand eine grosse Diskrepanz in der Regelfestigkeit zwischen den Spielern, und für alle gilt: Keiner von uns war mit vielen Systemen vertraut. RM war (neben D&D, DSA und Warhammer) das, was wir unter Rollenspiel verstanden.
Anekdote: Ich finde es immer spannend, mit einem Kollegen von früher zu telefonieren, mit dem ich so 10 Jahre gespielt habe und der nur RM kennt. Das dafür sehr gut. :) Der versteht gar nicht, worauf ich hinaus will, wenn ich von anderen Systemen spreche. Für ihn ist RM = Rollenspiel, und andere Systeme nehmen halt andere Würfel und haben Tabellen oder nicht. Es liegt hier also eine ganz andere Sichtweise vor, die ich selbst erst lernen musste. Das nur als Beitrag zur Diskussion. Ein Verweis auf die Spielkultur sozusagen.
Zeitgemäss?
Zeitgemäss wird definiert durch das, was als aktuell gilt, was momentan Usus ist. Eine Wertung ist da eigentlich nicht drin, schwingt aber mit. Auch bei mir. Wenn man sich die vielen alternativen Systeme anschaut, die in den letzten Jahren mit grossartigen Ideen in Erscheinung traten, ist das wohl die Rollenspiel-innovation, die als zeitgemäss zu bezeichnen wäre. Und das finde ich in RM nicht wieder. RM hat zb keine Erzählrechte für Spieler, so weit ich weiss. (Ausser natürlich, man baut sie ein, ist ja kein Problem :) )
Zeitgemäss bedeutet wohl auch einen schnellen Einstieg, eine One-Shot-Tauglichkeit, und das ist bei RM garantiert nicht gegeben.
Es gäb noch einiges mehr, aber mein Post ist jetzt schon viel zu lang geworden.
Unser metaphorischer Harley-Fahrer würde seine Harley aber vielleicht wieder rausnehmen, um zu einem Treffen mit alten Freunden zu fahren. Der Nostalgie wegen. ;)
oliof:
Danke für die ausführliche Beschreibung. In der Tat gibt es einen Haufen "freierer" Spiele, die eigentlich nur funktionieren, wenn am Spieltisch eine gewisse grundlegende Vorstellung der Spielwelt / des Setting-Kanon herrscht, weil man eben sonst keine festen Bezugspunkte hat (Diaspora hat das IMHO bzgl. Traveller, LoME eben bzgl. Mittelerde – rollenspielerisch vielleicht MERS und in extenso eben Rolemaster).
Taurendil:
Ich habe von 1987 bis 1995 MERP gespielt, bin dann bis 2000 auf RM 2 gewechselt.
Ich könnte heutzutage keines der Systeme mehr spielen, schon gar nicht empfehlen.
Als ich vor ca. 1 Jahr RM in einer neuen deutschen Fassung (die quasi nix anderes als RM 2 aus den grauen, häßlichen 80ern ist) sah, mußte ich mir sowohl die Augen verwundert reiben, als auch laut auflachen: `was, die beleben diesen Dinosaurier tatsächlich neu?
Welche Nekromanten waren denn da am Werk? Ach ja, die gleichen, die auch andere totgeglaubte, wie etwa Traveller, wieder ans Tageslicht zerren.´
Na ja, seinerzeit war RM ja todschick. Als verrotzter 5.Klässler blieb mir, obwohl ich mich für den größten Mittelerde-Fan nach J.R.R. Tolkien persönlich hielt, seinerzeit nix anderes übrig, als das Looserrollenspiel DSA (sorry, damals hat das noch keiner gesagt, da hieß das noch `Das Schwarze Auge´), zu spielen, eben das einzige Fantasy-Rollenspiel, das von pickligen Unterstüflern ohne große Englischkenntnisse gespielt werden konnte.
Die großen Jungs, die nicht gut Englisch konnten, spielten Midgard (also die, die in Mathe und Physik gut waren, genauso wie die Autoren von Midgard), die anderen MERP oder RM. Die saßen im Rolls Royce (so wurde das System dann ja einige Jahre später auch in Deutschland beworben: "...der Rolls Royce unter den Rollenspielen").
Daß Rolls Royces trotz zweier Batterien und gefühlten 1.000 Tonnen Lebendgeweicht und einem ebenso gefühlten Spritverbarauch von 53 Litern/100km bei quasi jeder 2.ten Überlandfahrt in Spanien wegen der großen Hitze liegenbleiben, wohingegen jeder besch*** Leon die Strecke locker packte, war den Redakteuren seinerzeit wahrscheinlich nicht so klar. Na ja.
Das mit Spanien hab ich dann auch erst gute 15 Jahre später gemerkt.
Somit war der Vergleich mit einer Automarke, die schon seit ungefähr 40 Jahren keineswegs mehr zeitgemäß ist, eigentlich super.
Genau wie RR ist RM eine Marke, die nur noch von ihrem legendären (?) Ruf lebt, aus einer Zeit ohne ernstzunehmende Konkurrenz mit der völlig verirrten Annahme, gutes Rollenspiel bedeutet möglichst viel Simulation, volle Kanne auf Kosten des Spielflusses, der Phantasie und des eigentlichen Rollenspielens an sich.
Zurück zu den verpickelten Jungs. Ach ja, genau. Irgendwann haben wir uns dann von unserem biederen, völlig uncoolen, weil viel zu wenig Regeln habenden deutschen Einsteigersystem emanzipiert, und aufgrund besserer Englsichkenntnisse ab der 6. Klasse auch MERP/RM zugewandt und konnten uns somit am Simulationshype der 80er berauschen.
Und wurden somit vom wahren Rollenspielen entfernt.
RM ist nicht schwer. Es hat quasi nur einen simplen Regelmechanismus: nimm einen W100 und würfel ihn hoch. Für Spieler ist das simpler als Power, Plüsch & Plunder.
Nur der SL muß halt Tabellen lieben. Leider war ich fast immer der SL :-\.
Aber nach 10 + x Jahren RM kennst du halt auch jede Tabelle (die in sich oft auch völlig willkürlich sind) mehr oder weniger auswendig.
Ach ja, ein Regelhighlight dürfen wir nicht vergessen: RM war meines Wissens eines der ersten Systeme, bei denen sich die Güte des Angriffs automatisch in der Güte des Schadens niederschlug.
Daß heutzutage die Marktführersysteme den Schaden immer noch völlig losgelöst von der Güte des Angriffs extra auswürfeln, ist grober Dummfug, denn sie müssen, um dann wieder etwas Realität in das Ganze zu bringen, einen dritten Regelmechanismus wie `Power Attack´ oder `Wuchtschlag´ einführen.
Wir und ich hatten lange damit unseren Spaß. Ich bin aber dann gern 2000 auf das vermeintlich kitschige D&D 3rd umgestiegen;
ich konnte nämlich keine Tabellen mehr sehen.
3.000 Hausregeln später hatten wir dann damit auch ein elegantes System (nimm einen W20 und würfel ihn hoch), mit dem man dann auch etwas anderes anfangen konnte als nur Dungeoneering.
Das hat jetzt wieder 10 Jahre lang gehalten.
Irgend jemand hat vorhin geschrieben, daß er es aufgegeben hat, die Suche nach dem perfekten System. Das hab ich schon lange; darum bin ich eigentlich mittlerweile recht froh, daß ich mich nach dieser langen Odyssee von Kaufsystemen emanzipiert hab und endlich nur noch mein eigenes System zock.
0,- Euro, maximale Befriedigung.
Ich weiß jetzt nicht, wie oft ich in diesen paar Zeilen `seinerzeit´ verwendet hab; damit wird aber sehr schnell ersichtlich, daß ich nach 25 Jahren Rollenspiel RM (in welcher Inkarnation auch immer) für absolut nicht mehr zeitgemäß halte.
Ich würde es nie mehr spielen, geschweige denn empfehlen. Ich halte es für das ultimative Regelfickersystem, und es hat meiner Meinung nach Generationen von Rollenspielern versaut, indem es sie zu Regelspielern anstatt zu Rollenspielern erzogen hat, genauso wie viele seiner häßlichen Brüder (Midgard, HârnMaster, DSA 2-4, Chivalry & Sorcery, Ruf des Warlock, you name it).
Für all diese Regelmonster gilt nur ein Fazit; Themaverfehlung, setzen, Sechs!
Als pickliger 12jähriger konnte ich es noch nicht wissen, aber mit DSA 1 hielt ich seinerzeit ein System in Händen, daß vielleicht vom großen Rollenspielklassenlehrerer keine 1 bekommen hätte, eine Themaverfehlung jedoch bestimmt nicht.
Damit lange Rede, kurzer Sinn: absolut nicht mehr Zeitgemäß, bereits 1981 nicht.
Lang leben, die simplen, schlanken Systeme, die wahres Rollenspiel, das Erleben schöner Geschichten und das Darstellen reizvoller Charaktere fördern, für alle anderen gibt es Tabletops.
Auch glaube ich, daß 13Mann damit (und auch mit seinen anderen Dinosauriern im Programm) eine ziemliche Bauchlandung hinlegen werden; in 2 Jahren kräht kein Hahn mehr nach diesem Rsp Zombie.
Vielleicht gibt es dann den Verlag auch schon nicht mehr, kein Wunder bei dem Portfolio.
Scorpio:
Oh, du verkennst einige wichtige Gruppe von Rollenspielern.
Da wären diejenigen, die System A damals kennen gelernt haben und es seit 20 Jahren spielen, ohne sich andere Systeme auch nur angeschaut zu haben, im Internet danach zu suchen oder gar, Gott bewahre, sich in Foren anzumelden oder auf Cons zu gehen.
Oder diejenigen, die damals Rolemaster oder Traveller gespielt haben und heute mit dem unsterblichen Verklärungsbonus drauf schauen, der alle Kritikpunkte relativieren kann.
Achja: Jeder der von "Wahrem Rollenspiel"TM redet, meint damit nur seinen Spielstil. Ich schubse z.B. gerne Figuren über den Tisch und nenne das auch Rollenspiel. ;)
P.S.: Willkommen im Forum. :)
Infernal Teddy:
Ich verstehe vor allem die frage nach dem "Zeitgemäßem" nicht wirklich. Aber das ist auch nicht die entscheidende Frage. Entscheidendeer ist die folgende: Macht es mir bzw. meiner gruppe spaß? Wenn ja - wunderbar. Wenn nein - dann wird halt was anderes gespielt...
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