Ich bin seltsam ratlos, was die Serie eigentlich sein will und was sie von mir möchte.
Also zunächst einmal ist die Serie recht bedrohlich, dieses unbestimmte Gefühl wie am Anfang von "Midsommar" oder "Get Out", dass irgendetwas nicht stimmt. Dann lernt man die Charaktere etwas näher kennen, und es wird tragisch (weil man merkt wie unglücklich diese eigentlich sind, innerhalb wie außerhalb des Büros). Und schließlich ist die Serie noch eine bitterböse Satire auf die (besonders amerikanische) "corporate culture", die man allerdings nur so richtig kontextualisieren kann, wenn man schonmal in einem multinationalem Unternehmen amerikanischer Prägung gearbeitet hat (die Mythologisierung des Firmengründers, die eigen "Sprachrichtlinien", die Art wie sie versuchen die Medienberichterstattung über die Lumon zu kontrollieren, wie sie den "Werksschutz" für andere als die vorgesehenen Zwecke einsetzen, wie sie jedes Zugeständnis der Politik benutzen, um noch mehr Macht und Einfluss zu bekommen... usw.usf.).
Das wirkt zwar anfangs weird, aber wenn man etwas schaut, dann offenbart sich eine sehr gut durchdachte Welt. Am ehesten ist Severance für mich mit der Serie "The Prisoner" (die Serie aus den 60ern mit Patrick McGoohan, nicht das Remake von 2009) - da gibt es auch viel Weirdness mit einem unterschwelligen Gefühl der Bedrohung, aber es ist trotzdem klar, worum es in der Serie geht.
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Habe mir die erste Staffel von
Slow Horses - Ein Fall für Jackson Lamb angeschaut, eine Serie über Mi5-Agenten, welche (weil sie Mist gebaut haben, oder aus anderen Gründen) in die "Beschäftigungstherapie" versetzt worden sind, wo sie unwichtige Dödelaufgaben (40 Jahre alte Akten sortieren, etc.) ausführen, bis man sie wieder als geeignet für bedeutsamere Aufträge hält. Aber plötzlich geht etwas schief, und die Abteilung wird in einen hochbrisanten Fall hineingezogen, bei dem der Frieden der westlichen Welt auf dem Spiel steht. Und es sieht so aus, als wolle jemand beim MI5 sie bewusst als Sündenböcke verwenden, um einen möglichen Fehlschlag der Operation ihnen anzukreiden. Also müssen diese "Versager-Agenten" sich aufraffen und ihr ganzes Können einsetzen, um die Sache doch noch abzuwenden.
Wer ruhige und realistische Spionagegeschichten (LeCarré etc.) und skurrile Charaktere mag, für den ist die Serie in jedem Fall zu empfehlen.
Apropos "skurrile Charaktere": ich habe mir mal wieder eine Serie aus meiner Jugend angeschaut, und zwar
Picket Fences-Tatort Gartenzaun. Extrem gut gealtert, David E. Kelley kann einfach Gerichtsdrama (allein der Fall, wo der Papst in einem Mordprozess aussagen soll, und der Richter entscheiden muss, ob der Zeuge in dieser Sache möglicherweise befangen ist... pures Gold). Was mich aber besonders beeindruckt hat, war die humanistische Grundhaltung und die vermittelte Empathie gegenüber allen Figuren in der Serie, was ich in späteren Kelley-Serien nicht mehr so gesehen habe (Ally McBeal noch teilweise, Boston Legal dann gar nicht mehr). Deswegen ist das weiterhin meiner Lieblingsserie von allen Courtroom-shows.