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[Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde

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Benjamin:
Eigentlich sollte es "Vorlesestunde" heißen, was Turning Wheel uns hier als Spiel verkaufen will.

Echt mal, da geh ich lieber Filme gucken, wenn das, was ich als Spieler beitrage, sowieso nicht erwünscht ist.

Achamanian:
@nnhndrtzwlf:
Ja, in bezug auf CoC stellt sich das von dir formulierte Problem natürlich. Da du am Anfang schreibst, dass das Cthulhu-Grauen nicht mehr zeitgemäß wäre (oder etwas in die Richtung), bin ich davon ausgegangen, dass du damit auch und gerade die literarische Vorlage des Rollenspiels einbeziehst. Wenn du das aber gar nicht wolltest, dann muss man das anders erörtern.
Ich glaube ehrlich gesagt trotzdem nicht, dass man sich mit der Frage nach dem "Grauen nach Auschwitz" der Sache sinnvoll annähert, dasi st aber erst einmal eher ein Gefühl. Auf das Böse bin ich auch im Zusammenhang mit Auschwitz gekommen - Hannah Arendt hat ja den Eichmann-Prozess dahingehend charakterisiert, dass da die "Banalität des Bösen", die Veränkerung des Bösen im menschlichen Alltagshandeln, erschreckend zutage getreten sei. Egal, ob man es nun Böse nennen will, es ging mir darum, dass das Entsetzen über die Shoah unter anderem darin besteht, dass an sich vernunft- und empathiebegabte Menschen zu derart schrecklichen Handlungen fähig sind, mehr noch, sie als "normal" empfinden können. Das Grauen, auf das Lovecraft abzielt, ist dagegen viel abstrakter und überhaupt nicht im menschlichen Handeln oder in irgendeinem Auseinanderklaffen von Empathiefähigkeit einerseits und Grausamkeit andererseits verankert, sondern in der Vorstellung von einem prinzipiell nicht zur Empathie und damit auch nicht zum Guten oder Bösen fähigen Außerhalb des Menschen.

Mit dem RSP hat das aber m.E. beides wenig zu tun, da besteht eben eher das Problem, dass das kosmische Grauen fast zwangsläufig auf einen Monsterkanon zusammenschrumpft. Ich glaube, deshalb sind die gruseligsten Cthulhu-Abenteuer oft die weniger Lovecraftianischen. Grusel lässt sich eben meist besser mit Menschen und Halbwesen erzeugen, die tatsächlich zum Bösen befähigt sind - denn die können einen täuschen, hintergehen, mit einem spielen und all das.

korknadel:
@nnhndrtzwlf: Natürlich muss man in diesem Zusammenhang vom Bösen reden. Schließlich geht es sowohl in den Geschichten Ls als auch im RSP nicht darum, dass die Leute in einem alten Folianten auf Hinweise auf eine Macht stoßen, die so unvorstellbar gut ist, dass der Verstand es gar nicht fassen kann, sodass man selbigen verlieren muss (wenn einem der entsprechende Wurf misslingt). Die Grundprämisse ist, dass diese fremdartigen, vernunftsprengenden Dinger dem Menschen feindlich gegenüberstehen. Nun könnte man im philosophischen Sinne argumentieren, dass erst böse ist, wer sich bewusst zur Feindseligkeit entschließt, und die Viecher ja aber von (un-)Natur aus dem Menschen schädlich sind. Aber ich glaube, das wäre müßig. Darüber hinaus hast du selbst ja Auschwitz als Referenz in die Diskussion gestellt, und was bitte ist an Auschwitz so unbegreiflich, wenn nicht die abgrundtiefe Bösartigkeit, die dahinter steht?

Und insofern muss ich Achamanian recht geben, dass man bei den Mythosmonstern etwas unpersönlich Böses hat, während wir es in der Menschheitsgeschichte in den meisten Fällen (nämlich abgesehen von "geschichtsrelevanten" Naturkatastrophen etc.) mit Bösartigkeit von Menschen und den von ihnen geschaffenen Gesellschaftssystemen zu tun haben.

Abgesehen, dass ich sehr gut verstehen kann, wieso das Konzept des Wahnsinns aufgrund irgendwelcher Hinweise auf Große Alte nicht so recht zieht, würde ich es aber einfach als Fiktion und Gegebenheit der Rollenspielwelt hinnehmen und meinen Spaß damit haben. Dinge wie Auschwitz und die Atombombe würde ich da nicht hineintragen, denn -- darauf hat Xemides bereits hingewiesen -- wenn ich in DSA eine Feuerlanze abfeuere, nehme ich das auch als Fiktion hin und denke nicht: Eine Kassam-Rakete ist aber das eigentliche Problem, deshalb kann ich mich nicht recht mit einer Feuerlanze abgeben. Oder warum sollte ich vor dem Dämonen Schiss haben, wo ich doch auch vor Gentechnik nicht vor Furcht erbebe?

Yerho:
Der Trick bei Horror-Rollenspielen besteht meines Erachtens generell darin, sehr viel Zeit darin zu investieren, die Spieler etwas aufbauen zu lassen, was man ihnen dann zerstören, wegnehmen oder verdrehen kann. Diese Hinterhältigkeit, die in Fantasy-Settings reine Spielleiterwillkür wäre, ist bei Horror essentiell. Man lässt sich als Spieler quasi explizit darauf ein, herumgestoßen zu werden.

Wenn man zwei Drittel der Kampagne übermenschliches Wissen erworben, die Welt gerettet und sämtliche Soap-Momente (Geld und Gut, Romanzen etc.) zur Zufriedenheit bewältigt hat und dann erfahren muss, dass man die ganze Zeit nur ein Spielball widernatürlicher Kräfte war, alles Wissen nur Wahnsinn, alle Erungenschaften nur geträumt und die gerettete Welt aus dem Geminschaftsschlafsaal einer Nervenheilanstalt bestand, in dem die SCs unter realen, von einem kultisch experimentierenden Arzt verabreichten Drogen stehend in einem gemeinsamen, paranormal induzierten Traum gefangen waren, dann fängt - vielleicht - so etwas wie Grusel an.

Kurz, die Spieler brauchen eine Vorgeschichte, die in Frage gestellt werden kann. Sie brauchen eine Situation, der sie ausgeliefert sind und die sie sich erst erschließen müssen. Und um zu vermeiden, dass mit der Erschließung der Wahreit der Horror nachlässt, müssen die erschlossenen Wahrheiten gelegentlich schlimmer sein als die Realität, die man gerade als Traum erkannt hat.

Beispiel: Im Traum war man verliebt, nach dem Aufwachen weiß man nicht, ob die Person und die Gefühle wirklich existieren und im Laufe des Abenteuers erfährt man, dass der/die Geliebte tot und man selbst sein/ihr Mörder ist. Aber man weiß dann immer noch nicht, warum man zum Mörder wurde oder ob es überhaupt Mord im engeren Sinne war? Vielleicht war es auch Notwehr oder ein Akt der Gnade? Und wenn man die beruhigende Information erhält, dass man kein irrer Mörder ist, kann man wenig später erfahren, dass man sich das nur eingeredet hat oder jemand (ETWAS!) wollte, dass man so denkt und Material entsprechend gefälscht und Wahrnhemung entsprechend getrübt hat.

Die Maxime lautet "konsequente Unsicherheit". Nichts hat Bestand, nichts ist endgültig. Der Spieler muss entscheiden, was sein SC glauben will, aber er kann sich nicht darauf verlassen, dass seine Mitspieler (und damit dessen SCs) dabei mitgehen, bzw. dass die Spielwelt und NSCs die gefasste Meinung akzeptieren.

Blizzard:
Ich glaube, bei Cthulhu ist es eher am Anfang der Reiz des Unbekannten, der einiges vom Flair ausmacht. Es kann durchaus spannend sein, so einem Mythos-Wesen zu begegenen, bzw. mitzuverfolgen und selbst mitzuerleben, wie der Charakter allmählich ins Wahnsinnige abdriftet. Wie gesagt, das kann spannend sein, wenn man Cthulhu noch nicht kennt. Da kann man sich durchaus schon mal gruseln. Aber mit der Zeit nutzt es sich irgendwie ab, finde ich. Und zwar in der Form, dass man seinen Charakter nicht mehr vernünftig spielen kann, weil man weiss, dass er eh in 90% der Fälle quasi von Anfang an dazu vorverurteilt ist, wahnsinnig (und somit unspielbar) zu werden, oder eh recht früh ins Gras beisst. Klar, gruseln kann man sich trotzdem, aber das oben gennante Problem führt dazu, dass Spieler sich zwar einen Charakter bauen, wenn dem aber eines der oben gennanten Schicksale blüht, zucken die nur mit den Schultern, und nehmen das so hin. Da ist quasi eine Erwartungshaltung vorhanden, dass der Charakter ja eh stirbt bzw. wahnsinnig wird, weil es ja Cthulhu ist. Es ist sozusagen vom System ("gesetzlich") vorgeschrieben, dass der Charakter entweder eh stirbt oder geisteskrank wird. So sehen das viele Spieler, mit denen ich mich darüber unterhalten habe. Ich frage mich ja immernoch, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat, aber für viele Spieler ist das bei Cthulhu schon vorgegeben bzw. untrennbar miteinander verknüpft. Klar,mag es immer auch Ausnahmen geben, und auch ich hab schon gute, gruselige Cthulhu-Abenteuer gespielt. Wenn ich aber wirklich Angst bei den Spielern erzeugen will, ein Gruseln, das sich auch wirklich so anfühlt, weil die Spieler unter Adrenalin stehen, dann benutze ich heutzutage viel lieber Dread als System, denn das kriegt dieses "Angstfieber" imho viel besser hin.

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