Pen & Paper - Spielsysteme > Cthulhu RPGs
[Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
ErikErikson:
Ich bin zwar kein Admin, aber das gehört vielleicht besser in nen anderen Thread.
Minne:
--- Zitat ---Bei den realen, von Menschen gemachten Schrecken ist die Irrationalität nur scheinbar. Nur weil die Shoa unbegreiflich ist, bedeutet das ja nicht, dass man nicht versucht und versuchen sollte, sie dennoch zu begreifen. Schließlich ist sie trotz all ihrer Unvorstellbarkeit in ein Gewebe aus historischen, psychologischen, weltanschaulichen, technischen, wirtschaftichen, religiösen und vielen anderen Vorgängen eingebettet, nicht zuletzt auch angekoppelt an menschliche Instinkte wie Angst, Trieb etc. Beim Mythos dagegen wird ganz klar gesagt, dass da etwas Furchtbares ist, was mit all dem nichts zu tun hat, was völlig losgelöst ist von allem Menschlichem. Und das wirklich Furchterregende wiederum an der Shoa zum Besispiel ist ja, dass sie trotz aller unbegreiflichen Unmenschlichkeit, nicht ablösbar vom Menschlichen ist. Das wäre ja beinahe schon wieder apologetisch, wollte man sagen, die Shoa ist genauso ein aus dem Himmel gefallener Schrecken wie die Großen Alten.
--- Ende Zitat ---
Hm, das ist natürlich richtig. Man könnte argumentieren, dass es, da es ja um die Wirkung (Horror) nicht eigentlich darum geht, ob etwas prinzipiell irgendwann rational fassbar ist, sondern ob es für diejenigen, die damit konkret konfrontiert sind, in ihrer jeweiligen Situation möglich ist, es irgendwie zu verstehen. Gerade am Holocaust ist ja für viele ein rationalistisch-fortschriftsoptimistisches Weltbild zerbrochen, bis dazu aedequate Worte gefunden worden sind, hat es einige Zeit gedauert. Auf der anderen Seite sind die Mythoswesen mittlerweile auf eine Art und Weise katalogisiert und kanonisiert, die von ihrem die Vernunft sprengenden Charakter in der Regel gerade mal so viel übrig lasst, wie die entsprechende Behauptung. Aber ich weiß nicht, ob die Diskussion darüber jetzt irgendwohin führt.
--- Zitat ---Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein.
--- Ende Zitat ---
Hm. Ich weiß nicht, ob ich das Problem verstehe. Du stimmst also meinem Fazit zu, aber nicht meiner Vorgehensweise? Ich habe etwas gesucht, dass man als Irrationale Bedrohung bezeichnen kann, und dass bei mir (und anderen) eine Reaktion der Angst auslöst um durch den Vergleich zwischen Spielrealität und Wirklichkeit zu zeigen, wie sich die "simulierte", spielweltinterne Schreckenserfahrung von der realen unterscheidet, bzw. wie schwer nachvollziehbar die in der Spielrealität den Geist zerstörende, Panik versursachende Wirkung der Mythoswesen ist. Scheinbar ist mir das nicht gelungen. Hm.
Gestern habe ich, nebenbei, zur Vorbereitung auf ein Seminar Celans Todesfuge gelesen und es hat in mir unwillkürlich einen Angstzustand ausgelöst, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ein angenehmer Schauder war das nicht mehr und irgendwie ist es gerade auch nicht angenehm, darüber zu schreiben. Womit zumindest einem Aspekt meines Eingansposts gerade vermutlich ein bisschen widerspreche.
korknadel:
Der Punkt ist, dass ich dich im Prinzip sehr gut verstehe und auch die Ansicht teile, dass diese Panik angesichts der Mythoswesen schwer nachvollziehbar ist. In Lovecrafts Geschichten ist die Darstellung dieses Wahnsinns zumeist sehr gut gelungen (mit den unpersönlichen kosmischen "Feindkräften" hat er ja auch ein Bild geschaffen für ganz reale Ängste seiner Zeit), im RSP nimmt man diese Darstellung als Schablone, anhand derer man das Entsetzen "nachstellt". Damit das funktioniert, braucht es aber m.E. keine Nachvollziehbarkeit, sondern die Bereitschaft der Spieler, dies einfach hinzunehmen und sich quasi hineinzusteigern. In diesem Sinne war auch mein Vergleich mit der Feuerlanze etc. gemeint, die ebenso wenig nachvollziehbar ist, die mir im Spiel aber todernst sein kann, wenn ich mich darauf einlasse.
In deinem Eingangspost lese ich nur irgendwie heraus, dass du dich bei CoC gruseln würdest, wenn der Grusel dort mehr so ablaufen würde wie im "richtigen" Leben. Und da gehe ich eben nicht mehr mit, vor allem, wenn es nicht um einen nächtlichen Spaziergang durch den Wald, sondern um Auschwitz geht, und da hast du mir mit deiner Anmerkung über die Todesfuge das Argument schon vorweggenommen (wobei ich darauf mit meiner Darstellung der unterschiedlichen Irrationalität auch schon hinaus wollte): Das Nachstellen von Angst mithilfe künstlicher Destillate wie den Mythoswesen und dem Verlust der geistigen Gesundheit hat seinen Reiz und seine Berechtigung aufgrund einer gewissen kathartischen Wirkung. Darum kann das funktionieren, gerade weil es fiktiv und an realen Verhältnissen gemessen nicht nachvollziehbar ist. Wenn mir dagegen die Beschäftigung mit dem Holocaust oder der Atombombe das Weltvertrauen raubt, geht es nicht mehr um handelsüblichen Horror, sondern um handfeste (Lebens-)Krisen. Wie du geschrieben hast: der Schauder ist nicht wohlig.
Ich meine, ziemlich genau zu verstehen, was du meinst udn worauf du hinaus willst. Wenn ich mir das aber konsequent durchdenke, dann kommt eben der Punkt, wo mir die Sache unangenehm wird. Denn es kann ja nicht Ziel sein zu sagen, man müsste irgendwie die Todesfuge in CoC einbauen, damit der Grusel für mich nachvollziehbar wird. Und um den Abstieg in den Wahnsinn plausibler zu machen, kopieren wir die Traumata, die Leute wie Paul Celan, Primo Levi oder Jean Améry in den Freitod getrieben haben, weil sie an dem unfassbaren Schrecken der Shoa zu beißen hatten. So explizit hast du das freilich nicht gesagt.
Von daher finde ich die Beobachtung richtig: Der Mythoshorror in CoC ist nicht recht nachvollziehbar, der reale Schrecken über eigentlich nicht Fassbares dagegen ist ungleich nachhaltiger, vielschichtiger, paradoxer etc. Auf dieser Beobachtung aber eine Kritik aufzubauen, das halte ich eben nicht mehr für gangbar.
Aber dabei lass ich's jetzt auch, damit der Thread wieder mehr Platz für die Großen Alten hat.
Lieben Gruß
Minne:
Ah, okay, jetzt verstehe ich was du meinst. Freilich liest du da etwas hinein, dass ich nicht gemeint hatte, und woran ich bei diesem Argument auch überhaupt nicht gedacht hatte: Nämlich daraus einen konstruktiven Vorschlag zu machen, wie Cthulhu aussehen müsste, um echter Horror zu sein. Die Konsequenz, die du ziehst, würde ich genauso ablehnen wie du. Ich hätte da viel trivialere Vorschläge, die ich glaube ich auch angedeutet hatte, nämlich den Fokus weg zu nehmen von dem Mythos und stärker die Beziehung der Charaktere untereinander und zu ihrem Umfeld aufzubauen. Weg von den Holzhämmern und mehr Subtilität. Wobei ich auch finde, dass Cthulhu nicht unbedingt gruselig sein muss. Eine meiner Lieblingsgeschichten von Lovecraft "Das merkwürdige, hochgelegene Haus im Nebel" finde ich zum Beispiel überhaupt nicht bedrohlich, das könnte auch fast eine romantische Erzählung sein.
korknadel:
Dann sorry wegen des Missverständnisses, aber die "Auschwitz-Keule" ( :Ironie:) hat mich hier einfach auf den Holzweg gelockt.
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