André Jolivet ist für mich ein relativ unbekannter Komponist. Im Netz erfährt man, dass er von 1905 - 1974 gelebt hat. Eine liebe Freundin ist Querflötistin, deshalb kenne ich den "Chant de Linos" für Flöte und Klavier und die "Cinq incantations" für Flöte solo. Besonders das letzte Stück finde ich faszinierend und hin und wieder höre ich diese fast 20 Minuten für eine einzelne Querflöte gern an. Das Stück besteht aus fünf Sätzen, die Beschwörungen ("incantations") sind, und wenn man die Satzüberschriften liest, sieht man, dass Jolivet Ernst macht:
1. Um die Unterhändler willkommen zu heißen, mit dem Wunsch, dass das Treffen friedlich wird
2. Dass das erwartete Kind ein Sohn werden möge
3. Dass die Ernte, die aus den vom Arbeiter gepflügten Furchen wachsen soll, reich werde
4. Für eine erhabene Gemeinschaft mit der Welt
5. Bei der Beerdigung des Häuptlings, zum Schutze seiner Seele
Das klingt nach archaischem Handeln, nach Ritualen, irgendwie interessant. Deshalb beginne ich ein wenig zu recherchieren und stoße schon bald auf einen interessanten Künstler. Ich stelle fest, dass Jolivet (zusammen mit Olivier Messiaen) in einer kleinen Künstlergruppe namens "Jeune France" engagiert war, die sich gegen Neoklassizismus und Expressionismus gewandt hatte und eine Musik propagierte, die einerseits modern war (Auflösung der Tonalität war gemachte Sache), andererseits aber weniger abstrakt und dem Hörer zugewandt sein sollte. Jolivets Versuche, dieses Ziel zu erreichen, tendieren anscheinend zu Spiritualität, Magie und Mystik. Andere Werke von ihm heißen "Mana", "Cosmogonie" oder "Cinq Danses Rituelles" und wollen einen magisch-kultischen Primitivismus heraufbeschwören, der auf eine archaische Vorzeit oder ursprünglich gebliebene Zivilisationen hindeutet. Interessanterweise wendet sich Jolivet für dieses Vorhaben aber nicht zurück, sondern sucht nach neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten und nach neuen instrumentalen Techniken. Typisch scheinen mir neben seiner atonalen Klangsprache bestimmte Noten, Akkorde, Melodiemodelle und Schlüsselrhythmen zu sein, um die sich die Musik ordnet und entwickelt. Das hört man auch bei den "Cinq incantations". Die Klänge der Querflöte drehen sich oft um eine melodische Idee, die immer wiederkehrt, nur manchmal unterbrochen von plötzlichen Ausbrüchen, nachdenklichen Liegetönen oder Stille, in der sich dem Verklungenen nachlauschen lässt.
Ich hätte bei youtube gern einen clip gefunden, in dem das jemand barfuß im Wald spielt. Gibt´s aber leider nicht. Immerhin ist Jean-Pierre Rampal ein toller Musiker.
André Jolivet: Cinq incantations pour flûte seule (1936/37)Es gibt von dem Mann ein Konzert für Perkussion und Orchester, außerdem Stücke für Ondes Martinot. Ich glaube, ich muss ein bisschen mehr von ihm hören!