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Killedcat lernt FATE

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killedcat:
Für mich stellt sich das wie folgt dar:

Die Regeln lassen Dich einen Aspekt benennen, den Du so hinbiegen musst, dass er nicht immer, aber immer wieder mal funktioniert. Ein "Abgesandter des Zaren" kann seinen Vorteil - wenn die Fatepoints mal weg sind - ebensowenig ausspielen, wie jemand der kein Abgesandter des Zaren ist. Das ist weniger, als ich in jedem anderen Rollenspiel leisten kann, wo ich einfach IMMER Abgesandter des Zaren bin, wenn ich das einmal bin.

Ich (persönlich) fände es sinnvoller, die +2 immer gelten zu lassen, wenn die Situation passt und lediglich die Story-Änderungen mit Fatepoints zu bezahlen. Keine schwere Regeländerung. Aber entweder ich habe einen Aspekt, oder nicht.

Ich finde die FATE-Regeln so schwammig, jetzt wo ich sehe, wie jeder die Aspekte (krampfhaft) so hinbiegt, dass die "An/Aus"-Regelei halbwegs Sinn macht. Und dabei gibt es noch viel mehr interpretationsbedürftige Stellen im Zusammenhang mit den Aspekten. Zum Beispiel, wann ich einen solchen Verlange, und wann ich die Ladder benutze ist nicht klar geregelt.

Ich beginne FATE abstrus zu finden und bereue meine Bestellung von Dresden Files schon, will dem Werk aber unbedingt noch eine Chance geben.

alexandro:
Ob du jetzt +2 bekommst oder nicht entscheidet doch nicht darüber, ob du Abgesandter des Zaren bist. Das sind zwei komplett unterschiedliche Sachen (wie Karsten ja schon in seinem Beispiel erläutert hat).

+2, "aber nur wenn es passt" ist nicht sehr elegant, weil es massiv in die Gestaltungsfreiheit der Aspekte eingreift. Dann muss man wieder den GURPS/HERO-Weg gehen und die Aspekte unterschiedlich viel kosten lassen, anhängig davon wie oft sie im Spiel Vor- oder Nachteile sind (was natürlich eine Rechnung ist, die nichts mit dem eigentlichen Spiel zu tun hat, aber egal).

Außerdem: nehmen wir mal an, es wird einfach so entschieden (durch Findigkeit des Spielers oder weil es das Abenteuers so vorsieht) "der Aspekt passt" - z.B. der Bauer respektiert den Zaren und natürlich auch seinen Kurier, deshalb bekommt der Spieler den Bonus - aber dann reicht der Würfelwurf trotz Bonus nicht aus...wie erklärt man das? Der Bauer respektiert den Kurier zwar (sonst hätte der Spieler ja nicht den Bonus gekriegt), aber irgendwie doch nicht??? Das ist doch schizophren.

Funktionalist:
Abgesandter des Zaren ist man dann immer noch. Der Fakt ändert sich ja nicht, aber du hast halt keine Fatepunkte mehr, um den Vorteil daraus zu ziehen.

Bedenke, was dem für Entscheidungen vorangingen... immerhin hast Du dann schon deinen letzten Fatepunkt für etwas anderes geopfert und müsstest erst einmal wieder welche generieren.

Scimi:

--- Zitat von: killedcat am 10.12.2010 | 23:11 ---Für mich stellt sich das wie folgt dar:

<snip>

Ich beginne FATE abstrus zu finden und bereue meine Bestellung von Dresden Files schon, will dem Werk aber unbedingt noch eine Chance geben.

--- Ende Zitat ---

Du hast nicht unrecht, aber du hast unrecht.  ;D

FATE versucht nicht, unsere Alltagserfahrung zu simulieren. Stattdessen verwendet es ein Ressourcensystem, um den Einfluss von Umständen der Spielwelt und die Hintergründe von Charakteren künstlich zu beeinflussen.

Ich kann nachvollziehen, dass das unter einem gewissen Blickpunkt frustrierend sein kann: Ich würde gern etwas mit meinem Charakter tun, was er aller Logik nach können müsste, aber ich habe nicht die Punkte dafür und muss jetzt irgendwelche lächerlichen Schwierigkeiten über ihn ergehen lassen, um ihn "aufzuladen" - WTF???

Aber ich gehöre zu den komischen Menschen, die sich so etwas immer gewünscht haben. Als ich FATE zum ersten Mal gelesen habe, sagte ich mir: Yeah, Baby, das ist es!

Warum finde ich so sinnlose Einschränkungen so geil? Ich mag zum Beispiel die "Stirb Langsam"-Filme voll gern. Was mir vor allem daran gefällt, ist der "per aspera ad astra"-Effekt: Bruce Willis als John McClane darf am Ende die Bude rocken, aber nur, weil ihm vorher soviel Scheiße passiert: Er tut sich nicht nur die ganze Zeit weh, sondern hat auch Stress im Job und Probleme mit seiner Ehe. Trotzdem ist er ein cooler und sympathischer Typ, mit dem ich gern ein Bier trinken würde.

Seit Jahren versuche ich vergeblich, so etwas im Rollenspiel nachzubauen, aber es geht einfach nicht. Die Spieler von John McClane sehen seine Werte auf dem Bogen und weigern sich, sich erst 90 Minuten durchprügeln zu lassen, bevor sie ihre Werte effektiv benutzen. Sie sagen "ich weiche aus" oder "ich versuche ihn zu treffen", anstatt sich aufs Maul schlagen zu lassen oder sich die Füße an Glasscheiben aufzuschneiden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie John McClane spielen und John McClane natürlich nicht verletzt werden will. Spieler wollen, was gut für ihren Charakter ist. Aber ich spiele die Geschichte, und ich will, dass er leiden muss, bevor er gewinnen darf. Spielleiter wollen, was für ihre Geschichte gut ist.

Ok, die Spieler wollen also nicht freiwillig Proben versemmeln und Lebenspunkte verlieren? Ok, sollen sie sehen, was ich kann. Ich erschwere die Proben, ich mache die Gegner besser, ich erfinde Modifikatoren und Spitzfindigkeiten. Irgendwie muss das doch hinzukriegen sein, dass es wie im Film läuft?
Aber was passiert? Die Spieler bekommen den Eindruck, dass ich gegen sie spiele, dass ich ihrem John McClane ans Leder will. Also beginnen sie taktischer zu spielen, sie werden vorsichtiger, sie versuchen, den sichersten und besten Weg zu finden. Ich wollte nur eine coole Story erzählen, für meine Spieler. Aber jetzt ist es schlimmer als vorher, denn jetzt lässt sich McClane nicht nur nicht verprügeln, er verzichtet auch auf coole und waghalsige Aktionen.

Und dann lese ich FATE und entdecke das Potenzial: Wenn ich den Charakteren etwas zu Leide tu, dann muss ich die Spieler dafür auszahlen. Und die Spieler können diese Bezahlung wieder dazu einsetzen, damit ihre Charaktere rocken. Und plötzlich zieht eine ganz andere Mentalität in der Runde ein:
Die Spieler kommen sich nicht mehr so blöd dabei vor, in die Glasscherben zu laufen - sie kriegen ja etwas dafür. Und wenn das einmal so ist, werden sie auch noch kreativ - "Ich habe jetzt "Glasscherben im Fuß, kann ich das benutzen, um den Terroristen ins Gesicht zu treten?" War nicht im Film, ist aber cool. Und weil die Spieler sich schon drauf freuen, dass John McClane später seinen Aspekt "angepisster Bulle" einsetzen wird (und den unterwegs eingesammelten Aspekt "Now I have a machine gun, too. ho ho ho"), suchen sie sich schnell noch etwas Ärger, um ihre Punkte zu kriegen. "Wäre es jetzt nicht blöd, wenn das FBI den Strom abschalten würde? Gibt das Punkte?" "Hau, gegen die Burschen brauche ich mehr als nur Glück, was bekomme ich dafür, wenn ich die Detonatoren verlieren würde?" "Gruber kriegt bestimmt noch raus, dass meine Frau unter den Geiseln ist?" Weil es zum Teil des Spiels wird, Nachteile hinzunehmen, um Vorteile nutzen zu dürfen, bekommen die Spieler Spaß daran und beginnen, damit herumzuspielen. Und am Ende hat die Gruppe endlich ein filmreifes Abenteuer gespielt.

killedcat:
Ich verstehe den Gesichtspunkt, unter dem FATE funktionieren kann und offensichtlich für dich funktioniert. Aber meine Herangehensweise an ein Rollenspiel ist eine ganz andere, viel direktere. Wenn ich möchte, dass die Spieler etwas cooles tun, in ihre Rolle schlüpfen, dann belohne ich sie dafür. Soweit sind wir uns ja auch einig. Dafür brauche ich aber keine Aspekte. Der Kurier des Zaren erhält halt Boni, wenn er das ausspielt. Ein schönes Beispiel ist Exalted. Over-the-top-Aktionen der Spieler funktionieren besser, als Standardmanöver. Fertig. Schon überbietet man sich mit Beschreibungen. Aber ich musste nichts einschränken. Die Spieler brauchen keine Fatepunkte, müssen nicht damit haushalten. Das wird rausgepfeffert, dass die Hütte rockt (wenn das System nur sonst nicht so verkomplizert und verquarkst wäre).

Wir wollen als Spieler auch keinen leidenden McLane, das wäre eine Betrachtung von außen. Wir wollen eine Betrachtung von innen. Die Spielfigur in die Bredoullie zu bringen, ist auch mal in Ordnung, aber nur im Falle des In-Charakter-Denkens. Das Leiden-Lassen, das Du angesprochen hast, wäre für uns zu sehr eine Betrachtung von außen und (zumindest für mich) hochgradig immersionsstörend. Vielleicht sind es diese Unterschiede, die mich FATE-inkompatibel machen? Dafür halte ich mich nämlcih inzwischen.

Genau da, wo die FATE-Spieler die Regeln so lieben (Aspekte ausspielen, etc.), da ist MIR Fate im Wege. Mein Kurier des Zaren kann gefälligst, was ein Kurier des Zaren können sollte. IMMER. Dann brauch ich aber auch Skills und Stunts nicht. Es gibt ja auch die Bewegung, Skills und Stunts wegzulassen und um ehrlich zu sein, das macht viel mehr Sinn als dieses Gewurschtel hier. Nur mit Aspekten kommen wir der Sache schon näher. Dann noch Fatepoints weglassen für das Invoken des Aspekte und ich könnte FATE entweder mögen, oder genausogut weglassen.

Alternativ kann man die Aspekte auch einfach als Beschreibung nicht mehr so ernst nehmen. "Kurier des Zaren" wäre keine Beschreibung des Charakters mehr, sondern eines Feats. Quasi der Name des Feats, das dem Charakter gelegentlich Boni verleiht. Dann könnte ich den Gebrauch verstehen, fände das aber eine Arge Verschwendung der Möglichkeiten und insgesamt eine Enttäuschende Variante.

Ich glaube, ich bin einfach zu sehr gamistisch veranlagt, was das Regelwerk anbelangt, und viel zu sehr freiheitsverliebt, was den Input in das Spielgeschehen anbelangt.  8)

Der große Inspirationsschub, der echte Nährwert von FATE liegt für mich im Compelling der Aspekte. Das rockt wirklich und eröffnet Motivation für echt coole Spielmomente. Aber der Rest ist wohl so gar nicht meine Welt. Dabei stecken wirklich nette Ideen in den freien Aspekten...

Ohne Skills, ohne Stunts, nur mit Aspekten, zuverlässig funktionierend mit weniger Abhängigkeit von Fatepoints beim Invoken... dann könnte ich mit Fate warm werden. ;)

Ein kleines Dankeschön noch:
Trotz meiner (ganz subjektiven) Kritik an FATE, das ihr gerne und mit viel Freude spielt, bleiben alle nett und sachlich und ohne Missionierungsdrang. Das ist - bei anderen Systemen - nicht immer der Fall. Es ist schön, dass man auch als "FATE-inkompatibler" hier Meinungsaustausch pflegen kann.

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