Hier mein Eindruck von den
Clockwork: Dominion Quick Start RulesSeit etwa 5 Jahren hatte ich mal wieder ein System in der Hand, das etwas mehr Crunch beinhaltet. Ich habe mir die kostenlosen Quick Start Rules bei drivethrurpg heruntergeladen und wollte wissen, ob es sich lohnt, ins Grundregelwerk zu finanzieren. Hier mein Eindruck:
Clockwork: Dominion heißt im Untertitel "Steampunk Roleplaying in a victorian world of gothic Horror". Auf genau einer Seite Settingeinführung versucht uns der Text deutlich zu machen, was das bedeutet. Es wird die viktorianische Epoche mit der weltumspannenden Kolonialmacht des britischen Empires aufgerufen, außerdem wird eine göttliche Kraft ("the clockworker") und eine antagonistische Kraft, die Chaos und Untergang bedeutet ("the pontus"), benannt. Merkwürdig erscheint mir, wie selbstverständlich das Spiel das britische Kolonialreich mit dem segensreichen Willen des clockworkers zusammen betrachtet. Sicherlich: die Kolonialherren haben ihren Einfluss damals mit der Gewissheit ausgedehnt, unterentwickelten Regionen ihre segensreiche Zivilisation inklusive ihres Glaubens zu bringen. Und dass eine Spielerfigur in Gestalt eines britischen Staatsbürgers genau so denkt, ist auch völlig richtig. Bei Clockwork: Dominion verhält sich das Spiel selbst aber genauso distanzlos zur britischen Vergangenheit: Die Vertreter des britischen Empires stammen in der Regel vom göttlichen clockworker ab, der üble Einfluss des pontus´ äußert sich durch kriminelle Elemente, die das Empire zerstören wollen. Die Frage nach indischen Widerstandskämpfern u. ä. kommt mir direkt in den Sinn - sie scheinen potentiell alle mit dem Teufel im Bund zu stehen. Ich bin etwas irritiert. Abgesehen davon bleibt die Einführung ins Setting sehr allgemein. Der Leser erfährt später, dass es Fabelwesen, okkulte Rituale und magotechnisches Brimborium gibt. An dieser Stelle ist davon aber noch keine Rede.
Als nächstes wird der Figurenbogen erklärt. Das Spiel basiert auf 6 Basiseigenschaften (aptitudes) und 27 Fertigkeiten (skills), fährt aber auch noch ein paar abgeleitete Eigenschaften auf und besitzt mit Werten für Gesellschaftsschicht, Finanzkraft, Resilienz ("purpose"), Innovationsfreude ("ether") und Korruption noch ein paar Zusatzelemente. Darüber hinaus können auch Vorlieben und Reputationen Werte besitzen. Insgesamt sind die Spielerfiguren relativ kleinteilig aufgeschlüsselt. Mir ist das zu viel. Die Nichtspielerfiguren sind dafür aber immerhin etwas einfacher gehalten.
Das System verwendet einen Satz aus 100 Spielkarten. Die Quick Start Rules besitzen einfach, aber funktional gestaltete Vordrucke für diese Karten, die sich jeder selbst anfertigen kann. Die Karten besitzen (glockenförmig verteilt) Werte von -5 bis +5, außerdem existiert eine Doom-Karte (Patzer) und eine Fate-Karte (kritischer Erfolg). Die Karten enthalten außerdem noch eine durchgehende Numerierung von 1 - 100 und eine "Condition" (das ist eine Folge einer körperlichen oder sozialen Beeinträchtigung, wie sie eine Figur nach misslungenen Auseinandersetzungen erleiden kann).
Für eine einfache Probe wird Basiseigenschaft und Fertigkeit addiert, eine Schwierigkeit abgezogen und der Wert einer Karte (-5 bis +5) dazu gerechnet. Ein positives Ergebnis bezeichnet einen Erfolg. Die Punkte in Resilienz und Innovationsfreude, die eine Figur besitzt, können eingesetzt werden, um wie bei Bennies Kontrollmöglichkeiten für Ergebnisse zu ermöglichen. Böse Taten und der Einfluss der Kräfte des "pontus" führen zu Korruption, für die aber auf das Grundregelwerk verwiesen wird.
Regeln für Konflikte bestehen aus drei Abteilungen: einer Initiativregelung, physischen Auseinandersetzungen und sozialen Auseinandersetzungen. Bei diesen Konflikten werden die Karten auf unterschiedliche Weise verwendet. Ihre Werte bezeichnen die Initiativreihenfolge und die Zuschläge und Abzüge bei der Ermittlung eines Angriffs, die Nummerierung dient zur Auflösung von Unentschieden durch gleich hohe Werte bei der Initiative, die "Conditions" können mögliche Folgen für den Verlierer eines Konflikts werden.
Die Initiativregel ist nicht ganz einfach, regelt aber auf sinnvolle Weise auch Situationen, in denen ein begünstigter Konfliktteilnehmer aus taktischen Gründen lieber abwarten möchte. Das fand ich nicht schlecht.
Wer handelt ermöglicht einem Gegner in seiner Kontrollzone eine Reaktion. Eine aktive Handlung kann aus einer Bewegung, einer Aktion und einem Manöver (zielen, Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sich vom Gegner lösen, um Unterstützung bitten, mit der Umgebung interagieren, rennen, zur Seite treten) bestehen. Als Reaktion ist eine Bewegung und eine Aktion möglich. In beiden Fällen verbraucht ein Spieler dabei eine von drei Karten, die für die Initiativfolge zuständig sind. Wenn ich dreimal reagiere, kann ich also nicht mehr aktiv Handeln. Auf diese Weise wird in einem Konflikt die Unter- oder Überzahl relevant. Es gibt allerdings für physische Auseinandersetzungen die Höchstgrenze von drei, für soziale Auseinandersetzungen die Höchstgrenze von 2 Angreifern, die gemeinsam ein und demselben Opfer zusetzen können. Wenn alle Initiativkarten verbraucht sind, ist eine Runde vorbei.
Wenn während einer Runde klar geworden ist, wer dran ist und was er tut, wird eine Extrakarte gezogen, die den Ausgang der Aktion mitbestimmt. Es gibt keine Parade, die Werte eines Gegners können aber die Schwierigkeit darstellen, die vom sonstigen Ergebnis der Aktion abgezogen wird. Außerdem besitzen alle Figuren einen Wert namens "Guard", der quasi die Schadenstoleranz darstellt. Normale Treffer reduzieren erst einmal die "Guard". Wenn sie auf 0 gesunken ist, folgen Verwundungen.
Gute Erfolge lassen den Unterlegenen eine "Condition" erleiden. Dabei handelt es sich entweder um die Angabe auf der gezogenen Karte oder aber um eine ähnliche Angabe aufgrund der verwendeten Waffe. Besonders gute Erfolge können auch schon vor der Absenkung der "Guard" auf 0 zu Verwundungen führen.
Die "Guard" wird nach jeder Auseinandersetzung wieder auf ihren Ursprungszustand gebracht. Das Absenken der "Guard" ist also folgenlos (vorausgesetzt, der Konflikt wird gewonnen). Dafür ist eine Verwundung umso gravierender und führt ohne Versorgung früher oder später zum Tod! Weil Verwundungen so brutal sind, werden die allermeisten Figuren nach einer ersten Verwundung sofort versuchen sich aus einem Konflikt zurückzuziehen.
An zwei oder drei Stellen in den Quick Start Rules wird darauf hingewiesen, dass sich gerade physische Auseinandersetzungen auch mit Miniaturen darstellen lassen. Unbedingt notwendig scheint mir das aber nicht zu sein. Die Spieler brauchen für Fernkampf eine Vorstellung von Entfernungen und sollten wissen, wer sich im Kontrollbereich einer Figur (4 Meter Umkreis in alle Richtungen) befindet.
Physische Auseinandersetzungen und soziale Auseinandersetzungen werden ähnlich, aber nicht gleich geregelt. Insbesondere dauern soziale Auseinandersetzungen grundsätzlich nur eine Runde. Es geht bei ihnen nicht darum, einen Gegner zu verwunden, sondern seine Einstellung zu einer bestimmten Streitfrage im eigenen Sinne zu beeinflussen. Für diesen Vorgang kennt das Spiel fünf Abstufungen: Hostile, Guarded, Indifferent, Agreeable und Favorable. Bei einer sozialen Auseinandersetzung kann beispielsweise eine Nichtspielerfigur, die dem Anliegen einer Spielerfigur unsprünglich misstrauísch gegenüber stand, so beeinflusst werden, dass sie die Angelegenheit nun befürwortet.
Die gesamten Regeln werden in den Quick Start Rules auf 10 Seiten erklärt. Einfach sind sie deshalb trotzdem nicht. Das System scheint mir durchdacht, ich persönlich brauche diesen Grad an Komplexität bei Auseinandersetzungen allerdings nicht unbedingt.
Der größte Teil der Quick Start Rules besteht aus einem Einführungsabenteuer. Hier machen die Spielerfiguren - eine Einsatztruppe der Edinburgher Polizei - ihre ersten Erfahrungen mit den üblen Kräften des "pontus" und jagen außerdem eine Bande Leichenräuber, die die Toten für schwarzmagische Zwecke missbrauchen wollen. Auffällig fand ich den relativ hohen Grad an Brutalität, der sich hier in vielen Szenen zeigt und in seiner Anschaulichkeit über das Maß der meisten Rollenspiele hinausgeht. Das Abenteuer lässt den Spielern ein paar Entscheidungsmöglichkeiten, ist aber recht einfach gehalten und ziemlich kampfbetont. Es ist so angelegt, dass die Spielerfiguren am Ende eines von zwei Problemen aus der Welt geschafft haben können. Sie können sich aber nicht um beide Probleme kümmern. Von daher ergibt sich eine logische Fortsetzung des Abenteuers in Form einer Kampagne. Das hat mit gut gefallen.
Am Schluss der Quick Start Rules finden sich 6 vorgefertigte Spielerfiguren, mit denen das Einführungsabenteuer bestritten werden kann. Zwei davon finde ich immerhin so originell, dass ich Lust hätte, sie zu spielen.
Ich kann schon jetzt sagen, dass "Clockwork: Dominion" nicht ganz mein Spiel ist. Ich brauche nicht ganz so viel Crunch, er stört mich eher. Für eine genaue Beurteilung müsste ich aber erstmal dieses Konfliktsystem in Aktion erlebt haben. Und soweit will ich auch noch gehen. Ich habe die für das Spiel nötigen Karten bereits fast komplett angefertigt und werde mit ihnen erstmal ein oder zwei kleine Schaukämpfe veranstalten. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich einigermaßen zurecht komme, werde ich das System vielleicht mal als OneShot anbieten. Und wenn sich das Spiel dann dabei als überraschend gut herausstellen sollte, dann werde ich mir vielleicht sogar das Grundregelwerk zulegen.