Perlentaucher vor R'lyeh Perlentaucher vor R'lyeh enthält sechs Szenarien, die weit oben im Ranking der besten Cthulhu-Abenteuer gemäß einer Abstimmung im Cthulhu-Forum landeten. Eine Bemerkung vorneweg: Da ich verhältnismäßig neu bei Cthulhu bin (meine erste Runde hatte ich Silvester 2017/2018), kannte ich nur wenig Szenarien, die bei der Abstimmung zur Auswahl standen. Wenn ich die Szenarien kannte und beurteilen konnte, habe ich mit abgestimmt, aber gerade im späteren Verlauf standen hauptsächlich alte, mir nicht bekannte Szenarien zu Auswahl. So ging es mir auch mit allen in Perlentauchen vor enthaltenen Abenteuern. Ich habe sie erst jetzt gelesen, als ich das neue in der Hand hatte. Lediglich
Kinder des Käfers habe ich noch nicht gelesen, da ich das Szenario gerne auf der AnRUFung (sollte sie stattfinden) spielen möchte. Daher hier nun mein Senf zu den fünf anderen Szenarien.
Eine Sache vorweg: Keins der fünf Szenarien konnte mich überzeugen. Dies lag an der jeweils sehr linearen Struktur. Auch Illusionismus und Entwertung von Spielerentscheidungen finden sich aus meiner Sicht in allen Szenarien. Die Spieler nehmen hier mit ihren Charakteren kaum Einfluss auf die Handlung, sondern sind vielmehr sich sehr nah am Geschehen befindliche Zuschauer. Somit werden die Stärken des Mediums Rollenspiel – Freiheit in der Entscheidung der Spieler und Verantwortung der Spieler für den Ausgang der Handlung – nicht genutzt. Lediglich das unmittelbare Erleben eines Charakters und der Geschichte grenzt das Spielen der Szenarien vom Lesen einer Kurzgeschichte oder dem Sehen eines Films ab. Ebenso haben alle Szenarien einen romanartigen Schreibstil gemein. Hier steht leider das vermeintliche Lesevergnügen für den Spielleiter über der unmittelbaren Nutzbarkeit am Spieltisch. Ich kann daher nicht nachvollziehen, dass diese Szenarien es in der Wahl so weit nach oben geschafft haben. Trotz aller Kritik sehe ich auch positive Elemente in den Abenteuern, sodass sie sich mindestens als Ideensteinbruch verwerten lassen. Im Folgenden gehe ich konkreter auf die einzelnen Szenarien ein. Dabei führe ich zunächst die Punkte auf, die mir gut gefallen haben, und komme dann zu den kritikwürdigen Aspekten, wobei ich nur bedingt die oben erwähnten Aspekte wiederhole.
Achtung, Spoiler! Der Sänger von DholPositiv:
Die vorgefertigten Charaktere bieten jede Menge Zündstoff für gruppeninterne Konflikte und reizvolles Ausspielen der Rollen. Im Hinblick auf das Finale gibt es bei fast allen Charakteren entsprechende Andeutungen bezüglich Sehnsucht nach einem anderen Ort, sodass die Spieler auf die ungewöhnliche, aber passende Idee gebracht werden, im Finale das Tor nach Dhol zu nutzen.
Die Horrormomente, auf die das Szenario setzt lesen sich gut, insbesondere die verkrüppelten Lämmer, aber auch die Benutzung der Flöte.
Das Ende bietet interessante Entscheidungsmöglichkeiten zwischen Kampf, Geständnis der eigenen Schuld und der Flucht nach Dhol.
Negativ:
Vielleicht bin ich einfach durch Dungeon Crawl Classics und OSR-Sachen geschädigt, aber der Besuch in einem Krämerladen, eine Schlägerei mit der Dorfjugend und das Arbeiten auf einem Bauernhof empfinde ich schlichtweg als langweilige Aktivitäten im Rollenspiel.
Die Charaktere können laut Szenario nicht feststellen, dass Swantje doch nicht tot ist. Das ist Illusionismus und entwertet daher die Ideen der Spieler, den Tod wirklich zu prüfen. Zitat: „Bis zum Eintreffen der Goulsens ist sie aufgrund des Giftes in ein tiefes Koma gefallen und würde selbst bei einer eingehenden Untersuchung für tot gehalten.“ Meines Wissens atmen komatöse Menschen weiterhin. Es ließe sich also sehr leicht für die Charaktere feststellen, dass Swantje eben nicht tot ist.
Auch die Entscheidung, was sie mit der vermeintlichen Leiche machen, wird dadurch entwertet, dass Swantje später im Szenario zwingend – so wie es geschrieben ist – wieder auftaucht.
Der Zugang zum Geheimraum des Wächterordens stellt mit einer Probe auf Verborgenes erkennen oder Spurensuche ein ziemliches Nadelöhr dar. Das Szenario geht aber schlichtweg davon aus, dass die Charaktere dem Geheimraum und den Geheimgang zum Kirchturm finden.
Insgesamt gesehen geht das Szenario von einem sehr klaren Handlungsablauf ab. Sollten die Charaktere sich ganz anders verhalten, als geplant, oder gelingen gewisse Proben nicht, wird der Spielleiter vom Szenario alleine gelassen.
Fazit:
Das Szenario ist okay, aber extrem linear. Wessen Spielrunde auf gruppeninterne Konflikte steht, der kann hier zugreifen, allen anderen rate ich ab.
Der Lachende MannPositiv:
Das Szenario bietet eine interessante, gruselige und nachvollziehbare Hintergrundgeschichte.
Interessante Hintergrundgeschichte
Das Szenario bietet gute Ideen für gruselige Effekte und NSCs, die leicht verstören und ein gewisses Unbehagen bei den Charaktere auslösen sollten. Hier seien exemplarisch die Masken und die Anhänger des Clown Horrobin genannt.
Negativ:
Das Szenario ist noch romanartiger geschrieben als die anderen Abenteuer, sodass sich Informationen schlecht schnell aus dem Text ziehen lassen. Anstatt nüchtern zu beschreiben, was passiert, und auf was die Charaktere stoßen werden Orte, NSCs und Ereignisse blumig beschrieben.
Das Szenario bietet zu viele Rote Heringe (wie die Hypnose und den Gaukler) und dürfte die Spieler meiner Ansicht nach sehr schnell verwirren.
Die Entscheidungen der Charaktere spielen keine Rolle. Egal ob die Charaktere in der ersten Nacht aufwachen und die Gastgeber warnen oder nicht; die Gastgeber überleben. Auch dass die Morde am Landstreicher und am Professor verhindert werden könnten, sieht das Szenario nicht vor. Unabhängig vom Eingreifen der Charaktere läuft das Szenario bis zum Finale nach einem ganz klaren Schema ab. Dabei spielen die Entscheidungen der Charaktere bis zum Finale noch nicht mal beim Schluss eine relevante Rolle. Lediglich Detailinformationen können helfen.
Das Szenario rät dem Spielleiter explizit dazu, die Handlungen der Charaktere zu lenken, unabhängig davon, ob diese vielleicht gute Ideen haben, oder schneller handeln wollen. Zitat: „Es ist die Aufgabe des Spielleiters, dafür zu sorgen, dass beim Zusammentragen der in all den raugerissenen und zerrissenen “Seiten und Büchern festgehaltenen Informationen mehrere Stunden vergehen. Es ist wichtig, dass die Investigatoren erst gegen Abend alle relevanten Hinweise beisammenhaben in den Ort zurückkehren, ...“
Die Herbeiführung des möglichen Happy Ends, indem die Charaktere die Verliebtheit von Horrobin und Sarah Nocks ausnutzen, finde ich unpassend. Für meinen persönlichen Geschmack ist Liebe als Gegenmittel für kosmischen Horror einfach nicht geeignet.
Fazit: Als Ideensteinbruch bezüglich der Masken und des unsterblichen Clowns super geeignet, aber in meinen Augen nicht als Szenario spielbar, da die Charaktere bis auf das Ende keinen Teil der Handlung beeinflussen.
In ScherbenPositiv:
Die Einbindung der historischen Gegebenheiten ist tatsächlich spielrelevant und nicht einfach nur Kulisse.
Negativ:
Die Spieler bestimmen hier überhaupt nicht Lauf der Geschichte, sondern spielen nur einen fixen Ablauf nach. Sie erleben also nur eine Geschichte anstatt eine Geschichte zu beeinflussen, zu formen oder in Gang zu setzen. All die Entscheidungen der Charaktere, die die Handlung in Gang setzen und letztlich für das Verderben der Charaktere verantwortlich sind, geschehen alle vor dem eigentlich Spiel. Dadurch entfalten sie bei weitem nicht die Wirkung, die schwerwiegende Entscheidungen und ihre Konsequenzen im eigentlichen Spiel hervorrufen könnte.
Das Szenario geht davon aus, dass die Charaktere ganz bestimmte Entscheidungen treffen. Ganz besonders krass zeigt sich das am Ende, wo das Szenario schlicht und ergreifend davon ausgeht, dass die Charaktere den Mord an Mr. Möbius begehen und dann die Leiche auf eine ganz bestimmte Art entsorgen.
Fazit:
Mehr ein Theaterstück und damit Nachspielen einer Geschichte als ein Rollenspielszenario. Ich kann es höchstens Gruppen empfehlen, die wirklich Spaß am Verfall ihrer Charaktere und am historischen Aspekt von Cthulhu haben.
PinselstricheDie Idee mit der Jury ist ein ungewöhnlicher und interessanter Abenteuereinstieg.
Sowohl die Realfarbe, mit der Realität verändert werden kann, als auch das sich ändernde Bild sind tolle Elemente, die eigentlich interessante Interaktionsmöglichkeiten böten.
Auch Mr. Wilde, seine Verbindung zu Henry Armitage und sein Potential, in weiteren Szenarien als zweischneidiges Schwert in Form eines NSCs genutzt werden, gefällt mir gut.
Das vielfältig ausfallende Finale ist gut durchdacht und offen für Ideen der Spieler.
Negativ:
Dass sich das Bild gegen Zerstörung wehrt, ist in meinen Augen ein ziemlich billiger Trick. Das entwertet schnell gute Idee der Spieler und zwingt sie auf die vorgegebene Bahn des Szenarios.
Das Szenario benutzt eine gehörige Portion Illusionismus, denn es ist egal, wann die Charaktere dem Bild einen Besuch abstatten wollen. Es wurde immer „zum passenden Zeitpunkt“ vom Club zum Museum und damit außerhalb der unmittelbaren Reichweite der Charaktere gebracht.
Fazit:
Szenario mit viel liegen gelassenem Potential, da es sich leider einiger unnötiger No-Gos bedient. Diese können aber mit vertretbarem Aufwand aus der Welt geräumt werden, sodass das Szenario weniger linear und deutlich besser wird.
Die Mutter allen EitersPositiv:
Leider stach für mich kein Aspekt besonders positiv hervor.
Negativ:
Das Szenario geht viel zu sehr davon aus, dass die Spieler diese und jene Entscheidungen treffen. So ist es aus meiner Sicht nicht unbedingt naheliegend, dass die Charaktere unmittelbar nach Dunwich fahren. Als Spielleiter müsste ich also die Spieler immer wieder in eine bestimmte Richtung stupsen.
Das Schlüsselhandout des Szenarios kann nur über eine Probe gefunden werden, was einen ziemlichen Flaschenhals oder Ratlosigkeit erzeugen kann.
Im Szenario werden diverse Dinge beschrieben, die für das Szenario keine direkte Rolle spielen, zum Beispiel der Abschnitt „Die Steine auf dem Hügel“.
Fazit:
Das Szenario hat leider inhaltlich bis auf seine Krassheit des Hintergrunds wenig zu bieten. Meine Empfehlung ist daher, ein paar NSCs zu klauen und die Mythos-Buchauszüge als Handouts zu nutzen.
So, genug der Meckerei. Aktuelle Cthulhu-Szenarien machen vieles deutlich besser, als die genannten Szenarien, vor allem indem sie nichtlinearer ablaufen, mehr Hinweise streuen und den Charakteren mehr Entscheidungen lassen. Von der Qualität dieser Abenteuer sollte man also nicht auf die Qualität der aktuellen Szenarien schließen (dennoch finden sich immer noch einzelne unnötig lineare und geskriptete Szenarien in aktuellen Abenteuerbänden z.B. Blende und Abgang oder Schreie und Flüstern)