So, ich habe das ganze Grundspiel inzwischen wirklich abgegrast und leergespielt und bin mit den Enden durch.
Meine (!) Meinung zum Abschluß:
Gut:
- Ich muß Darius nun beipflichten, daß die Spielmechaniken mit dem Charakterfortschritt deutlich eleganter und spürbarer werden, sowohl das Cybergedöns als auch die Vorteile und Waffentechnik und damit die Spielmöglichkeiten und die Action. Das baut sich zwar langsam auf, aber wenn man erst mal viel und gutes Zeug aufgewertet hat, merkt man das im Spiel heftig. Mechanisch machte mir das Spiel von Tag zu Tag mehr Spaß und ist auch der (einzige) Grund für einen neuen Anlauf.
- Night City inkl. Umland ist riesig und hat extrem viele schöne und ganz eigene Ecken. Mein Screenshotordner platzt aus allen Nähten. Mit der Kulisse haben sie Großes geleistet.
- Insgesamt hatte ich im Spiel trotz aller Kritik eine gute Zeit und werde nach meiner eiskalten Alleskillerin meinen üblichen Neudurchlauf mit superfreundlicher, niemandauamachender Netrunnerin starten. Zu der paßt dann auch der sprachlich und inhaltlich recht starr vorgegebene Spiel-SC. Bud Spencer muß warten, was alle Ganger der Stadt vermutlich aufatmen lassen wird (abgesehen von den Voodoo Boys, die leider ausradiert wurden).
In Ordnung:
- Die Braindances fand ich nicht so wild, weil man sie mit dem Spulen schnell abarbeiten konnte. Originelle Idee.
- Night City bleibt für mich zwar leblos, allerdings bieten die Massen an NSC und Autos eine solide Illusion von Umtriebigkeit und Bewegung, also allgemeiner Großstadtaktivität, die mich im Detail selbstredend völlig unberührt läßt. Doch im Laufe der Spielzeit muß ich sagen ... paßt und erfüllt seinen Zweck.
- Viele relevante NSC sind gut ausgearbeitet und besitzen für mich - leider im Gegensatz zu meinem SC - Identifikationsmerkmale und etwas "Charakter". Da gibt es nette Erinnerungen.
- Ich mochte viele Nebenmissionen und die zugehörigen Fixer, vor allem die harte Lady in den Badlands. Mit der und Vik brause ich gerne mit meiner Luxuskarre in den Sonnenuntergang. Das wäre mein Idealende gewesen.

- Diese "Beziehung" im Spiel ist ganz nett gemacht, aber Judy könnte mich mal weniger stalken. Dieses TikTok-Kid schreibt ja ständig irgendeine Nachricht und will in meinen Buden abhängen und herumkuscheln. Hmpf.
Schlecht:
- Die Fahrphysik ist und bleibt ein Stachel dort, wo die Sonne nie scheint. Bis auf ein, zwei Autos (danke für den Tip, Sashael) und die Motorräder ist das Fahren in diesem Spiel eine einzige Pein.
- Viele Gelbmissionen und auch die Hauptgeschichte sind für mich verschenktes Potential und bestenfalls Mittelmaß. Im letzten Viertel des Spieles verschlechterte sich mein Eindruck zum Inhalt und den Geschichten noch mal deutlich.
- Rollenspielerisch finde ich diese Railroadinghölle unterirdisch, was mit jeder weiteren Spielstunde übler wurde. Ich war und bin wirklich froh, inhaltlich endlich durch zu sein. Ich habe aus
rollenspielerischer Sicht schon lange kein so schlechtes CRPG mehr unter den Fingern gehabt. Die Entwickler/Autoren bemühten sich um sehr interessante Ansätze und Wege, zugegeben, aber haben daraus keine für mich spannenden Geschichten gemacht und nur einen Pfad, den ich mit leichten Variationen artig abarbeiten durfte. Übel.
- Diese zunehmenden Relic-Sequenzen nervten nur noch hart. Meine Güte ... ich sah die ganze Zeit das dümmliche Grinsen eines schlechten SL vor mir, der mir nach Belieben das dreibrillionste Relic-Problem zum schlechtesten Zeitpunkt um die Ohren klatschen wollte. Eindruck von Zeitdruck, schon klar ... aber keine tolle Wurst.
- Die ganze Geschichte um diesen dummen, abgewrackten Labersäufer Silverhand - mit Verlaub - kotzte mich nur noch an. Ich habe solche Altrockerwracks in meiner aktiven Metallerzeit leider reichlich erlebt. Mir war am Ende fast schon egal, was mit mir passierte, hauptsache war, daß ich nicht mehr mit diesem mansplainenden Schwachkopf verkehren mußte. Der hat mir das Spiel wirklich stark vermiest.
- Ich finde alle Enden kacke und bestenfalls aus moralisch-rollenspielerischer Sicht etwas unterschiedlich und diskutierenswert. LOL. Aber ... isso. Das erinnerte mich ein wenig an Mass Effect 3, bei dessen ursprünglichen Enden man sich mehr oder weniger nur aussuchen konnte, mit welcher schönen Farbe die Galaxie vor die Hunde geht.

Das erzählerisch schlechteste Ende ist für mich übrigens Arasaka.
Naja, wie auch immer. Lichtseiten und Schattenseiten. Kein Meisterwerk, aber ein gutes Spiel für mich, nachdem ich meine Erwartungen etwas verändert hatte.
ABER: Phantom Liberty ... holy moly. Das dreht ja bisher krass auf und holt ALLES nach, was das Grundspiel mMn inhaltlich verpatzte und verpennte. Also, da stimmt für mich bisher alles perfekt, und ich bin sehr gespannt, ob sie dieses Niveau über die ganze Erweiterung hinweg halten.

PS: Wer sich durch meine Meinung irgendwo schon wieder irgendwie persönlich beleidigt fühlt ... schorry, ist nicht so; komm runter und klar.