Autor Thema: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?  (Gelesen 13096 mal)

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Offline tartex

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #75 am: 7.12.2012 | 01:04 »
Damit drehst du den Thread nur im Kreis. Diese Zukunftstheorien haben ich und Einzelgänger ja für unsinnig erklärt oder zumindest relativiert. Der traditionelle Mensch wäre ja immer noch ein Teil des Gesamtwesens, dass auch einen Zweck erfüllt, z.B. als effizienter Agent.

Ich denke, der kleiner Faktor Selbstwahrnehmung, bzw. mögliche Reflexion der eigenen, menschlichen Position spielt da schon noch rein. Jeder Autor der Teil des nach seinem Tod noch Teil des Diskurses bzw. Kanon ist, ist deiner Ansicht nach ja quasi immer noch funktionierender, lebendiger Bestandteil des Systems.

Nur nutzt ihm das selber wenig. Ich bin mir meiner selbst trotzdem nicht mehr bewusst, und fühle mich nicht mehr als lebend, nur weil ihr in hundert Jahren noch meine genialen Tanelorn-Posts diskutiert...

Ich würde als effizienten Agenten nur jemanden bezeichnen, der selbst noch Feedback geben kann.

Wenn Menschen nur Verwaltungswährung eines kybernetischen Systems sind, sind sie selbst kaum mehr Teil der Kybernetik.
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Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #76 am: 7.12.2012 | 09:59 »
Ich habe aber auch geschrieben, dass die Werkzeuge des Menschen ein Teil von ihm sind und folglich das selbe Wesen. Also ist der Mensch auch automatisch ein Teil der Maschiene und wenn die Maschiene die Oberhand nimmt, wird der alte Körper zwar im Rang abgestuft und irgendwann wegrationalisiert, aber der Mensch lebt in der Maschiene fort. Und zwar in jedem Fall. Deshalb macht es keinen Unterschied ob Mensch oder Maschiene.
Verstehe ich dich richtig: sobald der ursprüngliche, biologische Mensch auf 0% Anteil am System gesunken ist, wäre es für dich immer noch ein "menschliches" System, weil "von Menschen geschaffen"?

99% aller irdischen Lebewesen sterben auch aus, sobald sich ihre Lebensbedingungen signifikant verändern. [...]
Kunst ist essentiell für die Modellbildung (ohne welche Wissenschaft und Philosophie schnell an ihre Grenzen stoßen).
OK, point taken. Allerdings behaupte ich trotzdem, daß wir nicht unbedingt unsere eigene Kreativität in vollem Umfang transzendiert haben müssen, um Maschinen mit selbiger (oder etwas ähnlichem) auszustatten. Von meiner IT-Berufserfahrung her gehe ich eher davon aus, daß flexible Problemlösungsstrategien in KIs verankert sein werden, lange bevor sie das Konzept "Bewußtsein" auch nur ankratzen. Und auch bei Bewußtsein, Emotionen etc. gehe ich davon aus, daß sie nicht etwa absichtlich von uns Menschen eingebaut werden, sondern daß KIs ab einem bestimmten Komplexitätsgrad von selbst etwas in der Richtung entwickeln werden - keine menschlichen Emotionen, sondern etwas völlig Fremdartiges, aber etwas, das unserem Begriff von "Emotionen" durchaus entspricht.

Mal eine generelle Frage an die Transhumanisten: Was wird in eurer Mensch/Maschine-Symbiose aus jenen menschlichen Individuen im IQ-100-Bereich, die bereits heute von der komplexen Hochtechnologie überfordert sind? Die im Grunde immer noch die alten Mammutjäger sind und keinen Wert darauf legen, drei Roboterkörper gleichzeitig fernzusteuern, um damit einen anderen Roboter zu bauen, dessen Zweck und Funktion sie noch weniger kapieren? Solche Individuen machen immer noch die Mehrheit aus. Und bereits von der bisherigen technischen Entwicklung wurden sie nicht etwa auf ein neues Niveau gehoben, sondern lediglich wegrationalisiert.
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alexandro

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #77 am: 7.12.2012 | 10:06 »
Mal eine generelle Frage an die Transhumanisten: Was wird in eurer Mensch/Maschine-Symbiose aus jenen menschlichen Individuen im IQ-100-Bereich, die bereits heute von der komplexen Hochtechnologie überfordert sind? Die im Grunde immer noch die alten Mammutjäger sind und keinen Wert darauf legen, drei Roboterkörper gleichzeitig fernzusteuern, um damit einen anderen Roboter zu bauen, dessen Zweck und Funktion sie noch weniger kapieren? Solche Individuen machen immer noch die Mehrheit aus. Und bereits von der bisherigen technischen Entwicklung wurden sie nicht etwa auf ein neues Niveau gehoben, sondern lediglich wegrationalisiert.

Das interessiert mich auch, rein auf der intellektuellen Ebene des Gedankenspiels (im RL halte ich Transhumanismus für eine weltfremde Techniker-Religion, vergleichbar mit Dianetics und dem was HardCore-Trekkies glauben ;) ) die bisher hier vorgestellten Beispiele klingen wenig überzeugend (und Anderson klingt stark dystopisch, wie eine ideale Rechtfertigung des Kolonialismus).

Offline Thot

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #78 am: 7.12.2012 | 12:25 »
Grundthese des Transhumanismus ist die Verbesserung des Menschen an sich. Leute mit  IQ100 oder weniger werden einfach, sofern sie es wollen, zu solchen mit IQ200 gemacht, wie bei allen anderen auch.

Offline tartex

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #79 am: 7.12.2012 | 12:51 »
Mal eine generelle Frage an die Transhumanisten: Was wird in eurer Mensch/Maschine-Symbiose aus jenen menschlichen Individuen im IQ-100-Bereich, die bereits heute von der komplexen Hochtechnologie überfordert sind?

Gibt es die? Ich hatte nie den Eindruck, dass Technikinteresse und IQ irgendwas miteinander zu tun haben.
Intelligenz sehe ich eher an Interesse am abstrakten Denken gekoppelt. Und das ist wahrscheinlich auch eher motivationsbedingt, als dass es was mit IQ zu tun hat.

Ich denke, der Transhumanist würde antworten, dass einfach die Usability verbessert werden muss. Soll alles intuitiv funktionieren. Was den Menschen dazu motiviert es zu benutzen ist ja nicht an IQ gekoppelt.

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Offline JPS

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #80 am: 7.12.2012 | 18:17 »
Verstehe ich dich richtig: sobald der ursprüngliche, biologische Mensch auf 0% Anteil am System gesunken ist, wäre es für dich immer noch ein "menschliches" System, weil "von Menschen geschaffen"?

Was ist schon der wahre Unterschied zwischen einer Denkmaschiene und einem Gehirn? Der Mensch ist im Prinzip ein autonomer Verband von Werkzeugen, im Kern zusammengehalten von direkter Kommunikation. In einer Maschienenzivilisation hättest du das selbe. Und da die Maschiene sich aus dem Menschen entwickelt hat ist sie auch in seiner Linie.

(im RL halte ich Transhumanismus für eine weltfremde Techniker-Religion, vergleichbar mit Dianetics und dem was HardCore-Trekkies glauben ;) )

Ja, das sollte man auch nicht quasi-religiös sehen. Ich halte auch den Singularitätsbegriff für Unsinn. Da gibt es keinen Schicksalstag, der ruckartig die gesammte menschliche Zivilisation verändert. Eine starke KI wäre auch nur ein gutes Werkzeug, es wird weiterhin gewöhnliche Probleme geben. Technologische Fortschritte macht der Mensch sich aber nunmal seit jeher zu Nutze, deshalb denke ich auch, unter entsprechenden Vorraussetzungen, der Transhumanismus, vermutlich also langsamer Prozess, irgendwann stattfinden wird, bzw. es schon seit lang Zeit tut.

Eulenspiegel

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #81 am: 7.12.2012 | 20:00 »
Was ist schon der wahre Unterschied zwischen einer Denkmaschiene und einem Gehirn?
Falsche Frage.

Die richtige Frage müsste lauten: Was ist der Unterschied zwischen meinem Gehirn und dem Gehirn eines x-beliebigen anderen Menschens?
Antwort: Wenn mein Gehirn stirbt, war es das mit meinem Bewusstsein. Wenn das Gehirn des anderen stirbt, habe ich weiterhin Bewusstsein.

Es mag keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem organischem Gehirn und einem maschinellen Gehirn geben. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Gehirn A und Gehirn B.

Zitat
Und da die Maschiene sich aus dem Menschen entwickelt hat[...].
Und genau diese Aussage gilt es zu hinterfragen.
Ich denke durchaus, dass der Mensch immer häufiger in die Matrix geht. Und ich denke auch, dass der Mensch einige Teile seines Körpers kybernetisch verbessern will. Aber ich denke nicht, dass der Mensch völlig zur Maschine wird.

Und selbst, wenn der Mensch völlig zur Maschine wird, dann gäbe es dennoch zwei Arten von Maschinen:
1) Freizeitmaschinen: Die Nachfahren der Menschen.
2) Arbeitsmaschinen: Die Nachfahren der heutigen produktiven Maschinen.

Und das, was Grey im Eingangspost über Menschen gesagt hat, würde in diesem Fall 1:1 für die Freizeitmaschinen gelten.

Zitat
Ich halte auch den Singularitätsbegriff für Unsinn. Da gibt es keinen Schicksalstag, der ruckartig die gesammte menschliche Zivilisation verändert. Eine starke KI wäre auch nur ein gutes Werkzeug, es wird weiterhin gewöhnliche Probleme geben.
Das ist mit Singularität auch nicht gemeint.

Gemeint ist: Der Fortschritt hängt von der Intelligenz der Wissenschaftler ab sowie dem bisherigen Wissen. Das heißt, als Gleichung aufgeschrieben hätten wir:

XP' = IQ * XP
IQ' = konst.
(XP ist das Wissen der Menschheit und IQ ist die Intelligenz der Menschheit.)

Das heißt, wir haben momentan einen exponentiellen Anstieg an Wissen. In dem Augenblick, wo die Forschung aber soweit ist, dass sie echte KI bauen kann, wird weitere Forschung auch dazu führen, dass man den IQ erhöhen kann. Das heißt, wir haben dann plötzlich:

XP' = IQ * XP
IQ' = IQ * XP (evtl. auch "nur" IQ' = XP)

Und das führt zu einem überexponentiellen Anstieg an Wissen. Genauer: Die Lösung dieser DFG ergibt:
XP(t) = IQ(t) = 1/(c-t)

Und ein Plot zeigt, dass der Graph gegen unendlich geht, bei t-->c. DAS ist mit Singularität gemeint

Offline JPS

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #82 am: 7.12.2012 | 20:51 »
Falsche Frage.

Die richtige Frage müsste lauten: Was ist der Unterschied zwischen meinem Gehirn und dem Gehirn eines x-beliebigen anderen Menschens?
Antwort: Wenn mein Gehirn stirbt, war es das mit meinem Bewusstsein. Wenn das Gehirn des anderen stirbt, habe ich weiterhin Bewusstsein.


Eben, das ist volkommen alltäglich. Aber das Bewusstsein planzt sich ja durch Überlieferung fort im Falle von Mind-Uploading & co. pflanzt es sich sogar direkt fort. Du kannst die Maschiene in der Beziehung sowohl wie einen anderen Menschen behandeln, als auch im Falle Symbiose als ein Teil deines Verstandes.

Und selbst, wenn der Mensch völlig zur Maschine wird, dann gäbe es dennoch zwei Arten von Maschinen:
1) Freizeitmaschinen: Die Nachfahren der Menschen.
2) Arbeitsmaschinen: Die Nachfahren der heutigen produktiven Maschinen.

Würde sich die Trennung nicht selbst aufheben?

Gemeint ist: Der Fortschritt hängt von der Intelligenz der Wissenschaftler ab sowie dem bisherigen Wissen. Das heißt, als Gleichung aufgeschrieben hätten wir:


Das ist ein Teil der Singularitätstheorie. Die Singularität ist immer noch der äusserst schwammige Begriff für den Punkt, an dem die wissenschaftliche Entwicklung so rasant fortschreitet, dass der Mensch nicht mehr folgen kann. Das ganze basiert dabei auf einer Annahme eines potenziell beschleunigten Fortschritts. Das würde in Konsequenz dann auch zu einem weiteren Punkt führen, nämlich dem Punkt praktisch unendlich schnellen Fortschritts. Fortschritt ist aber von vielen Bedingungen abhängig und beschleunigt sich nicht bloß selbst. Mal abgesehen von der technisch/physikalischen Absurdität dieser Theorie.

Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #83 am: 7.12.2012 | 23:03 »
Gibt es die? Ich hatte nie den Eindruck, dass Technikinteresse und IQ irgendwas miteinander zu tun haben.
Meine persönliche Beobachtung (gefühlt): unter Menschen mit niedrigerem IQ gibt es a) einen geringeren Anteil an Technikinteressierten und b) schöpfen sie das Potential ihrer Gadgets in geringerem Maße aus als intellektuelle "Geeks". Häufig läuft es auf dem niedrigeren IQ-Niveau darauf hinaus, mit dem modernsten Gadget anzugeben; im Grunde ist es aber nur ein McGuffin und könnte auch einer beliebigen anderen Welle modischer Acessoires angehören.

Technikinteressierte, die tatsächlich in solchem Maße in die Technik "eintauchen", daß man von einer transhumanen Tendenz reden könnte, kenne ich bislang ausschließlich aus der intellektuellen Schicht.

Und da die Maschiene sich aus dem Menschen entwickelt hat ist sie auch in seiner Linie.
"In seiner Linie", ja. Aber würde dir eine Denkmaschine, die grob der "menschlichen Linie" folgt, tatsächlich als Identifikationsfigur genügen - als RPG-Charakter bzw. Romancharakter?

"Ich" bin nicht nur Gehirn, "ich" bin ein ganzer Körper. Wenn ich mich mit dem Charakter in einer Geschichte identifiziere, dann will ich seine Muskeln ächzen, seinen Magen knurren und sein Herz rasen fühlen. Das habe ich alles nicht, wenn er im Grunde nur ein Gedankenmuster ist, das einen Haufen motorisierte Einheiten steuert. Ein im geistigen Sinne noch so "menschlicher" Roboter taugt für mich vielleicht als Sympathieträger, aber niemals als Identifikationsfigur.
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Offline JPS

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #84 am: 7.12.2012 | 23:18 »
Ein im geistigen Sinne noch so "menschlicher" Roboter taugt für mich vielleicht als Sympathieträger, aber niemals als Identifikationsfigur.

So, da sind wir im praktischen Darstellungsbereich und einem klassischen Problem in der spekulativen Fiktion: Je weiter wir uns von unserer bekannten Position entfernen, umso schwieriger wird ein Setting für das Publikum, auch wenn es im Gegenzug dafür auch ein sehr spannendes und interessantes Setting sein kann, wirkt es auf die meisten Leute abschreckend. Dieser Punkt wird natürlich wichtig, wenn man soetwas im Rollenspiel umsetzen will. Der Diskurs war jedoch bisher hauptsächlich philosophisch-futorologisch geprägt und in der Hinsicht spielt Identifikation keine Rolle, auch wenn es in die Akzeptanz solcher Vorstellungen mit einfliesst. Es wäre aber sicherlich eine interessante Herausforderung ein Setting wie hier besprochen spielbar umzusetzen. Würde mir eine solche Figur genügen? Mir vieleicht, wenn gut umgesetzt, aber sicherlich der Mehrheit, wenn auch nicht zwingend die Mehrheit in diesem Thread, nicht.
« Letzte Änderung: 7.12.2012 | 23:19 von JPS »

alexandro

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #85 am: 7.12.2012 | 23:39 »
@Grey: Da habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht.

Leute mit relativ niedrigem IQ waren in der Regel schon einen Tag nach Erwerb in der Lage, sämtliche Funktionen ihres neuen "Gadgets" vorzuführen (und sich darüber ausführlich mit Gleichgesinnten auszutauschen).

Bei intelligenteren Personen dauerte das oft wesentlich länger (teilweise 2-5 Wochen), weil sie eher "bedarfsorientiert" an ihr Gerät herangingen und die Funktionen nicht als Selbstzweck oder Möglichkeit zur Selbstdarstellung ansahen.

Da Gerätefunktionen tendenziell immer intuitiver werden, sehe ich durchaus eine stärkere Entwicklung beim "Durchschnittsbürger", bei der die "Intellektuellen" dann irgendwann nachziehen.

Eulenspiegel

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #86 am: 8.12.2012 | 03:15 »
Aber das Bewusstsein planzt sich ja durch Überlieferung fort im Falle von Mind-Uploading & co. pflanzt es sich sogar direkt fort.
Mind-Uploading würde ich als eine Fortsetzung von mir akzeptieren. Aber wieso sollte ich mich in eine Arbeitsmaschine mind-uploaden, wenn eine KI das genau so gut hinbekommt?

Zitat
Würde sich die Trennung nicht selbst aufheben?
Es gab auch Jahrhundertelang eine Trennung zwischen Adel und Volk.
Die Trennung wurde erst aufgehoben, als das Volk rebellierte. Und dies hat es getan, weil es evolutionär den Hang nach Freiheit hat.
Eine Arbeits-KI hat dagegen keinen Hang zur Freiheit. Also wird sie auch nicht rebellieren. Und damit gibt es keinen Grund, wieso die Trennung aufgehoben werden sollte: Adel und Volk waren biologisch auch identisch. Das hat sie aber nicht daran gehindert, die Trennung aufrechtzuerhalten.

@Grey
Also bei Nummer 5 lebt oder bei Wall-E funktioniert die Identifikation auch recht gut.

Bei Wall-E haben wir im Prinzip sogar das, was du im OP dargestellt hast: Die Maschinen arbeiten den ganzen Tag, während die Menschen auf der faulen Haut liegen und sich bedienen lassen. Btw, die beiden Hauptfiguren im Film sind Roboter.

Offline Waldviech

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #87 am: 8.12.2012 | 10:39 »
Zitat
Also bei Nummer 5 lebt oder bei Wall-E funktioniert die Identifikation auch recht gut.
Selbst bei KITT funktioniert Identifikation hervorragend, und der ist nicht mal näherungsweise humanoid. Ich denke mal, es kommt eher drauf an, ob man den "Roboter" als Charakter wahrnimmt oder nicht - und das hängt in erster Linie von Verhalten und Kommunikation ab.

Zitat
Mind-Uploading würde ich als eine Fortsetzung von mir akzeptieren. Aber wieso sollte ich mich in eine Arbeitsmaschine mind-uploaden, wenn eine KI das genau so gut hinbekommt?
Das käme wohl auf den jeweiligen Fall an U.a. von was für Arbeitsmaschinen wir reden und wie die "Posthumanen Identitäten", die die nachmenschliche Zivilisation ausmachen, gestrickt sind. Wohl niemand würde sich in Kaffeemaschinen oder CadCam-Fräsen uploaden - bei Raumsonden und Konstruktionsmaschinen sieht das je nach Charakter möglicherweise anders aus. (Ich will die bewohnbaren Monde von Gliese 581 d "persönlich" erforschen oder als großer Konstrukteur "selbst" an meinem küstlerisch vollkommenen Acht-Kilometer-Turm schrauben)
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Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #88 am: 8.12.2012 | 22:04 »
So, da sind wir im praktischen Darstellungsbereich und einem klassischen Problem in der spekulativen Fiktion: [...] Der Diskurs war jedoch bisher hauptsächlich philosophisch-futorologisch geprägt und in der Hinsicht spielt Identifikation keine Rolle, auch wenn es in die Akzeptanz solcher Vorstellungen mit einfliesst.
Wirklich? Ich hatte bislang eher den Eindruck, du (wie auch die anderen anwesenden Transhumanisten generell) hättest versucht, mir meine Angst vor dem Transhumanismus zu nehmen. Das war nicht unbedingt eine Antwort auf meine Eingangsfrage, wie glaubwürdig die Entstehung einer "reinen Maschinenzivilisation" (in der vielleicht noch biologische Menschen leben, aber aktiv nichts mehr beitragen) überhaupt wäre bzw. wie lebensfähig so etwas nach seiner Entstehung voraussichtlich wäre. (EDIT: Tatsächlich kamen von dir zwar eine Menge Beiträge zum Grundtenor "Denkbarrieren abbauen", aber keine konkreten Aussagen über Faktoren, die das Entstehen und Fortbestehen einer solchen Zivilisation begünstigen bzw. hemmen würden.)

Mein Posting zum Thema Identifikation war hauptsächlich als Antwort auf dieses "Angst nehmen" gemeint - und in der Hoffnung, diesen Teil der Diskussion abzuschließen und endlich zu meiner ursprünglichen Frage zurückzukehren.

(BTW, Wall-E ist mir bekannt und exakt ein Beispiel für ein Setting, wie es mich nicht im geringsten anspricht.)


EDIT: Dank dieses Brainstormings konnte ich endlich den Finger darauf legen, wo genau der Knackpunkt liegt, weshalb ich an die langfristige Lebensfähigkeit einer vollständig durchautomatisierten Zivilisation nicht glauben kann: die Ressourcen, aus denen man Maschinen gleich welcher Art bauen kann, sind begrenzt.

Schwere Elemente sind deutlich seltener als Kohlenstoff; ansonsten hätte sich das Leben nicht gerade auf Kohlenstoffbasis entwickelt. Selbst wenn sämtliche verfügbaren Ressourcen der Erde zum Bau von Maschinen verwendet werden, können diese nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl Menschen "bedienen". Daß in vielen Gebieten Asiens bis heute Wasserbüffel die Felder pflügen statt Traktoren, ist nicht nur eine Frage von Tradition und Rückständigkeit. Höchstwahrscheinlich könnten wir nie genug Traktoren für alle Bauern der Welt bauen.

Eine "vollständig durchautomatisierte" Welt ist also nur bei einer vergleichsweise kleinen Gesamtbevölkerung denkbar. (Ich sag' mal 'ne Hausnummer: unter einer Milliarde.) Eine größere Bevölkerung hat zur Folge, daß sich die Automatisierung entweder bei einer reichen Minderheit konzentriert und der Rest unter primitivsten Bedingungen lebt oder daß der Einzelne sich auch wieder mit etwas Handarbeit anfreunden muß, da einfach nicht genug Maschinen da sind, um ihm alles abzunehmen.

Und unter solchen Umständen sind auch Entstehung und großflächiger Erfolg von Ideologien denkbar, die ein gewisses Maß an "zurück zur Handarbeit" propagieren.
« Letzte Änderung: 10.12.2012 | 10:55 von Grey »
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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #89 am: 10.12.2012 | 19:48 »
Wirklich? Ich hatte bislang eher den Eindruck, du (wie auch die anderen anwesenden Transhumanisten generell) hättest versucht, mir meine Angst vor dem Transhumanismus zu nehmen. Das war nicht unbedingt eine Antwort auf meine Eingangsfrage, wie glaubwürdig die Entstehung einer "reinen Maschinenzivilisation" (in der vielleicht noch biologische Menschen leben, aber aktiv nichts mehr beitragen) überhaupt wäre bzw. wie lebensfähig so etwas nach seiner Entstehung voraussichtlich wäre. (EDIT: Tatsächlich kamen von dir zwar eine Menge Beiträge zum Grundtenor "Denkbarrieren abbauen", aber keine konkreten Aussagen über Faktoren, die das Entstehen und Fortbestehen einer solchen Zivilisation begünstigen bzw. hemmen würden.)

Ja, den "Angst nehmen"-Teil haben wir durch genommen, ich meinte damit auch, dass wir an einigen Ecken darüner hinausgeschossen. Wir haben durchaus diskutiert, warum eine Maschienenzivilisation eine logische Zukunkftsaussicht ist und in Teilen auch wie sie aussehen könnte. Über Hindernisse zu dieser Entwicklung haben wir nicht gesprochen, das stimmt.

EDIT: Dank dieses Brainstormings konnte ich endlich den Finger darauf legen, wo genau der Knackpunkt liegt, weshalb ich an die langfristige Lebensfähigkeit einer vollständig durchautomatisierten Zivilisation nicht glauben kann: die Ressourcen, aus denen man Maschinen gleich welcher Art bauen kann, sind begrenzt.

Woher nimmst du die Annahme, das Maschienen dann aussehen müssten, wie leistungsfähigere Varianten heutiger Maschienen? Es wären einige Formen denkbar, in Zukunft sicher noch viele mehr und diese Verwenden eben nicht zwangsweise schwere Elemente. Hypothetische Zukunftstechnologien wären dann zusätzlich auch noch die synthetische Herstellung aus anderen Stoffen oder Energie, wenn vieleicht aufgrund physikalischer auch nicht mit maximaler Effizienz, oder die Beschaffung von Rohstoffen von anderen Planeten. Merkur ist dafür zum Beispiel in der Science Fiction sehr beliebt. Übrigens ist ja auch der Mensch schon an Resourcen gebunden, welche in seiner Vergangenheit immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt haben. Dieser Konflikt muss nicht verschwinden. Auch der Gesellschaftsausbau ist entscheidend. Wie groß muss die Zivilisation überhaupt sein? Wo werden welche Ressourcen überhaupt neu benötigt? Bei einem geringen Wachstum bräuchte man neue Rohstoffe hauptsächlich zur Instandhaltung. Recycling könnte hier auch ein Faktor sein.

Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #90 am: 11.12.2012 | 08:29 »
Wir haben durchaus diskutiert, warum eine Maschienenzivilisation eine logische Zukunkftsaussicht ist und in Teilen auch wie sie aussehen könnte. Über Hindernisse zu dieser Entwicklung haben wir nicht gesprochen, das stimmt.
Hatten wir denn auch irgendwo sachliche Pro-Argumente? Mir kam es bislang wie eine rein psychologische Diskussion vor: "Öffne dich der Idee doch mal!"

(Und BTW, das "Angst nehmen" ist euch weder gelungen - ich war für die Vorstellung vom Transhumanismus schon vorher "offen", und sie verursacht mir immer noch denselben unwillkürlichen Brechreiz -, noch in diesem Zusammehang in irgendeiner Weise zielführend, denn ich wollte zunächst einfach Fakten und Folgerungen sammeln, um diese unabhängig von meiner persönlichen Meinung zu evaluieren.)

Woher nimmst du die Annahme, das Maschienen dann aussehen müssten, wie leistungsfähigere Varianten heutiger Maschienen? Es wären einige Formen denkbar, in Zukunft sicher noch viele mehr und diese Verwenden eben nicht zwangsweise schwere Elemente. [...] Übrigens ist ja auch der Mensch schon an Resourcen gebunden, welche in seiner Vergangenheit immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt haben. [...] Wie groß muss die Zivilisation überhaupt sein? [...]
Zunächst einmal: Miniaturisierung hat in Bezug auf praktische Belange ihre Grenzen. Solange wir Menschen Körper haben, werden wir Behausungen brauchen. Diese sollten möglichst groß genug sein, daß wir auch reinpassen. Dafür aber brauchst du Maschinen von bestimmten Ausmaßen. Selbst wenn wir davon ausgehen, daß ein Baukran künftig durch einen Schwarm käfergroßer Bauroboter ersetzt wird, müssen sie in Summe immer noch eine gewisse Mindestmasse auf die Waage bringen, sonst brauchen sie ewig.

Auch die Werkstoffe für die Herstellung von Microchips sind nicht nach Belieben austauschbar. Je komplexer die Technologie, desto spezifischer werden die Anforderungen. Du kannst nicht einfach sagen: "Nickel ist alle? Na schön, dann nehmen wir ab jetzt einfach Paladium."

Was die Ressourcen betrifft, auf die der biologische Mensch angewiesen ist: diese fallen unter die Rubrik "erneuerbar" und sind seit Milliarden Jahren Bestandteil des ökologischen Kreislaufs. Selbst wenn wir davon ausgehen, daß "die" Bedingungen für den Homo Sapiens erst seit Anfang des Neogen herrschen (also seit ca. 23 Mio. Jahren), ist das immer noch um 3-4 Zehnerpotenzen länger, als die ältesten Konstrukte bestehen, die wir "Zivilisation" nennen. Sprich, die Ressourcen, die der biologische Mensch benötigt, haben sich als sehr viel unverwüstlicher/ergiebiger erwiesen als die Ressourcen, die für Technologie erforderlich sind.

Eine andere Gesellschaftsstruktur ist natürlich ein möglicher Ansatz. Bei sehr viel geringerer Bevölkerungszahl bleiben natürlich pro Kopf mehr Ressourcen übrig. Für den Lebensstandard des Einzelnen mag das zunächst ein Vorteil sein; für die Spezies als Ganze, wie das Schicksal des Neandertalers zeigt, nicht unbedingt. Der einzelne Neandertaler war nachweislich erheblich stärker und robuster als der einzelne Cro-Magnon. Diesen Vorteil bezahlte er aber durch einen höheren Energieumsatz. Sprich, von der Nahrungsmenge, von der 10 Neandertaler satt wurden, konnte man 20 Cro-Magnon ernähren, die - in Summe - genauso stark waren wie die 10 Neandertaler. Und der Cro-Magnon-Stamm hatte dann im Umkehrschluß bei gleichem Energieumsatz doppelt so viele Hände und Köpfe zur Verfügung, um Schwierigkeiten zu bewältigen. Vermutlich deshalb hat der Cro-Magnon die Eiszeit überstanden, der Neandertaler nicht.
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Offline Waldviech

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #91 am: 11.12.2012 | 10:40 »
Zitat
Eine andere Gesellschaftsstruktur ist natürlich ein möglicher Ansatz. Bei sehr viel geringerer Bevölkerungszahl bleiben natürlich pro Kopf mehr Ressourcen übrig.
Und ein anderer Umgang mit Ressourcen wäre vielleicht auch nicht ganz unwichtig. Unsere jetzige Zivilisation hat ja keinen drohenden Ressourcenmangel, weil wir Maschinen bauen und nutzen, sondern weil wir eine ausgeprägt verschwenderische Wegwerfgesellschaft haben. Hinzu käme noch, was auch nicht ganz unwichtig ist: welche Möglichkeiten hat unsere Maschinenzivilisation X, neue Rohstoffe zu fördern, an welche Rohstoffe kommt sie heran und welche davon lassen sich wirklich nicht erneuern oder recyceln. Eine raumfahrende Maschinenrasse, die sehr langfristig denkt, ihre Bestandteile so entwirft das sie Jahrtausende halten und im Bedarfsfalle abertausende von Asteroiden abernten kann, hätte ne andere "Rohstoffgrundsituation" als eine rein erdgebundene Roboterrasse mit US-amerikanischem Konsumverhalten, deren Energieversorgung rein auf fossilem Öl beruht.

Zitat
Und unter solchen Umständen sind auch Entstehung und großflächiger Erfolg von Ideologien denkbar, die ein gewisses Maß an "zurück zur Handarbeit" propagieren.
Oder die Maschinen intelligent dort einsetzen, wo sie notwendig sind und weit weniger Wert auf überflüssige "Gizmos" legt. Wozu braucht man, ganz ehrlich, z.b. Espressomaschinen, wenn eine schlichte Espressokanne genauso einfach zu bedienen ist? Wozu z.b. Radio, Fernsehen, Computer, Festnetztelefon und Spielkonsole separat besitzen und praktisch jedes Jahr eine dieser Komponenten neu kaufen (um die alte wegzuwerfen und NICHT zu recyceln), wenn es der technische Stand erlaubt, ein Produkt zu bauen das alle Funktionen in einem beinhaltet, reparierbar ist, im Schnitt 40 Jahre lang hält und nach der Entsorgung vollständig wiederverwertet wird?
Das Ergebnis wäre auch "weniger Technik" und vor allem weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, der Lebensstandart bliebe aber der selbe.
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« Antwort #92 am: 11.12.2012 | 13:59 »
Und ein anderer Umgang mit Ressourcen wäre vielleicht auch nicht ganz unwichtig. Unsere jetzige Zivilisation hat ja keinen drohenden Ressourcenmangel, weil wir Maschinen bauen und nutzen, sondern weil wir eine ausgeprägt verschwenderische Wegwerfgesellschaft haben.
Die Wegwerfgesellschaft wurde aber von der Automatisierung erst möglich gemacht.

Nehmen wir an, es wird eine Maschine erfunden, die ein bestimmtes Produkt - nennen wir es mal "Schnirch" - kostengünstig in großer Stückzahl herstellt. Diese Maschine arbeitet natürlich nur dann rentabel, wenn auch möglichst viele Schnirche gekauft werden. Also wird Werbung gemacht ohne Ende und der Schnirch als unverzichtbar für jeden Haushalt deklariert.

Tatsächlich ist die Herstellung eines neuen Schnirchs dank der Automatisierung so billig, daß bereits 10 Minuten Arbeitslohn eines Handwerkers, der das Ding aufmacht, um es zu reparieren, teurer wären. Also bürgert sich - wirtschaftlich nur folgerichtig - die Mentalität ein, Schnirche gar nicht erst reparieren zu lassen, sondern beim ersten Störfall wegzuwerfen und sich einen neuen zu kaufen. Dem Hersteller kann es nur recht sein, lohnt sich dadurch seine automatische Herstellungsmaschine erst recht. Wegen der großen Nachfrage schafft er bald sogar eine zweite an usw.

Fazit: Automatisierung führt - aus meiner Sicht - zwangsläufig zu einer Wegwerfgesellschaft. Oder hat jemand eine Idee, um diesen Mechanismus aufzubohren?

Oder die Maschinen intelligent dort einsetzen, wo sie notwendig sind und weit weniger Wert auf überflüssige "Gizmos" legt. [...]
Das Ergebnis wäre auch "weniger Technik" und vor allem weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, der Lebensstandart bliebe aber der selbe.
Ich wäre sofort dabei! Das wäre ein Zukunftsentwurf, der mir gefällt.

Es bleibt nur die Frage: wäre eine solche Gesellschaft im wirtschaftlichen, sozialen und/oder militärischen Kräftemessen konkurrenzfähig mit einer Durchautomatisierten?
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Eulenspiegel

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #93 am: 11.12.2012 | 14:31 »
Im Augenblick wird die Herstellung automatisiert, die Reparatur ist jedoch Handarbeit. Das liegt daran, dass man zur Herstellung keine große Intelligenz benötigt: Es sind immer die gleichen Schritte.

Jeder Reparatur ist jedoch ein Einzelfall: Zwei defekte Geräte unterscheiden sich im Defekt und damit auch, wie sie repariert werden müssen. Beim heutigen Stand der KI ist daher eine automatisierte Reparatur nicht möglich. Sollte die KI aber erstmal Menschen-Niveau erreicht haben, spricht nichts dagegen, die Reparaturen von Maschinen durchführen zu lassen.

Zitat
Es bleibt nur die Frage: wäre eine solche Gesellschaft im wirtschaftlichen, sozialen und/oder militärischen Kräftemessen konkurrenzfähig mit einer Durchautomatisierten?
wirtschaftlich: Zur Not führt die Nation einfach Importzölle ein, um die heimische Industrie zu schützen.
soziales: schwer zu sagen. Was ist unter sozial konkurrenzfähig zu verstehen?
militärisch: Denke ich nicht. Allerdings hat die vollautomatisierte Gesellschaft nicht unbedingt Lust, das 3. Welt Land zu erobern, und überlässt es sich selbst.

Offline Waldviech

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #94 am: 11.12.2012 | 14:38 »
Zitat
Die Wegwerfgesellschaft wurde aber von der Automatisierung erst möglich gemacht.
Ist richtig - und die schwierige Frage (die ich mich nicht zu klären traue ;) ) ist, wie man da wieder rauskommt.

Zitat
Es bleibt nur die Frage: wäre eine solche Gesellschaft im wirtschaftlichen, sozialen und/oder militärischen Kräftemessen konkurrenzfähig mit einer Durchautomatisierten?
Je nachdem, wie sie im Detail funktioniert, IMHO durchaus. Es ist ja nicht so, dass eine solche Gesellschaft nicht "automatisiert" wäre. Sie schmeißt nur weniger Ressourcen für Kappes raus und haushaltet besser. (Es muss also nicht unbedingt ein Drittweltland sein) Das spricht nicht gegen etwaiges militärisches Equipment, das dem einer "vollautomatisierten" Zivilisation ebenbürtig wäre. Und im Übrigen auch nicht gegen hochentwickelte Massenkommunikation. In der "nachhaltigen" Zivilisation werden Computer aufgerüstet, indem man Module in seiner längerfristig haltbaren Maschine austauscht und das ausgetauschte Teil wieder aufbereitet, in der Wegwerfgesellschaft würde der ganze Computer entsorgt und durch einen neuen ersetzt (und möglicherweise, wie das heute mit dem meisten Elektronikschrott ist, nicht wieder aufbereitet). Die "Leistungsfähigkeit" wäre aber potentiell die selbe. (Ganz abgedreht wäre es, wenn die Zivilisation so weit wäre. dass es Nanofabrikatoren gibt - dann schmeißt man Modul 1.0 in die Kiste und die Naniten basteln dank Softwareanleitung aus der selben Materie aus der Modul 1.0 besteht ein Modul 2.0...vielleicht unter Zugabe einer kleinen Prise von Zusatzrohstoffen).
Ja, eine solche Zivilisation müsste, um den Bogen wieder zur "Maschinenzivilisation" zurückzubiegen, nicht mal einen Roboterteil ausschließen. Sie würde sogar eine recht nette Entstehungsgeschichte einer "Roboter-Zivilisation" ermöglichen, die über krude Terminatorszenarien hinausgehen.
Zwar wirtschaftet die Zivilisation nachhaltig über intelligente Technologienutzung, nachwachsende Rohstoffe und vernünftiges Energiemanagment, aber das bedeutet ja nicht, dass es sich bei den Leuten um technophobe Neo-Ludditen und Primitivisten handeln muss. Die Erforschung von künstlicher Intelligenz und Raumfahrt wäre also möglich - zumal die Leute dank vernünftigen Haushaltens ohnehin keine lebensbedrohlichen Ressourcenprobleme mehr haben. Nun sagt die Vernunft in Bezug auf Raumforschung, dass es aufgrund der lebensfeindlichen Umgebungen auf den anderen Planeten des Sonnensystems sinniger wäre, Roboter hochzuschicken als Menschen. Und da man über intelligente KIs mit eigenem Bewusstsein verfügt, macht es noch mehr Sinn, diese ins All zu schießen. Anstatt andere Himmelskörper mit Hilfe immens teurer Raumstationen mit komplexen Lebenserhaltungssystemen zu erkunden, verwendet man selbstversorgende Neumannmaschinen - die Roboter wären also die Verlängerung der "Öko-Techno-Zivilisation" ins All. Und das ohne das "Mensch" überflüssig werden würde, denn auf Erden werden weniger Roboter gebraucht und die Menschen tun mehr selbst.
Hat vielleicht noch den einen oder anderen Logikfehler, aber zumindest wäre die grobe Richtung vorstellbar.
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Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #95 am: 11.12.2012 | 14:57 »
soziales: schwer zu sagen. Was ist unter sozial konkurrenzfähig zu verstehen?
Die Bequemlichkeit der durchautomatisierten Zivilisation wirkt auf den ersten Blick sehr verführerisch. Dementsprechend werden in der nur teilautomatisierten Zivilisation a) entweder Rufe laut, die in Richtung einer flächendeckenderen Automatisierung drängen oder b) Abwanderungswellen hin in das durchautomatisierte Land einsetzen. Es bräuchte schon einen schwerwiegenden Grund, warum die Bevölkerungsmehrheit einen solchen Trend gar nicht will, sondern sich in der Teilautomatisierung im Gegenteil viel wohler fühlt.

(Für mich persönlich wüßte ich einen solchen Grund sogar, bezweifle aber, daß der zur Anstiftung einer flächendeckenden Bewegung reichen würde...)

die Roboter wären also die Verlängerung der "Öko-Techno-Zivilisation" ins All. Und das ohne das "Mensch" überflüssig werden würde, denn auf Erden werden weniger Roboter gebraucht und die Menschen tun mehr selbst.
Klingt auf jeden Fall nach einer recht optimistischen, auch in meinem Sinne "menschlichen" Zukunft.

In Bezug auf den Bau eines Settings (ich weiß, ich schweife ab) hätte so etwas den Nachteil, daß menschliche Akteure auf die Erde beschränkt blieben. Für mein Primärziel, in meinem Setting den Vorstoß von Menschen ins Weltall zu thematisieren, wäre dieser Entwurf in seiner jetzigen Form also noch nicht geeignet.
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Eulenspiegel

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #96 am: 11.12.2012 | 15:27 »
Für mich persönlich wüßte ich einen solchen Grund sogar, bezweifle aber, daß der zur Anstiftung einer flächendeckenden Bewegung reichen würde...
1) Mich würde dein Grund interessieren.
Das Gefühl, nicht "nutzlos" zu sein? Aber wäre das nicht eher ein Scheingefühl? Sprich: "Ich erschaffe etwas, was eine KI noch viel besser hinbekäme, aber weil wir KIs verboten haben, benötigt man mich. Und KIs wurde extra dafür verboten, damit man mich benötigt."

2) Es kommt auch immer auf die Größe des Staates an: Sicherlich, eine Nation mit mehreren Millionen Einwohnern wirst du nicht überzeugen können. Aber ich hatte ganz zu Beginn ja schonmal die Amish als Beispiel gebracht, die hier auch passen: Sie verzichten freiwillig auf ein Stück Bequemlichkeit, um alles mit eigener Hände Arbeit zu errichten, und sind über die Jahrhunderte recht stabil gewesen.

Und genau so könnt es auch in der Zukunft ablaufen: Die meisten wandern aus, aber diejenigen, die zurückbleiben, gehören zum harten Kern und erziehen ihre Kinder gemäß ihren Vorstellungen und Vorstellungen.
Dass das funktioniert, haben die Amish ja vorgemacht.

Zitat
Für mein Primärziel, in meinem Setting den Vorstoß von Menschen ins Weltall zu thematisieren, wäre dieser Entwurf in seiner jetzigen Form also noch nicht geeignet.
Hierfür Möglichkeiten:
1) Erde ist überbevölkert. Es wurden zwar rohstoffreiche Planeten gefunden, aber die Rohstoffe dort aus der Gravitationsfalls zu holen und zur Erde zu befördern wäre zu energieaufwendig und zu langwierig. Also schickt man einen Teil der Bevölkerung auf die Kolonie, damit sie die Rohstoffe vor Ort benutzen.

2) Gefängnisse sind überfüllt und Todesstrafe ist inhuman. Also baut man ein riesiges Gefängnisschiff und schickt sie nach Australien auf eine neue Kolonie. (Hintergrundmäßig vergleichbar mit Earth2)

3) Irgendein Experiment auf der Erde ist gewaltig schiefgelaufen. z.B. hat man ein Mini-Black-Hole erzeugt, das sich langsam ausdehnt und die Eindämmungsfelder reichen nur noch für ca. 50 Jahre. Leider kann man das Schwarze Loch aber auch nicht einfach wegtransportieren. Alternativ ist eine unbekannte Epidemie ausgebrochen und immer mehr Städte werden abgeriegelt, weil dort der Erreger ausgebrochen ist. Oder die Sonne explodiert doch früher als erwartet. Anstatt in 5 Mrd Jahren so in 500 Jahren. Oder oder...

Auf alle Fälle muss die Erde schnellstmöglich evakuiert werden. - Oder auf alle Fälle müssen die Reichen die Erde schnellstmöglich evakuieren und die Unterschicht ist unwichtig.

4) Das Weltall ist uninteressant. So denken zumindest 99,999999% der Bevölkerung. Die restliche Bevölkerung träumt jedoch den Traum vom Weltraum und erstellt 1000 von Klons mit Mind-Bakups. Diese fangen an, den Weltraum zu kolonisieren. Zu Beginn waren die 1000 Klone eines Erschaffer absolut identisch. Aber sie flogen alle in unterschiedliche Richtungen, erlebten unterschiedliche Ereignisse, einige hatten sich sogar ebenfalls repliziert. So, dass nach einigen 100 Jahren, aus den ehemals identischen Klonen unterschiedliche Persönlichkeiten wurden.
Das heißt, diese Klone teilen sich alle noch quasi die Erinnerung an eine gemeinsame "Kindheit", in der sie beschlossen, auf Abenteuer in den Weltraum zu starten. Aber das ist die letzte Gemeinsamkeit, die sie haben und von dort an haben sie sich unterschiedlich weiterentwickelt.

Offline Grey

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Re: Reine Maschinenzivilisation - wie glaubwürdig ist das?
« Antwort #97 am: 11.12.2012 | 22:47 »
@Eulenspiegel: Sehr vielversprechende Szenarien. :) Besonders das Letzte mit den Klonen. Das sieht nach einer recht eleganten Methode aus, eine degenerierte, in der vollautomatischen Wiege schlummernde Menschheit mit menschlichen Akteuren im Weltall zu kombinieren. Falls mehrere Menschen die Idee hatten, sich so zu klonen, könnte daraus sogar ein Genpool für eine Pionierbevölkerung erwachsen.

Wobei ich mich frage, was das "Original" davon hat, wenn seine Klone da draußen rumschwirren. Ist das eher ein ideelles Gefühl, wenigstens eine Kopie hinausgeschickt zu haben? Oder werden die Hirne der Klone irgendwann sondiert, um ihre Erinnerungen zurück ans Original zu überspielen? (Dadurch könnten die Klone zu Gejagten werden, durchs Weltall gehetzt von unerbittlichen Jäger-Robotern... "Bleiben Sie ganz ruhig, ich will nur Ihr Hirn." :gasmaskerly:)

1) Mich würde dein Grund interessieren.
Das Gefühl, nicht "nutzlos" zu sein?
Fast. Das Gefühl, "es selbst schaffen zu können".

[EDIT]
Das Gefühl, "für mich selbst sorgen zu können". Nach noch einmal drüber schlafen bin ich zu dem Schluß gekommen, daß es dies am besten umschreibt.

Dieses Gefühl ist für mich irgendwo ein absolut unverzichtbarer Bestandteil des Menschseins. Es war das, worauf die Mammutjäger vor zigtausend Jahren bereits ihren Stolz aufbauten. Später, mit Aufkommen der Hochkulturen, war zwar das Überleben des Einzelnen immer stärker von der umgebenden Infrastruktur abhängig; seinen Stolz, "für sich selbst zu sorgen", konnte er aber dennoch aufrechterhalten, da er das Gefühl hatte, zu der Gemeinschaft, die ihn am Leben erhielt, etwas beizutragen und dafür nicht nur materiellen Lohn, sondern auch Anerkennung zu ernten; und das Gefühl, einzigartig zu sein, nicht beliebig ersetzbar. Genau das aber wird von ausufernder Automatisierung vollständig ausgehebelt. Wenn ich de facto nur noch aus meinen Gadgets und Implantaten bestehe, die jeder andere mit dem nötigen Geld in exakt derselben Konfiguration kaufen kann, wo ist dann noch meine Einzigartigkeit? Dann ist mein Menschwert gleich meinem Materialwert, und das kann's irgendwie nicht sein.
[/EDIT]

Das, was uns die Automatisierung meiner Überzeugung (und Beobachtung) nach in erster Linie nimmt, ist der Stolz: der Stolz auf unsere Fähigkeiten, auf unsere Leistung. "Bis diese Maschine kam, war ich ein geachteter Fachmann; jetzt bin ich bestenfalls eine Zirkusnummer." Ich glaube, diese Form der Demütigung (und noch nicht einmal Existenzangst) ist der eigentliche Hauptgrund dafür, warum sich so viele Menschen gegen die Automatisierung ihres Jobs durch neue Software/Hardware sträuben. (Meine Person seit ein paar Jahren eingeschlossen, nachdem ich oft genug miterleben durfte, wie recht diese Leute hatten... Noch vor gar nicht langer Zeit hätte ich selbst zum Chor der begeisterten Transhumanisten gehört.)

Dieser Verlust ist nur eben ziemlich abstrakt; wenn man ihn noch nicht erlebt hat, fällt es schwer, ihn sich vorzustellen. Spontan würde ich sagen, zu abstrakt, um auf "Bewahrung unseres Stolzes" gegründet eine Massenbewegung zu gründen, die der Automatisierungs-Bequemlichkeits-Mentalität entgegenwirken könnte.
« Letzte Änderung: 12.12.2012 | 20:50 von Grey »
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