Okay, Grippe ist ausgestanden. Ich versuchen mal den ganzen Diskussionsfaden irgendwie aufzunehmen.
Erstmal dank an Horatio für die Erklärungen. Leider habe ich daraus nur zur Hälfte etwas über das Big Model gelernt, die andere Hälfte der Lektion war, es sobald nicht wieder zu verwenden. Das soll sich gar nicht gegen seine Ausführungen richten, sondern auf ein anderes Problem hinweisen: Da es nicht wissenschaftlich fundiert ist, sind die Begriffe des BM über die Zeit nicht stringent angewendet worden. In meiner Darstellung habe ich versucht, sozusagen über die Zeit zu mitteln, was verschiedene Stellen in und außerhalb der Forge damit gemacht haben. (Auch Edwards verwendet die Begriffe meines Dafürhaltens nach nicht konsequent, was mir leider kaum jemand wird be- oder widerlegen können, da wir ohne wissenschaftliche Überprüfbarkeit nur schlecht zu objektiven Aussagen kommen können.
) Daher sehe ich das BM auch eher als Vokabelquelle und Hilfsmittel und habe es (vielleicht sehr unbedarft) dafür im Vortrag verwendet.
Das ist übrigens auch der Grund, warum ich die Aussage, eine CA schlösse die anderen strickt aus, für gewagt halte. Da sie eben keine klaren Kanten aufweisen, gibt es fast notwendigerweise einen Überlapp. (Irgendwie bin ich an den Unterschied zwischen klassischer und Quantenmechanik erinnert.) Ich würde beispielsweise die Aspekte von FATE eben als durchaus als Prämissen in einem NAR-Spiel auffassen. Als SIM können sie mMn schon deshalb nicht durchgehen, weil sie das "Quellenmaterial" nicht konsequent umsetzen können, da sich durch den SP-Mechanismus nicht konsequent in Erscheinung treten.
Um dein Beispiel aufzugreifen: Wenn Clarke Kents Spieler die Schicksalspunkte ausgehen, kann er seinen Aspekt "keiner merkt, dass ich Superman bin" eben nicht mehr umsetzen und die Verwendung der Genre-Konventionen wird durch das Spiel selbst verhindert. Ich sehe aber nicht, mit welchem objektiven Mittel wir dies überprüfen könnten. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur doof...
Das führt übrigens zum nächsten Punkt: Es ging irgendwo darum, ob die Modellbildung etwas mit der Realismus-Debatte zu tun hat und wie sie von fiktionellen Konventionen (was mit SIM zu tun hätte) beeinflusst wird. Die Antwort lautet zu beidem ein klares Jein.
Was die Realismus-Debatte angeht, gibt es da einfach gar nichts zu debattieren. Wir wissen, dass das menschliche Gehirn so funktioniert. Über Fakten kann man nicht diskutieren. Wie sich das auf die RD auswirkt, ist mir dagegen egal, weil ich noch keine vernünftige Zusammenfassung des wirren Geblubbers gelesen habe, das Rollenspieler so von sich geben, wenn man "Realismus" ruft.
Fiktionale Inhalte werden von Gehirn übrigens genauso behandelt, wie reale. Das liegt vor allem daran, dass das Gehirn die "Realität" nicht direkt wahrnehmen kann, sondern eben nur Modelle baut. Deswegen auch die alte Weisheit, dass das, was Menschen wirklich glauben, ihnen nicht wie Glauben vorkommt, sondern wie die Welt einfach ist. Wir laufen nicht durch die Gegend und denken: "Ich glaube, dass der Himmel blau ist." Wir sagen einfach: "Der Himmel ist blau." Ein nicht-RSP-Beispiel, falls das nicht klar geworden ist, hier:
Im Mittelalter kam es immer wieder zu Gewalttaten an Juden, weil sich unter den Christen das Gerücht verbreitete, die Juden hätten die geweihten Hostien gestohlen, um mit dem Fleisch Christi schwarze Magie zu betreiben. Die Situation ist doppelt absurd. Aus Sicht der Christen funktionierte das Universum so, dass die Oblate zum Fleisch Christi wurde. Sie glaubten das wirklich und deshalb war es vollkommen plausibel, dass man mit so etwas mächtigen gefährliche Dinge tun kann. Die armen Juden waren natürlich stets unschuldig, weil aus ihrer Sicht das Universum so funktionierte, dass die Christen sich wegen einer recht langweiligen Backware aufregten.
Deshalb sieht für den Mann in der Psychatrie die Welt einfach wirklich so aus, dass er Napoleon ist. Deshalb sind Eltern, die ihre Kinder von lebensrettenden Impfungen abhalten, ehrlich überzeugt, ihre geliebten Kinder zu behüten. All diese Leute sind im Unrecht - sie glauben etwas, was Fiktion ist. Aber ihr Gehirn kann das nicht unterscheiden - niemandes Gehirn kann das. Deswegen hat TVTropes aus gutem Grund die Seite
Reality is Unrealistic, weil wir uns die Welt eben häufig anders vorstellen, als sie wirklich ist oder war, weil die fiktive Inhalte in unser Modell einbeziehen. (Wie viele Leute auf Mittelaltermärkten, wissen denn wirklich, wie das Mittelalter aussah? Oder besser: Wie viele wissen, dass schon diese Frage in etwa so sinnvoll ist, wie zu fragen, wie das Mittelmeer in der Antike aussah - wir mögen eine sofortige Assoziation haben, aber so einfach war die Welt noch nie und dass wir lange und komplexe Zeiträume auf einzelne Assoziationen bringen können, ist in gewisser Hinsicht Fiktion und natürlich stark durch fiktive Werke bestimmt.)
Ob wir uns bewusst sind, dass wir eine Setzung verfolgen, die nicht der Realität entspricht, ist dafür ebenfalls egal. Wir mögen wissen, wie Pistolen wirklich funktionieren, und sie uns am Spieltisch dennoch als "Filmpistolen" vorstellen. Der Verstand verwendet für beide die selben Mechanismen - wäre auch eine riesige Verschwendung von Energie, wenn das Gehirn dafür wirklich eigenständige Ressourcen hätte. Daher ist die "Celebration of Source Material" für das Gehirn genauso ein Modellierungsvorgang, wie jede andere Plausibilitäsüberprüfung, nur dass hier eben fiktive Setzungen mit einbezogen werden. Daher verwendet SIM diese neuronalen Mechanismen durchaus, denn andere gibt es nicht. (Wie genau, weiß ich leider nicht, denn ich bin kein Hirnforscher, sondern nur halbwegs informierter Laie.) Um das Beispiel des Vorredners zu zitieren: Ob wir realistisch spielen oder Tiny Toons als SIM, ist von den Funktionsweise her tatsächlich dasselbe, auch wenn es uns nicht so vorkommt. Ist ja nicht so, dass bei Cartoon-Rollenspielen plötzlich
die Milz mitreden darf.
Die Behauptung, es gebe GAM ohne Spielwerte, halte ich für Unfug. Gewinn und Niederlage sind durch Spielwerte gegeben - und seien sie nur die boolesche Variable "Gewinn; Boolean". Ob ich mit fünf Punkten über dem Wert siege oder einfach nur siege, sind beides mathematische Aussagen (Probe = 5 bzw. Gewinn = true). Das ist wie der Unterschied zwischen der Nährwerttabelle und der Diabetiker-Ampel. Am Ende ist beides Mathematik, im zweiten Fall sieht man nur keine Zahlen und die mathematisch katastrophal ungebildete Gesellschaft kann sich einreden, den Zahlen entronnen zu sein.
Deshalb ist jede Betrachtung von GAM eine Betrachtung der Spielwerte, sie mögen sich nur gut versteckt haben.
Prinzipiell kann man natürlich fast jeden Aspekt des RSP parametrisieren, bei GAM ist diese Tatsache aber von viel größerem Gewicht, eben weil die meisten Rollenspiele nicht nur boolesche Werte hierfür verwenden.
Zur Frage zum sechsten Teil, wo die Minuten fehlen: Ich geben als Negativbeispiel für die schlechte Umsetzung einer Prämisse Vampire an, das angeblich Drama um den persönlichen Horror und den Verlust der Menschlichkeit sein will, dieses Ziel aber regeltechnisch völlig verfehlt, weil eben jene Thematik sich in den Regeln kaum wiederfindet, die eher auf ultramächtige SC hinauslaufen.
Mein Beispiel dazu ist die Glühbirne. Zwar macht eine Glühbirne Licht, aber vor allem macht sie Wärme. Eine Glühbirne ist eigentlich ein Heizkissen, das zufällig Licht abgibt. Dem entsprechend sollte ein gewünschtes Thema auch in die Regeln eingebunden werden. Die Alternative (und da setzt das Video wieder ein) besteht darin, den Konsens an den Regeln vorbei zu erzeugen.