Autor Thema: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen  (Gelesen 2649 mal)

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Der Rote Baron

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Dolge hat auf einem anderen Thread angeregt, dass Lehrer, Erzieher und andere Kinderbeglücker (meine - NICHT SEINE - Worte!), die zudem noch Rollenspiel-AGS, Jugendtreff-Angebote usw. machen, hier ihre Konzepte, Inhalte und Erfahrungen austauschen können.
Eine Konzept- und Ideenbörse, ein pädagogischer Steinbruch also und Erfahrungsaustausch.

Der Rote Baron

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #1 am: 30.05.2013 | 21:02 »
Damit der Stein ins Rollen kommt, fange ich einfach mal an.

Die folgenden Lernziele wurden aufgestellt für Hauptschüler der Klassen 7 bis 9 im Rahmen des Wahlpflichtunterrichtes im Fach Deutsch (geht in NRW eigentlich nicht, aber SSSSSHH!!! Sport ist eigentlich auch verboten, aber wir haben halt keine NW-Lehrer!).

Ziel des WPU Deutsch (Rollenspiele):
Die Schüler sollen ihre kommunikativen Fähigkeiten und ihre sprachliche Kreativität mit Hilfe des Mediums Rollenspiel erproben und verbessern.

Dazu sollen sie als Spieler …
•   sich in andere Figuren und fiktive Situationen versetzen.
•   spielerische Probleme erkennen und in Team gemeinsam lösen.
•   schauspielerisch und rollenkonform kommunizieren.
•   die Spielregeln beherrschen.
•   Spiel- und Spielerebene beachten.

Dazu sollen sie als Spielleiter …
•   Spieler als Erzähler durch ein Abenteuer leiten.
•   im Spiel als Schiedsrichter nach den Regeln Entscheidungen fällen.
•   Improvisationstalent im Spielführen entwickeln.
•   selbst eigene Abenteuer vorbereiten und entwickeln.
•   Verantwortung für das Spiel und das Spielgeschehen übernehmen.

Zudem sollen sie auch …
•   Informationen zur Geschichte des Hobbys „Rollenspiel“ bekommen.
•   Verschiedene Spiele und Spielgenres kennen lernen.

Dazu habe ich als Einführungssysteme Labyrinth Lord und Dungeonsslayers benutzt und zudem die frei erhältlichen DS- und LL-Abenteuer kopiert, denn jeder Schüler sollte min. einmal die Regeln ganz gelesen und eine Runde geleitet haben.
Das hat auch geklappt - jedoch kamen die (eigentlich sehr guten) Abenteuer nicht an - die wollte alle was eigenes machen! HAt auch sehr gut geklappt.
Ich habe einen Lokalen Fantasy-Laden (Werbung: Highlander Games in Bochum) angesprochen und alle Schüler haben einen Satz Würfel für SEHR KLEINES GELD gekauft. Zudem habe ich Digitale Counter ausgedruckt und Battlemaps gestellt - das ganze wird dadurch anschaulicher und außerdem - Auge spielt mit.

Offline La Cipolla

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #2 am: 30.05.2013 | 21:22 »
Meine Erfahrung aus einem Projekt, als ich selbst noch auf der Schülerseite stand: Lass die Schüler nicht "einfach so" 68er-mäßig tun, was sie wollen, sonst sitzt bald eine Schülerin weinend auf dem Klo, weil ihr Charakter vergewaltigt wurde, das Kampagnensetting steht wortwörtlich in Flammen und die Hälfte der Schüler hat ihre Rollen vollständig hinter sich gelassen (und ist zu ihrem eigenen, aber tabu-freieren Verhalten übergegangen). Einige hatten ihre Rollen sogar vergessen.

Wenn ich sowas heute als Lehrer machen würde, dann ...
... entweder als handfestes Projekt (dann geht fast alles) - oder als unterliegende Methode, die hin und wieder herausgeholt wird, um gewisse Sachverhalten zu thematisieren oder einzelne Szenen zu spielen. Dann aber NICHT unbedingt mit klassischen Fantasy-Settings (oder ähnlich nerdigem bzw. fremdartigem Kram), vor allem nicht in Klassen, die höher als 6 oder 7 sind.
... immer mit einem gewissen Maß an Moderation, am besten durch Schüler. Rollen und so halt.
... (vor allem als Projekt) in Zusammenarbeit mit anderen Lehrern. Kunst, Geschichte & Geografie stechen ins Auge; Ethik, Politik, Religion etc. (je nach Bundesland) bieten sich aber auch an. Und das hört da bestimmt nicht auf.
... mit möglichst wenig "Rollenspielideologie", zu der ja so viele in der Szene neigen. Nichts gegen angewandte Rollenspieltheorie, aber Besserspielerei oder System-Bashing hat in der Schule NICHTS verloren. Könnte vielen schwer fallen, weshalb ich auch eine gewisse Distanz zu dieser Art von Unterricht als Hobby empfehle. ;)
... eventuell sogar mit einem eigenen, minimalistischen System. Oder gleich ohne bzw. vollkommen narrativ. Ich hab aber auch nichts gegen komplexe Systeme. Wir haben damals in der, äh, 9ten (?) D&D3 gespielt und alle sind damit klargekommen.
« Letzte Änderung: 30.05.2013 | 21:24 von La Cipolla »

Offline Hubertus

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #3 am: 3.06.2013 | 21:50 »
Ich poste meinen Entwurf hier auch die Tage - muss den noch abtippen.

So - viel zu tun, aber halb fertig:


Pädagogischer Ansatz für das Rollenspiel in den Klassen drei und vier

Allgemein gilt: Sämtliche Regeln, die hier festgelegt oder vorgeschlagen werden sind nicht in Stein gemeißelt und sollten stets den Adressaten und Situationen angepasst werden! Es gibt keinen perfekten, universell anwendbaren pädagogischen Ansatz.
(Man könnte das hier mehr als eine Ideensammlung sehen.  )
 
Das Spiel bedarf gewisser Regeln und Grenzen.  Beim „freien Spiel“ muss man einen Rahmen festlegen.
Das fängt schon bei der Charakterwahl an:
Es sollte von vornherein klar sein, dass die Kinder/Adressaten Helden spielen, oder Personen, die Helden werden wollen. Natürlich sind Variationen erlaubt und durchaus erwünscht – Es gibt viele Formen von „Helden“ : Den Ritter in Strahlender Rüstung, die gewitzte Magierin, das Schlitzohr mit dem Bogen, den grummeligen Krieger etc… Es muss ja nicht immer „Prinz Goldlocke“ sein.

Desweiteren sollte es vielleicht eine Art Verhaltenskodex geben, dem alle großen Helden der Spielwelt folgen und der den Spielern ans Herz gelegt wird. In meinem Fall die „eisernen Drei“ :
1.   Sei hilfsbereit – hilf dem der Hilfe braucht.
2.   Schade niemals den Hilflosen und Unschuldigen!
3.   Haltet stets zusammen, unterstützt euch und steht euren Kameraden mit Rat und Tat zur Seite wenn sie euch brauchen.
 So oder ähnlich kann man den Kodex formulieren, er sollte natürlich der Adressatengruppe  angepasst werden. (Beispielsweise, wenn man mit älteren Spielern spielt, oder sich einem bestimmten Einzugsfeld anpassen muss.) Jede Spielergruppe ist anders und erfordert eine andere Art, das Spiel zu leiten.

Mit  diesen Voraussetzungen kann man ein Spiel starten ohne bei den Adressaten falsche Erwartungen hervorzurufen. Außerdem sorgt dies für einen prinzipiellen Grundspielstil.
Die Grundstimmung, mit der das Spiel begonnen wird muss stimmen.
Nach wie vor können und sollen die Spielstile der Adressaten sich unterscheiden, (Das macht das Rollenspiel ja aus!) aber einige bestimmte Stile schließen sich so von Anfang an aus und werden gar nicht erst in Erwägung gezogen.
Eine weitere Option ist, den Helden einen Mentor zur Seite zu stellen, der sie auf ihren Abenteuern begleitet. Dieser sollte natürlich nicht so stark sein, dass er die Abenteuer für die Gruppe löst, aber in Notsituationen könnte er ihnen auch durchaus beistehen.
Er oder sie könnte natürlich auch in Entscheidenden Momenten gerade abwesend oder verhindert sein (Gefangen, Kurz Kippen holen…  ;)   )  -  Der Mentor muss den Helden ja nicht 24/7 auf die Finger schauen!

Die Abenteuer sollten nicht übermäßig kompliziert sein (kein stark verzweigtes Intrigenspiel z.B.) Und Fallen und Rätsel sollten ebenfalls der Zielgruppe angepasst werden. Ein Labyrinth könnte beispielsweise einem Magazin/Rätselbuch für Kinder entnommen werden, genauso wie Rätsel.
Kämpfe sollten nicht zu  schwer gestaltet werden – nicht ohne Vorwarnung oder entsprechende Einleitung:  Wenn sich die Spieler dem Lavatriefenden, in den Schattenlanden liegenden Mount Doom nähern wollen, in dem Drachen und Dämonen hausen und von dem noch nie jemand zurückgekehrt ist… ok! Ihnen aber ohne Vorwarnung einen Drachen aufzuhalsen, ohne Ausweichmöglichkeiten, Alternativen o.ä. führt zu frustrierenden Charaktertoden.
Natürlich sollten dramatische Kämpfe oder „End-kämpfe“ wiederum nicht zu leicht werden.
Bei solchen Kämpfen setzte ich persönlich aber nicht darauf, dass die Spieler den Kampf wirklich auskämpfen, sondern baue meist ein Element in den Kampf ein, das einen anderen Lösungsweg als den des Schwertes beinhaltet. (Bsp. Ein Vampir, der zwar bekämpft/in Schach gehalten werden kann, aber erst durch das öffnen der Vorhänge und das Eindringen von Tageslicht besiegt wird.)
Die Kinder gewinnen nicht durch rohe Gewalt, sondern dadurch, dass sie zumindest ein kleines bisschen nachdenken und ihre Fantasie gebrauchen.

Das Spiel sollte generell mehr darauf abzielen, die Fantasie der Kinder anzuregen und sie dazu zu bringen ihren Kopf zu benutzen und sich weniger aufs Kämpfen beschränken. (Natürlich ist auch das Kämpfen essentieller Bestandteil einer jeden Heldengeschichte…)


« Letzte Änderung: 2.07.2013 | 07:33 von Hubertus »

Offline 1of3

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #4 am: 8.07.2013 | 10:25 »
Zitat
Wenn sich die Spieler dem Lavatriefenden, in den Schattenlanden liegenden Mount Doom nähern wollen, in dem Drachen und Dämonen hausen und von dem noch nie jemand zurückgekehrt ist… ok!

Das anders zu machen - also ohne Vorwarnung Dinge auftauchen zu lassen - ist ja generell schlechter Stil.

Nin

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #5 am: 8.07.2013 | 10:50 »
Ich hab in den letzten Jahren immer mal wieder was für Jungendleiche und Jungerwachsene in Sachen Gewalt- und Suchtprävention gemacht.

Dabei habe ich mich je nach Gruppe an deren Interessen orientiert und daraus das Setting bestimmt (mal Hiphop-Gangster, ein anderes mal DSDS etc.). Darum deine eine einfache Geschichte gesponnen und später ein oder zwei Twists improvisiert.
Gewaltpräventiv war aufzuzeigen, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt Ziele zu erreichen und dass jeder weiterführende Folgen mit sich bringen kann.
Die Suchtprävention floss in Sachen Stoffkunde und der gewünschten wie ungewünschten Wirkung von Substanzen ein.
Allgemein "Soziales": Die Gruppe schafft mehr als der einzelne, auch diejenigen, die im ersten Moment nicht wichtig wirken, können zentral zum Thema beitragen. (Zum Beispiel: Ängstliche Charaktere, deren Warnsystem früher anspringt als das des Machos.)

Offline Hubertus

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #6 am: 10.07.2013 | 20:14 »
@1of3:  Stimmt. Aber das Ding, was ich da gebastelt hat, ist auch (oder vor allem?) an all die Leute gerichtet, die noch keine Erfahrung mit RPGs haben. Denen muss man das explizit sagen.  ;D

Offline Turning Wheel

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Re: Rollenspielkonzepte für Schulen und Jugendgruppen
« Antwort #7 am: 24.02.2020 | 20:51 »
Bin gerade auf dieses Thema aufmerksam gemacht worden. Spannend! Und schön zu sehen, dass es hier noch andere gibt, die so etwas schon gemacht haben (und vermutlich auch viel mehr Ahnung von Pädagogik haben als ich).

In Kürze starte ich eine Rollenspiel-AG an der hiesigen Schule.
Ich hab einen eigenen Thread dazu aufgemacht: https://www.tanelorn.net/index.php/topic,114206.0.html

Meine ersten "Unterrichtsunterlagen" hab ich mal unten angehängt.

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