Die Debatten sind ja schon wieder ein bisschen vorbei -- aber ich wusste nicht sofort, was ich in den Threads "Früher war alles besser ... in den 80ern hat auch meine Oma Rollenspiele gespielt ... wenn Rollenspiele bloß keine Rollenspiele wären, sondern Hybridautos, ja dann ..." so alles schreiben sollte. Ich versuche jetzt mal einen kleinen Kommentar, wo alles eigentlich schon gelaufen ist, vermischt und ungeordnet:
-- Ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt, RSP war immer schon ein Nischenhobby für Sonderlinge. Aus meiner Schul- und Unizeit kenne ich es nicht anders. Aus meiner Sicht hat sich da genau nichts geändert: Viele, viele Menschen kennen Rollenspiele und haben sogar schon mal eins probiert. Dabei bleiben (im Sinne eines aktiven Hobbies) nur ganz wenige.
-- Belastbare Daten dazu? Gibt es doch keine. Woher kommt noch mal diese Zahl mit 100 000 DSA-Boxen? Kann man das belegen? Leute, 100 000 Einheiten von irgendwas ist SUPERVIEL, eine GIGANTISCHE Zahl, die fast von keinem Medium erreicht wird. Sorry für die Zornhauschen Versalien, aber ich kenne Menschen, die hauptberuflich Rockmusiker sind, hauptberuflich Autorinnen, hauptberuflich Zeichnerinnen und hauptberuflich bildende KünstlerInnen. NIEMAND, ich wiederhole, NIEMAND kennt auch nur jemanden, der/die 100 000 Stück von irgendwas verkauft. Und noch mal, wir reden nicht von Hobbykunstschaffenden. Der Maßstab sind wenige tausend, maximal zehntausend Einheiten. Also genau das, was Rollenspiele heute so umsetzen, nach allem was ich laut belastbaren Informationen weiß.
-- Rollenspielproduktionen sind und waren auch immer schon Klitschen. Das heißt, sie beschäftigen ein bis zehn Leute so, dass ein oder zwei dvon leben können (auf dem Niveau eines schlecht bezahlten Ausbildungsberufes, während Partner/Partnerin ebenfalls arbeitet). Die anderen kriegen Werkverträge oder an der Steuer vorbeigehumste Kleinbeträge. Das ist natürlich mies, aber auch vergleichbar den Beschäftigungsstrukturen in anderen kreativen Segmenten.
-- Rollenspiel, und das ist vielleicht wirklich neu und hängt mit Internet usw. zusammen, wandert zunehmend in Nischen ab, die Szenen zerspilttern sich, es gibt Orte und Kanäle für Unterbereiche von Unterbreichen, ganze Produktionsketten, die per Kickstarter und Print on Demand völlig autark funktionieren. Das ist aber auch normalst im Kreativbereich.
All das nur, um mal aufzuzeigen, das Rollenspiel nicht das kleine hässliche Entlein der Kreativ- und Unterhaltungsindustrie ist, sondern haargenau den Weg genommen hat, wie ALLE Medienbereiche. Medien -- Kunst, wenn man will -- produzieren ist in allen Bereich, ob Musik, Literatur, Film, bildende Kunst, eine Produktion für Nischen von Nischen, in denen die Produzierenden in Patchwork-Arbeitsverhältnissen rumwursteln und mit einem Mix aus Förderung, Jobben, Kleinaufträgen und Brotjobs über die Runden kommen. Es ist eine Illusion, dass KünstlerIn/KreativarbeiterIn ein Fulltime-Job mit Rentengarantie ist. Warum sollte das gerade bei Rollenspielen anders sein? NIEMAND in diesem Segement verdient wirklich Geld im Sinne von "Das ist eine anständige Karriereoption, Sohn". Und kommt mir jetzt nicht mit Madonna und Bernd Eichinger. Die sind nicht der Maßstab. Der Maßstab sind zB deutsche Fantasy-Autoren mit Verlagsverträgen und im deutschsprachigen Raum tourende Rockmusiker mit Plattenvertrag, die ich kenne. Die sind halt nebenher Lehrer und Altenpfleger, weil von dreitausend verkauften Einheiten kein Mensch alles bezahlen kann.
Nun ist das nicht gut, aber immerhin nicht schlechter als anderswo. Rollenspiel kriegt in dieser Situation genau das, was in allen anderen kreativen Feldern auch abgeht, nämlich eine größere Vielfalt (die Nischen sind plötzlich dank Selbstproduktion erreichbar, und, ganz wichtig: Statt die Zwischenhändler zu bewerben, wie das Verlage tun mussten, kann man die potentiellen Kunden direkt ansprechen). Der Weg ist gerade nicht, denke ich, dass Rollenspiel sich bei anderen Medien anbiedert und versucht, etwas zu leisten, was andere schon besser können. Rollenspiel ist eben kein Film, kein Computerspiel, kein Geocaching. Nicht, dass man sich da nicht inspirieren lassen kann, aber man sollte eher stark machen, was diese Medien eben nicht bieten: Face to Face-Kommunikation, sinnliches Erleben, sich Zeit nehmen, Langsamkeit in einem positiven Sinn, eine familiäre Szene.
Also, Realitätscheck ist angesagt, finde ich. Und Setzen auf die eigenen Stärken, statt zu den anderen zu schielen. Rollenspiele machen muss heute ein Nebenberuf sein, der einem die Telefonrechnung und das Feierabendbier bezahlt, genau, wie die meisten andere Kreativleistung auch. Dafür kann man sich eben von manchen Zwängen anderer Jobs auch verabschieden, bzw, kommt mit einem Teilzeitbürojob davon und das RSP sorgt bestenfalls für den Rest, der zu Mietwohnung, keinem Auto und Urlaub vor der Haustür noch fehlt.
100 000 Einheiten mit großer Kaufhauspräsenz und Artikeln in der Bravo und Interviews im Jugendfernsehen wird es, falls es das so je gegeben hat, nie wieder geben. Weil: Es die Kaufhausketten nicht mehr gibt (oder die Spieleabteilung outgesourcet ist, wie alle anderen Verkaufsflächen auch untervermietet sind), weil es die Bravo nicht mehr gibt (und die Jugendlichen im Internet ihre Blase aufsuchen), ebenso wenig wie ein Jugendfernsehen für alle (und die Jugendlichen im Internet ihre Blase ...).
Aber noch mal: Ich finde das nicht so übel. Statt über die goldenen Zeiten zu jammern sollte man sich lieber gemeinsam überlegen, wie man mit Beschäftigten in anderen Kreativbereichen eine vernünftige soziale Absicherung usw. hinbekommt und wie man sich gemeinsam gegenüber Verkaufsplattformen wie dem großen südamerikanischen Fluss stark macht. Damit das Lebensmodell KreativarbeiterIn eben auch funktioniert wie oben beschrieben. Wichtiger als Träume von Rollenspiel als Massenkultur. Es gibt halt keine Massenkultur mehr (und wo doch, will man mit ihr nix zu tun haben, behaupte ich).