Ich bin Spielleiter geworden, weil unser damaliger Spielleiter im Jahr 2001/02 die Spielerseite kennenlernen wollte und seit dieser Zeit bin ich in meinen Gruppen an sich der Stammspielleiter, wobei sich die Gründe dafür in jedem Jahr oder zumindest in unregelmäßigen, aber abgrenzbaren Zyklen verändert haben. Ich will es in der Kurzform (ob deren Länge ich jetzt schon um Entschuldigung bitte) versuchen:
Begonnen hat es also irgendwann um Weihnachten 2001 bei D&D 3E, damals war ich noch recht jung und habe dementsprechend den Posten ausgefüllt, damit wir einen Spielleiter hatten und spielen konnten. Damals haben wir viele One-Shots gespielt und ich kannte die Regeln ganz gut, habe mir um das Umfeld und Beiwerk allerdings sehr wenig Gedanken gemacht. Ich hatte einiges an Fantasybüchern gelesen, schon in jungen Jahren, wie Tolkiens Herr der Ringe oder die ersten Bände von G.R.R. Martin, und ich hatte schon eine Weile Magic (und auch Pokemon) gespielt, und das hat gereicht, um sich ein Grundkonzept für den Weltenbau zu überlegen. Aus Faulheit wollte ich nichts vorgefertigtes Spielen, weil ich mir immer eingebildet habe, dass Improvisation mir leichter fällt als wirkliche Vorbereitung, weshalb ich mein erstes vorgefertigtes Abenteuer erst 2005 geleitet habe (Fürst der eisernen Festung). Diese casual-DM-Phase ging vielleicht bis so Ende 2002, Mitte 2003.
Ich habe in meinem 15. und 16. Lebensjahr meine Begeisterung für Geschichte entdeckt; also nicht jene jugendliche Begeisterung für mittelalterliche Geschichte, um seine Fantasyrunden mit Pseudorealismus zu versehen, sondern wirklich eine Liebe zu historischer Gedankenwelt, Interpretationsansätzen, Streitfällen und alles, was letztendlich mit dem Begriff
Longue durée zu tun hat. Dies hat zum Weltenbau geführt, da ab da mein Spielleiten etwas lehrerhaft geworden ist. Meine Freunde haben nicht meine Liebe für Geschichte geteilt, also ist das Rollenspiel ein wenig zur Plattform für mich geworden, in der ich historische Entwicklungen und Konzepte einbauen konnte und sie mit meinen Freunden diskutieren und verhandeln konnte, ohne dass sie eine klassische Geschichtsdiskussion führen mussten. Ich habe den Schulstoff also angefangen auf meine Rollenspielsitzungen umzusetzen. Dies ist zusammengegangen mit dem Weltenbau, und diese Phase ging bis 2007/2008.
Weihnachten 2006 habe ich mit einem Freund angefangen, eine Welt zu konzipieren und mich in das planhafte Weltenbauen einzudenken. Vorher habe ich die Welt eher durch historische Szenarien eingekeilt und sie dann zusammenwachsen lassen. Wir haben uns ein Forum gebastelt und eine Internetseite und basteln in einem ungeheuer langsamen Tempo bis zum heutigen Tag an dieser Welt. Im Laufe der Zeit ist mir allerdings aufgefallen, dass ich nach wie vor nicht so das wirkliche Bedürfnisse habe, eine Welt in ihren Daten zu entwickeln oder überall Völker einzusetzen, sodass diese Phase zweigeteilt werden muss. Das heißt außerhalb des Spieltisches habe ich an der Welt gebastelt, am Spieltisch habe eine neue Disziplin entdeckt. Da Rollenspiel für mich durch seine dialogische Funktion glänzt, ist das Rollenspiel wieder zu einem Medium meiner Interessen geworden, und seit dem Jahr 2005 gilt dies Interesse nicht nur der Geschichte und geschichtlichen Umbrüchen und Entwicklungen, sondern der Philosophie. Meine Rollenspielrunden wurde systematischer und thematischer vor allem. Während ich vorher breit aufgestellte Kampagnen geleitet habe, die sehr sandboxig waren und für alles offen sein wollten, habe ich mich jetzt Leitthemen hingegeben. Die längste Kampagne (eine Forgotten Realms-Kampagne in Athkatla, baute lose auf Baldur's Gate auf) hatte zum Thema beispielsweise die Begriffe Schatten, Loyalität/Verrat und Religion. Die Kampagne war als Diebeskampagne (und Assassinenkampagne) aufgezogen und vollzog sich neben normalen Aufträgen, politischen Geplänkeln und dergleichen auch immer wieder in direkten, hochtrabenden wie auch abstrusen philosophischen Diskussion (die manchmal Hauptthema, manchmal am Rande eingebunden), in denen Spieler und Spielleiter versuchten das Wesen von Loyalität, Verrat und dergleichen zu ergründen auf spielerische Art und Weise, jetzt jedoch ohne den Anspruch, diese Themen irgendwie auflösen zu wollen, doch schon in dem Anspruch, diese Diskussion dann ingame auch zu vollführen, zu testen, zu spiegeln, auf die Probe zu stellen. Diese sehr stark philosophische Phase, in der es auch immer wieder um Wahrnehmung und der Verbindung von Spieler und Spielleiter ging, hatte ihre stärkste Phase bis 2009/2010. Den Weltenbau führe ich bis heute weiter und zuletzt haben wir das Projekt durch einen Zwei-Mann-Wettbewerbe etwas wiederbelebt, aber mein Herz hängt nicht so stark am Weltenbau und dessen stärkste Phase endete zur gleichen Zeit.
Seit 2010 ist Weltenbau nicht mehr Selbstzweck. Ich stelle mir meine Welt wie eine Müllhalde meiner Ideen vor, und das meine ich positiv. Als Spielleiter hat sich in der Zeit ein zusätzlich Interesse am Individuum entwickelt und an der Psychologie. Das ist für mich dazu geführt, dass mich in der Folgezeit vor allem das Werden und Sein von Rollenspielcharakteren (weniger der Spieler, obgleich dies auch beachtet wird) interessierte. Bis heute zieht es sich durch, dass meine aktuellen Runden eigentlich hauptsächlich - wie soll ich sagen - Reflexionsfläche für die Charaktere sind. Habe ich also zuerst feste Storylines geleitet (im Sinne eines von sich eingenommenen Storytellers, die Spieler also eher Beobachter oder zumindest mit stärker limitierten Einfluss), hat es sich dazu entwickelt, dass ich als nächstes Themen spielerisch hinterfragen wollte, bis dieses eben dadurch abgelöst wurde, dass ich die Charaktere wachsen sehen will. Ich habe mein Spiel also völlig auf die Charaktere zugeschnitten und die Geschichte, die ich beisteuere, ist eher Beiwerk und dient dazu - ich bediene mich der Worte von 6 - den Spielern und ihren Charakteren (und den vielen recurring nscs mit eigenen Lebensentwicklungen) die Bühne zu bereiten. Das ist vor allem geprägt durch meine Zeit als Play-by-Post-Rollenspieler. Ich spiele das seit 2000 und bis zum heutigen Tag (wenn auch leider zeitlich momentan sehr eingeschränkt), aber irgendwann hat diese Art des Spiels sich etwas auf das Tischspiel übertragen (nicht mechanisch, sondern eben im Charakterfokus), sodass es eine gewisse Obsession geworden ist. In der Hinsicht kamen dann das erste Mal wirkliche Zweifel an dem Spielsystem D&D auf, welches ich bis dahin für eigentlich alles genutzt habe. Diese Phase ging bis 2012 in ihrer stärksten Ausprägung.
Meine Unzufriedenheit die strategische Entwicklung mit der charakterlicher Entwicklung nicht vereinbaren zu können (was erzählerisch zwar gelöst werden kann, aber ich eben auch regeltechnisch belohnt sehen wollte und selbst nicht leisten konnte) hat mich dann in eine Phase des Systemdenkens geführt. Oder ich sollte sagen: Des Hinterfragens von Systemen und wie Spieler sich anhand von System glauben verhalten zu müssen am Spieltisch. Das hat sich in vielerlei Hinsicht gespiegelt, nämlich durch das Testen neuer Rollenspielsysteme, als auch einer - nicht intensiven - mich dauernd begleitenden Lektüre und Bearbeitung der Theatertheorie. Dies hat zu einer Phase geführt, in der ich Idel des immersiven Spiels aufgegeben habe, dass ich zeitweise begonnen hatte, weil ich mich wieder auf Brechts Verfremdungseffekte versteifen wollte und konnte; Rollenspiel also neben dem Spaß auch noch immer nutze als Plattform für ernste Debatten und Diskussionen, ohne jetzt darin begnadet zu sein. Zudem habe ich dank Dürrenmatts groteskem Theater ein Gefallen darin gefunden, eben als Spielleiter nicht mehr alle Fäden in der Hand zu haben, aber sie auch nicht nur an den Spieler abzugeben, sondern gewisse Teile (wenn auch in recht kontrolliertem Umfeld) dem Zufall zu überlassen:
Aus: Friedrich Dürrenmatt, Theater-Schriften und Reden, Diogenes Verlag, Zürich 1966, S. 193.
3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst-mögliche Wendung genommen hat.
4. Die schlimmst-mögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.
5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirkungsvoll einzusetzen. (...)
9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchten, was sie zu vermeiden suchten.
Ich habe also Rahmen und System hinterfragt, ohne auch dies abschließend klären zu können oder zu wollen. Dies Suche, die etwa ein Jahr gedauert hat, endete in dem Finden von Fate. Immersives Rollenspiel darf jedoch stattfinden, wenn gewünscht. Meins ist es aber nicht so sehr.
Seit 2013 habe ich mich etwas von dem Spielleiten entfernt (sagen wir entfernen wollen), in dem ich das Feld für einen anderen Spieler geräumt habe, der Interesse daran gezeigt hat, eine Langzeitkampagne zu leiten. Diese Unterbrechung, die im Januar 2014 dann gänzlich begann, sollte vielleicht zwei Jahre gehen, in der ich mir die Spielerseite mal intensiv anschaue und versuche anhand dessen mein Spielleiterdasein zu bereichern. Sie hielt jedoch nur bis Juli. Seit Juli 2014 habe ich bewusst mit meiner eigenen Entwicklung gebrochen und leite den ersten Adventure Path meines Lebens (Jade Regent - Pathfinder), weil ich einfach hinterfragen wollte, ob meine Improvisationsselbsteinschätzung stimmt und wie ich mich allgemein mit dem Implementieren von vorgefertigten Rollenspielen mache, des Weiteren wollte ich keine richtige Storyhauptrunde beginnen, weil dem anderen Spielleiter diese Rolle zukommt. Zudem dient die Jade Regent-Runde der Erprobung "moderner" Spielmethoden über Roll20, Google Hangout, Teamspeak etc.
Beides passt jedoch für mich zusammen, weil ich das Spielleiten inzwischen nicht mehr so themenbezogen sehe, sondern im Moment vor allem das Handwerk des Spielleitens betrachte. Eine Entwicklung, die letztendlich mit der systemischen Frage zusammenfällt, auch wenn ich (noch) kein Interesse daran habe, ein eigenes System zu entwickeln oder glaube, mich in System so gut bewegen zu können, dass ich wirklich Stellschrauben verändern kann. Mir geht es da auch weniger um das Spielsystem, sondern eher um das System Spielleiten als Handwerk.
Systemtechnisch habe ich mich mit Fate sehr angefreundet, weil es für mich ein schönes Rüstzeug bittet auf allen Ebene langwierige und kurzfristige Entwicklungen im Regelsystem abzubilden, mir meinen Raum für historische wie philosophische Diskussionen lässt, und ebenso einen Fokus auf den einzelnen Charakter (und seine mögliche Entwicklung) legt, sodass die Spielsystemkritik im Moment eingeschlafen ist und mich weniger interessiert. Pathfinder und Fate im Moment also als Systeme. Wenn ich One-Shots leite, ist auch das Feuer der Geschichte wieder entflammt, denn dann bau ich meist pseudohistorische Settings, in denen die Charaktere Szenen aus der Geschichte spielen (aber nicht nachspielen), die so gedreht werden, dass sie die Protagonisten dieser Szenen werden. Die Geschichte also als für jeden nachlesbaren Rahmen, das für mich den Vorteil hat, dass jeder Spieler so viel Mühe verwenden kann wie er will. Wer Interesse hat, liest sich ein und bereichert so das Spiel, wer Konsument sein will, bleibt Konsument. (Ich hatte mal ein großes Problem damit, aber da habe ich meine Erwartung schnell wieder runtergeschraubt)
Zusammenfassend kann ich also sagen, dass sich ordentlich was an den Gründen, warum ich spielleite, geändert hat und in Zukunft ändern wird. Das einzige, was konstant ist, ist der Wille zum Spielleiten. Dieser ist jedoch nicht in irgendeinem demiurgischen Gefühl zu finden oder weil ich Kontrolle über das Spiel per se haben möchte. Rollenspiel war jedoch immer eine Art Reflexionsfläche für mein aktuelles Leben, meine aktuellen Interessen und der Themen, die mir auf den Finger und der Zunge brannten. Rollenspiel ist für also auch eine Art Wissensbewältigung geworden und diese Themen - dachte ich - konnte ich nur als Spielleiter anpacken. Inzwischen weiß ich, dass ich (zumindest seit Fate) das auch als Spieler genauso (wenn auch anders gewichtet) kann. Ich denke, dass Wissensbewältigung, Diskussion und der dialogische Streit (und Zusammenarbeit) bei der impromptu-Konstruktion der Welt mir am besten gefallen und mich dies immer wieder zum Spielleiter macht, weil ich es einfach gewohnt bin, dies als Spielleiter zu gestalten. Es ist eine gewohnte Umgebung, und ich glaube, dass die Spieler meine Runden ausreichend spannend finden, dass sie am Ball bleiben und keinen Pseudo-Tyrannenmord planen.
Ein weiterer Punkt mag auch der schon beschriebene, kreative Stress zu sein, der mir gut gefällt. Mein Studienalltag ist ziemlich dröge und wenig fordernd, sodass ich im Rollenspiel auch meine geistige Herausforderung finde, die ich brauche, um mich im Alltag zufriedenzustellen, wenn mein Studium es nicht schafft (oder vielmehr ich es in meinem Studium nicht schaffe).
Alles in allem bin ich also immer wieder aus anderen Gründen, doch stets gerne Spielleiter.