#98: Ingrimms SchlundAutor: Gerd Tillmann
System: Das Schwarze Auge
Erschienen: 1995
Umfang: normal (je nach Spielstil ca. 5-10 Stunden Spielzeit)
Warum habe ich das AB gelesen?Weil es als Fortsetzung des Seeoger-Abenteuers (siehe #97) beworben wird und außerdem im Südmeer in einem erloschenen Vulkan spielt.
PlotDie Helden werden angeheuert, um einem Gelehrten bei der Erkundung eines angeblich verfluchten Vulkans im Südmeer zu helfen.
EindruckOkay, das ist mal ein ganz anderes Abenteuer... Und ich fürchte, ich kann es unmöglich ohne Spoiler besprechen. Also:
Die ganze unter "Plot" angegebene Handlung ist ein Fake. Es geht gar nicht wirklich darum, den Vulkan zu erkunden, und der Gelehrte ist auch kein Gelehrter - er ist ein Wahnsinniger, der sich an den Helden (und diversen anderen Personen) rächen will für die Demütigungen, die sie seinem Schützling - einem Nebenrollen-NSC aus den "Höhlen des Seeogers" - zugefügt haben. Dazu hat er eine Expedition ausschließlich aus Leuten zusammengestellt, mit denen sein Schützling noch eine Rechnung offen hat. Dann hat er drei Expeditionsteilnehmer mit einer Hypnose versehen, die sie bei Nennung eines Codeworts dazu bringt, ihre Begleiter zu ermorden. Der Racheplan sieht jetzt vor, dass die Gruppe im Inneren des Vulkans einer nach dem anderen umgebracht wird, während gleichzeitig der Rückweg versperrt ist und die Fackeln und das Essen langsam zur Neige gehen...
Das Abenteuer ist als reine Sandbox gestaltet (und da sage nochmal jemand, sowas gäbe es bei DSA nicht!). Der Großteil des Textes besteht aus der Beschreibung der 10 NSC-Begleiter der Gruppe, ein kleinerer Teil nennt Ereignisse, die der Spielleiter einflechten könnte, und der kleinste Teil ist die Beschreibung des Vulkans selbst. Auf den Spielleiter wartet somit die anspruchsvolle Aufgabe, das alles zu einer spannenden Handlung zusammenzufügen.
Ich gebe zu, dass ich (obwohl ich mich durch aus für einen erfahrenen Spielleiter halte und auch ganz gut im Improvisieren bin) mit dem Leiten dieses Abenteuers wohl überfordert wäre. Das beginnt schon mit dem gleichzeitigen Darstellen von 10 sehr detailliert beschriebenen NSC, die die ganze Zeit über anwesend sind und so gestrickt wurden, dass sie sich eigentlich nach wenigen Minuten Spielzeit gegenseitig an die Kehle gehen müssten. So haben wir zwei sexistisch-chauvinistische Klischee-Männer (ein Novadi und ein Moha, wofür ich allein schon die dunkelgelbe Rassismus-Karte ziehen würde), die ernsthaft durch Sprüche glänzen wie (Achtung, Originalzitat): "Frau ungehorsam, darf bücken und kriegen Strafe von Der-über-der-Frau-steht, dann wieder lieb sein und machen Spaß zusammen." In der gleichen Gruppe befindet sich dann übrigens auch eine männerhassende Amazone und drei Thorwaler-Schwestern. Man sieht schon, der Spielleiter kann sich hier eigentlich prima mit sich selbst beschäftigen, und ich habe keine Idee, wie ich das am Spieltisch hinbekommen würde, ohne dass ich mich mit verschiedenen verstellten Stimmen permanent selbst anschreie.
Hinzu kommt, dass das restliche Abenteuer vergleichsweise wenig Fleisch auf den Knochen hat. Die Anreise (immerhin bis ans Ende der Welt) wird gleich ganz übersprungen, und das Höhlensystem unter dem Vulkan (immerhin 4 Meilen durchmessend und bis in 3 Meilen Tiefe reichend - die Gruppe soll sich hier laut Abenteuer 2-4 Tage lang aufhalten) wird auf 4 Seiten und einer Querschnittskarte beschrieben. Man muss sehr viel im Blick behalten und sehr viel improvisieren - ich selbst traue mir das nicht zu.
Die innere Logik des Abenteuers ist so naja - die Grundidee ist ganz gut, aber im Detail empfand ich vieles als an den Haaren herbeigezogen (beispielsweise die Motivation des Schurken oder die etwas unmotiviert reingeflochtene Geoden-Geschichte) oder als eher mäßig logisch. So treffen wir in den Höhlen, deren einzige Lebensform ein bisschen Moos ist, zwei menschengroße Höhlenspinnen - keine Ahnung, wovon die leben. Auch haben die meisten Begleiter der Helden - um es mal deutlich zu sagen - einen an der Waffel. Und klar, der Vulkan bricht natürlich auch genau in dem Augenblick aus, als der Schurke enttarnt wird - Wille der Götter, kann man natürlich so machen. Den DSA-Puristen mag außerdem stören, dass an diversen Stellen die Regeln bewusst ausgehebelt werden, damit das passieren kann, was das Abenteuer vorsieht, ohne dass die Helden (z.B. durch Magie) etwas daran ändern können.
Ausdrücklich positiv erwähnen möchte ich an dieser Stelle übrigens die Charakterprotraits von Ruud van Giffen - das sind richtige kleine Meisterwerke, fast zu schade für reine Wegwerf-NSCs für ein Abenteuer von 1-2 Sitzungen Dauer.
Ach ja, und eines noch zum Abschluss: Eine wirkliche Fortsetzung zu den "Höhlen des Seeogers" ist das Abenteuer definitiv nicht. Die Verbindung ist so dermaßen dünn, dass die Spieler 95% des Abenteuers nicht wissen, was das eine mit dem anderen zu tun hat und sich ganz am Ende bei der Auflösung fragen werden: "Ach, um den geht es. Und wer genau war das nochmal?"