#148: Call of the NetherdeepAutor: ziemlich viele...
System: D&D (Exandria)
Erschienen: 2022
Umfang: Lang (geschätzte 50-70 Stunden Spielzeit)
Warum habe ich das AB gelesen?Reine Neugier auf ein Exandria-Abenteuer. Naja gut, und weil ich mir was anderes drunter vorgestellt habe...
PlotDie SC haben Visionen von einem längst vergessenen Helden, der sie um Erlösung anfleht. Auf der Suche nach ihm reisen sie durch die Welt und darüber hinaus.
EindruckDa ich es ziemlich unmöglich finde, das Abenteuer zu besprochen, ohne dabei Spoiler zu verwenden (was ich normalerweise zu vermeiden versuche), hier also ausdrücklich der Hinweis:
Vorsicht, die folgende Rezension enthält skrupellose Spoiler!Zunächst einmal ist das Abenteuer sehr Exandria-spezifisch. Obwohl ich sonst ja ein bekennender Mix-and-Match-Ideenklauer bin, tue ich mich schwer damit, mir vorzustellen, wie sich das Abenteuer auf andere Welten (speziell welche ohne diesen roten Mond) übertragen lässt. Man sollte es daher meiner Meinung nach auf der Welt belassen, für die es geschrieben ist - es ist auch umfangreich genug, dass sich das lohnt.
Die nennen wir es mal kalifornische Mentalität der Critical-Role-Macher scheint vor allem bei den NSCs durch: da sind die verschiedenen Rassen eigentlich nur noch bunte Anstriche, die völlig nach Belieben verwendet werden - es wimmelt geradezu von orkischen Gelehrten, selbstlosen Goblins, philosophischen Ogern etc. Und natürlich muss auch die obligatorische LGBT+-Quote wieder erfüllt werden. Ich persönlich finde ja, dass sie sich da durch den Over-Use keinen Gefallen tun - so ist etwa Maggie die intellektuelle Oger-Barbarin für mich ein totales Highlight, aber das funktioniert natürlich nur, wenn das auch wirklich etwas Besonders ist und nicht ohnehin jede Universität mehrere von der Sorte hat. Anyway - wem das zuviel Gleichmacherei ist, der kann das ja auf das präferierte Maß zurückstutzen; der Plot hängt da jetzt nicht dran.
Die nächste Sache, die auffällt, sind die Schauplätze: Die sind nämlich durch die Bank etwas Besonderes. Egal ob die Waterworld-mäßige Pfahlbautenstadt, in der das Abenteuer noch recht spielerisch beginnt, die düstere Festungsstadt, die das Böse in ihrem Inneren vor dem Ausbrechen beschützt, die prächtige Wüstenstadt Ank'Harel, die Unterwasserruinen oder das extradimensionale Gefängnis des Helden - hier wird wirklich etwas geboten für Leute, denen "Einmal Fäntelalter wie immer" schon lange zu den Ohren rauskommt.
Das gilt übrigens auch sonst für alle Aspekte des Abenteuers: Man hat sich wirklich viel Neues einfallen lassen. So besteht eine weitere Besonderheit des Abenteuers darin, dass es die ganze Zeit über eine konkurrierende Heldengruppe gibt, die immer wieder auftaucht und versucht, die gleichen Ziele zu erreichen wie die SC. Dabei sind alle Verläufe möglich: man kann sich mögen, sich verbünden, sich ignorieren oder sich regelrecht hassen und aktiv bis aufs Messer bekämpfen. Vom ersten Wettlauf bis zum großen Finale - die "Rivalen", wie sie im Abenteuer heißen, sind irgendwie immer mit dabei.
Natürlich macht es das für den Spielleiter auch schwieriger, das Abenteuer zu leiten. Überhaupt braucht man ganz allgemein einen guten Überblick. So gibt es nicht nur die Rivalen, die eine große Dynamik ins Abenteuer bringen, sondern speziell in Ank'Harel auch verschiedene Fraktionen, denen sich die SC anschließen können und die einander gegenseitig bekämpfen. Gerade in Ank'Harel kann das Abenteuer dann auch sehr unterschiedliche Verläufe nehmen - eigentlich werden hier drei verschiedene Teilabenteuer angeboten, von denen die Gruppe je nach Wahl ihrer Verbündeten eines oder sogar mehrere erlebt.
Die innere Logik der Abenteuerteile fand ich weitgehend gut gelungen. Nur in der Schwarzen Festung "Betrayers Rise" haben sie mich verloren - das ist für mich ein vollkommen sinnfreier Dungeon mit dem Ziel, SC im Namen sämtlicher Dunkler Götter zu schikanieren, ohne dass irgendwie erkennbar wäre, wer den warum so gestaltet haben sollte. Den Teil würde ich persönlich wohl deutlich abändern, denn das Potential für etwas richtig Cooles ist hier durchaus vorhanden.
Was ich als jemand, der D&D5 noch nie auf höheren Stufen gespielt hat, nicht so richtig beurteilen kann, ist die Machbarkeit. Gerade im letzten Drittel häufen sich die Kämpfe (teilweise auch gegen die immer gleichen Wasserviecher, was ich etwas langweilig fand), und ich überblicke nicht, wie hier die Möglichkeiten für Short und Long Rests aussehen oder wie sich die zahlreichen magischen Artefakte und die "Fragments of Despair" genannten Vor- und Nachteile, die man finden kann, auf die Erfolgschancen auswirken.
Was aber in jedem Fall ziemlich krass ist, ist das Finale. Der mythische Held ist inzwischen in seinem Gefängnis von Wahnsinn und Verzweiflung übermannt worden und stellt inzwischen eine Gefahr für die Welt dar - er muss gleich mehrfach besiegt werden (mit Waffengewalt und/oder Worten), bis er entweder zu sich selbst gefunden hat und befreit werden kann oder schlicht zu seinen Göttern geht. Dabei sieht das Abenteuer auch explizit einen richtig heftigen Worst Case vor: Gelingt es ihm, im unerlösten Zustand zu entkommen, so haben die SC einen zerstörerischen Halbgott auf die Welt losgelassen, der sich sofort daran macht, die zivilisierten Völker auszulöschen... Es geht also endlich mal (ganz im Gegensatz zu dem, was man sonst immer so serviert bekommt) um alles!
Alles in allem hat mir das Abenteuer sehr gut gefallen, gerade weil es komplex ist und so viel Neues bietet. Es ist eher nichts für Spielleiter, die es gerne einfach haben, und für Gruppen, die sich einfach nur durchschnetzeln wollen. Aber für Gruppen, die gerne auch mal emotionale Konflikte und Dramen ausspielen, die schwere Entscheidungen mögen und Freude daran haben, Geheimnissen auf den Grund zu gehen, bietet es das Potential für ein Spielerlebnis, an das man sich noch lange erinnern wird.