#151: Vor aller Augen
Autor: Thomas Jaud
System: Das Schwarze Auge
Erschienen: 2024 in "Stumme Schreie"
Umfang: Mittel (ca. 10-12 Stunden Spielzeit)
Warum habe ich das AB gelesen?
Auch diesmal gab es keinen besonderen Grund, außer dass alle Abenteuer der Anthologie für mich interessant klangen.
Plot
Auf einem Fest in Aranien werden zwei Tote gefunden, von denen eigentlich alle dachten, dass sie noch am Leben wären. Was als klassischer Whodunnit beginnt, wird immer mehr zur Jagd nach einem übernatürlichen Mörder, der sich möglicherweise als der gefährlichste Gegner entpuppt, dem die SC je gegenübergestanden haben.
Eindruck
Ich finde es gerade schwierig, dieses Abenteuer zu besprechen, ganz ohne etwas zu spoilern, daher hier ausnahmsweise der Hinweis: Vorsicht, Spoiler - Spieler bitte nicht weiterlesen!
Zunächst einmal: Das Abenteuer hat mir ausnehmend gut gefallen. Es passt genau in die Kategorie Geschichten, die ich selbst gerne spiele und auch leite: Überlegen, Recherchieren, Verhandeln und einige sch***gefährliche Kämpfe verschmelzen zu einem ausgesprochen stimmigen Ganzen. Außerdem ist das Abenteuer auch sehr aventurisch / aranisch stimmig, auch wenn es sich mit erträglichem Aufwand in eine andere Welt (z.B. nach Farukan auf Lorakis) verpflanzen ließe. Allerdings wäre es gerade gegen Ende ein wenig schade um die mythologischen Anspielungen.
Dass mir das Abenteuer gut gefallen hat, ist umso überraschender, als es bei mir eigentlich eine eiserne Vorliebenregel gibt, nämlich: Ich hasse Vampire. Und unser (zunächst unsichtbarer, später aber sehr präsenter) Gegner ist eine Lamijah, ein Belkelel-Vampir, gegen den der gute Vlad Dracula eine Gruselnummer aus dem Kinderfernsehen ist. Und die ist so stimmig umgesetzt, dass ich meine Vampirabneigung mal vorübergehend an den Haken gehängt habe. Denn hier hat man zu keinem Zeitpunkt dieses "Och nö, schon wieder so eine langweilige Vampirgeschichte, alles schon tausendmal gesehen"-Gefühl, hier passt irgendwie alles zusammen.
Dabei beginnt das Abenteuer ja noch vergleichsweise harmlos. Zwar geraten die SC zwar schon relativ früh mit dem ersten Spawn unserer Endgegnerin aneinander, aber der ist halb wahnsinnig und daher noch nicht ganz so gefährlich. Was folgt, ist ein Ermittlungsteil (wir sind ja schließlich in einer Krimi-Anthologie), der für mein Empfinden den Schwierigkeitsgrad genau richtig hinkriegt: Nicht zu einfach, aber auch nicht zu verworren. Und wenn es dann zum nächsten (nahezu) unvermeidbaren Kampf kommt, werden die Daumenschrauben schon spürbar angezogen: Wenn sich die SC bei der Auseinandersetzung in einer Hafenkaschemme ungeschickt anstellen, kann das mMn schon ihr letztes Gefecht werden.
Richtig heftig wird es aber nach hinten raus. Denn irgendwann haben die SC kapiert, mit wem sie es hier zu tun haben und auch, was die Lamijah vorhat. Man eilt ihr nach, aus der Stadt und in einen heiligen Wald, um die Katastrophe zu verhindern, und erst dort wird so richtig klar, wie gefährlich diese Gegnerin wirklich ist. Dunkelsicht (im Dunkeln), hoher Rüstungsschutz, stark genug um den Gruppenkrieger mal eben durch eine geschlossene Tür zu werfen, so gut wie keine Schwächen (auch nicht gegen magische oder heilige Waffen), jede Menge unter magischer Kontrolle stehender Helfer (die man daher auch nicht einfach skrupellos wegmoschen kann) und eine knallharte Kampftaktik, bei der ich mich schon frage, wie viele Gruppen wohl im Testspiel untergegangen sind. Am Ende kann es passieren, dass man schon dankbar ist, wenn man diese Gegnerin wenigstens aus dem Heiligtum vertreiben konnte - sie zu vernichten, ist möglicherweise eine Nummer zu groß auch für die "erfahrenen" Helden, für die das Abenteuer geschrieben ist.
Klingt hart? Soll es auch sein, aber es ist eben auch stimmig und atmosphärisch. Und wenn die Spieler und die Spielleitung wollen, können sie anschließend eine richtige Kampagne daraus machen, diese Gegnerin durch halb Aventurien zu jagen. Natürlich gibt es auch Vorschläge, wie man alles so anpassen kann, damit die SC schon am Ende dieses Abenteuers als Gewinner dastehen, aber irgendwie gefällt mir die Variante, bei der es so einfach eben nicht ist, auch ganz gut.
Soweit ich das sehe, war "Vor aller Augen" das DSA-Erstlingswerk von Thomas Jaud. Ein beeindruckendes, wie ich finde.