Um hier mal etwas Leben in die Bude zu bringen:
Ich habe mir letzens mal die RuneQuest Essentials der 6. Edition gezogen und bin das so durchgegangen. Dabei schrieb ich so meine Gedanken und spontanen Reaktionen nieder -- mal sehen inwieweit Eindrücke täuschen können oder sich bestätigen.
--
Zunächst mal zum Umfang: die Essentials (PDF gratis verfügbar) sind mit ca 200 Seiten auch schon fast halb so stark wie das volle Regelwerk (afaik $25 PDF). Da ich letzteres auch nur einmal kurz durchgeflipt habe, fällt mir im Inhaltsverzeichnis erstmal nur ein Unterschied auf: nur zwei Magieschulen statt derer fünèf oder so.
Zu Attributen und ihrer Generierung: es gibt 7 Attribute, deren Startwerte im Bereich von 3-18 liegen (bzw 8-18 im Falle von Intelligenz und Größe bei Menschen). Gewürfelt wird ganz Oldschool mit 3d6 (bzw 2d6+6), entweder “stur der Reihe nach” oder “frei zugeordnet”, oder wahlweise darf man 80 Punkte verteilen, was dem Erwartungswert der Würfelmethode ziemlich genau entspricht.
Damit ist also schon leicht zu erkennen: da kommen ganz normale Durchschnittstypen, also irgendwelche Niemande raus. Ist RQ ein Bauergamer-System?
Zwar beteuert das Buch an dieser Stelle, Attributswerte seien “nicht so wichtig” für das Überleben, aber 1. will ich ja im Spiel nicht immer nur mein nacktes Leben retten, sondern auch was reißen, und 2. frage ich mich: wenn nicht die Attribute, was dann? Reines Würfelglück vielleicht?
Hier ist jedenfalls schonmal mein erster Impuls, zum Zwecke des heroischen Rollenspiels gleich mal die Punktepools zu erhöhen, auf vielleicht 100 Punkte oder so. Aber sehen wir mal weiter.
Etwas ratlos lässt mich auch die Tabelle für den Körperbau: hier wird dem Size-Attrbut jeweils eine ungefähre Körpergröße zugeordnet (damit kann ich leben), und dann kann man eine von drei Gewichtsklassen auswählen, wobei ich da den starken Verdacht habe, dass der Urheber dieser Tabelle das metrische System nur vom Hörensagen kennt, oder in einer Dauerklinik für Eßstörungen lebt. Hält man sich daran, gibt es Charaktere im RQ-Universum ausschließlich in drei Kategorien:
Krankhaft Untergewichtig -- Übergewichtig -- Krankhaft Fettleibig.
Ein von der WHO als ideal oder auch nur unbedenklich eingestufter BMI ist damit jedenfalls nicht generierbar. :p
Das ist natürlich eine Kleinigkeit, die mit einer Handbewegung beiseite gewischt ist, aber es gibt schon zu denken: da wendet dieses System also erkennbare Mühe auf (immerhin eine Tabelle mit 90 Zellen), um dann unbrauchbare Werte zu generieren. Ich hoffe nur, das wird nicht zur Gewohnheit.
Puh, erst ein paar Seiten geschafft und schon haben sich mehrere Verdachtsmomente angesammelt.
Es folgen die Fertigkeiten, deren Grundwert sich jeweils aus zwei Attributen zusammensetzt. Hier tritt dann schon mein Grundproblem mit Prozenter-Systemen zutage: hält man sich an die Standard-Erschaffung, werden bei den meisten Skills Werte um 20-25% rauskommen. 20-25% von was? Habe ich eine 22%ige Chance zu Schwimmen? Vier von fünf Menschen ertrinken, wenn sie ins tiefe Wasser gehen?
Aber gut, der Fließtext verspricht, dass in einem späteren Kapitel das Fertigeitssystem genauer erklärt wird; ich werde mich gedulden.
Im nächsten Kapitel werden Kulturpakete vorgestellt (derer vier), von denen man sich eins aussuchen darf, was Einfluß auf die Auswahl der Skills und Kampfstile hat, die man an dieser Stelle um insgesamt 100 Punkte steigern darf, aber nur maximal 15% pro Skill. Auch Kampfstile sind aus dem gleichen Pool zu bezahlen.
Dann wählt man eine Laufbahn aus, und darf wiederum einen Pool von 100 Punkten auf die dieser Laufbahn zugeordneten Fertigkeiten verteilen, wiederum maximal 15 pro Skill bzw Kampfstil.
Und weil es uns so gut gefiel, noch einmal dasselbe Spiel: nur diesmal dürfen wir insgesamt 150 Punkte verteilen, mit derselben Einschränkung wie oben.
Wir fassen also zusammen: wählt man seine Kultur und Karriere geschickt aus, kann man seine Kernkompetenzen um jeweils 45% steigern; in den Gesamtpool von 350 Skillpunkten passen entsprechend ca 7 solcher Pakete, plus ein paar Pünktchen Rest. Zusammen mit den Grundwerten dürfte man also auf Spitzenwerte von ca 65-75% kommen.
Endlich erfahren wir im Skill-Kapitel, wie das ganze nun funktionieren soll:
Erstmal erweckt das System den Eindruck, das sowieso nur selten gewürfelt werden soll: nämlich _nicht_, wenn es sich um eine Routineaufgabe handelt, oder wenn genügend Zeit und etwaiges Werkzeug zur Verfügung stehen, wenn keine Streßsituation besteht, oder wenn ein Fehlschlag keine negativen Konsequenzen hätte.
Umgekehrt soll nur dann gewürfelt werden, _wenn_ die Würfe wichtig für den Plot sind, sie die Spannung erhöhen, und schlicht wenn ein Fehlschlag den Spielspaß erhöhen kann.
So weit, so gut. Das Dumme ist nur, wie bei quasi allen mir bekannten Prozentersystemen, dass dann bei den tatsächlichen Würfelregeln eine andere Sprache gesprochen wird: da zählt der unmodifizierte Fertigkeitswert nämlich für Aufgaben von “Standard” Schwierigkeit. (“Leichte” Aufgaben erlauben die Verdopplung des Skillwerts, “Schwierige” Aufgaben senken ihn, “Herkuleanische” verlangen quasi immer einen kritischen Erfolg.)
Nur, was bitteschön ist denn “Standard”? Haben wir nicht eben noch gelernt, dass man bei Leichten und Standardaufgaben überhaupt nicht würfeln lassen soll? Wenn ich eine Standardaufgabe hernehme, und diese mit Stressfaktor und Risiko ausstatte, ist es doch keine Standardaufgabe mehr - sondern eine Schwere! Insbesondere, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher, gelernter Profi in seinem Fachbereich immerhin plusminus ein Drittel Risiko hat, eine angebliche “Standard” Aufgabe zu verkacken.
Langer Rede kurzer Sinn, ich fände es wesentlich klüger, wenn die Schwierigkeitsgrade sich nicht widersprechen würden. Daran krankten nämlichen meine sämtlichen Kontakte mit Prozentersystemen in der Vergangenheit: völlig egal was da im Regeltext stand, letzten Endes hat der jeweilige SL (ich erinnere mich an derer vier) dann doch für jeden feuchten Furz eine Probe auf “Standardschwierigkeit” würfeln lassen. Was wiederum jedes dieser Spiele zur Slapsticknummer degradiert hat. Nun ist da die übliche Apologetik “Das ist nicht die Schuld des Systems, sondern des SL”, aber wenn 4 von 4 SLs in 4 verschiedenen Systemen immer den gleichen Fehler machen, ist das für mich ein starkes Zeichen dafür, dass Prozentersysteme für diesen Unsinn einfach anfälliger sind bzw die Mechanik schlicht und einfach inhärent unintuitiv ist.
Also wieder zurück zum Buch:
Wir gelangen zum Kapitel über Steigerungen - etwas, das natürlich jeden Spieler interessiert. Die Praxis, dass man eine kleine Handvoll “Experience Rolls” bekommt, mit der man auswürfeln muss, wie weit man ein paar Skills steigern kann, erinnert an älteres DSA. Aber immerhin ist wenigstens ein +1%-Anstieg garantiert. Dagegen sehr hübsch ist die Regel, dass Skills, mit denen man seit dem letzten Steigern gepatzt hat, automatisch ansteigen -- man lernt halt aus seinen Fehlern.
Davon unberührt ist das Steigern per Lehrmeister -- das geht auch, wenn man einen solchen hat; das kostet dann vor allem Zeit (und ggf Geld), aber keine Experience Rolls. Umgekehrt brauchen erwürfelte Steigerungen keinen Lehrer. Gut.
Das allgemeine Aufstiegstempo kann aber nur als glazial bezeichnet werden: die Rede ist grob gesagt von einer Steigerung (mit ca 3 Exp Rolls) alle 2-3 Sitzungen; mit jedem Wurf steigt ein einzelner Skill um durchschnittlich 2%. Piddel-piddel.
Aber genug davon, sehen wir uns die Kampfregeln an. Ich habe sie hin und hergewälzt, und kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei der Redaktion der Essentials-Ausgabe einiges der Schere zum Opfer fiel, was nicht hätte fallen dürfen. So nehmen Text und Tabellen zwar mehrfach Bezug zu den Reichweitenkategorien der Waffen -- aber was die regelmechanischen Konsequenzen unterschiedlicher Reichweiten sind, genau diese Information konnte ich nicht finden. Es wird mehrmals zwischen verschiedenen Seiten hin- und herreferenziert, aber die versprochene Information fehlt.
Anm.: ich habe mir das inzwischen von jemandem erklären lassen, der die Vollversion besitzt. Bei mehr als einer Größenkategorie Unterschied muss der mit dem kleineren Teil erst einen Kampfvorteil erwürfeln, um in Angriffsreichweite zu kommen.
Prinzipiell interessant ist das System der “Special Effects”. Mal von kritischen Erfolgen und Patzern abgesehen, läuft es darauf hinaus: wenn der eine Kämpfer seinen Kampfstilwurf schafft und der andere nicht, darf der Überlegene sein Manöver (Attacke oder Parade) mit einem Spezialeffekt gemäß einer Tabelle ausstatten. Ein überlegener Verteidiger kann z.B. den Angreifer ins Leere laufen lassen (Overextend), wodurch dieser in der nächsten Runde nicht angreifen kann. Ein überlegener Angreifer hingegen kann z.B. seinen Gegner entwaffnen (ohne “Rettungswurf”), eine Attackeserie einleiten oder eine Trefferzone ansagen.
Stichwort Trefferzonen: es gibt derer 8, und normalerweise wird die getroffene Zone zufällig bestimmt. Mit einem großen Schild kann man bereits 4 Zonen automatisch abdecken -- aber wie dieses sogenannte “Passive Blocking” genau funktioniert, kann ich mir nicht so ganz erschließen. Der Regeltext stellt auch klar, dass man dann mit dem Schild nicht aktiv parieren kann. Aber wenn man keine Aktion zum Parieren aufwendet, erklärt ein anderer Regelteil, zählt das automatisch als Fehlgeschlagene Parade, was wiederum dem erfolgreichen Angreifer 1 Special Effect gewährt -- und da muss er dann nur Choose Location wählen, und schwupp ist der Schild umgangen und nutzlos.
Man muss also mit seiner Haupthand eine Parade ansagen und seinen Paradewurf schaffen -- aber wenn die Waffe der Haupthand groß genug ist (z.B. Langschwert oder Kurzspeer), reicht das bereits vollkommen aus um den Schaden der meisten Waffen komplett zu negieren, und der Schild kommt gar nicht zum Einsatz.
Der Schild wäre nur gegen Treffer durch Zweihandwaffen relevant -- aber diese lassen sich ebensogut durch eine eigene Zweihandwaffe parieren, welche obendrein doppelt soviel Schaden macht wie eine Einhandwaffe.
Die einzige Existenzberechtigung von Schilden scheint mir zu sein, dass man damit auch Fernangriffe blocken kann. Im Nahkampf scheinen sie eher redundant.
Soviel für's Erste. Ich stelle das mal so in den Raum; Diskussion willkommen. ^^