Autor Thema: Railroader oder Sandboxer? Gestaltungsfreiraum als Kategorie im Rollenspiel  (Gelesen 17479 mal)

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Eulenspiegel

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Nach einigen Nachdenken würde ich das ganze Zweidimensional sehen:

1. Dimension: vorgeplant <--> ergebnisoffen
2. Dimension: story-zentriert <--> Welt-Simulation

Und je nachdem, auf welchen Punkt in dieser zweidimensionalen Ebene wir uns befinden, kommt etwas anderes dabei heraus:
1) vorgeplante Story: klassischer Partizipationismus (von einigen auch Railroading genannt)
2) ergebnisoffene Story: Hier haben wir die "Rule of cool" und diverse "Erzählspiele" (The Pool, Primetime Adventures, Fiasco etc.)
3) vorgeplante Welt-Simulation: Das sind hauptsächlich herausforerungsorientierte Abenteuer (z.B. Dungeoncrawl oder Detektivabenteuer)
4) ergebnisoffene Welt-Simulation: Hier erhalten wir die klassische Sandbox.


Offline D. M_Athair

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@ Eulenspiegel: Schön dargestellt.
Ich bin übrigens zu einem recht ähnlichen Ergebnis gekommen.
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Im Zusammenhang mit diesem Thread und den darin aufgeworfenen Ideen ist mir heute ein Artikel auf Spiegel Online untergekommen. Noch einmal die drei Kernthesen dieses Threads in Kürze:

1. Dieser Thread stellt die These auf, dass im Rollenspiel aus Spielersicht "freier" nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit "besser".

2. Sowohl das Gewähren als auch die Beschränkung von Handlungsspielraum der Spieler durch den Spielleiter weist spezifische Vor- und Nachteile auf. Gut orchestriertes Drama hat halt am Tisch ebenso einen Preis wie maximale Freiheit.

3. Eine Spielgruppe muss auf dem Kontinuum von Freiheit und Lenkung die jeweilige Idealposition finden. Das hängt mit individuellen und aggregierten Interessen, Normen und Werten ebenso stark zusammen wie mit der Fähigkeit des Umgangs mit negativen Sekundäreffekten von Freiheit und Lenkung, z.B. Orientierungslosigkeit oder wahrgenommene SL-Willkür.

Wenn man den Artikel im SPIEGEL unter dieser Maßgabe liest, ergeben sich die Analogien zu diesem Thread eigentlich wie von selbst. Fand ich ganz erhellend.

Vielleicht noch am Rande: habe heute nach langer Zeit mal wieder reingeschaut bei den Themen, die in den Blogs so diskutiert werden. Da richte ich das Augenmerk auf die rsp-Blogs. Und was soll ich sagen? Das Thema des kommenden Karnevals "RPG Regeln by the book oder ad-hoc verregeln?" würde sich auch wunderbar in den Thread hier fügen. Allerdings bitte ich Euch in diesem Fall, etwaige diesbezügliche Diskussionen direkt dort vor Ort zu führen. Ich fürchte nämlich hässliche, fundamentalistische Glaubenskriege. Brauche ich an dieser Stelle bitte nicht.

Offline Crimson King

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Kann man so stehen lassen. Der Artikel sagt aber noch mehr aus. Open World/Choose your own adventure/Sandbox funktioniert nur dann, wenn die Angebote interessant sind. Speziell das Erschaffen von Inhalten per Zufallstabellen birgt das große Risiko, das da einfach nur Schrott bei raus kommt. Bei einer stärker durch die Spielleitung kontrollierten Erzählung ergibt sich dieses Problem nicht so schnell, weil die Spielleitung eben die Chance hat, in jeder Situation angemessen auf die Gruppe reagieren zu können, ohne dabei allzu sehr auf die darunter liegende Hintergrundwelt achten zu müssen.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Wellentänzer

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Kann man so stehen lassen. Der Artikel sagt aber noch mehr aus. Open World/Choose your own adventure/Sandbox funktioniert nur dann, wenn die Angebote interessant sind. Speziell das Erschaffen von Inhalten per Zufallstabellen birgt das große Risiko, das da einfach nur Schrott bei raus kommt. Bei einer stärker durch die Spielleitung kontrollierten Erzählung ergibt sich dieses Problem nicht so schnell, weil die Spielleitung eben die Chance hat, in jeder Situation angemessen auf die Gruppe reagieren zu können, ohne dabei allzu sehr auf die darunter liegende Hintergrundwelt achten zu müssen.

Bin ganz bei Dir. Ich würde das aber unter die negativen Sekundäreffekte einer freien Spielleitung fassen. Genau darum handelt es sich meiner Ansicht nach.

Offline Haukrinn

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Open World/Choose your own adventure/Sandbox funktioniert nur dann, wenn die Angebote interessant sind. Speziell das Erschaffen von Inhalten per Zufallstabellen birgt das große Risiko, das da einfach nur Schrott bei raus kommt. Bei einer stärker durch die Spielleitung kontrollierten Erzählung ergibt sich dieses Problem nicht so schnell, weil die Spielleitung eben die Chance hat, in jeder Situation angemessen auf die Gruppe reagieren zu können, ohne dabei allzu sehr auf die darunter liegende Hintergrundwelt achten zu müssen.

Dem kann ich mich anschließen. Zumindest wenn man Spielleitung flexibel genug (nämlich ungleich Spielleiter) definiert.
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Offline Maarzan

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Viel Freiheit bedeutet halt auch eine steigende Verantwortung für seinen eigenen Spaß, indem man entsprechend auch als Spieler bzw. sein Charakter selbst was in die Gänge bringt.
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Offline Raptor Jesus

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Viel Freiheit bedeutet halt auch eine steigende Verantwortung für seinen eigenen Spaß, indem man entsprechend auch als Spieler bzw. sein Charakter selbst was in die Gänge bringt.

Und genau daran hapert's meiner Erfahrung nach oft, weshalb ich mit Railroading auch kein großes Problem habe. Ich lasse mir lieber vier Stunden was unterhaltsames vorlesen, als dabei zuzusehen, wie fünf Leute vier Stunden lang um einen Tisch sitzen und nicht wissen, was sie tun sollen.
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Und genau daran hapert's meiner Erfahrung nach oft, weshalb ich mit Railroading auch kein großes Problem habe. Ich lasse mir lieber vier Stunden was unterhaltsames vorlesen, als dabei zuzusehen, wie fünf Leute vier Stunden lang um einen Tisch sitzen und nicht wissen, was sie tun sollen.

Dann würde ich sagen, dass Marzaan und Du den Sweetspot offensichtlich an unterschiedlichen Stellen des Kontinuums setzt ;-)

Dem kann ich mich anschließen. Zumindest wenn man Spielleitung flexibel genug (nämlich ungleich Spielleiter) definiert.

Jaja, klar. Etwas abstrahiert ist das ja eine der großen Aufgaben von Spieledesignern ebenso wie von Spielrunden: der Umgang mit negativen Sekundäreffekten der jeweils präferierten Spielformen. Für den gelenkten Pol des Spektrums betreiben die aufgeklärteren Leute dann sowas wie Partizipationismus, immer mit der Gefahr im Nacken, dass der (zu vermeidende) Eindruck von Willkür oder Bevormundung durch den SL entsteht. Für den freieren Pol gibts hingegen Konzepte wie das von Haukrinn angedeutete Player Empowerment, um den Spielleiter zu entlasten und etwaige Phasen des Leerlaufs zu verkürzen.

Ich sehe in dieser Thematik ja übrigens sehr klar den Kern der meisten theoretischen Überlegungen ebenso wie der meisten Probleme in Spielrunden. Mein Eindruck ist auch, dass zu viele Leute den scheinbaren Verlockungen des freien Spiels erliegen, ohne die negativen Sekundäreffekte hinreichend zu berücksichtigen bzw. aktiv abzupuffern.

Als theoretische Unterfütterung bzw. Analogie habe ich dabei übrigens immer Poppers offene Gesellschaft im Kopf - ein Konzept, das im Zuge der Attentate von Paris natürlich wieder hervorgekramt wird. Ganz analog zum Rollenspiel frage ich mich bei Popper - Achtung, Häresie! - auch, ob sich der gute Sir Karl nicht eventuell geirrt haben könnte. Denn die Überlegenheit der offenen Gesellschaft ist ja aus heutiger Sicht womöglich eine Illusion. Die westlichen Demokratien als klassisch offene Gesellschaften erscheinen gelähmt von den negativen Sekundäreffekten zu großer Offenheit. Parallel mausern sich enorm geschlossene Strukturen wieder zu großer Pracht ungeachtet der klassischen Links-Rechts-Skala, siehe etwa China, Russland, Türkei, Venezuela. Das mag wenig sympathisch sein, ich finde das aber augenscheinlich.

Nundenn, es ist spät. Noch eine rauchen und dann ins Bett. So long!
« Letzte Änderung: 2.12.2015 | 22:28 von Wellentänzer »

Offline Raptor Jesus

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Dann würde ich sagen, dass Marzaan und Du den Sweetspot offensichtlich an unterschiedlichen Stellen des Kontinuums setzt ;-)

Echt? Kam mir gar nicht so vor. Hm.
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Offline Boba Fett

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Open World/Choose your own adventure/Sandbox funktioniert nur dann, wenn die Angebote interessant sind.
Naja, das kann man sogar noch globaler fassen. Rollenspiel funktioniert nur dann, wenn die Inhalte interessant sind.
Ich lasse das Wort "Angebot" mal bewust aus, um nicht festzulegen, durch wen die Inhalte/Angebote gemacht werden...

Zitat
Speziell das Erschaffen von Inhalten per Zufallstabellen birgt das große Risiko, das da einfach nur Schrott bei raus kommt. Bei einer stärker durch die Spielleitung kontrollierten Erzählung ergibt sich dieses Problem nicht so schnell, weil die Spielleitung eben die Chance hat, in jeder Situation angemessen auf die Gruppe reagieren zu können, ohne dabei allzu sehr auf die darunter liegende Hintergrundwelt achten zu müssen.

Naja...
Ob das Abenteuer nun durch Zufallsermittlung entsteht oder durch ein Kaufabenteuer,
in jedem Fall ist die Angebotsqualität abhängig von Interpretation und Präsentation durch die Spielleitung.
Gute Spieler/Spielleiter können eine miese Basis kompensieren, egal ob das nun zufällig oder anders gestaltet wurde.
Und gute Spielleiter können ebenso flexibel auf die Spieler und die Situation eingehen, wenn es sich nicht um einen vorgefertigten Plotentwurf handelt.
Das ist doch Jacke wie Hose.

Ich komme immer mehr zum Schluß, dass es egal ist, ob ich eine Sandbox mit Abenteuer-Situationsgenerator habe oder ein Kaufabenteuer. Interpretation, Präsentation und Flexibilität sind die entscheidenden Qualitätsmerkmale - und die sind vom Ursprung unabhängig - die liegen bei den Beteiligten.
Kopfgeldjäger? Diesen Abschaum brauchen wir hier nicht!