Bevor ich zur Kritik der Kritik schreite, sei mir eine Anmerkung erlaubt: Der Begriff "Rollenspiel" (im Sinne von RPG) hat in den letzten Jahr(zehnt)en stark an Nützlichkeit eingebüßt, bedingt durch eine immer stärkere Ausweitung seiner Bedeutung. Von daher kann ich das Plädoyer für eine Schärfung des Begriffs durch Abspaltung bestimmter Bedeutungsbereiche durchaus nachvollziehen (und begrüße dies auch).
Nun denn:
"abc is defined by xyz" ist nicht zwingend gleichbedeutend mit "abc is definded as xyz"; insbesondere, wenn xyz offensichtlich keine vollständige Definition von abc darstellt, ist wohl eher von der Bedeutung "xyz ist ein wesentliches Merkmal von abc" auszugehen. Dies bedeutet dann auch nicht, das xyz nur bei abc vorkommen darf. Daher laufen die meisten "definition"-Kritikpunkte ins Leere.
Das etymologische Argument: zugegeben, nicht zwingend (wenn auch das Meerschweinchen kein so offensichtliches Beispiel ist, wie behauptet wurde); aber im Bereich der Begriffsunterteilung von "Spiele" doch recht plausibel: Ballspiele beinhalten einen Ball, Kartenspiele werden mit Karten gespielt, bei Glücksspielen hat, welch Überraschung, Glück eine besondere Wichtigkeit. Es ist also nicht allzu weit hergeholt, zu vermuten, Rollenspiel hätte vorrangig mit dem Spielen einer Rolle zu tun (= "is about playing a role"). Hier kann man natürlich Anstoß an der Original-Definition nehmen, was denn "playing a role" zu bedeuten habe, muß man aber nicht. Sie zu ignorieren ist aber wenig zielführend (es sei denn, das Ziel ist polemische Diskreditierung)
"A simple definition": hier ist der erste Satz die Definition, der zweite eine Erläuterung. Die Definition ist nicht berauschend, daher braucht sie Erläuterung. Die Erläuterung bezieht sich auf Mechanismen, bei denen der Spieler eine Entscheidung trifft. Über Mechanismen ohne Spielerentscheidung wird einfach keine Aussage gemacht. Daher bringt das Aufzählen von Mechanismen, die keinerlei Spielerentscheidung beinhalten, in diesem Zusammenhang eher wenig. Was die Charaktererschaffung angeht (wo es durchaus reichlich Spielerentscheidungen gibt): da gibt es noch keinen Charakter, dessen Entscheidungen betrachtet werden könnten. Hilft also auch nix.
So nun muß ich doch noch zitieren:
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Es gibt also gewisse Mechanismen, die gewisse Leute nicht mögen. Die Idee, diese Leute Rollenspieler und diese Mechanismen Storytelling zu nennen, ist Schwachsinn.
Jedes Rollenspiel braucht "Storytelling-Mechanismen" wie oben gezeigt. Sonst funktioniert es nicht. Die Leute mögen also nicht alle "Storytelling-Mechanismen" nicht, sondern lehnen sie nur ab, wenn sie an bestimmten Stellen vorkommen. Das hätte man rausarbeiten können. Dann hätte man was gewusst.
Schändlich aber ist, die eine Gruppe als "Rollenspieler" zu bezeichnen. Hier wird der Titel des Hobbies für die eigenen Lieblingsspiele vereinnahmt. Das ist Besserspielerei in Reinform. Ich mein, ich stell mich ja auch nicht hin, und behaupte Shadowrun sei kein Rollenspiel, obwohl es ganz bestimmt die größte Verschwendung an Totholz ist, die das Hobby je gesehen hat.
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No, it ain't. Es sind keine beliebigen Mechanismen, und keine beliebigen Leute. Beides ist im Orginaltext durchaus ausreichend bestimmt, und schlecht benannt ist es keineswegs.
Ich denke nicht, das jedes Rollenspiel "storytelling-Mechanismen" braucht; es wurde mir auch oben nicht gezeigt. Und nebenbei ging es bei der Abneigung um Tendenzen, nicht generelle, kategorische Ablehnung.
Schändlich ist es keineswegs. Es ist die Konsequenz der Argumentation. Die mag kritikwürdig sein (perfekt ist sie allemal nicht). Wenn ich zwischen Rollenspiel und Storygame trenne, sind die Spieler von Storygames eben keine Rollenspieler, so wie Schachspieler keine Fußballer sind. Was ja auch nicht heißt, das man nicht mal das eine und mal das andere sein kann, nur gleichzeitig wird es halt meist nicht funktionieren. "xyz ist kein Rollenspiel" ist als Aussage auf dem Nivau von " Ein Audi TT ist kein Lieferwagen". Ohne Zusatzprämissen wird da keine Wertung draus.
So. Warum habe ich meine Mittagspause hiermit vergeudet ?
Der Orginalartikel weist meiner Meinung nach durchaus Mängel auf, aber dies trifft auch auf die geäußerte Kritik daran zu. In solchen Konstellationen fällt es mir immer schwer, mich zurückzuhalten.
Im Übrigen: wenn den Storygamern so immens wichtig ist, Rollenspiel zu betreiben: ich schenke Euch den Begriff (bzw. den Namen des Begriffs). Ich bin kein Rollenspieler mehr. Wenn mir was prägnantes eingefallen ist, sage ich Bescheid, was ich spiele. Ich glaube, "Gnurx" hat einen gewissen Charme...