Autor Thema: Irgendwo in IRLAND  (Gelesen 46507 mal)

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #525 am: 7.06.2017 | 11:26 »
Ove

Ich versuche das was auf meinem Gesicht liegt wegzubewegen, als mich Bruchstücke meiner Erinnerungen, meiner Träume einholen.

Gedanken an Kristine, an ihre schweren Verletzungen, plagen mich.

Ich habe sie schon wieder alleine gelassen. Ich habe sie wieder in Gefahr gebracht. , denke ich.

Ich halte inne, bewege mich und auch die Gesichtsmuskeln nicht weiter. Ich versuche flach zu atmen und wenig von den übelkeitserregenden Äther-Dämpfen einzuatmen.
Hat man uns operiert? Ist das alles nur ein Traum?

Wo ist Clive? Wo ist Kristine? Was ist passiert?


Ich warte ab, horche, versuche die Stimmen zu verstehen, die um uns herum zu hören sind.

Offline Der Läuterer

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #526 am: 12.06.2017 | 19:45 »
Eure Finger tasten auf der Unterlage herum, auf der Ihr liegt. Ihr liegt auf einem Bett.
Die Matratzen sind weich, die Bettlaken und Bettdecken fühlen sich jedoch hart an. Gestärkte Laken. Es riecht klinisch rein, wie Desinfektionsmittel in einem Krankenhaus.
Ihr hört die Stimmen von Kristine und Aryana, die mit Euch zu reden scheinen. Das Gemurmel; die Stimmen im Hintergrund sprechen Englisch. Aber sie sprechen so durcheinander, dass Ihr nichts versteht.
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Joran

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #527 am: 13.06.2017 | 10:43 »
Clive

"Matilde ... wo bist Du? Ich brauche Dich! ... ..." Ich weiß, ich werde keine Antwort erhalten. In diesem Moment der Schwäche und Hilflosigkeit fühle ich mich verraten. Auf einer rationalen Ebene ist mir klar, dass Matilde nicht anders konnte, dass sie Marie und mich nicht verlassen hätte, wenn sie einen anderen Ausweg gesehen hätte. Aber jenseits dieser Vernunft schmerzt es, sie jetzt nicht an meiner Seite zu wissen. Kurz male ich mir aus, wie sie neben mir auf der Bettkante sitzt, die Beine übereinander geschlagen, der Blick besorgt und eine Hand sanft auf meinen Arm gelegt. Eine fürsorgliche Tochter. ... "Ein Bild aus einer Schmonzette!", denke ich wütend und empfinde gleichzeitig eine Mischung aus Verzweiflung und Selbstverachtung. "Hätte ich das Zimmer nur nie verlassen!"

"Ayana?", frage ich nach einer Weile müde in den Raum, ohne die Augen zu öffnen. Mein Hals ist trocken und meine Stimme heiser. Aber ich hebe meine Hand, strecke sie ins Nichts und warte, ob jemand sie ergreift.

Ich versuche mich zu konzentrieren, meine Gedanken zu ordnen und meinen Verstand wieder in Gang zu bringen: "Die Menschen sprechen englisch miteinander ... nicht gälisch. Wie weit wurde mein Körper fortgetragen, während ich bewusstlos war? ... Bin ich wieder in London? Ist Braddock dafür verantwortlich? ... Oder bin ich tatsächlich an einem ganz anderen Ort jenseits der Grenzen menschlichen Wissens ... bin durch die Tür in das Licht gezerrt worden? ... Oder bin ich auf den geheimen Pfaden fortgetragen worden, auf denen die Huldiger Seillean-Mòr Blàr erreicht haben? ... Vielleicht liegt mein Körper auch noch immer in dieser Scheue und das alles ist nur eine Illusion? ..."

Ich besinne mich auf Ayanas schlanke Hände und auf ihren besonderen Duft. Ich will beides spüren, bevor ich die Augen öffne. Meinen primitiveren Sinnen vertraue ich im Moment mehr als meinem Verstand. Ich brauche ein sinnlich erspürbares, körperliches Versprechen von Normalität, um mich zu überwinden, meine Lider zu heben.
« Letzte Änderung: 13.06.2017 | 12:01 von Joran »

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #528 am: 14.06.2017 | 17:30 »
"Clive. Clive. Da bist Du ja wieder. Clive. Schön zu sehen, dass Du wieder unter uns bist. Ich habe mir ja solche Sorgen um Dich gemacht. Der treue Luni hat Dich gefunden und wir haben Dich dann hier her gebracht. Woran kannst Du Dich als letztes erinnern? Clive. Clive, hörst Du mich?"
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #529 am: 16.06.2017 | 15:46 »
"Var är du, Stine? [Wo bist du, Stine?]

Var är jag? [Wo bin ich?]

Vad har skett? [Was ist passiert?]"


"Jag kan inte se!" [Ich kann nicht sehen!]

"Varför kan ja inte se?!" [Warum kann ich nicht sehen?]


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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #530 am: 19.06.2017 | 13:34 »
Clive

Da ist keine Hand, die nach meiner greift. Und es ist nicht Ayana, die mir antwortet. Ich höre Matildes Stimme und rieche ihren Duft. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube.

"Etwas stimmt hier nicht ... etwas stimmt hier ganz und garnicht! Das alles hier ist nicht real! ... Matilde ist fortgegangen ... für immer. Sie ist kein Mensch, der solche Entscheidungen halbherzig treffen und nach kurzer Zeit wieder zurückkehren würde. Sie hat Matilde und Luni zurückgelassen. Sie hat ihr ganzes Leben hinter sich gelassen. Und jetzt soll sie an meinem Bett sitzen, als sei nichts geschehen?"

Ich weigere mich, die Augen zu öffnen. Schon jetzt dreht sich alles in meinem Kopf, auch ohne Farben und Bilder.

"So sehr ich es mir wünschen würde: Das hier ist FALSCH ... es ist IRREAL ... es ist eine Falle für meinen Geist. Ich werde ihn nicht öffnen. Ich werde mich nicht treiben lassen und meinen Träumen hingeben!"

Aber die Versuchung ist groß. Ich weiß um die Kraft von Träumen, ich habe in meinen Träumen bereits Raum und Zeit überwunden ...

"Aber irgendetwas ist hier anders ... irgendetwas ist nicht richtig. Was ist es nur?"

Ich versuche herauszufinden, was mich an diesem Trugbild so erschreckt.

"Ist es nur der Umstand, dass meine früheren Träume mich immer an düstere Orte entführt haben?"

"Oder die Tatsache, dass diese Träume immer einen nachgeholten Abschied betrafen? ... Ist dies der persönliche Abschied von Matilde, der mir im realen Leben verwehrt blieb ... wie der Abschied von Ruairí? ... Will ich mich diesem Abschied verweigern, weil ich die Trennung nicht akzeptieren will? ... Bedeutet es, dass Matilde tot ist?"


"Matilde, wie kommst Du hier her?", frage ich matt, ohne meine Augen zu öffnen. Und dann setze ich nach: "Ist Ruairí auch hier?"

Ein Schuss ins Blaue ... mein erster Zug in einem Spiel, von dem ich nicht glaube, es gewinnen zu können. Ein Spiel, von dem ich noch nicht einmal weiß, wer mein Herausforderer ist ... ob es überhaupt einen Gegenspieler gibt oder ob ich gegen meinen eigenen wirren Verstand antrete.
« Letzte Änderung: 20.06.2017 | 09:48 von Joran »

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #531 am: 3.07.2017 | 22:11 »
Clive schafft es, seinen Oberkörper leicht aufzurichten, obwohl es ihn erhebliche Anstrengungen kostet.

Du liegst auf einem Bett. So weit so gut. Die kühlen Laken sind sauber und frisch. Vielleicht etwas zu stark gestärkt.

Du schaust an die Decke. Du horchst in den Raum und Du horchst in Dich selbst hinein.

Du liegst hier bereits geraume Zeit und fragst Dich jeden Tag aufs Neue, ob das nun das Ende einer sehr langen Reise ist.
Und an jedem Morgen hat sich das Ende der Reise um weitere 24 Stunden gedehnt. Findet man den Frieden für sich nur in der unendlich scheinenden Endlichkeit?
Wohin kann man gehen, wenn das selbst überall bereits vorher ist?
Wie lange liegst Du nun bereits hier.

Du schaust zur Seite und erkennst Matilde.
Matilde.
Wie kann das sein? War sie nicht bei der Flucht aus dem brennenden Hotel in London ums Leben gekommen? Weshalb wart Ihr doch gleich nochmal dort gewesen? In der Nähe des Paddington Bahnhofs? Chelsea. Das Hotel hiess Chelsea.

Matilde's Parfüm duftet herrlich.
Sie lächelt Dich an. Es ist ein sanftes, mitfühlendes Lächeln.
Ein warmes, freundliches Lächeln. "Guten Morgen, Clive."

"Hier ist jemand, den Du kennenlernen solltest."
Ein gross gewachsener, blonder Mann mit Links-Scheitel und einer Pocken-narbigen, rechten Gesichtshälfte tritt vor.

Er ist schlank, von heller Haut und seine klaren, blaue Augen blicken gleichmütig auf Dich herab. Er sieht jung aus, aber auch bereits seltsam erfahren und abgeklärt. Nur die Fältchen um seine Augen verraten, dass es bereits älter ist als er aussieht.
« Letzte Änderung: 3.07.2017 | 22:18 von Der Läuterer »
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #532 am: 4.07.2017 | 15:54 »
Ove steht in einem etwa 4x4m grossen Raum.

Du betrachtest lang die Wände. Die Reste von Tapeten sind noch zu sehen. Es sind aber keinerlei Muster zu erkennen. Die Tapete wurde Stück für Stück mit den Fingernägeln herunter gekratzt. Nur noch die gekalkte Wand und ein paar weisse Papier Fetzen.

"Du wirst Dich hier sehr wohl fühlen, glaube mir." Sanft berührt eine kühle, zarte Hand Deinen Unterarm. Du kennst diese Stimme nur zu gut. Sie ist Dir seit Jahren so vertraut.

Es ist Kristine's Stimme. Kristine Karolina Gren. Deine Frau.

"Du wirst Dich hier gut erholen. Die frische Seeluft ist doch herrlich. Und unterhalten kannst Du Dich auch, z.B. mit dem Schriftsteller und dem Detektiv. Die schienen mir sehr eloquent. Oder Du könntest mit den drei Physikern Bridge spielen. Das wäre doch schön, nicht wahr?"

Du blickst auf einen älteren Mann herab, der auf einem Bett liegt und seinen Blick nicht von einer Frau mit aristokratischen Gesichtszügen abwenden kann. Sie ist unwirklich schön. Ihr pechschwarzes Haar ist leicht verwuschelt. Eine Strähne hängt ihr tief ins Gesicht. Sie hat glänzende, wunderschöne, hell-blaue Augen. Doch diese Augen zeigen kein Mitleid, kein Erbarmen. Sie sind so kalt wie ihr Blau. Diese Augen haben viel gesehen und diese Augen haben hundertfach den Tod gebracht.

Ein weisses Laken, ein weisses Kopfkissen, eine weisse Bettdecke. Gestärkt, gebleicht und klinisch rein.

Der Mann auf dem Bett sieht verwirrt aus. Strohiges, langes, weisses Haar, einer Löwenmähne gleich, wie zig tausende von Silberfäden, die sich über das Kopfkissen ergiessen.

Du nimmst einen leichten Brandgeruch wahr. Schwefelig. Ein Déjà Vu? Der Brand im Hotel. Die rechte Hand. La main droite.

Ein Mann in einem weissen Kittel steht im Türrahmen. Er hat eine Pfeife im Mund und ein brennendes Streichholz in der Hand.
Kristine wendet sich an den Mann. "Ich bitte sie. Hier ist Rauchen verboten."
« Letzte Änderung: 4.07.2017 | 16:03 von Der Läuterer »
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #533 am: 4.07.2017 | 23:16 »
Eine junge Krankenschwester drängt sich am Pfeifenraucher vorbei, durch den Türrahmen.
"Das Zimmer ist jetzt beziehbar. Welcher der Herrschaften bekommt das Zimmer nebenan?"
« Letzte Änderung: 5.07.2017 | 18:56 von Der Läuterer »
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #534 am: 5.07.2017 | 00:11 »
Drei Orthodoxe kommen durch eine, aus Stroh gesponnene, unsichtbare Tür in der Wand.
http://birthofanewearth.blogspot.de/2015/06/even-jews-ask-is-judaism-satanic-cult.html
Aus dem Raum dahinter dringt Rauch in das Zimmer. Es riecht nach verbranntem Holz und angebranntem Sonntagsbraten. Der Wind trägt auch den moderigen Gestank eines rot schimmernden Sumpfes mit sich.

Die Drei haben ihren Blick zur Zimmerdecke gerichtet und entblössen ihre verwundbaren Kehlen, während Du die scharf geschliffene Klinge in Matilde's rechter Hand blitzen siehst. La main droite. Lange betrachten sie die Decke, einen beunruhigenden sternumwölkten Himmel voller unbekannter Konstellationen, einen unzerbrechlichen Paravent gleich, der nicht von Menschenhand gemacht wurde und nicht länger verdecken kann, was Du nun endlich sehen sollst.
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #535 am: 5.07.2017 | 00:22 »
Dann intonieren die Drei eine Litanei fremder Worte, deren bekannter Rhythmus in Deinen Ohren hallt.

"Hab' Dein' Kopf in mein'r Kist' versteckt,"
...
"werd' Kleidung Dein'r Haut nun überzieh'n;"
...
"die Made, ewig in mein'm Geist begraben,"
...
"und Morast Dich untot wied'r ausgespieen."
...
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Joran

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #536 am: 5.07.2017 | 03:47 »
Clive

Alles scheint sich in meinem Kopf zu drehen.

Alles scheint verkehrt herum, als hätte jemand die ganze Welt wie eine alte Socke auf links gedreht. Die Sterne stehen nicht länger am Firmament, sondern hängen an meiner Zimmerdecke. Was draußen sein sollte, ist drinnen. Nicht das Kleine ist im Unendlichen, sondern die grenzenlose Unendlichkeit in einem kleinen Raum von vier mal vier Metern Größe. Es ist nicht mehr die Welt, die sich vor meinen Augen dreht, sondern mein Verstand windet sich in meinem Schädel. ... Und davor kann ich nicht die Augen verschließen! Kein Augenlied kann mich davor bewahren.

Ich denke über die Frage der Schwester nach, die noch immer im Raum zu hängen scheint.

"Das geht nicht!", sage ich mit kraftloser Stimme in Richtung der Krankenschwester. "Im Zimmer nebenan wohnt Mr. Anderson ... Paul Anderson."

Dann frage ich Matilde verwirrt: "Ist denn der Flur schon wieder hergestellt?" Nach einer kurzen Pause recke ich meinen Kopf unbeholfen Matilde entgegen und setze ich flüsternd nach: "Hat jemand das Blut weggewischt?"

Kraftlos sinke ich ins Kissen zurück.

"Er ist nicht tot. ... Paul ist nicht tot! Ich habe ihn gesehen. So sicher wie ich D... ... nein ... das war noch davor, in Seillean-Mòr Blàr. Es ist gewiss! Er lebt. Ich WEISS es!"

Es ist tröstlich, mir in all diesem Durcheinander einer Sache gewiss zu sein.

"Wissen ist eine Krankheit!", spreche ich meinen nächsten Gedanken laut aus. "Kannst Du Dich erinnern, was ich Dich gelehrt habe, Matilde? Es ist ein VIRUS! ... Nur das Vergessen bedeutet Heilung." Ich blicke Matilde tief in ihre eisblauen Augen. "Aber es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen. Die verfolgen einen immer, vermutlich sogar über den Tod hinaus."

"SCHWESTER! Ist es nicht so? ÜBER DEN TOD HINAUS, nicht wahr? Sie wissen das!" Ich lache leise und kraftlos in mich hinein, ohne recht zu wissen, was daran lustig sein sollte. Ich frage mich, wem ich noch begegnen werde: Ruairí? Leopold? Cainnech? Meinen Eltern? Die Liste der Verluste ist so lang ...

"Ich habe nie so recht verstanden, warum das Leben ein Geschenk sein soll ... warum das Versprechen des Lebens eine Gnade ist. ... Ich meine, ich wollte es verstehen! Wirklich! Aber ich konnte nicht."

Mein Blick streicht über den Nachttisch neben meinem Bett. Genau in seiner Mitte steht aufrecht eine einzelne Patrone. Sie glänzt nicht mehr wie früher, sondern ist von einer grau-grünen Patina überzogen. "Niemand kann so tief tauchen", wundere ich mich und meine Gedanken hallen wispernd von den nackten Wänden zurück. Erschrocken blicke ich erneut zu Matilde und greife nach ihrem Arm. "Hat der Kanal ALLES zurückgegeben? ... alles was ich hinein geworfen habe?", frage ich entsetzt. Ich erinnere mich an den Geruch von Säure, Nebel und Salzwasser. Ich merke, wie fest ich Matildes Unterarm umklammere und lockere meinen Griff.

"Bist Du Alexander?", frage ich den jungen Mann neben Matilde. "Es ist gut, dass Du ihn wiedergefunden hast! Er gehört zu Dir ..."

"Das Versprechen des Lebens ...", denke ich erneut. "Ich war wohl lange fort, was? Du bist groß geworden."

"Aber Dir konnte die Zeit nichts anhaben, Matilde!" Eigentlich wundert mich das nicht. Ich konnte mir Matilde nie alt vorstellen. Vermutlich sind es ihre Augen. Sie strahlen Unvergänglichkeit aus. Ich erspähe den Anhänger, den ich Matilde geschenkt habe ... zu ihrem ersten Geburtstag auf Ceallaigh Manor. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen: Meine Euphorie, meine Hoffnungen, meine Pläne.

Und doch bin ich wieder hier, in meinem weißen Zimmer.

"Warum bin ich hier?", frage ich Matilde. "Ich war zusammen mit Ove."

Wie aufs Stichwort erscheinen Ove und Kristine im Zimmer. Sie müssen schon gewartet haben, ohne dass ich sie bemerkt habe.

"Ihr seid auch hier!", stelle ich beruhigt fest. "Und Du siehst gut aus, Ove!"

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #537 am: 5.07.2017 | 20:00 »
Ove

Ich fühle mich alles andere als "gut"... wie kann ich mich auch gut fühlen?! Der Raum ist klein. Und er wird immer voller.
Der Rauch aus der Pfeife nimmt den Raum ein, doch kann ich nur den schwefeligen Rauch riechen, der mich an die brennende Suite der Mrs. Marquard erinnert.

Ich wende mich zu Kristine, um mich zu vergewissern, dass sie auch da ist. Dass sie WIRKLICH hier ist. Dass sie echt ist.
Ich greife ihre Hand, drücke ihr Hand leicht - aber vielleicht doch ein wenig zu fest. Ich bin dankbar, dass Sie auf den Pfeiferaucher reagiert. So weiß ich, dass ich ihn mir nicht einbilde.

Ich lächele den alten, verwirrt wirkenden Mann an. Ich möchte ihn nicht weiter beunruhigen.

Ich  brauche einige Zeit um zu erkennen, dass es Clive ist.

"Clive... Bist du es?", frage ich ihn mit zweifelnder aber nicht ängstlicher Stimme.

Warum bin ich in einem Krankenzimmer? Besuchen wir Clive? Aber was machen die Gestalten hier? Was soll der Singsang? WO sind wir hier überhaupt?

An Kristine gewandt sage ich: "Schatz, es ist nett, dass du mich begleitest... aber ich möchte nicht mit den alten Herren Bridge spielen. Du weißt doch, dass dich das Spiel nicht beherrsche. Und sie wirken nicht so, als würden sie einen Neuling akzeptieren."
Ich wundere mich selbst über diese Erkenntnis. Doch ich bin mir sicher, dass sie Neulinge nicht in ihrer Runde haben wollen. Dass sie Änderungen sowieso nicht dulden.

Als sich der Raum immer weiter füllt, realisiere ich erst wie absurd, wie unwirklich das alles ist.
Lag ich nicht soeben noch in einem Krankenbett? Warum stehe ich nun?!

"Clive, Matilde, Kristine... wir sollten gehen. Ich fürchte... es ist Zeit."

Ich hoffe, dass Clive sich erhebt. Und ich bete innerlich, dass Kristine und Matilde real sind und uns unterstützen werden. Doch fürchte ich, dass außer mir hier niemand real ist.

Ich bin bereit Clive und Kristine hier herauszuführen. Matilde, DIESE Matilde wirkt als könne sie sich sehr gut selbst um alles kümmern. Doch ich würde natürlich auch sie hier heraus begleiten. Doch steht der Pfeiferaucher noch immer in der Tür.

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #538 am: 5.07.2017 | 21:18 »
Im Hintergrund des Zimmers steht eine Art Roll-Bahre senkrecht an der Wand.

Sie ist zur horizontalen, wie vertikalen Bewegung vor Gewalt-bereiten und Therapie-resistenten Patienten vorgesehen. Auch Anschnallgurte befinden sich an der Bahre; zur Fixierung von Armen, Beinen, Kopf und Körper.
Das Polster-Leder der Bahre ist schmutzig, Blut-verkrustet und rissig. Die Metallrohre sind, an den Stellen, an welchen die Farbe abgeplatzt ist, verrostet. Insgesamt macht das Konstrukt keinen wirklich vertrauenswürdigen Eindruck.
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #539 am: 5.07.2017 | 21:29 »
Kristine lächelt Dich an. Es ist ein warmherziges Lächeln.
"Nun gut. Dann gehst Du eben mit den anderen fort und ICH bleibe hier. So wie es hiess, sei das Nachbar Zimmer bezugsfertig."

Sanft erwidert sie den Druck Deiner Hand.
"Irgendjemand sollte schlafen."
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #540 am: 5.07.2017 | 21:41 »
Der Sternenhimmel leuchtet schwach von der weissen Zimmerdecke herab. Langsam bewegen sich die Sterne auf Euch zu - kommen näher. Nur etwas. Fast unmerklich, aber ein Stückchen.
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #541 am: 6.07.2017 | 10:45 »
Clive

Ich betrachte mit einem Schauder die Vorrichtung an der Wand. "Sie steht in meinem Zimmer. Es muss demnach mein Blut sein. Die Schmerzen, an die ich mich erinnere, hatten die eine ganz andere Ursache? ... mein Arm ... Meabhs Scheune ... Hat es all das in Wirklichkeit nicht gegeben?" Rasch wende ich den Blick von dem Gerät ab, das - je nach Bedarf und Verwendung - gleichermaßen als Werkzeug der Heilung wie der Folter dienen kann. Aus meiner Tätigkeit weiß ich, wie unscharf der Grenzverlauf sich im Einzelfall darstellen kann ...

Einen Augenblick gebe ich mich dem Gefühl von Wärme und Nähe hin, das in Mathildes Händedruck liegt. Begierig sauge ich Matildes Duft ein.

"Wenn all dies hier sich in wenigen Augenblicken in Rauch verwandeln sollte, wird mir diese Erinnerung zumindest für einen kleine Weile bleiben!"

"Irgendjemand?!?", versuche ich Matildes letzte Worte zu deuten. "... Nur eine Floskel, die darauf schließen lässt, dass Matilde mich für unmündig hält? Oder mehr als das, ein Fingerzeig? Eine sorgsam verborgene Botschaft?"

"Ich scheine schon viel zu lange geschlafen zu haben ...", sage ich matt und werde mir der Doppeldeutigkeit meiner Worte bewusst. Alte Schuldgefühle erwachen. Aber ich spüre auch die Müdigkeit, die mich in ihren Fängen hält. "... aber eigentlich glaube ich, ich bin noch garnicht erwacht. Wie kann dies alles sein, Matilde? Mein Zimmer unverändert ... und Du hier ... und all die anderen ... Wie sollte das möglich sein?"

"Nicht nur, dass ich nicht verstehe, was gerade vor meinen Augen abläuft. Nicht nur, dass ich an meinem Verstand zu zweifeln beginne. Viel schlimmer ist, dass ich nicht einmal weiß, ob ich mich darüber freuen oder daran verzweifeln sollte, wenn es die Jahre seit 1927 nur in meiner Phantasie gegeben hätte! Was würde das bedeuten? Hat es Paul und Matilde, Hartmut und Alexander, Ove und Kristine, Mrs. Marquard, Emma, Braddock, Ayana, ja selbst Marie nie gegeben? ... Sind sie alle nur Ausgeburten meiner Phantasie?"

Noch immer halte ich Matildes Hand fest umschlossen, bin nicht gewillt, diesen vermeintliche Fixpunkt preiszugeben.

"Ich habe so viele Fragen ... um mich wieder zurechtzufinden. ... Was ist mit Cainnech? Haben wir ihn in London verloren? Oder war das nur ein Traum von mir?", frage ich Matilde.

"Und wie geht es Marie? Und Luni? ... Du musst mir alles erzählen ... , damit ich sortieren kann, was Wahrheit ist und was Traum ..."

Ich blicke zu Ove, um mich zu vergewissern, ob er wirklich ist. Hat sich irgendetwas an ihm verändert? Als mein Starren unhöflich wird, wende ich mich wieder Matilde zu.

Das Rauschen des Meeres durchbricht meine Gedanken. Ich blicke zum Fenster. Es steht offen. "Ist es das ferne Rauschen des Ärmelkanals, das ich höre, oder erobert das Meer in meinem Kopf das Territorium zurück, aus dem es vertrieben wurde? Nur ... war es TATSÄCHLICH jemals fort?" Ich horche in mich hinein, aber keine Stimme beseitigt meine Zweifel.

"Was haben die mir nur gegeben?", seufze ich.

Wie aufs Stichwort erscheint Ayana mit einem Tablett. Für einen kurzen Augenblick treffen sich die Blicke von Matilde und Ayana und ich erwarte schon, dass sich die beiden in fauchende Katzen verwandeln. Selbst Matildes Parfum und der Duft von Sandelholz und frischem Gras scheinen sich ein erbittertes Kräftemessen um die Vorherrschaft zu bieten. Aber die bedrohliche Atmosphäre verschwindet so schnell wieder, wie sie aufgeflammt ist, als die Blicke der beiden Frauen sich voneinander lösen. Ayana drängt sich lediglich an Matilde vorbei, setzt sich geschmeidig zu meiner Seite auf das Bett ... dichter, als es der Anstand gebieten würde, ... und führt ein kleines Glas an meinen Mund. Das Rascheln ihrer Kleidung, der melodische Klang ihrer Stimme, die Unbefangenheit, mit der Sie sich über mich beugt, nehmen meine Sinne gefangen und drängen alle Ängste und Zweifel für einen Moment in den Hintergrund.

Das Gefäß in Ayanas schlanker Hand ist dickwandig und wirkt alt. Es ist mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt, über der sich die Andeutung eines feinen Rauchfadens kräuselt. Ein beißender Geruch wie von Säure steigt mir in die Nase, wie damals auf der Klippe ...

"Du musst das trinken", schnurrt sie, dass sich meine Nackenhaare aufstellen. Ihr Körper schmiegt sich an meinen und ich spüre ihre Wärme wie in jener Nacht, die für mich erst wenige Stunden zurückliegt und doch so fern scheint. Die Erinnerung legt sich über das Jetzt wie ein Schatten. Fast meine ich den Kopfschmuck zu erkennen, einem nur für mich sichtbaren Schimmer gleich. Und wieder schicke ich Ayana nicht fort. Ich weise sie nicht zurecht. Ich bin nicht bereit, Rangverhältnisse zu klären oder Entscheidungen zu treffen. Tochter und ... Schülerin, mich verlangt es nach beidem! Und doch ist mir der Gedanke unangenehm, Matilde könnte trotz aller Bemühungen meinerseits erkennen, welche Wirkung Ayana auf mich hat.

"'Ich bin nicht hier, Doktor, um Deine fleischlichen Gelüste zu befriedigen. Wenn Du das glaubst, bist Du ein Narr. Würde ich mich zu Dir legen, dann nur weil es MIR gefällt', hat sie damals zu mir gesagt, aber ihr Mund und ihr Körper sprechen zwei unterschiedliche Sprachen." Meine erbärmliche Hilflosigkeit, was Ayana betrifft, ärgert mich und doch genieße ich jede Sekunde ihrer Nähe.

"Ich habe Dir gesagt, dass ich hier bin, um Dich vor Gefahren zu schützen, Auserwählter!" So, wie Ayana das Wort 'Auserwählter' in meine Richtung haucht, ist es die provokante Demonstration von Ungehorsam, eine Herausforderung ... zugleich für mich und für Matilde.

"Du sollst mich nicht so nennen, Nimue", kontere ich schwach und trinke widerwillig.

"Willst Du noch immer nichts ändern, Doctor?", fragt Ayana leichthin. Als sie sich erhebt, drücken ihre Augen, ihr Lächeln, sogar jede ihrer Bewegungen Triumph aus. Großmütig gibt Ayana wieder den Blick auf Matilde frei, aus der alle Wärme gewichen zu sein scheint.

"Ich kann jetzt nicht schlafen", knüpfe ich an Matildes Worte an. "Ich habe Angst. Ich fürchte, mir bleibt nicht viel Zeit, bevor ..." Ein verstohlener Blick zur Decke lässt mich schlucken und ich suche schnell wieder das reine Blau von Matildes Augen "... kein unschuldiges Weiß ... sehr blass, aber doch eine Farbe, ja, aber nichts beginnt sich vor meinen Augen zu drehen ... ihr Blau ist beständig und uralt ... kalt und klar und fern ... zwei unendliche Kreise ohne Anfang und Ende mit absoluter Finsternis in ihrem Zentrum ... viel zu perfekt und alt für einen Menschen ..."

"... Du musst mir helfen, Matilde, bitte! Damit ich den Weg zurück finde."
« Letzte Änderung: 7.07.2017 | 09:48 von Joran »

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #542 am: 6.07.2017 | 14:03 »
Du siehst wie Matilde über die Haare des Jungen streicht. Ihre blauen Augen liegen nur auf dem Kind. Dann packt sie seinen Schopf des Knaben. Ruckartig reisst sie seinen Kopf nach hinten in den Nacken, entblösst seinen Hals und zieht ihre Klinge in einer fliessenden Bewegung durch seinen Hals.
Schnell. Kaltblütig. Routiniert. Lautlos. Mit tödlicher Präzision.

Nur ein leises Gurgeln ist zu hören. Die Überraschung und die Durchtrennung der Luftröhre verhindern den Schrei. Keine Gegenwehr. Die Hände des Jungen zucken und greifen ins Leere.

Mathilde's linke Hand überstreckt das Genick des Jungen und hält die Wunde offen.
Ein Lächeln umspielt ihre blutroten Lippen. "Das ist nicht Alexander, sondern nur ein Patient. Nur ein Patient."

Dunkel ergiesst sich das Blut aus der Halswunde auf den Boden. Ständig pumpt sein Herz weiteres Blut heraus. Und mit jedem Herzschlag entströmt ein weiterer Schwall der klaffenden Wunde.

Nach wenigen Sekunden tritt die Bewusstlosigkeit ein. Die Arme hängen schlaff herab.
Letzte Zuckungen. Reflexartige Zuckungen. Letzte Befehle des sterbenden Gehirns.

Matilde lässt den Körper routiniert in die Blutlache unter sich gleiten.
Ein metallischer Geruch liegt in der Luft.

"Ich sollte Dich jetzt zu Dr. Livingston bringen. Es ist Zeit für die Therapie. Kannst Du gehen? Oder sollen wir die Bahre benutzen?"
« Letzte Änderung: 6.07.2017 | 14:07 von Der Läuterer »
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #543 am: 7.07.2017 | 07:55 »
Ove

Ich halte Kristines Hand. Ich lasse sie nicht los. Ich lasse sie nicht gehen.
Bestimmt, aber nicht agressiv oder böswillig halte ich ihre Hand.

"Kristine! Das hier ist ein.... e Art Krankenhaus. Kein Hotel."
Doch bei beidem bin ich mir nicht sicher. Der schwefelige Geruch könnte genausogut aus dem Londoner Hotel stammen. Es könnte also eine Art Hotelzimmer darstellen. Ein unwirkliches. Und ob das hier wirklich ein Krankenzimmer ist oder ein Zimmer, das Kranke macht, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich Kristine jetzt nicht gehen lassen darf.

"Wir können hier nicht einfach ein Zimmer beziehen. Hier gibt es viele andere Personen, die ein Zimmer dringender benötigen... zum Beispiel... einer der Herren, die dort... .... singen."

Ich wünschte mir sie würden verschwinden und diesen falschen Sternenhimmel sollen sie gleich mitnehmen.

Ich schaue Kristine tief in die Augen, um zu ergründen ob sie echt ist. Aber wie in einem Traum kann ich keine Details erkennen. Ich erkenne, was ich sehen SOLL, aber ich erkenne keine Details. Ich WEISS dass es Kristines Augen sind. Aber ich kann nicht mal ihre Farbe erkennen. Ich WEISS aber, dass es die richtige Farbe ist.

Hier ist einiges Falsch.

Ich spüre einen bohrenden Blick auf mich gerichtet. Ich schaue mich um, versuche herauszufinden, woher dieser Blick kommt. Es scheint der alte Mann zu sein, der vor mir liegt. Dieses Abziehbild eines gealterten, bettlägrigen Clive.

Ich spüre wie etwas oder jemand in den Raum kommt, kann aber nicht erkennen wer oder was es ist. Die Luft vor oder neben Clive scheint zu schwirren, wie die Luft über einer mit dunklen Steinen gepflasterten Straße im Hochsommer.
Ich sehe wie Clives Mund sich bewegt und höre ein Surren, verstehe aber keine Worte. Er redet mit etwas, oder jemanden, doch höre ich seine Worte nicht.

Ich will ihm zuhören, doch überlagert der Gesang dieser Gruppe von Juden alles.

Ich weiß nicht, was zu tun ist. Ich will weglaufen, ich will ausbrechen, ich will dieses absurde Rätsel lösen und ich will nur noch in Ruhe und Sicherheit sein.

Kristine meint einer sollte schlafen. Aber schlafe ich nicht schon längst? Kann das hier realer sein als ein Traum?


Träume... manche Träume kann man steuern!
, schießt es mir durch den Kopf. Doch fühle ich mich seltsam hilflos und unfähig, bei dem Gedanken hier etwas zu machen.

Ich weiß nicht wie lange ich hier stehe und Kristines Hand halte. Wir beide schweigend. Ich schaue mich manchmal um, doch will ich eigentlich gar nicht erkennen, was ich sehe.
Ich schweige schon zu lange. Es wird Kristine zu veranlassen etwas zu sagen oder zu tun. Daher sage ich wieder: "Wir können nicht einfach ein Zimmer beziehen, das uns nicht zusteht. Die anderen Leute haben Vorrang."

Die Decke scheint näher zu kommen. Dieser falsche Himmel.

Und dann höre ich Matildes Stimme.

Das Kind vor hier... sie... Ich sollte schreien. Ich sollte mich übergeben. Ich sollte losrennen und sie von ihrem Tun abhalten. Doch stehe ich nur da und schaue fasungslos zu, was gerade passiert. Meine Beine werden schwach... ich muss etwas tun, um nicht umzufallen.

Ich mache einen Schritt auf Matilde zu. Es ist mehr ein Ausfallschritt um nicht zu stürzen, als eine gezielte Bewegung. Ich halte Kristine noch immer an der Hand.
Die andere Hand, hebe ich Matilde entgegen und rufe:
"WIESO TUST DU DAS?! DAS KANNST DU NICHT TUN!"

Egal wer das war, sie kann nicht einfach Leute töten! Wenn sie mit Kindern anfängt, wo will sie aufhören? Mit uns allen? Und wer ist Dr. Livingstone? Sind hier alle verrückt außer mir?!

Joran

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #544 am: 7.07.2017 | 10:41 »
Clive

"NEIN! Tu das nicht!", rufe ich noch gleichzeitig mit Ove aus und stemme mich hoch ... doch es ist bereits vollbracht.

"IRGENDJEMAND sollte schlafen?!? IRGENDJEMAND? ...", setze ich in einer Mischung aus Entsetzen, Wut und Verzweiflung nach. Mein Blick wandert zwischen Matilde und Kristine hin und her, hin und her. Wer hat die Worte gesprochen? Habe ich gesehen wie sich Kristines Lippen bewegten? Ist Kristine überhaupt sie selbst? "Wie hätte ich das verstehen können? ... Das ist NICHT die Wahl, vor die Du mich gestellt hast. DAS ist NICHT FAIR! ... Du erlegst mir eine Schuld auf, der ich nicht ausweichen KONNTE! ... Du hättest MICH töten sollen! Das weißt Du genau! ... Du weißt, wie ich entschieden hätte, wenn Du mich verständlich gefragt hättest!"

Verzweifelt blicke ich auf den leblosen Körper in der stetig wachsenden Blutlache herab und erinnere mich an das Kind, dass ich einmal in meinen Armen gehalten habe.

"Ich hätte Dich mitnehmen sollen, Alexander, ... damals. Ich habe mich falsch entschieden ... Verzeih!", flüstere ich noch immer benommen. "Möge die Straße uns zusammenführen?!? ... Das war ein Fluch und kein Segen! Niemanden sollte die Straße zu MIR führen. ... Der Tod folgt mir stets auf dem Fuße."

Dann wandelt sich meine Verzweiflung in Wut.

"Wie konntest Du das tun? ... DU bist ein MONSTRUM ... Du bist BÖSE!", speie ich Matilde hasserfüllt entgegen. "Du bist nicht Matilde! ... Nur eine Kopie von ihr ... oder ein Dämon, der sich ihrer bemächtigt hat ... oder Annephis und ich habe Dich damals nicht erfolgreich gebannt, sondern Du hast mich hinters Licht geführt" Ich denke mit Schrecken an all das Wissen, dass ich mit Matilde ... mit Annephis ... dann seither geteilt habe. "... jedenfalls bist DU jetzt NICHT Matilde! ... Selbst in ihren dunkelsten Momenten ..."

Hasserfüllt blicke ich Matilde an ... die Hülle des Menschen, den ich wie eine Tochter liebe ... Ich suche in den Augen nach einem Überrest des Vertrauten, einem kleinen Funken der Reue oder der Erkenntnis ... Was ich finde ist nur eisige blassblaue Kälte.

Nach einer Weile siegt die Erschöpfung ... oder ist es Ayanas Elexier? Ich lasse mich zurück ins Bett fallen. Resigniert füge ich setze ich nach: "Tu was Du willst! ... Dr. Livingstone? ... Der ist nicht mein behandelnder Arzt. ... Aber tu Dir keinen Zwang an. ... Nur lass Ove und Kristine gehen! Gib die beiden frei! Sie können nichts dafür. Es war mein Fehler, die beiden nach Irland einzuladen. Sie können nichts dafür ..." Ich habe nicht viel Hoffnung, dass meine Worte Wirkung zeigen. Andererseits verstehe ich sowieso nicht, was hier geschieht.

"Es musste irgendwann so enden, nicht wahr?"

"Ich habe es Dir immer gesagt! ... SIE ist nicht gut für DICH! .. Du hättest Sie in der Anstalt lassen sollen ... im Körper dieses Mädchens! Dann hätte sie kein Unheil anrichten können! ... Aber Du wolltest nicht auf mich hören. ... Ich bin DIE EINZIGE, die Dich versteht ... die Dich kennt. Du bist mein und ich bin Dein. So war es immer und so wird es immer sein.", übertönt eine eifersüchtige Stimme das wütend brausende Meer.

Ich schließe die Augen und fühle eine Träne meine Schläfe herabrinnen.

"Gehe zurück auf LOS!", schießt es mir durch den Kopf.
« Letzte Änderung: 7.07.2017 | 16:25 von Joran »

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #545 am: 7.07.2017 | 11:33 »
Matilde's blaue Augen blitzen, wie ihr Messer, als sie Ove direkt in die Augen schaut.
"Wieso kann ich DAS nicht tun?"
In ihrer Stimme schwingt Überraschung mit. "Du siehst doch, dass ich es KANN."

"Und ausserdem ist jetzt wieder ein Zimmer frei. Das macht doch Sinn. Und es ist sehr praktisch."
« Letzte Änderung: 7.07.2017 | 11:36 von Der Läuterer »
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #546 am: 7.07.2017 | 11:46 »
Der Raucher nimmt einen tiefen Zug aus der kalten Pfeife.
"Doktor, Doktor. Sie können nicht über Los ziehen. Tzzz. Sie brauchen eine Ereigniskarte, dass Sie aus dem Gefängnis frei kommen. SIE müssen verrückt sein, wenn Sie glauben, es ginge so einfach."
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #547 am: 7.07.2017 | 12:07 »
Ein kleines blondes Mädchen kommt hinter der Bahre an der Wand vor. Sie hält einen Teddybär in ihrem Arm. "Du hast mich nicht gefunden, alter Mann. Jetzt musst Du Dich verstecken gehen. Aber renn' nicht, sonst fällst Du vielleicht."

"Du bist schon viel zu oft gerannt. Jetzt musst Du erst einmal hier verweilen. So ist es der Brauch."

"Ove und Kristine dürfen indes gehen, wann immer sie es wollen. Die zwei können jederzeit beim Pförtner auschecken, doch sie werden die Insel niemals verlassen."
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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #548 am: 7.07.2017 | 16:51 »
Clive

Ich presse die geballten Fäuste gegen meine Schläfen.

"Ich bin doch schon längst zurück am Anfang! Durch EUCH! ... Raus aus meinem Kopf! ALLE!", begehre ich kläglich auf.

"Ihr lest meine Gedanken ... Ihr laßt mich Dinge sehen, die es nicht gibt ... Welchen Wert habe ich für Euch, wenn ich nicht ICH bin?"

"Ich kenne Eure Bräuche nicht! Ich habe keinen Pakt geschlossen! Ich habe in keinen Bund eingewilligt! Ich habe auch kein Geschenk angenommen! Ich werde mich nicht verwandeln! Ich spiele keine Instrumente! Ich werde nichts tun, um Azathoth zu erbauen! Wenn er Freude an meiner erbärmlichen Lage hat, dann soll er sich in dieser armseligen Lust ergehen ... es wird dessen schnell müßig sein!"

"IHR SEID NICHT WIRKLICH!!! ... Ihr werden verschwinden, wenn ich nicht mehr an Euch glaube! ... Ihr seid nicht wirklich ..."

Ich klopfe mit den Handballen gegen meine Schläfen und kneife meine Augenlieder mit aller Kraft zusammen. Ich stelle mir die Zimmerdecke vor ... wie sie früher war ... weiß und leer ... ich kann mich an jede Unebenheit erinnern "... dort sind keine Sterne ... nur Kalk und darunter Putz und darunter Stein und Holz ... keine Sterne ..."
« Letzte Änderung: 7.07.2017 | 16:57 von Joran »

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Re: Irgendwo in IRLAND
« Antwort #549 am: 7.07.2017 | 18:28 »
                     "Der Mann ist verrückt."
     
            "Total wahnsinnig. Ja das ist er."
"Der arme Mann braucht eine Spritze."
"Völlig von Sinnen, der alte Knabe."

                           "Jetzt dreht er gänzlich am Rad."
"Der Doc ist nicht mehr ganz knusper."

"Delirium. Er redet im Delirium."
            "Was redet er da? Hat er nicht mehr alle Latten am Zaun?"

                "Durchgeknallt. Absolut durchgeknallt."

"So helfe ihm doch endlich jemand."
« Letzte Änderung: 7.07.2017 | 18:30 von Der Läuterer »
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