Ernsthaft, Leute. Ihr seid SO schlecht darin, einen daran zu hindern, etwas Unüberlegtes zu tun. Da schreibt man sowas:
Ich verrate dir mal was: 80% aller Spieler können keine Sandboxes. Egal, wie oft in gewissen Foren behauptet wird, dass Sandboxes das einzig Wahre sind. Und egal, wieviele Leute von sich selbst behaupten, dass sie es toll fänden, sowas mal zu spielen. Sie können es trotzdem nicht.
(Und wenn ich mich nicht sehr zurückhalte, starte ich irgendwo einen Rant-Thread dazu.)
Und statt Widerworten kriegt man solche Antworten:
@Weltengeist:
Das glaube ich dir sofort.
@ Weltengeist:
Mach mal. Bin ich wohl dabei.
Dem kann ich nur zustimmen,
Ja, bitte! Ein Sandbox-Rant!
Da fühle ich mich natürlich auch noch bestätigt in meinem (sicherlich völlig unberechtigten) Zorn, und meine Laune steigt dermaßen, dass sie schon fast wieder zu gut ist für einen echten Rant. Aber gut, ihr habt es so gewollt...
Sandboxes. Die Königsdisziplin des Rollenspiels. Die völlige Freiheit. Unendliche Weiten der Spielwelt, die nur darauf warten, von den Spielern erkundet und mit Leben erfüllt zu werden. Ein vorgegebener Plot ist doch was für Leute, die nur zu faul sind, sich einen Roman selbst durchzulesen. Echte Rollenspieler
TM wollen machen können, was sie wollen, was sich aus ihren liebevoll gestalteten Vorgeschichten, aus dem Charakter der Figur, aus der bisherigen Geschichte und natürlich aus ihren großartigen Ideen ergibt. Sie haben ein Gespür für Drama, wollen gemeinsam eine Geschichte erzählen und diese bis zu ihrem dramatischen Finale vorantreiben.
Klar, eine Sandbox stellt gewisse Anforderungen an den Spielleiter. Er kann sich nicht einfach nur eine Geschichte zurechtlegen (oder sie gar im Laden kaufen), sondern muss sich auf das einstellen, was ihm die Spieler liefern. Er muss Schauplätze und NSCs vorbereiten auch auf die Gefahr hin, dass sie gar nicht gebraucht werden. Er muss jederzeit bereit und in der Lage sein, zu improvisieren. Aber das macht ja nichts, denn er wird mehr als entschädigt durch die Großartigkeit der Story, die da vor seinen Augen ensteht. Fünf Spieler sind eben kreativer als ein Spielleiter. Nur so entstehen die Geschichten, von denen alle noch in zwanzig Jahren mit feuchten Augen erzählen.
Was für ein Haufen Bullshit.Halten wir mal eines fest, und zwar gleich zu Beginn: Nur ein Bruchteil der Spieler da draußen ist wirklich daran interessiert, seine Geschichte selbst zu gestalten. Die überwiegende Mehrzahl möchte sich einfach abends unvorbereitet an einen Tisch setzen (und es soll auch keiner meckern, wenn sie eine Stunde zu spät kommen), eine coole Story erledigen, an der einen oder anderen Stelle eine Duftmarke (am liebsten per Würfel) hinterlassen und hinterher beim Blick auf den Metaplot der Spielwelt sagen können: "Ey, das mit der fliegenden Festung - das waren wir!"
So, jetzt kann ich die Sandbox-Verfechter schon aufspringen sehen mit dem Argument: "Du musst auch mit den richtigen Leuten spielen!" Klar, mache ich. Ich sortiere jetzt mal all diejenigen aus, die eigentlich nur einen netten Abend mit ihren Kumpels zubringen wollen, ohne sich vorher nochmal den Weltenband und die Geschichte der letzten 40 Sitzungen durchzulesen. Die keinen Bock haben, große Pläne zu machen, Tagebücher zu pflegen oder schlicht keine tollen Erzähler sind. Alle raus. Sind zwar schon gefühlt 80% aller Spieler, aber
who cares. Gibt ja Rollenspieler genug.
Wir spielen jetzt also nur noch mit den Spielleitertypen. Den Leuten, die - wenn man sie leiten lässt - selbst die großartigsten Stories hinkriegen. Sachen, die nie veröffentlicht werden, aber so cool sind, dass so manche offizielle Publikation vor Scham hinter einen Schrank kriecht und sich bis zum nächsten Umzug nicht mehr hervortraut. Und jetzt kommt's: Sandbox. Klappt. Trotzdem. Nicht.
Warum? Darüber kann ich nur spekulieren. Ich vermute aber, dass irgendwas in uns kaputtgeht, sobald wir nicht mehr offiziell das Kommando haben. Ein paar Punkte, die mir wiederholt aufgefallen sind:
- Nicht mehr zuständig sein: Sobald ein Spieler nicht mehr Spielleiter ist, fühlt er sich für die Kampagne auch nicht mehr verantwortlich. Leute, die sich mit dem Spielleiterhut auf dem Kopf von Woche zu Woche die tollsten Gedanken machen, tauchen, sobald sie den Spielerhut aufhaben, jede Woche genauso unvorbereitet auf wie alle anderen. Keiner hat sich die Ereignisse oder Namen der letzten Wochen nochmal angesehen, geschweige denn einen Plan gemacht.
- Alles vergessen: Gerade die Spielleitertypen neigen als Spieler dazu, tolle Vorgeschichten zu liefern. Blöderweise neigen sie auch dazu, diese Vorgeschichten gleich wieder zu vergessen. Wenn der Spielleiter dann nach ein paar Monaten Spielzeit doch noch mal eine Idee aus der Vorgeschichte aufgreift, kann sich der betreffende Spieler nicht mehr dran erinnern und geht einfach dran vorbei.
- So werden wie alle anderen Spieler: Gute Spielleiter sind nicht unbedingt auch gute Spieler. Kaum sind sie Spieler, machen sie den gleichen Mist wie alle anderen. Insbesondere verlieren sie die Bedürfnisse der Story ebenso aus den Augen wie die der eigenen Mitspieler. Ja, sie tun sogar Dinge, die Gift für die Story sind, einfach "weil ihre Figur ja so ist" (sic!). Und dann leiten sie am Wochenende selbst eine Runde und schreiben am Montag einen Rant darüber, was für unfassbare Pfeifen manche Spieler sind.
- Angst vor der Verantwortung entwickeln: Erstaunlicherweise haben Spieler scheinbar mehr Angst vor Konsequenzen, wenn etwas ihre eigene Idee war, als wenn es die Idee des Spielleiters gewesen wäre. Die gleichen Leute, die den Auftrag "Geht in den fallengespickten Dungeon im Innern des Säurevulkans, macht die zweihundert Orks nieder und bringt mir den Kopf des Ätherdrachen" ohne zu zögern annehmen würden, trauen sich plötzlich nicht mehr, in Eigenregie einen popeligen Einbruch zu begehen, weil die Gegner ja bestimmt total gefährlich sind. Sind sie natürlich auch, aber das sind sie doch eigentlich immer. Aber jetzt ist die Begegnung ja offenbar nicht vom Abenteuer eingeplant, und wer weiß, ob man dabei nicht was falsch macht...
- Klein-Klein-Spiel: Vielleicht ist das ja doch etwas typisch Deutsches, aber wenn die Spieler dann wirklich mal was selbst machen in dieser großartigen Sandbox, dann hat es die Größenordnung: "Ich gehe mal zum Kräuterhändler und frage ihn, ob er nicht gesehen hat, wie der Bote den Brief übergeben hat". Was sie selbst als Spielleiter mit einem Würfelwurf auf "Gassenwissen" erschlagen hätten, ist als Spieler plötzlich der großartige Plan für die heutige Spielsitzung.
Übrigens: Wenn mir dann nach 20 Sitzungen Stillstand endlich der Kragen platzt und ich die Sandbox heimlich, still und leise wieder in ein klassisches Abenteuer umwandle, dann sind alle glücklich und freuen sich, wie gut sie das gemacht haben diesmal. Was mich zu der Vermutung verleitet, dass die meisten Leute (auch wenn sie selbst vom Gegenteil überzeugt sind) gar nicht wirklich eine Sandbox spielen wollen. Was sie wirklich wollen, ist die
Illusion einer Sandbox - eine vorgegebene Story, die sich anfühlt, als hätten sie selbst sie so gewollt. Und das ist nun zufällig etwas, worin ich ziemlich gut bin...
Soll das jetzt heißen, dass Sandboxen niemals funktioneren können? Doch, tun sie sicher. Mit dem richtigen Spielleiter und den richtigen Spielern. Aber die sind sehr, sehr selten. Darum, liebe Sandbox-Fans, die ihr jedes Kaufabenteuer verreißt weil es eine vorgegebene Story besitzt und im Internet alle als Rollenspieler 2. Klasse bezeichnet, die lieber ein Abenteuer mit vorgegebenem Plot spielen: Ihr seid eine verschwindend geringe Minderheit. Diese Minderheit ist zwar in den Foren meist ziemlich laut und schreit die erfolgreichsten Kaufabenteuer aller Zeiten als totalen Schrott nieder. Aber das ändert nichts daran, dass z.B. auf der Drachenzwinge mindestens einmal pro Monat eine Gruppe startet, die "endlich mal die G7" erleben will. Im vollen Wissen darum, was da auf sie zukommt. Funktionierende Sandboxen spielen dagegen nur eine verschwindend geringe Rolle.