Clives wachgerufene Erinnerung an den Kongo (http://www.foren.pegasus.de/foren/topic/24675-nightmare-files-kapitel-7-immer-a-lll-ein/?p=424042) - Teil 3 Traumsequenz
30.05.1927 - Auslöser: Begegnung mit einem bösen, kleinen Jungen (http://images.viralnova.com/000/037/751/evil-little-boy.jpg)
Böcklin Haus (http://spitalfieldslife.com/wp-content/uploads/2012/11/C514.jpg) (ein Haus für die sehr, sehr Nervösen ...)
Kongo-Freistaat, Privatbesitz von König Leopold II. von Belgien
In den Tiefen des Urwaldes
1900
Der Lehmboden bricht unter den Stößen meiner Messerklinge. Mit den Händen schaufele ich die Lehmbrocken aus der Grube, die sich langsam und stetig vergrößert.
Dann stößt die Klinge auf Holz. Der dumpfe Klag verrät einen Hohlkörper.
Vorsichtig beginne ich, das Objekt freizulegen. Über dem Holz befindet sich als Schutz ein Gewebe, dessen Material ich nicht kenne. Leise fluchte ich, weil ich kein besseres Grabungswerkzeug mit mir führe. Doch in der kleinen Kirche klingt meine Stimme in meinen Ohren unnatürlich laut und fremd. An diesem stillen Ort wird nie wieder gesungen werden. Hier regieren nur noch Tod und Verfall. Bald schon wird der Urwald das Land zurückerobern. Die Pflanzen werden alles in ihre Schatten tauchen und der Finsternis Obdach gewähren. Dann wird man von dem Dorf und dieser Kirche nichts mehr erkennen. Die Kautschukranken werden wachsen. Es werden neue Sklaven kommen, die für Leopold das Land bluten lassen.
Um nichts zu beschädigen, grabe ich nur vorsichtig weiter. Schließlich ertaste ich die Außenränder des rechteckigen Gegenstandes. Seitlich ist die Erde weicher und lässt sich leicht entfernen.
Als ich das Gewebe mit meinem Messer aufschneide, kommen Schnitzereien zum Vorschein. Ich bin meinem Ziel nun nahe.
Unter dem Tuch kommt eine schwere Truhe1 zum Vorschein.
Ich zögere einen Augenblick, wische mir den Schweiß von der Stirn und betrachte die Schnitzereien. Schmerzlich wird mir bewusst, dass ich die Truhe hier zurücklassen muss. Sie ist zu schwer, um sie aus der Grube zu heben und durch den Wald zu tragen. Alle die Mühe und Kunstfertigkeit, die auf die Fertigung der ausdrucksstarken Bilder verwandt wurde, wird umsonst gewesen sein. Die Insekten des Waldes werden das Holz zerfressen, die Finsternis wird bald in die Grube spülen und alles darin verschlingen. Die Blüten als Ausdruck der wilden Fruchtbarkeit dieses Landes werden vergehen. Die Abbilder der Frauen bei der Ernte auf dem Deckel der Truhe2 werden ihren toten Vorbildern nachfolgen.
„Warst Du eine von ihnen?“, frage ich in mich hinein, aber die Stimme bleibt stumm. Eine Weile betrachte ich nur die Frauen. Tränen rinnen meine Wangen herab; ich bin nicht mehr allein. Ich weiß, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis die Traurigkeit mit eifersüchtigem Zorn zurückkehren und mich verschlingen wird.
Und doch finde ich hier inmitten von Tod, Verzweiflung und Verderben ein Gefäß der Fruchtbarkeit und des Lebens. Sprachlos und verwirrt blicke ich auf. Über mir hängt noch immer das Kreuz an der Wand. Und Christus (http://betzendorf.der-anstoss.de/media/pics/Afrikaner.jpg) blickt zu mir herab.
Er scheint mich direkt anzusehen, als wollte er sein Versprechen bekräftigen: Auf den Tod folgt das Leben!
Die Truhe wurde an genau dieser Stelle in seine wachsame Obhut gegeben.
"Ich werde Deinen Leib in diese Truhe betten“, verspreche ich in die Stille in mir.
Dann gebe ich mir einen Ruck und hebe ich den schweren Deckel der Truhe an.
In der Truhe befindet sich ein ausgehöhltes Stück eines Baumstamms. Darauf gebunden ist eine Skulptur (http://3.bp.blogspot.com/-WSo9SkGea2o/VPJAH0Kw7XI/AAAAAAAACY8/bCzBsCPD5_c/s1600/Congo_birth.JPG). Erneut ein Zeichen der Fruchtbarkeit und des Lebens.
Ich hebe den Stamm und die Figurengruppe vorsichtig aus der Truhe. Etwas verbirgt sich in dem hohlen, zu einem Ende hin offenen Stamm. Ich greife hinein und ertaste hölzerne Füße. Während ich ziehe, während ER aus dem Holz des Stammes geboren wird, blicke ich auf die drei Frauen auf dem Stamm.
„Wer bist Du nur?“, frage ich ehrfürchtig in die Stille in mir. „Wie soll ich verstehen, was das hier bedeutet, wenn Du es mir nicht erklärst? Was soll ich tun? Ich brauche Deine Hilfe!“
Doch da ist nur eine Welle von Traurigkeit, die eifersüchtig durch meine Gedanken fegt.
Und so ziehe ich IHN ganz aus dem Stamm, vollende die Geburt. Und starre benommen auf seinen Körper (http://www.randafricanart.com/images/Nail_fetish_figure_131.jpg).
ER trägt die Nägel Christi und die Pfeile des heiligen Sebastian. Ich habe ähnliche Figuren der Bakongo schon gesehen. Aber DIESE ist anders … stärker … ich spüre ihre Kraft, als ER in meiner Armbeuge liegt.
Ich rätsele, was sich in dem Mittelkasten verbirgt, der seinen Bauch bildet. Aber dieser Ort ist unerreichbar und es wäre Unrecht, ihn zu öffnen. Sein Geheimnis muss gewahrt bleiben.
Lange starre ich nur IHN an und verliere dabei mein Gefühl für die Zeit.
„DU hast DICH ihres Leids angenommen, nicht wahr?“, frage ich IHN schließlich. „Ich danke DIR dafür an ihrer statt.
DU kannst mehr Heilung und Trost schenken, habe ich recht?“
Ich werde von nun an für DICH sorgen. Ich werde DICH vor dem ‘Herz der Finsternis‘ bewahren. Es soll DICH nicht bekommen.“
Sorgfältig löse ich die Bänder, mit denen die drei Frauen auf den Stamm gebunden waren. Ich wickle IHN und die Figurengruppe in große Stücke des Gewebes, mit dem zuvor die Truhe geschützt worden war.
Dann trete ich vor die kleine Kirche und hebe den verunstalteten Leib der Frau vom aufgeweichten Boden. Traurig trage ich sie zurück in die Kirche. Ich bette sie in die Truhe und übergebe sie so der Obhut Christi.
Ich bette ihren Kopf auf mein zerrissenes Hemd.
Ein letztes Mal blicke ich in diese Augen, die nun gebrochen sind, bevor ich die Lieder darüber schließe. „Was hätte ich nur alles von Dir lernen können?“
Dies ist der Augenblick, in dem meine Gefährtin3 rücksichtslos von mir Besitz ergreift. Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen.
„An rud a líonas an tsúil líonann sé an croí!“4, werfe ich trotzig meiner Gefährtin entgegen.
Dann verabschiede ich mich:
„Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein;
sanft falle Regen auf deine Felder, und warm auf dein Gesicht der Sonnenschein.
Führe die Straße, die du gehst immer nur zu deinem Ziel bergab;
hab’, wenn es kühl, warme Gedanken und den Mond in dunkler Nacht.
Hab’ unterm Kopf ein weiches Kissen, habe Kleidung und das täglich Brot;
sei über vierzig Jahre im Himmel, bevor der Teufel merkt: Du bist schon tot.
Bis wir uns mal wiedersehen, hoffe ich, dass Gott dich nicht verlässt;
Er halte dich in seinen Händen, doch drücke seine Faust dich nie zu fest.
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand,
halte er dich fest in seiner Hand.“
Mir bleibt nicht viel Zeit. Ich schließe die Truhe … den Sarg, der Leben verspricht, und fülle die Grube mit dem Lehm.
Ich trage Wasser herbei und stampfe den Boden fest, bevor ich die zwei Bündel an mich nehme und die Kirche im Urwald für immer verlasse.
1 Bild 1 siehe nachfolgend angehängte Datei
2 Bild 2 siehe nachfolgend angehängte Datei
3 gemeint ist die eifersüchtige "Undine", im ewig rauschenden Meer
4 "An rud a líonas an tsúil líonann sé an croí" = "What fills the eye, fills the heart"
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