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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Allgemein => Thema gestartet von: Lichtbringer am 22.08.2020 | 07:58

Titel: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 22.08.2020 | 07:58
Charlie und die Scheuklappenfabrik
eine Geschichte mit n Moralen (n ist Element der natürlichen Zahlen inkl. 0)

Ich möchte eine kurze Geschichte mit euch teilen, die ich in letzter Zeit öfter als Beispiel verwende. Vielleicht gefällt sie euch ja.
Diese Parabel verwendet D&D, weil es ein sehr klares Beispiel liefert – und aus anderen Gründen, die unten noch klarer werden. Das sollte aber nicht als Kritik an oder Beschränkung auf D&D gesehen werden. Es ist bloß ein opportunes Beispiel für etwas, das ähnlich in fast allen Rollenspielen auftritt.

Stellen wir uns drei Rollenspieler*innen vor, nennen wir sie ganz traditionell Alice, Bob und Charlie. Die drei stiegen mit Dungeons & Dragons ein und spielten es nun schon eine Weile. Sie sind richtige Fans des Rollenspiels geworden und wollen jetzt möglichst vielfältige Spielerfahrungen machen. Sie möchten erleben, was ihr neues Hobby noch alles für sie bereithält.

Sie sitzen zusammen und besprechen, wie sie dieses Ziel angehen wollen.

Alice beschließt: „Ich mag Magier und möchte jeden Spruch im Spielerhandbuch mindestens einmal zaubern.“

Bob dagegen will mehr: „Ich möchte jedes Volk und jede Klasse im Spielerhandbuch mindestens einmal spielen. Nicht jede Kombination, das wäre ja unmöglich, aber jedes Einzelteil.“

Charlie dagegen geht die Sache ganz anders an. Ihr Plan lautet: „Ich möchte auf jeder Stufe des klassischen Lebensweges einmal eine Figur verkörpert haben: ein Kind, einen Jugendlichen, einen jungen Erwachsenen, jemand Verliebtes, einen Ehepartner, einen Elternteil, einen Großelternteil, einen Rentner und einen Sterbenden. Vielleicht erweitere ich es noch etwas – zum Beispiel ein Adoptivkind oder jemanden, der nicht an Altersschwäche, sondern an Krankheit stirbt.“

Man mag unterschiedlicher Meinung sein, welche dieser Optionen einem mehr zusagt. Das ist Geschmackssache. Vielleicht findet man die Idee absurd, einen Elternteil zu spielen. Aber es scheint mir schwer abzustreiten, dass Charlie vielfältigere Rollenspielerfahrungen machen wird als ihre Mitspieler*innen.

Die Moral(en) von der Geschicht’
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Geschichte eine Moral hat. Ich verwende sie bloß gerne als Beispiel, um zu verdeutlichen:

(a) Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken, bevor wir uns fragen, ob oder wie die Regeln das abbilden können. Es gibt nichts in den D&D-Regeln, was das Spielen von Greisen verbieten würde. In manchen Editionen gibt es dafür sogar Regeln im Grundbuch. Aber die erzeugten Erwartungen passen wenig hierzu.

(b) Deshalb können ganz weiche Anstöße sehr viel bewirken. Hätte das Charakterblatt direkt auf der ersten Seite ein Feld zu den Familienangehörigen (was in mittelalterlichen Großfamilien eigentlich Sinn ergäbe), dann hätte Charlies Wahl wenige überrascht. (Aus ähnlichen Gründen spielen viele Leute die WoD ganz anders, als die harten Regeln andeuten mögen, weil sie sich nach der Verpackung der Regeln richten.)

(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.

(d) Ich spiele bei D&D fast immer Menschen und finde andere Völker ziemlich egal. Das verwundert viele Rollenspieler, aber wenn man einmal angefangen hat, auf Charlies Ebene über Rollenspiel nachzudenken, dann kümmert einen dieses Element einfach wenig. Ob ein Charakter Kinder hat, ist erheblich bedeutender als, ob er Nachtsicht hat. Das ist mir doch egal.

(e) Ich bin sicher, euch fallen noch mehr ein…
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ArneBab am 22.08.2020 | 08:18
Charlie dagegen geht die Sache ganz anders an. Ihr Plan lautet: „Ich möchte auf jeder Stufe des klassischen Lebensweges einmal eine Figur verkörpert haben: ein Kind, einen Jugendlichen, einen jungen Erwachsenen, jemand Verliebtes, einen Ehepartner, einen Elternteil, einen Großelternteil, einen Rentner und einen Sterbenden. Vielleicht erweitere ich es noch etwas – zum Beispiel ein Adoptivkind oder jemanden, der nicht an Altersschwäche, sondern an Krankheit stirbt.“
Plot Twist: Jeder einzelne ist ein Ninja mit genau den gleichen Fähigkeiten und verhält sich 80% der Zeit genau gleich.

Das ist, was du mit den anderen Punkten implizierst (als Scheuklappen außerhalb der Regeln), daher habe ich das einfach mal als Regelscheuklappen übersetzt :-)

Weswegen ich denke, dass du trotzdem Recht haben kannst: Charlie denkt bewusst außerhalb des Kontexts, den man mit DnD kaum ignorieren kann, wir können also davon ausgehen, dass er den Kontext trotzdem nutzen wird (weil man ihn kaum ignorieren kann).

Da er allerdings den ganzen Regelkontext ignoriert, kann es sein, dass er das eben doch nicht tut. Und dass er die Erfahrungen verpasst, die mit den Regeln am leichtesten sind. Und in einem kampflastigen Spiel können die Regeln 80% des Spiels dominieren.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: KhornedBeef am 22.08.2020 | 09:12
Jo, stimmt wohl: die Regeln lenken den Fokus der Spieler auf verschiedene Spielinhalte. Nicht nur bezüglich der Figur, sondern auch was sie tut, wen sie trifft. Bei sehr vielen Regeln in einem Bereich tun sie das sehr stark. Sind die Regeln eher weniger konkret, dominiert vielleicht die übrige Beschreibung des Spiels.

Ob jemand jetzt reichhaltigere Erfahrungen macht, wenn er den Opa aus Tumbingen spielt, oder eine Essenzheilerin, die die Träume verängstigter Menschen in Tonwaren bindet, sei dahingestellt. Wenn aber jede Klasse nur eine Variante von "kämpft so und so" ist, kann es tatsächlich sein, dass man hauptsächlich Kämpfe erlebt. Das wird aber ja durch den Spielstil der ganzen Gruppe bestimmt. Bauerngaming mit D&D4 ignoriert quasi alle Regeln, aber wer hält dich ab?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 22.08.2020 | 09:43
Plot Twist: Jeder einzelne ist ein Ninja mit genau den gleichen Fähigkeiten und verhält sich 80% der Zeit genau gleich.

  ;D ;D ;D

Großartig. Vielleicht ist D&D einfach nicht das richtige Spiel für Charlie.


Bauerngaming mit D&D4 ignoriert quasi alle Regeln, aber wer hält dich ab?

Die eigenen Scheuklappen.

Ich bin aber auch aus weiteren Gründen skeptisch gegenüber dem Argument: "Die Regeln verbieten es dir ja nicht."
Ich kann auch Monopoly als Rollenspiel spielen. "Oh, werter Herr. Was für eine schöne Straße Sie da haben. Wollen Sie sie mir nicht verkaufen? Ich möchte dort ein Hotel errichten."
Nichts in den Regeln verhindert das. Aber macht das Monopoly wirklich zu einem Rollenspiel? Schließlich fördert auch nichts in den Monopoly-Regeln das Rollenspiel.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 22.08.2020 | 10:03
Ich bin aber auch aus weiteren Gründen skeptisch gegenüber dem Argument: "Die Regeln verbieten es dir ja nicht."
Ich kann auch Monopoly als Rollenspiel spielen. "Oh, werter Herr. Was für eine schöne Straße Sie da haben. Wollen Sie sie mir nicht verkaufen? Ich möchte dort ein Hotel errichten."
Nichts in den Regeln verhindert das. Aber macht das Monopoly wirklich zu einem Rollenspiel? Schließlich fördert auch nichts in den Monopoly-Regeln das Rollenspiel.

Du vermischt roleplaying und roleplaying games einerseits, andererseits versuchst du RPGs auf ihre Regeln zu reduzieren. Der Witz ist doch, dass RPGs in ihrer Konzeption unendlich sind und die Figuren der Spieler alles versuchen können! Vergleiche auch die vielen dokumentierten Diplomacy Varianten, in denen Spielerinnen immer wieder Dinge unternommen haben, welche von den Regeln erstmal nicht weiter bedacht waren. Der zentrale Punkt: ein referee!
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 22.08.2020 | 10:05
Hallo zusammen,

wegen dieser Scheuklappen gab es in vielen frühen Rollenspielen die "Goldene Regel" - also "Der Spielleiter hat immer Recht". Nicht um tatsächlich Macht zu geben sondern um Regelscheuklappen zu zerstören. Denn wer Spiel hört hat dann meistens ja auch feste Spielregeln im Sinn hat.

Ich habe da inzwischen eher Abenteuer und Kompatibilitäts Scheuklappen auf. Denn mein  Charakter soll ja in einer Geschichte zusammen mit anderen Charakteren von Mitspielern eine Geschichte spielen.
Da versuche ich aus Rücksicht auf die Spielleitung einen Charakter zu erschaffen der an den wahrscheinlichsten Geschichten auch Spaß hat und in ihnen aktiv werden kann.
Zudem habe ich zuviele Spieler erlebt die einen Ziel im Spiel verfolgt haben ohne sich Gedanken über die Ziele Anderer inklusive der Spielleitung zu machen. Das schreckt davor ab sich ein Ziel zusetzen das wahrscheinlich eher selten ist.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Ainor am 22.08.2020 | 10:40
(a) Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken,

Das ist sicher Richtig. Aber das hat auch sinen Grund. Wir spielen ja in einer fremden Welt, und irgendwie muss ja kommuniziert werden wass den überhaupt dankbare Rollen in dieser Welt sind. Ohne das wird es schwer eine Vorstellungswelt zu teilen.

Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung. Aber falls eine Kampagne auf Stufe 20 anfangen würde sähe mein Erzmagier sicher so aus wie Gandalf.

(b) Deshalb können ganz weiche Anstöße sehr viel bewirken. Hätte das Charakterblatt direkt auf der ersten Seite ein Feld zu den Familienangehörigen (was in mittelalterlichen Großfamilien eigentlich Sinn ergäbe), dann hätte Charlies Wahl wenige überrascht.

Das ist ein guter Punkt. Ich leite Birthright D&D wo Ehen und Familien eine große Rolle spielen, und das funktioniert hervorragend.
Aber ich bilde mir ein das das deshalb funktioniert weil diese Dinge eine große Auswirkung auf das Spiel haben. Wenn man dagegen nur Dungeons plündert ist es vermutlich nicht mehr als eine lästige Pflichtübung.


(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.

Es ist falsch das am System festzumachen. Was zählt ist die Core Story. Die ist z.B. bei Dungeonslayers dieselbe wie bei D&D.
Andererseits kann man auch in D&D modifizierte Core Stories haben (z.B. Birthright) und so einen Kompromiss zwischen vershiedenen Spielerinteressen schaffen.

Generell halte ich den Begriff Scheuklappen für falsch denn die Thematisch Festlegung eröffnet erst viele Möglichkeiten.


(d) Ich spiele bei D&D fast immer Menschen und finde andere Völker ziemlich egal. Das verwundert viele Rollenspieler, aber wenn man einmal angefangen hat, auf Charlies Ebene über Rollenspiel nachzudenken, dann kümmert einen dieses Element einfach wenig. Ob ein Charakter Kinder hat, ist erheblich bedeutender als, ob er Nachtsicht hat. Das ist mir doch egal.

Wenn du Rassen auf einfache Spielmechanik beschränkst kannst du auch sagen: Kinder kosten Zeit und Geld. Lohnt sich für meinen Charakter nicht. Der Reiz des Fantasy Rollenspiels ist doch jemand seien zu können der du im wirklichen Leben nicht seien kannst. Du könntest zum beispiel das Alter als Elf erleben, was bedeutet dass man alle menschlichen Freunde sterben sieht.


Generell muss man die Frage stellen: warum will ich etwas was ich auch in der Realität haben kann im Rollenspiel nachspielen.
Vielleicht ist es besser einfach rauszugehen ? Weiterhin ist es nicht gesagt ob sich alles im Leben für das Rollenspiel eignet.
Verliebt sein ist schön und gut, aber es ist tendentiell eine Sache zwischen zwei Personen. Selbst wenn es zwischen Spieler und SL
keine Unfälle gibt, ist das ganze für die anderen Spieler wirklich so spannend ?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 22.08.2020 | 10:55
Hallo Ainor,

ich habe die Erfahrung gemacht das einige Sachen von denen man es nicht vermutet für interessante Szenen sorgen kann.

In unserer Runde haben zwei Charaktere, nicht die Spieler, miteinander angebundelt. Die beiden suchten jetzt erst Mal ein ungestörtes Plätzchen und dann noch einen Babysitter für das gemeinsame Baby.
Es ist erstaunlich was zwei Charaktere mitbekommen wenn sie einen ungestörten Platz suchen und die Spielleitung kreativ nicht etwa böse kreativ ist.
Auch die Heldengruppe die das Kind der beiden vermisstem, eine Spur zu einer Scheune aufnahm und dann in voller Kampfmontur die spielenden Kinder erschreckte ist bei uns bis Heute ein Klassiker.

Ganz wichtig ist dabei das man für solche Szenen auch Zeit hat. Denn bei knapper Spielzeit tendiert man eher dazu am Abenteuer zu ziehen um fertig zu werden.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 22.08.2020 | 11:18
Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung.

Vorsicht: der zweite Satz folgt logisch nicht automatisch aus dem ersten (und mag damit selbst als ein Beispiel für eine Scheuklappe dienen). ;) Ich könnte ja zumindest im Prinzip durchaus auch mal einen Greis spielen wollen, der mit einem Fuß schon im Grab steht, unzufrieden auf sein bisheriges "langweiliges" Leben zurückblickt, und sich jetzt noch mal richtig ins Abenteuer stürzen will, bevor auch die allerletzte Chance dazu endgültig verstreicht...
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 22.08.2020 | 12:18
Hallo nobody@home,

du hast recht das sind Regelscheuklappen und die kann man beseitigen.
Aber vielleicht kannst du mir ja erklären was einem an einem solchen Konzept reizt.

Gibt es also Regelungen die einen Greisencharakter besonders machen?
Denn als Krankenpfleger in der Altenpflege fallen mir da vor allen Verschlechterungen ein, ausgefallene Zähne, Gangunsicherheiten, chronische Erkrankungen, Inkontinenz und eher geringere Belastbarkeit sowohl physisch als auch psychisch.
Oder was macht für dich das Konzept Greis aus? Interessant könnte eventuell sein wie der Hintergrund auf den Greis reagiert. Das bringt aber für den Spieler und die Spielleitung einen Zusatzinhalt hinein um den sie sich kümmern müssen.
Die lieben Mitspieler müssen auch mitspielen. Denn ich habe zwar keinen Greis erlebt aber eben einen naturverbundenen Elfen der in einer zivilisierten Gegend zurecht kommen musste. Nach einer gewissen Zeit waren die Mitspieler kaum mehr bereit das Konzept anzuzspielen und die entsprechenden Probleme, hey der Typ will nicht zahlen oder wer baut da auf meinem Apfelbaum ein Schlafnest, zu lösen.
In Star Wars spielt eine Mitspielerin ein Kind. Wenn man als Mitspieler die Rolle ernst nehmen würde wäre die gleichzeitige Rolle unserer Mechanikerin eher nicht drinn.Warum hat das Kind wie selbstverständlich auch eine Waffe und ein eigenes Transportmittel? Weil der Charakter ansonsten nicht bei der Haupthandlung mitmachen könnte! Was macht dann dieses Konzept aus?

Solche Nichtscheuklappen Charaktere werden meiner Erfahrung nach gerne schon Mal zu Hindernissen, Herausforderungen sagen wir Mal Stolpersteinen in der Gruppe. Das kann sowohl auf Charakter als auch auf Spieler Ebene oder sogar auf beiden gleichzeitig der Fall sein.
Deshalb bin ich als Spielleiter und Spieler bei solchen Charakteren schon Mal etwas mißtrauisch. Das gilt übrigens auch für Krieger mit der niedrigstmöglichen Stärke, ungeschickten Bogenschützen, Diplomaten mit niedrigst möglichen Charisma, Meerjungfrauen in Wüstenabenteuern und Anhängern eher seltener oder wenig angesehener Religionen.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 22.08.2020 | 12:21
Du vermischt roleplaying und roleplaying games einerseits, andererseits versuchst du RPGs auf ihre Regeln zu reduzieren. Der Witz ist doch, dass RPGs in ihrer Konzeption unendlich sind und die Figuren der Spieler alles versuchen können! Vergleiche auch die vielen dokumentierten Diplomacy Varianten, in denen Spielerinnen immer wieder Dinge unternommen haben, welche von den Regeln erstmal nicht weiter bedacht waren. Der zentrale Punkt: ein referee!

Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.
Und ich sehe auch nicht den logischen Schritt von: "Es gibt eine SL, also kann man alles versuchen." zu "Die Abwesenheit von Regeln ist gut für X."
A priori hätte ich jetzt erst einmal erwartet, von nichts komme nichts.

Ich sehe auch nicht, wie ich RSPs angeblich auf ihre Regeln reduziere, wenn das gesamte Einstiegsbeispiel sich darum dreht, was durch die Regeln eben nicht festgelegt wird.



Wenn du Rassen auf einfache Spielmechanik beschränkst kannst du auch sagen: Kinder kosten Zeit und Geld. Lohnt sich für meinen Charakter nicht. Der Reiz des Fantasy Rollenspiels ist doch jemand seien zu können der du im wirklichen Leben nicht seien kannst. Du könntest zum beispiel das Alter als Elf erleben, was bedeutet dass man alle menschlichen Freunde sterben sieht.

Nein, das Beispiel hatte ich absichtlich so gewählt, dass es keine reine Mechanik ist. Ob eine Figur Dunkelsicht hat, kommt ja auch in der Weltbeschreibung  usw. vor.
Ich unterstelle, dass die tatsächlich spielbaren Unterschiede zwischen den Rassen praktisch immer viel kleiner sind, als die Frage der Elternschaft. In der Praxis spielen wir, weil wir Menschen sind, immer (Mensch + irgendeine Abwandlung). Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einfluss des ersten Summanden der sehr viel größere ist.


Was Greise angeht: bei D&D startet man auf Sufe 1, was bedeutet das man sein (Abenteurer)leben noch vor sich hat.
Damit ist man quasi notwendigerweise jung. Aber falls eine Kampagne auf Stufe 20 anfangen würde sähe mein Erzmagier sicher so aus wie Gandalf.

Wie viel Zeit vergeht denn in der Spielwelt auf diesem Weg? Sind das wirklich mehr als ein paar Jahre?


Solche Nichtscheuklappen Charaktere werden meiner Erfahrung nach gerne schon Mal zu Hindernissen, Herausforderungen sagen wir Mal Stolpersteinen in der Gruppe. Das kann sowohl auf Charakter als auch auf Spieler Ebene oder sogar auf beiden gleichzeitig der Fall sein.
Deshalb bin ich als Spielleiter und Spieler bei solchen Charakteren schon Mal etwas mißtrauisch. Das gilt übrigens auch für Krieger mit der niedrigstmöglichen Stärke, ungeschickten Bogenschützen, Diplomaten mit niedrigst möglichen Charisma, Meerjungfrauen in Wüstenabenteuern und Anhängern eher seltener oder wenig angesehener Religionen.

Dann hast du als SL aber offenbar auch ein klares Bild, in welche Richtung die spielen möchtest. Das ist ja völlig in Ordnung. Worum es in der Parabel geht, war ja explizit nicht, Charlies Weg sei der bessere. Es geht darum, dass Alice und Bob die Frage, was für sie besser sei, gar nicht erst stellen können, wenn sie diese Möglichkeiten nicht wahrnehmen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ArneBab am 22.08.2020 | 12:24
Das ist ein guter Punkt. Ich leite Birthright D&D wo Ehen und Familien eine große Rolle spielen, und das funktioniert hervorragend.
Aber ich bilde mir ein das das deshalb funktioniert weil diese Dinge eine große Auswirkung auf das Spiel haben. Wenn man dagegen nur Dungeons plündert ist es vermutlich nicht mehr als eine lästige Pflichtübung.
In Medien ist es oft ähnlich. Schau dir die vielen "wir sind Supercops"-Serien an. Da ist kaum jemand verheiratet. Wer regelmäßig reisen muss und zur gleichen Zeit da sein muss wie die 5 anderen Leute in der Gruppe, kann sich eine Familie kaum leisten. Daher sind Helden eher ledig — oder miteinander verheiratet.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 22.08.2020 | 12:48
@Arkham:

Daß die Mitspieler da mitmachen wollen müssen, ist wie bei jedem anderen Charakter auch klar. Das hat nichts speziell mit dem Alter zu tun, sondern ist einfach nur eine Frage von gegenseitiger Rücksichtnahme. Andererseits, wer weiß? Vielleich wollen die anderen Spieler ja auch mal alte Knacker (und Knackerinnen) anstelle irgendwelcher grüner Jüngelchen und Mädels spielen und wir kriegen so doch wieder eine ganze Gruppe ungefähr Gleichaltriger zusammen...wäre doch auch mal eine Kampagne. ;)

Was das Konzept "Greis" angeht, würde ich sagen, daß mich wohl am ehesten tatsächlich reizen würde, mal anzuspielen, wie die Umgebung den Charakter regelmäßig wahlweise unter- ("Was kann so'n alter Opa schon noch ausrichten?") und/oder überschätzt ("So alt und immer noch Abenteurer? Achtung, Leute, paßt auf -- wir wissen nicht, was der alles auf Lager haben könnte!"). Inwieweit körperliche und geistige Einschränkungen zum Tragen kämen, wäre mit eine Frage des Systems; manche wie z.B. D&D haben da ja eigentlich so gut wie gar nichts, andere wieder mögen Dinge bieten, die durchaus ihrerseits auch mal interessant auszuspielen sein könnten. Und dann gibt's natürlich auch immer mal wieder die Greise, die eigentlich noch recht rüstig sind (vielleicht, weil sie in ihrer Jugend ihre Gesundheit nicht schon frühzeitig mit leichtsinniger Abenteurerei ruiniert haben?)...die sollten auf jeden Fall auch noch entsprechend spielbar sein.

Abschließend wäre vielleicht noch zu sagen, daß ich die Idee, daß Spielercharaktere auf jeden Fall immer und überall für Standardabenteuer nach Schema F und Deutscher Abenteuer-Norm zu taugen haben, mit für eine der dicksten Scheuklappen überhaupt halte. Klar, man kann locker auch "typische" Abenteurer/Investigatoren/etc. spielen, und ich werde bei solchen Gruppen bestimmt nicht mit zutiefst mißbilligendem Gesichtsausdruck an der Tür klopfen und ein "BEREUET, ROLLENSPIEL-SÜNDER!!!"-Schild hochhalten; aber ich sag' auch niemandem, daß er sich zwanghaft darauf beschränken muß. Gegebenenfalls kriegen dann die untypischen Charaktere eben auch eher untypische Szenarien vorgesetzt, die besser zu ihnen passen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 22.08.2020 | 13:44
Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.
Und ich sehe auch nicht den logischen Schritt von: "Es gibt eine SL, also kann man alles versuchen." zu "Die Abwesenheit von Regeln ist gut für X."
A priori hätte ich jetzt erst einmal erwartet, von nichts komme nichts.


A posteriori sehen wir aber immer wieder über verachiedene Epochen belegt, dass aus "nichts" ganz oft "vieles" folgt. Diplomacy Regeln sind fast schon trivial und regeln nur einen sehr kleinen Teil der Welt, aber (trotzdem? gerade deshalb?), ist das Spiel, das daraufhin folgt sehr komplex. Eben weil es eine Spielleitung gibt. Sog. Spielleiterlose RPGs verteilen diese Verantwortung nur anders, entscheidend ist, es gibt Möglichkeiten Dinge zu entscheiden, die nicht Teil des Textes sind.

Zitat
Ich sehe auch nicht, wie ich RSPs angeblich auf ihre Regeln reduziere, wenn das gesamte Einstiegsbeispiel sich darum dreht, was durch die Regeln eben nicht festgelegt wird.

Da bin ich gedanklich schon zu weit gesprungen. Du schreibst:

"Die Erwartungen, die ein Rollenspiel durch seine Optionen und Vokabeln erzeugt, sind oft viel wichtiger für die Spielentscheidungen als die harten Regeln, weil sie bestimmen, in welche Richtungen wir überhaupt losdenken, bevor wir uns fragen, ob oder wie die Regeln das abbilden können. Es gibt nichts in den D&D-Regeln, was das Spielen von Greisen verbieten würde. In manchen Editionen gibt es dafür sogar Regeln im Grundbuch. Aber die erzeugten Erwartungen passen wenig hierzu."

Du stellst" Optionen und Vokabeln" den sog. "harten Regeln" entgegen. Wenn ich dich richtig verstehe, sind aber beides Teile der "Verschriftlichung". Mit D&D gesprochen: Optionen sind Z.B. Klassen und "harte Regeln" sind THAC0?
Habe ich das richtig verstanden?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Ainor am 22.08.2020 | 13:55
Nein, das Beispiel hatte ich absichtlich so gewählt, dass es keine reine Mechanik ist. Ob eine Figur Dunkelsicht hat, kommt ja auch in der Weltbeschreibung  usw. vor.

Ja, aber du greift ein spielmechanisch relevantes Detail raus. Wenn du andere Rassen vor allem als Mensch+x siehst dann
sind sie in der Tat nicht so interessant. Aber man kann auch die Unterschiede statt der gemeinsamkeiten anspielen.

Ich unterstelle, dass die tatsächlich spielbaren Unterschiede zwischen den Rassen praktisch immer viel kleiner sind, als die Frage der Elternschaft. In der Praxis spielen wir, weil wir Menschen sind, immer (Mensch + irgendeine Abwandlung). Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Einfluss des ersten Summanden der sehr viel größere ist.

Reine Ansichtssache. Bei D&D Eberron kannst du z.B. einen Warforged spielen, der ganz andere Fragen hat und wohl kaum als Mensch+x durchgeht.

Wie viel Zeit vergeht denn in der Spielwelt auf diesem Weg? Sind das wirklich mehr als ein paar Jahre?

Mag sein das die Charaktere alt werden. Aber dass man mit Jungen SCs anfängt liegt nicht an Scheuklappen sondern daran dass man einen Lebensweg bzw. eine Entwicklung haben möchte.


Worum es in der Parabel geht, war ja explizit nicht, Charlies Weg sei der bessere. Es geht darum, dass Alice und Bob die Frage, was für sie besser sei, gar nicht erst stellen können, wenn sie diese Möglichkeiten nicht wahrnehmen.

Ist das so ? Bei Computerspielen kann ich mich zwischen WoW und Sims entscheiden. Offensichtlich verpasse ich einiges wenn ich WoW wähle. Aber das bedeutet nicht dass ich nicht weiss dass es nichts anderes gibt. Ich würde vermuten dass viele D&D wählen weil sie sich für "Abenteuer" statt "Leben" als Spielinhalt entshieden haben.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Yney am 22.08.2020 | 14:16
Ich denke sowohl die Beschreibungen einer Welt als auch "harte" Regeln haben natürlich die Tendenz, unsere Aufmerksamkeit bei einem Spielsystem auf gewisse Dinge zu lenken. Die Scheuklappen sind wohl unvermeidlich und auch menschlich. An deren Vorhandensein durch einen Text wie deinen erinnert zu werden ist da finde ich eine gute Erinnerung. "To think out of the box" ist immer und für jeden knifflig, denke ich.

Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Insofern sehe ich in Lichtbringers Parabel die wie schon gesagt willkommene Erinnerung, mal ab und zu wieder nach links und rechts zu schielen - und wenn es da verdächtig dunkel ist, mal den Kopf zu drehen – danke!

Ich fühlte mich nach dem Eingangsbeitrag spontan an einen TED-Talk erinnert, der vielleicht dazu passen könnte:
https://www.youtube.com/watch?v=VNGFep6rncY (https://www.youtube.com/watch?v=VNGFep6rncY)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ArneBab am 22.08.2020 | 14:30
Wenn du andere Rassen vor allem als Mensch+x siehst dann
sind sie in der Tat nicht so interessant
Regeltechnisch ist das halt oft so. Der Elf ist wie der Mensch mit dem Vorteil Nachtsicht und dem Nachteil "weniger Edge". Da sind dann Fremdspezies wirklich weit weniger fremd als der alleinerziehende Vater. Ich versuche im EWS inzwischen etwas mehr Fremdheit reinzubringen, indem Fremdspezies andere Kernantriebe erhalten (inspiriert von C.J. Cherryhs Chanur und Foreigner: Fremdspezies haben einerseits Antriebe, die wir nachvollziehen können, andererseits aber auch einige, die für Menschen nur abgeleitete Ziele sind. Der Unterschied ist: Um deinem Kernantrieb zu folgen brauchst du keinen tieferliegenden Grund: Der Antrieb ist genug Grund, etwas zu tun).
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 22.08.2020 | 14:44
Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Wahrnehmung als wie auch immer hergeleiteter Spielwert hat schon ihren Nutzen, zumal ja die Spieler gar nicht unbedingt immer genau beschreiben wollen müssen, wie ihr Charakter gerade den Kopf hält. ;) (Klassisches Beispiel: "Bemerkt mein SC die lauernde Gefahr noch rechtzeitig oder doch nur erst, wenn sie schon zuschlägt?" -- in so einer Situation kann man auch schon mal würfeln.)

Daß man's auf der anderen Seite vielleicht nicht übertreiben und Wahrnehmungsproben dafür verlangen sollte, ob der Charakter unter offenem Himmel auch wirklich mitkriegt, ob gerade Tag oder Nacht ist...na ja. ;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Irian am 22.08.2020 | 15:01
Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist. Mir selbst ist völlig unverständlich, warum man nicht einfach beschreibt, wohin man guckt und was man tut und daraus folgert der Spielleiter (dem wir vertrauen), was entdeckt wird. Das klingt jetzt vermutlich überheblich, ich meine es aber sicher nicht so - nur meine eigenen Scheuklappen nehme ich ja selbst nicht war ;)

Ich halte Wahrnehmung für etwas, das benutzt wird, um nicht offensichtliches zu "finden". Der Ork der gerade auf dich zuläuft und laut brüllt, braucht keine Wahrnehmungsprobe - der Elf, der sich im Dickicht versteckt, schon. Um zu sehen, dass das ganze Zimmer ein Saustall ist, braucht es keine Wahrnehmungsprobe, um zu bemerken, dass der Saustall scheinbar System hat, schon eher. Um etwas verstecktes zu finden könnte es auch gut sein, wobei das - je nach Situation - einfach auch durch Zeit ersetzbar ist. Wenn diese aber knapp ist - z.B. "finde die Steinplatte die aussieht wie ein Typ auf'm Klo bevor der Raum mit Säure vollgelaufen ist" wäre evlt. Wahrnehmung wieder ne Idee, wenn der ganze Raum mit tausenden Steinplatten mit verschiedenen, sehr ähnlichen Motiven bedeckt ist.

Das "Argument", dass der Spielleiter einfach folgert, was denn passiert, kann man bei JEDEM Würfelwurf anwenden. Wieso Kampffertigkeiten? Man sagt einfach an, in welche Richtung man schlägt und der Spielleiter wird schon entscheiden, was passiert. Aber dafür sind Fertigkeiten ja da, dass eben nicht der Spielleiter nach Gutdünken über Erfolg und Misserfolg entscheidet. (Also, geht auch, kein Problem, wird aber scheinbar nicht oft gewünscht) Kann man es anders machen? Klar. Aber das gilt für fast alles. Ich sehe da keine "Scheuklappe".
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Crimson King am 22.08.2020 | 16:05
Das Argument verstehe ich jetzt ehrlich nicht. Es gibt Rollenspiele ohne Spielleitung.

Es gibt Rollenspiele ohne dedizierte Spielleitung. Rollenspiele ohne Spielleitung gibt es dagegen nicht. Die Aufgaben, die im klassischen Spiel der dedizierte Spielleiter wahrnimmt, werden in so genannten SL-losen Rollenspielen durch die Regeln situativ auf die Mitspieler verteilt.

Ich glaube davon abgesehen nicht, dass Rumdefiniererei darüber, was Rollenspiel ist, den Thread wirklich weiter bringt. Dass die von hassran proklamierte Nichtabgeschlossenheit konstituierender Faktor von Rollenspielen ist, dürfte aber weitgehender Konsens sein.



Mein Ansatz zum Ausangsproblem: um Zielkonflikte der Spielerinteressen zu vermeiden, sollte vorher klar gemacht werden, was wie gespielt wird. Dazu sollten auch die Autoren von Rollenspielbüchern vermitteln, wie ihr Spiel sinnvollerweise gespielt werden soll. Für unterschiedliche Spielansätze sollte man dann Spiele verwenden, die diese Ansätze bedienen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 22.08.2020 | 18:52
Hallo nobody@home,

Arkam bitte ohne h auch wenn der Name vom berühmten literarischen Vorbild abgeleitet wurde. ;.)

Du hast ja im Punkt das jeder Charakter in einer Gruppe auch ein mitspielen der anderen Spieler erfordert. Aber was die Charakterkonzepte angeht sind das doch meistens Einzelsituationen, häufig ja der Einstieg und das erste Kennelernen der Charaktere.
Konsequent ausgespielt bleiben die meisten hier diskutierten Konzepte aber ständig erhalten.
Vollständige Konzeptrunden können richtig viel Spaß machen. Ich habe da Mal eine Traveller Runde für zwei greise Admiräle in Antigrav Rollstühlen geleitet.
Bei Spielern bei denen das Konzept auch mit einem Konzept für das Spiel mit diesem Charakter verbunden ist oder die aktiv an einem solchen mithelfen sind Konzepze klasse.
Leider habe ich es zu häufig erlebt das solche Konzepte eigentlich nur ein Sympthom dafür sind das der Mitspieler keinen Spaß am derzeitigen Spiel hat. Das kann sich auf die Art spielen, das Verhalten der Mitspieler oder auch dem bespielten Hintergrund beziehen.
Ich selbst habe auch schon Konzept Charaktere gespielt die eigentlich nur einen Sinn hatten. Sie sollten der Spielleitung ihre Schwächen aufzeigen oder waren gar als "Rache" für Probleme mit Charakteren dieser Spielleitung gedacht waren.

Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 22.08.2020 | 19:13
Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Gruß Jochen

Soso, konzeptlose Charaktere sind für dich also "normal". Das läßt ja tief blicken. ~;D

Von dem Witz, den ich mir einfach nicht verkneifen konnte, mal abgesehen, scheinen wir ansonsten weitgehend auf einer Linie zu liegen. Ich mache mich vielleicht weniger Sorgen um hypothetische "Spielerrache", aber das war's dann auch schon...und ich würde in dem Fall das Problem auch eher beim Spieler verorten als direkt beim Charakter, d.h., das Charakterkonzept alleine wäre für mich nicht unbedingt gleich eine Warnlampe.

Umgekehrt versuche ich ja auch als Spieler, zumindest etwas flexibel zu sein. Ich schieße mich im Vorfeld selten auf genau ein Charakterkonzept ein und versuche das mit aller Macht durchzudrücken; erst wenn mir eine Gruppe bzw. deren SL wirklich so ziemlich alle Ideen abblocken würde, die mir gerade einfielen und für die ich mich einigermaßen begeistern könnte, wäre das wahrscheinlich ein Grund, noch mal darüber nachzudenken, wie dringend ich nun eigentlich wirklich mit genau diesen Leuten zusammenspielen muß. Ist aber bisher noch nicht vorgekommen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Maarzan am 22.08.2020 | 19:17
Das kann sich auf die Art spielen, das Verhalten der Mitspieler oder auch dem bespielten Hintergrund beziehen.
Ich selbst habe auch schon Konzept Charaktere gespielt die eigentlich nur einen Sinn hatten. Sie sollten der Spielleitung ihre Schwächen aufzeigen oder waren gar als "Rache" für Probleme mit Charakteren dieser Spielleitung gedacht waren.

Von da aus schrillen bei mir immer die Alarmglocken wenn ein Mitspieler einen Konzept Charakter spielen möchte ohne vorher einen "normalen" Charakter aufgestellt zu haben.

Ist der "Konzeptcharakter" dann in dem Zusammenhang nicht die Folge davon, dass der Eindruck entstanden ist, dass der Standardcharakter vom Spielleiter vorher misshandelt worden ist?
Und der Neue nun besser gerüstet diesen Krieg annimmt.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: General Kong am 22.08.2020 | 19:33
Das Spiel heißt DUNGEONS & DRAGONS, es geht um heroische Action-Abenteuer fantastischen Inhalts mit Monstern, in Höhlen und Kavernen. Drachen kommen auch vor.

Also, Charlie, spiel was anderes! Wer sich einen Charakter für das James Bond-Rollenspiel macht, fängt ja auch nicht an mit:
"Ich bin ein 14jähriges Mädchen im Rollstuhl, adoptiert von einem lesbischen Ehepaar, von der die Transgenderfrau der sechsköpfigen Patchworkfamilie beim MI6 als Putzfrau arbeitet."

Tschuldigung, tolle Hintergrundgeschichte, aber wir jagen heute Dr. No und Goldfinger, und besprechen nicht auf dem Elternabend die schlechten Leistungen deines SC im letzten Mathetest oder den Liebeskummer deiner besten Freundin Svenja.

Das hat nichts mit Scheuklappen zu tun, sondern damit, dass man nicht durch das "Ausspielen" seines Charakters das Spiel und den Spaß aller anderen am Tisch obstruiert.

Das gilt ebenso für
* Bauern in einer Camelot- /Ritter der Tafelrunde-Kampagne
* Wall Street Banker, die Manhattan nicht verlassen, in einer Western-Kampagne in Dodge City
* Parapsychologen und Alchemisten bei Traveller
* Kleine Balrog-Diebe in einer Mittelerde-Kampagen (wir fangen ja in der 1. Stufe an)
* Normalo-Hausfrauen oder Nur-Studenten in einer Superheldenkampagne (Die Fantastischen Drei ... und Joe/Jane!)
* Elfen in einer Nur-Zwergen-Kampagne
* Taschenlampenfallenlasser, In-verfluchte-Häuser-geh-ich-Nichter und Heimlich-Kultisten (ohne Absprache!) in Cthulhu

Ich sage nicht, dass man das alles nicht spielen kann (wir spielen immerhin Rollenspiele, da ist praktisch alles möglich), aber erlaubt sollte es nur sein, wenn alle am Tisch wissen:
Okay, Plattenpanzer +1, Qs neueste Erfindung, Thors Hammer, das Necronomicon, den Einen Ring und die Blasterpistole können wir getrost im Schrank lassen - wir spielen Hintergründe aus.

Fein. Wer es mag.

Wer mich sucht: "I think the adventure is THAT WAY! Those mountains look questworthy!"  ;)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Maarzan am 22.08.2020 | 19:43

* Kleine Balrog-Diebe in einer Mittelerde-Kampagen (wir fangen ja in der 1. Stufe an)


Wer Balrogs klaut ist nicht erststüfig - die Dinger sind keine Bananen.

Zur Sache.
Wer Abenteuer spielen will, sollte das als SL auch entsprechend in Sitzung 1 so aufhängen und nicht "Zivilisten" überraschen wollen (ggf. gar generfte Zivilisten, wenn das  ja gerade deshalb Zivilisten sein sollen, weil die Profis beim letzten mal den Plot zernuket haben) und sich dann wundern, wenn die Zivilisten sich wie Zivilisten benehmen.

Ein anständiges Actionabenteuer sollte das auch beim "Casting" klar machen und jede Figur dann neben all ihrer Charakterisierung eindeutig erklären können, warum man genau sie auf eine gefährliche Mission mitnehmen soll.
Und die Antwort heißt dann nicht "Ich bin aber ein SC".
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Ainor am 22.08.2020 | 19:47
Regeltechnisch ist das halt oft so. Der Elf ist wie der Mensch mit dem Vorteil Nachtsicht und dem Nachteil "weniger Edge".

Nun, das wäre dann tatsächlich ein Fall von Scheuklappen.

Für mich persönlich ist beispielsweise die Wahrnehmungsprobe so eine Scheuklappe, die anscheinend in sehr vielen Rollenspielen systemimmanent ist.

Kann man sicher drüber diskutieren. Aber so wie ich den Eingangspost verstanden habe geht es Charlie mehr um den Inhalt des Spiels als um die Frage wie eine gewisse Situation im Dungeon abgehandelt wird.

Vielleicht ist D&D einfach nicht das richtige Spiel für Charlie.

Das ist der entscheidende Punkt. Von Scheuklappen kann man nur sprechen wenn man vorher irgendwie festgelegt hat dass man D&D spielen möchte. Dann lenken die Regeln das Denken natürlich auf "Abenteuer" anstatt auf das von Charlie gewünschte "Leben". Aber wenn Alice&Bob vorher festgelegt haben dass sie "Abenteuer" als Spielinhalt wollen dann ist es nur konsequent wenn sie D&D wählen. Und dann ist die Frage ob das was Charlie will da so reinpasst.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 22.08.2020 | 20:23
Hallo zusammen,

nein hier ist mit einem konzeplosen Charakter ein Charakter gemeint der eben kein spezielles Konzept hat sondern eines der Konzepte die der Hintergrund bietet verwendet. :-)
Bei den nichtmenschlichen Charakteren habe ich sehr häufig einen von zwei Fällen erlebt. Entweder es ist tatsächlich ein Mensch + oder ein konkretes Medienbeispiel lässt die Fremdrasse besonders mächtig erscheinen. Elfen bei Tolkin, gerade auch bei der Verfilmung, sind da gute Beispiele. Es soll da durchaus Spieler geben die sogar enttäuscht sind wenn ihnen da der Hintergrund Grenzen setzt. Wie Elfen sind bei Warhammer immer gut und die Regeln geben an was das bedeutet? Wie als Wildniself Magier muß ich mindestens eine Stufe Ranger / Waldläufer einschieben?
Na ja wir hatten duchauch unseren Spaß mit dem Ausspielen des Hintergrunds. Da war es dann eben auch nicht nur ein Charakter der das eingefordert hat sondern alle Spieler und die Spielleitung hatten an diesem Abend Spaß daran. Die gewählten Charaktere waren dann aber auch im eigentlich geplanten Abenteuer nicht sinnlos waren.
Leider muß ein Konzeptcharakter der auf den schlechten Erfahrungen mit einem Spielleitern beruht nicht auch bei diesem gespielt werden.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 22.08.2020 | 21:29
Wer Abenteuer spielen will, sollte das als SL auch entsprechend in Sitzung 1 so aufhängen und nicht "Zivilisten" überraschen wollen (ggf. gar generfte Zivilisten, wenn das  ja gerade deshalb Zivilisten sein sollen, weil die Profis beim letzten mal den Plot zernuket haben) und sich dann wundern, wenn die Zivilisten sich wie Zivilisten benehmen.

Zustimmung, wobei ich noch ein bißchen trennen würde: es gibt ja auch Abenteuer, bei denen der Reiz gerade darin bestehen soll, daß Zivilisten in sie hineinstolpern. (Das sind dann zwar meist gleichzeitig One-Shots, weil man in einer typischen Abenteuerkampagne eben schnell aufhört, noch "reiner Zivilist" zu sein, aber die gibt's ja schließlich auch...und auch, wenn sich da vorgefertigte Charaktere oft anbieten mögen, sind die ihrerseits nicht unbedingt zwingende Voraussetzung.) Selbst da würde ich aber entsprechend vorwarnen wollen, weil das doch noch mal ein etwas anderes Genre ist als "reiner Zivilalltag mit vielleicht ein bißchen Beziehungsseifenkistendrama" allein...und entsprechend also auch, damit Spieler, die sonst vielleicht wirklich nur ein paar Stunden fiktiven Strandurlaub erwarten könnten, nicht aus allen Wolken fallen, wenn plötzlich doch die Scuba-Zombies aus dem Meer stapfen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: YY am 22.08.2020 | 22:32
(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.

Das schreibt den Scheuklappen eine viel zu große Wirkung zu.
Es ist leicht, Systeme zu erweitern oder andersrum Teile zu ignorieren oder in nicht vorgesehener Weise zu nutzen.

Schon bei D&D war von Anfang an völlig klar, dass man damit machen kann (und soll!), was man will.
Ebenso bei Traveller - und kurz danach kamen die ersten Universalsysteme, wo das Thema Scheuklappen endgültig erledigt war.


Die Systeme mit Scheuklappen muss man schon gezielt suchen. Und bei den Indies gilt das auch wieder nur für einzelne Systeme, aber nicht für die Indie-Ecke an sich. Da ist jedem klar, dass das One-Trick-Ponies sind - deswegen hat man ja so viele verschiedene  :P ;)

Das verwundert viele Rollenspieler, aber wenn man einmal angefangen hat, auf Charlies Ebene über Rollenspiel nachzudenken, dann kümmert einen dieses Element einfach wenig. Ob ein Charakter Kinder hat, ist erheblich bedeutender als, ob er Nachtsicht hat.

Das hängt schwer davon ab, was man spielt. Es lassen sich ohne große Verrenkungen Spielsituationen bzw. -konstellationen finden, wo die Kinder durchgehend Randnotiz bleiben.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ArneBab am 23.08.2020 | 01:49
(c) Ein System oder einige wenige Systeme als Platzhirsch(e) zu haben, beschränkt die Vielfalt im Rollenspiel, weil dadurch die Scheuklappen regieren. Den meisten Spielern bleiben dann viele Möglichkeiten verwehrt, nicht weil das System oder die Spielleitung sie verböte, sondern weil die Spieler selbst gar nicht erst an sie denken.
Um jetzt nochmal die Diskussionen hier im Thread aufzugreifen: Wenn es Spieler in der Gruppe gibt, die klar sagen "wir spielen die Core-Story von D&D", dann ist das wirklich eine Begrenzung.

Ob es Scheuklappen sind, bin ich weniger sicher. Es gibt ja schon viele Geschichten von Leuten, die alles mögliche probiert haben. Dass Leute dann kein Interesse daran haben, sind keine Scheuklappen, sondern anderes Interesse.

Es ist völlig legitim, alle Zauber ausprobieren zu wollen. Im Kontext von D&D-Regeln kann das dem Spiel viel mehr geben, als verschiedene unverregelte Konzepte.

Was ich allerdings bei D&D im speziellen schwierig finde ist, dass es viel Aufwand ist, das System für diese anderen Konzepte anzupassen. Man müsste eine komplette Klasse aufbauen: Alter Krieger, völlig eingerostet (1. Stufe), findet zu seiner alten Kraft zurück.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Maarzan am 23.08.2020 | 06:22
Zustimmung, wobei ich noch ein bißchen trennen würde: es gibt ja auch Abenteuer, bei denen der Reiz gerade darin bestehen soll, daß Zivilisten in sie hineinstolpern. (Das sind dann zwar meist gleichzeitig One-Shots, weil man in einer typischen Abenteuerkampagne eben schnell aufhört, noch "reiner Zivilist" zu sein, aber die gibt's ja schließlich auch...und auch, wenn sich da vorgefertigte Charaktere oft anbieten mögen, sind die ihrerseits nicht unbedingt zwingende Voraussetzung.) Selbst da würde ich aber entsprechend vorwarnen wollen, weil das doch noch mal ein etwas anderes Genre ist als "reiner Zivilalltag mit vielleicht ein bißchen Beziehungsseifenkistendrama" allein...und entsprechend also auch, damit Spieler, die sonst vielleicht wirklich nur ein paar Stunden fiktiven Strandurlaub erwarten könnten, nicht aus allen Wolken fallen, wenn plötzlich doch die Scuba-Zombies aus dem Meer stapfen.

Ich hätte Action-Abenteuer betonen sollen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: First Orko am 24.08.2020 | 09:06
Schlechtes/Kein Erwartungsmanagement ist einer von mehreren zentralen Ursachen für Frust am Spieltisch. Dabei gibt es (üblicherweise) zwei maßgebliche Instanzen, die einen Einfluss darau haben: (1) Das Regelwerk und (2) der, der es anschleppt -sprich: Der System/Welt bewirbt und initial in die Gruppe bringt.
Meiner Erfahrung nach ist diese Person dann auch gleich SL/Moderator/Schiedsrichter und wird sich das Regelbuch erarbeiten und die Anderen in System und Welt einführen. Spieler lesen dann meist gerade genug, um sich einen Charakter zu erstellen (oder lassen den vom SL bauen).
Erwartungen werden also zunächst vom Buch an den "Initiator" übergeben, dessen Aufgabe es dann ist, aus dieser Grundlage und der Idee, wie er das Spiel spielen möchte (viele Rollenspiele bieten ja mindestens implizit ein gewisses Spektrum von Spielweisen an) wiederum entsprechende Erwartungen an seine Spieler zu kommunizieren.

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Die Beispiele im Ausgangsthread sind alles Erwartungen, die von Spielern an SL und Welt gestellt werden. Idealerweise sollten diese aber im Vorfeld durch einen gesteckten Erwartungsrahmen gesteuert werden. Wenn ich also als SL vorgebe "D&D ist für mich heroische Action-Abenteuer fantastischen Inhalts mit Monstern, in Höhlen und Kavernen" dann kann ich natürlich sagen "aber ich will einen Greis spielen, der seinen Garten beackert und dabei mit Feen handelt". Die Frage ist: Wie wahrscheinlich wird das passieren, wenn die SL voher klar kommuniziert hat, um was es geht?
Sollte das wirklich passieren, ist vielleicht ein Grudngespräch darüber, was diese Spielerin vom Rollenspiel allgemein erwartet (totale Freiheit) und was die SL und Gruppe leisten will (Settings und Genres bespielen) angebracht.

Das geht übrigens auch umgekehrt: Wer in Kagematsu den Ronin zwingt, den Frauen im Dorf Kriegskunst beizubringen und eine Miliz aufstellt, macht im Grunde nichts Anderes als Charlie in D&D. Wenn das mit den Erwartungen kollidiert wurde der Bezugsrahmen des Systems und der Welt nicht klar genug kommuniziert. Auch hier ist dann ein klärendes Gespräch darüber angebracht, welchen Fokus solche kleinen Rollenspiele setzen und ob es etwas ist, womit Charlie etwas anfangen kann.

Mit Scheuklappen hat das in meinen Augen eher wenig zu tun, bzw finde ich den Begriff nicht sehr passend und auch zu negativ behaftet, um eine konstruktive Diskussion anzustoßen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 27.08.2020 | 11:36
Wie immer komme ich viel zu spät zum Antworten. Ich hoffe, das wird kein zu unübersichtlicher Flickenteppich jetzt.


A posteriori sehen wir aber immer wieder über verachiedene Epochen belegt, dass aus "nichts" ganz oft "vieles" folgt. Diplomacy Regeln sind fast schon trivial und regeln nur einen sehr kleinen Teil der Welt, aber (trotzdem? gerade deshalb?), ist das Spiel, das daraufhin folgt sehr komplex. Eben weil es eine Spielleitung gibt. Sog. Spielleiterlose RPGs verteilen diese Verantwortung nur anders, entscheidend ist, es gibt Möglichkeiten Dinge zu entscheiden, die nicht Teil des Textes sind.

Das ist prinzipiell richtig, aber nicht umkehrbar. Dass bei Mangel von Regeln Rollenspiel entstand, heißt nicht, jeder Mangel von Regeln brächte Rollenspiel. Es muss weitere Faktoren geben. Und ich behaupte eben, ein sehr wichtiger Faktor sei die Verpackung der Regeln - also Fließtexte, Grafiken usw.
Diese haben oft einen viel größeren Einfluss als die eigentlichen Regeln.


Ja, aber du greift ein spielmechanisch relevantes Detail raus. Wenn du andere Rassen vor allem als Mensch+x siehst dann
sind sie in der Tat nicht so interessant. Aber man kann auch die Unterschiede statt der gemeinsamkeiten anspielen.

Das ist jetzt natürlich anekdotisch, aber in meiner Rollenspielkarriere seit 1999 erlebte ich es kein einziges Mal, dass ein angeblich unmenschliches Wesen auch konsequent unmenschlich gespielt wurde.
Mehr noch, als Aspergerautist kann ich sogar sagen, weit über 95 % seien menschlich neurotypisch gespielt worden, nutzten also noch nicht einmal die volle Bandbreite des Menschlichen aus.


Das Spiel heißt DUNGEONS & DRAGONS, es geht um heroische Action-Abenteuer fantastischen Inhalts mit Monstern, in Höhlen und Kavernen. Drachen kommen auch vor.

Also, Charlie, spiel was anderes!

Ich stimme durchaus zu, dass D&D das falsche Spiel für Charlie ist. Aber das als Aufforderung zu formulieren, halte ich für in der Praxis problematisch, eben weil gewisse Systeme (in den USA ganz extrem D&D) solche Platzhirsche sind, dass oft die realistische Wahl ist: Das oder keins.
Daher mein Punkt (c).


Das ist der entscheidende Punkt. Von Scheuklappen kann man nur sprechen wenn man vorher irgendwie festgelegt hat dass man D&D spielen möchte. Dann lenken die Regeln das Denken natürlich auf "Abenteuer" anstatt auf das von Charlie gewünschte "Leben". Aber wenn Alice&Bob vorher festgelegt haben dass sie "Abenteuer" als Spielinhalt wollen dann ist es nur konsequent wenn sie D&D wählen. Und dann ist die Frage ob das was Charlie will da so reinpasst.

Na ja, der Stand der Dinge in der Parabel ist ja, dass Alice und Bob gar nichts anderes kennen als D&D. Hier sagt dann nicht die Umgebung, sondern ihr eigener Horizont: D&D oder nichts!


Das schreibt den Scheuklappen eine viel zu große Wirkung zu.
Es ist leicht, Systeme zu erweitern oder andersrum Teile zu ignorieren oder in nicht vorgesehener Weise zu nutzen.

Schon bei D&D war von Anfang an völlig klar, dass man damit machen kann (und soll!), was man will.
Ebenso bei Traveller - und kurz danach kamen die ersten Universalsysteme, wo das Thema Scheuklappen endgültig erledigt war.

Man kann das, aber noch längst nicht jeder fühlt sich dazu befähigt. Neulinge, vor allem solche, die nie Spielleitung waren, finden das oft sehr, sehr schwierig.
Sich da auf den Anfang von D&D zu berufen, ist hier mehr als fragwürdig, weil die damalige Spielerschaft (Studenten aus der Kosim-Szene) eine ganz andere war als die heutige.


Insofern sehe ich in Lichtbringers Parabel die wie schon gesagt willkommene Erinnerung, mal ab und zu wieder nach links und rechts zu schielen - und wenn es da verdächtig dunkel ist, mal den Kopf zu drehen – danke!

Bitte sehr. Ich hoffe, sie hilft.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 31.08.2020 | 06:53
Hallo zusammen,

ein kleines persönliches Beispiel zum Thema Scheuklappen. Ich habe 1984 mit DSA 1 angefangen, ja bekennender Alter Sack mit damals in den Ardennen Allüre ;-).
Die ersten kommerziellen Abenteuer liefen eigentlich immer auf das gleiche heraus. Es gab einen netten ausgearbeiteten Hintergrund der dazu führte das die Charaktere in ein Dungeon mussten.
Dann habe ich das DSA Abenteuer "Der Strom des Verderbens oder die Todesfahrt nach Havena - Erfahrungsstufe 5-10 und Abenteuer 9 für DSA" als Spieler erlebt. Das Abenteuer hat auch einen detektiv Teil. Der ist an mir komplett an mir vorrüber gegangen weil ich auf den Dungeon gewartet habe. Das war wirklich keine böse Absicht sondern die Idee mich in einem Rollenspiel um etwas Abseits eines Dungeons zu kümmern hatte ich einfach nicht.
Ich bin ganz froh darüber das ich diese Scheuklappen losgeworden bin.Auch bei dem was für mich überhaupt ein Rollenspiel war hatte und habe ich wahrscheinlich noch Scheuklappen. So ganz langsam weiten sie sich ein wenig. Denn Beruf und Leben außerhalb des Rollenspiels sowie andere Hobbys sorgen dafür das ich einfach weniger Zeit für Rollenspiel investieren will. Ich bin mir nur einfach nicht sicher ob sich deshalb die Scheuklappen weiten oder ob ich nur ein paar neue habe. Auf jeden fall akzeptiere ich inzwischen nicht nur die 300+ Seiten Regel Schwergewichte sondern auch kleinere und focussiertere Systeme.

Gruß Jochen - Ein Mal der Abschiedsgruß reicht.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Ainor am 1.09.2020 | 10:58
Das ist jetzt natürlich anekdotisch, aber in meiner Rollenspielkarriere seit 1999 erlebte ich es kein einziges Mal, dass ein angeblich unmenschliches Wesen auch konsequent unmenschlich gespielt wurde.
Mehr noch, als Aspergerautist kann ich sogar sagen, weit über 95 % seien menschlich neurotypisch gespielt worden, nutzten also noch nicht einmal die volle Bandbreite des Menschlichen aus.

Also meine Bären werden allein von Hunger getrieben. Passt also. Aber das problem ist: wenn du "menschliches Verhalten" weit auslegst ist es quasi gleichbedeutend mit "von Menschen denkbares Verhalten". Da sollte es offensichtlich sein dass man da nicht rauskommt.

weil gewisse Systeme (in den USA ganz extrem D&D) solche Platzhirsche sind, dass oft die realistische Wahl ist: Das oder keins.

Na ja, der Stand der Dinge in der Parabel ist ja, dass Alice und Bob gar nichts anderes kennen als D&D. Hier sagt dann nicht die Umgebung, sondern ihr eigener Horizont: D&D oder nichts!

Tja, aber warum ist das so ? Seit 45 Jahren ist D&D Platzhirsch, und viele populäre Alternativen sind auch recht ähnlich in dem was die SCs da so machen. Ich glaube halt das das viel mehr daran liegt dass diese Core Story funktioniert und die Meisten das spielen wollen,
als daran dass sie nichts anderes kennen.

Wie gesagt: bei Computerspielen hat es funktioniert, aber möglicherweise funktioniert es bei Rollenspielen nicht weil die Leute die das wollen eher in Richtung Improv / experimentelle Literatur unterwegs sind.



Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 1.09.2020 | 11:33
Wie immer komme ich viel zu spät zum Antworten. Ich hoffe, das wird kein zu unübersichtlicher Flickenteppich jetzt.

Gut Ding will Weile haben!


Zitat
Das ist prinzipiell richtig, aber nicht umkehrbar. Dass bei Mangel von Regeln Rollenspiel entstand, heißt nicht, jeder Mangel von Regeln brächte Rollenspiel. Es muss weitere Faktoren geben. Und ich behaupte eben, ein sehr wichtiger Faktor sei die Verpackung der Regeln - also Fließtexte, Grafiken usw.
Diese haben oft einen viel größeren Einfluss als die eigentlichen Regeln.

Die Lektion in meinen Augen ist eher: Das Rollenspielbuch selbst hat vernachlässigbaren Einfluß im Vergleich zu anderen Faktoren (z.B. Vorliebe für bestimmte Fantasy-Autoren).
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 1.09.2020 | 12:58
Tja, aber warum ist das so ? Seit 45 Jahren ist D&D Platzhirsch, und viele populäre Alternativen sind auch recht ähnlich in dem was die SCs da so machen. Ich glaube halt das das viel mehr daran liegt dass diese Core Story funktioniert und die Meisten das spielen wollen,
als daran dass sie nichts anderes kennen.

Na ja, wenn ich mir deren Erfolg anschaue, dann muss ich eingestehen, dass Modern Talking irgendwas richtig machte. Aber wenn die meisten Leute nur deren Alben kennen würden, fände ich das schade. Auch wenn die meisten nur die Beatles kennen würden, wäre das für mich Armut, auch wenn ich die Beatles sehr mag.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 1.09.2020 | 13:30
Na ja, wenn ich mir deren Erfolg anschaue, dann muss ich eingestehen, dass Modern Talking irgendwas richtig machte. Aber wenn die meisten Leute nur deren Alben kennen würden, fände ich das schade. Auch wenn die meisten nur die Beatles kennen würden, wäre das für mich Armut, auch wenn ich die Beatles sehr mag.

D&D ist in dem Bild aber eher "Jazz" und dann ja auch nicht Konsum, sondern selbst spielen. Ist jemand, der "nur" Jazz spielt ein "ärmerer" Musiker als jemand, der Country und Western spielt?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: KhornedBeef am 1.09.2020 | 13:32
D&D ist in dem Bild aber eher "Jazz" und dann ja auch nicht Konsum, sondern selbst spielen. Ist jemand, der "nur" Jazz spielt ein "ärmerer" Musiker als jemand, der Country und Western spielt?
Wenn er von beidem nie gehört hat? Ja. Er wird wohl nie eine Mischung aus beidem spielen, oder? Ein schlechter Musiker ist er wohl kaum nur deswegen.

Aber ist jemand, der nur Äpfel isst, aber keine Birnen, eigentlich ein richtiger Obstler?  ::)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 1.09.2020 | 13:32
D&D ist in dem Bild aber eher "Jazz" und dann ja auch nicht Konsum, sondern selbst spielen. Ist jemand, der "nur" Jazz spielt ein "ärmerer" Musiker als jemand, der Country und Western spielt?

Keine Ahnung, ist auch nicht das Thema.

Die korrekte Analogfrage ist doch eher: Ist jemand, der nur Jazz kennt, ärmer als jemand, der auch Country und Western kennt?

Ich habe keine Schmerzen mit dem, der von anderen Musikrichtungen weiß, aber nur Jazz spielt. Das ist eine informierte Entscheidung.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ArneBab am 7.09.2020 | 19:14
Ist jemand, der "nur" Jazz spielt ein "ärmerer" Musiker als jemand, der Country und Western spielt?
Sehr wahrscheinlich ist er ein ärmerer Musiker, ja :-)

Dann kamen die Rocketbeans und das fängt an, sich zu ändern.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: KhornedBeef am 7.09.2020 | 19:38
Sehr wahrscheinlich ist er ein ärmerer Musiker, ja :-)

Dann kamen die Rocketbeans und das fängt an, sich zu ändern.
Hut ab  ;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Arkam am 8.09.2020 | 05:42
Hallo zusammen,

was man gerne vergisst ist die aktive Komponente. Denn das lesen von Regel- und Hintergrundbänden kostet Zeit und je nachdem was man wie im Zugriff hat auch Geld.
Aber auch die jeweilige Vorliebe in der Art zu spielen, hier sehr grob vereinfacht, kostet Zeit und Aufmerksamkeit. Egal ob man seinen D&D Charakter optimal gestaltet, für Drama & Konsequenz "Entscheidungsfindung von Hochbetagten" liest oder für eine voll simuliertes Spiel "1000 und 1 Art eine Stadt zu verwalten" oder eine Ausstellung besucht.
Da kann man eben nicht auf beliebig vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen sondern hat normalerweise eine Vorliebe in die man besonders viel investiert.

Gruß Jochen
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Jiba am 8.09.2020 | 08:01
D&D ist in dem Bild aber eher "Jazz" und dann ja auch nicht Konsum, sondern selbst spielen.

Warum? Weil es älter ist? Weil sich bestimmte Spielformen mit daraus entwickelt haben?

Ich glaube das ursprüngliche "D&D" ist eher der Stummfilm... da fehlen einfach noch viele Stimmen, die das Ding wirklich rund machen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 08:15
Warum? Weil es älter ist? Weil sich bestimmte Spielformen mit daraus entwickelt haben?


Das Tertium comparationis an der Stelle war die Offenheit und "Unendlichkeit" von D&D.

Zitat
Ich glaube das ursprüngliche "D&D" ist eher der Stummfilm... da fehlen einfach noch viele Stimmen, die das Ding wirklich rund machen.

Was fehlt da denn? Das "ursprüngliche D&D" ist ja nicht lose zu betrachten, sondern im Kontext aller anderen Spielpraktiken an den Spieltischen in Wisconsin und Minnesota. "Braunstein mit Dungeon" ist es ja, was Dave  et al. da gespielt haben.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Jiba am 8.09.2020 | 09:01
Das Tertium comparationis an der Stelle war die Offenheit und "Unendlichkeit" von D&D.
Offen und theoretisch unendlich sind auch andere, ähnliche Formen der Erschaffung fiktionaler Inhalte. Improvisationstheater zum Beispiel. Oder Kettengeschichten. Praktisch gesehen sind die alle nicht unendlich, sondern begrenzt durch den Rahmen, in dem sie stattfinden oder ggf. durch die fiktionalen Inhalte, die da produziert werden (nach dem TPK ist D&D erstmal vorbei, bis man sich neue Charaktere geschrieben hat; wenn man nach 8 Stunden Spiel nach Hause geht, ist D&D auch vorbei).

Was fehlt da denn? Das "ursprüngliche D&D" ist ja nicht lose zu betrachten, sondern im Kontext aller anderen Spielpraktiken an den Spieltischen in Wisconsin und Minnesota. "Braunstein mit Dungeon" ist es ja, was Dave  et al. da gespielt haben.
Ja, aber D&D ist ja nicht die "Endform" dessen, was wir als Rollenspiel begreifen. Rollenspiel ist ein Spiel und zugleich ein Medium oder von mir aus auch eine Mischform verschiedener Medien. Und wie es bei Spielen so ist, kommen neue Mechaniken hinzu über die Zeit, die ein Spiel existiert: "Warcraft 3" ist nicht weniger oder mehr Strategiespiel als "Dune 2". "Super Mario Odyssee" ist nicht weniger Jump-and-Run als "Super Mario Bros." Klar, die Mechaniken haben sich stark verändert, aber der prinzipielle Vorgang dessen, was da gespielt wird, hat sich nicht verändert.

Dasselbe gilt für Medien. Wer würde, um es mit Lichtbringer zu sagen, denn den Ton im Film missen wollen? Der Stummfilm ist eben nicht die "Endform" des Films, sondern nur ein Zwischenschritt. Und der 3D-Film heute ist auch nur ein Zwischenschritt. Es gab nach "D&D" Bestrebungen, "D&D" zu erweitern, zu verändern, anzureichern. Also hat da wohl was gefehlt. Zumindest einer Menge Leuten, die damit in Kontakt kamen.

Das ist das Schöne an Medien oder Spielearten: Sie bleiben nicht was sie zu einem Zeitpunkt X sind, sondern sie probieren sich aus. Und wenn ich den Threadersteller richtig verstehe, dann ruft er dazu auf, sich im Rollenspielbereich auch auszuprobieren.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 09:30
Offen und theoretisch unendlich sind auch andere, ähnliche Formen der Erschaffung fiktionaler Inhalte. Improvisationstheater zum Beispiel. Oder Kettengeschichten. Praktisch gesehen sind die alle nicht unendlich, sondern begrenzt durch den Rahmen, in dem sie stattfinden oder ggf. durch die fiktionalen Inhalte, die da produziert werden (nach dem TPK ist D&D erstmal vorbei, bis man sich neue Charaktere geschrieben hat; wenn man nach 8 Stunden Spiel nach Hause geht, ist D&D auch vorbei).

Kann ja alles sein, ist aber nicht mein tertium comparationis gewesen. :) Aber ich vermute, ich meine "unendlichkeit" anders als du, nämlich in der Art, dass eine D&D-Kampagne ewig gespielt werden kann (bzw. bis die Sonne keine Wärme mehr abgibt). Und nur weil es ein TPK gibt, ist die Kampagne noch lange nicht vorbei. :)


Zitat
Ja, aber D&D ist ja nicht die "Endform" dessen, was wir als Rollenspiel begreifen. Rollenspiel ist ein Spiel und zugleich ein Medium oder von mir aus auch eine Mischform verschiedener Medien. Und wie es bei Spielen so ist, kommen neue Mechaniken hinzu über die Zeit, die ein Spiel existiert: "Warcraft 3" ist nicht weniger oder mehr Strategiespiel als "Dune 2". "Super Mario Odyssee" ist nicht weniger Jump-and-Run als "Super Mario Bros." Klar, die Mechaniken haben sich stark verändert, aber der prinzipielle Vorgang dessen, was da gespielt wird, hat sich nicht verändert.

Der Witz an D&D ist es ja, dass eine "Kristallisierung" von ganz vielen, spannenden, diversen und weitläufigen Spielpraktiken ist. D&D (oder sagen wir ruhig Rollozock allgemein) umfasst halt ganz viel, das lässt sich nicht einfach von war games oder der Methode Rollenspiel trennen.

Dasselbe gilt für Medien. Wer würde, um es mit Lichtbringer zu sagen, denn den Ton im Film missen wollen? Der Stummfilm ist eben nicht die "Endform" des Films, sondern nur ein Zwischenschritt. Und der 3D-Film heute ist auch nur ein Zwischenschritt. Es gab nach "D&D" Bestrebungen, "D&D" zu erweitern, zu verändern, anzureichern. Also hat da wohl was gefehlt. Zumindest einer Menge Leuten, die damit in Kontakt kamen. Ich bin auch nicht sicher, ob Vergleiche mit Computer-Spielen so viel helfen, weil die strukturellen Unterschiede GIGANTISCH sind.

Zitat
Das ist das Schöne an Medien oder Spielearten: Sie bleiben nicht was sie zu einem Zeitpunkt X sind, sondern sie probieren sich aus. Und wenn ich den Threadersteller richtig verstehe, dann ruft er dazu auf, sich im Rollenspielbereich auch auszuprobieren.

...wenn das die Botschaft ist, dann würde ich ergänzen: Roleplaying games stehen in einem Kontinuum! Andere "RPGS" sind bestimmt auch toll, aber vermeintlich "andere" Spiele stehen im Zusammenhang mit eurem Rollozock!
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Jiba am 8.09.2020 | 09:50
Kann ja alles sein, ist aber nicht mein tertium comparationis gewesen. :) Aber ich vermute, ich meine "unendlichkeit" anders als du, nämlich in der Art, dass eine D&D-Kampagne ewig gespielt werden kann (bzw. bis die Sonne keine Wärme mehr abgibt). Und nur weil es ein TPK gibt, ist die Kampagne noch lange nicht vorbei. :)
Das habe ich schon verstanden. So gut wie jede Rollenspielkampagne kann unendlich betrieben werden. Und eine Kettengeschichte kann unendlich lang erzählt werden. Und eine Improtheatersession kann unendlich lange gespielt werden. Nach dieser Definition sind Rollenspiel, Kettengeschichte und Improtheater also wesensverwandt. Und aus D&D haben sich durch Ergänzungen wahnsinnig vieler diverser und interessanter Spielpraktiken ganz neue und einzigartige Rollenspiele entwickelt.

Zitat
Ich bin auch nicht sicher, ob Vergleiche mit Computer-Spielen so viel helfen, weil die strukturellen Unterschiede GIGANTISCH sind.
Die Unterschiede zwischen einem sehr gamistischen D&D-Dungeon-Crawl und einem Dungeon-Crawl-Computerspiel sind tatsächlich eher gering. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die größere Entscheidungsfreiheit, die ein Videospiel nicht abbilden kann und die Art des Inputs (Sprache und Würfel statt Controller). Viele D&D-Runden haben mit Minis und Battlemap sogar eine grafische Oberfläche.
 
Videospiele als solche nahmen zum großen Teil als Computerdestillate von D&D ihren Anfang.

Zitat
...wenn das die Botschaft ist, dann würde ich ergänzen: Roleplaying games stehen in einem Kontinuum! Andere "RPGS" sind bestimmt auch toll, aber vermeintlich "andere" Spiele stehen im Zusammenhang mit eurem Rollozock!
Willst du sagen, Charlie spielt keine Rollenspiele, wenn er nicht D&D spielt? Oder verstehe ich das miss?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 09:59
Das habe ich schon verstanden. So gut wie jede Rollenspielkampagne kann unendlich betrieben werden. Und eine Kettengeschichte kann unendlich lang erzählt werden. Und eine Improtheatersession kann unendlich lange gespielt werden. Nach dieser Definition sind Rollenspiel, Kettengeschichte und Improtheater also wesensverwandt.

Ja, genau, sind sie!



Zitat
Die Unterschiede zwischen einem sehr gamistischen D&D-Dungeon-Crawl und einem Dungeon-Crawl-Computerspiel sind tatsächlich eher gering. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die größere Entscheidungsfreiheit, die ein Videospiel nicht abbilden kann und die Art des Inputs (Sprache und Würfel statt Controller). Viele D&D-Runden haben mit Minis und Battlemap sogar eine grafische Oberfläche.

Was ist denn ein "sehr gamistischer D&D-Dungeon-Crawl" und wie messe ich das eigentlich zuverlässig? ;)
Ne, Spaß bei Seite. Ich teile deine Einschätzung nicht, dass die Unterschiede "eher gering" seien. Die Freiheitsgrade im RPG im Vergleich zum Computer-RPG sind DAS Killer-Feature. CRPG sind qua definitionem Schwundform. :)
 
Zitat
Willst du sagen, Charlie spielt keine Rollenspiele, wenn er nicht D&D spielt? Oder verstehe ich das miss?

Nein, ich möchte sagen: Charlie, öffne deine Scheuklappen! Spiel doch mal eine Partie Dune! Oder spiel bei einem Briefspiel mit! Oder wie wäre es mit einer Runde "Stalingrad"? Und wie geil wäre es eigentlich, wenn das alles als Teil deiner Rollozock-Kampagne stattfindet?!
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 10:06
...wenn das die Botschaft ist, dann würde ich ergänzen: Roleplaying games stehen in einem Kontinuum! Andere "RPGS" sind bestimmt auch toll, aber vermeintlich "andere" Spiele stehen im Zusammenhang mit eurem Rollozock!
... und wenn man das weiter denkt, dann steht Euer Rollozock direkt in Zusammenhang mit Lego, Playmobil und/oder Märklin/Fischertechnik.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 10:14
... und wenn man das weiter denkt, dann steht Euer Rollozock direkt in Zusammenhang mit Lego, Playmobil und/oder Märklin/Fischertechnik.

GENAU!

Edit: Ich würde auch sagen, es ist unser aller Rollozock. ;)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 8.09.2020 | 10:17
... und wenn man das weiter denkt, dann steht Euer Rollozock direkt in Zusammenhang mit Lego, Playmobil und/oder Märklin/Fischertechnik.

Definitiv mit Playmobil. Mit den Figürchen haben nämlich zumindest einige von uns schon fleißig "rollengespielt", bevor sie mit dem formalen Hobby Rollenspiel auch nur ansatzweise in Berührung gekommen sind...und man stelle sich vor, das ging sogar völlig ohne Battlemap! ;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 10:23
Definitiv mit Playmobil. Mit den Figürchen haben nämlich zumindest einige von uns schon fleißig "rollengespielt", bevor sie mit dem formalen Hobby Rollenspiel auch nur ansatzweise in Berührung gekommen sind...und man stelle sich vor, das ging sogar völlig ohne Battlemap! ;D
Meine Freundin sagt, dass Du bei Puppenhäuser sogar ne 3D-Battlemap hattest. ;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 10:23
Definitiv mit Playmobil. Mit den Figürchen haben nämlich zumindest einige von uns schon fleißig "rollengespielt", bevor sie mit dem formalen Hobby Rollenspiel auch nur ansatzweise in Berührung gekommen sind...und man stelle sich vor, das ging sogar völlig ohne Battlemap! ;D

Wobei das einzelne (Methode Rollenspiel) nicht mit dem Ganzen (Roleplaying Games) geich zu setzen ist. :)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 10:31
Wobei das einzelne (Methode Rollenspiel) nicht mit dem Ganzen (Roleplaying Games) geich zu setzen ist. :)
In diesem Zusammenhang [EDIT]schon sind die Beispiele schon sehr nahe am Ganzen. Der Unterschied zwischen den Beiden ist, dass die Limitierungen im Rollenspiel Zahlenmechaniken sind, während sie Du bei Lego und Playmobil physische "Mechaniken" hast. Du musst halt das verwenden, was da ist, um zu spielen. Deshalb habe ich viele Abenteuer mit meinen 2 Cowboybrüdern und der Motorradschwester gegen die 5. Kavallerie und den NASA-Leuten erlebt.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 10:35
In diesem Zusammenhang schon. Der Unterschied zwischen den Beiden ist, dass die Limitierungen im Rollenspiel Zahlenmechaniken sind, während sie Du bei Lego und Playmobil physische "Mechaniken" hast. Du musst halt das verwenden, was da ist, um zu spielen. Deshalb habe ich viele Abenteuer mit meinen 2 Cowboybrüdern und der Motorradschwester gegen die 5. Kavallerie und den NASA-Leuten erlebt.

"In diesem Zusammenhang schon" heißt doch nur, es ist nicht immer gleich, also genau, was ich geschrieben habe. Natürlich gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten.
Bei der konkreten Gemeinsamkeit, die du benennst, kann ich dir nicht ganz folgen. Wie sind denn RPGs durch Zahlenmechaniken begrenzt? Und wieso ist mein Spiel mit dem PlayMo "mechanisch" begrenzt? Ich kann mir doch einfach vorstellen, meine Cowboy-Figur verschießt Laser aus ihren Augen. Oder dass die Polizisten-Figur stellvertretend für Taylor Swift ist. Oder meinst du mit mechanisch etwas anderes?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 10:46
"In diesem Zusammenhang schon" heißt doch nur, es ist nicht immer gleich, also genau, was ich geschrieben habe. Natürlich gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten.
Deswegen habe ich geninjaedit. ;)
Zitat
Bei der konkreten Gemeinsamkeit, die du benennst, kann ich dir nicht ganz folgen. Wie sind denn RPGs durch Zahlenmechaniken begrenzt?
Spiel mal einen Kämpfer der so stark ist wie ein ausgewachsener goldener Drache als Erststufencharakter als Spieler in OD&D. :)
Ach was. Spiel doch einfach einen erwachsenen goldenen Drachen als Erststufencharakter.
Musst Du erst das Regelsystem anpassen.
Zitat

Und wieso ist mein Spiel mit dem PlayMo "mechanisch" begrenzt? Ich kann mir doch einfach vorstellen, meine Cowboy-Figur verschießt Laser aus ihren Augen.
Wird halt schwierig, wenn der Cowboy eigentlich ein Drache sein sollte.
Kann man machen, muss man halt die Figur anpassen... oder einen Drachen von den Eltern wünschen.
Das meinte ich mit physischen "Mechaniken"
(Bei Lego kommt da noch dazu, dass man seine Steine kreativ einsetzen muss, um damit das gewollte Ergebnis zu erhalten. Ich bekomme gerade mit wie kreativ da z.B. Pistolen und Skistöcke u.Ä. eingesetzt werden... Wow!)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 10:55
Deswegen habe ich geninjaedit. ;)


Fair enough. War auch etwas kleingeistig von mir, bin ich aber drüber gestolpert. :)


Zitat
Spiel mal einen Kämpfer der so stark ist wie ein ausgewachsener goldener Drache als Erststufencharakter als Spieler in OD&D. :)
Ach was. Spiel doch einfach einen erwachsenen goldenen Drachen als Erststufencharakter.
Musst Du erst das Regelsystem anpassen.

Was muss ich da groß anpassen? Gibt ja Werte für Drachen. Spielt sich dann halt anders bzw. ist dann ein Teil der Welt, den ich vielleicht anders modelliere, obwohl ich das ja nicht mal muss. Hat der Fighter halt Stärke drölfzig. Ich kann dann ja entsprechende to-hit Boni extrapolieren.

Zitat
Wird halt schwierig, wenn der Cowboy eigentlich ein Drache sein sollte.
Kann man machen, muss man halt die Figur anpassen... oder einen Drachen von den Eltern wünschen.
Das meinte ich mit physischen "Mechaniken"
(Bei Lego kommt da noch dazu, dass man seine Steine kreativ einsetzen muss, um damit das gewollte Ergebnis zu erhalten. Ich bekomme gerade mit wie kreativ da z.B. Pistolen und Skistöcke u.Ä. eingesetzt werden... Wow!)

Das verstehe ich halt gar nicht. Die Cowboy-Figur kann im Spiel NATÜRLICH ein Drache sein.

Edit: Ein Wort-Fragment gelöscht.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 11:01
Was muss ich da groß anpassen? Gibt ja Werte für Drachen. Spielt sich dann halt anders bzw. ist dann ein Teil der Welt, den ich vielleicht anders modelliere, obwohl ich das ja nicht mal muss. Hat der Fighter halt Stärke drölfzig. Ich weiß kann dann ja entsprechende to-hit Boni extrapolieren.
Muss der Rest der Gruppe halt mit einverstanden sein, dass der Charakter massiv stärker ist, als die Regeln es eigentlich hergeben. Und Du musst das Regelsystem anpassen. :)
Zitat
Das verstehe ich halt gar nicht. Die Cowboy-Figur kann im Spiel NATÜRLICH ein Drache sein.
Auch hier wieder. Natürlich kann das ein Drache sein. Muss die Person, die damit spielt halt einverstanden sein. Und ihr muss es egal sein, was sie da gerade in der Hand hat. (A ka. das "Regelsystem" anpassen) Für mich als Kind waren das natürlich ein Cowboy gewesen und kein Drache. Weil der sieht anders aus und ist größer. Allerdings hatte ich keine Probleme damit, dass Motorradgirl die Schwester von dem Cowboy war. Und natürlich waren die 5. Kavallerie mit ihrem Fort die Bösen. (EDIT: Quasi kreativer Einsatz der physischen "Mechaniken")
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 11:05
Muss der Rest der Gruppe halt mit einverstanden sein, dass der Charakter massiv stärker ist, als die Regeln es eigentlich hergeben. Und Du musst das Regelsystem anpassen. :)Auch hier wieder. Natürlich kann das ein Drache sein. Muss die Person, die damit spielt halt einverstanden sein. Und ihr muss es egal sein, was sie da gerade in der Hand hat. (A ka. das "Regelsystem" anpassen) Für mich als Kind waren das natürlich ein Cowboy gewesen und kein Drache. Weil der sieht anders aus und ist größer. Allerdings hatte ich keine Probleme damit, dass Motorradgirl die Schwester von dem Cowboy war. Und natürlich waren die 5. Kavallerie mit ihrem Fort die Bösen. (EDIT: Quasi kreativer Einsatz der physischen "Mechaniken")

Deswegen sage ich ja: Das sind keine strukturellen Beschränkungen des Spiels (belegt am konkreten Beispiel meiner Spielpraxis), sondern anscheinend der Spielenden. Auch wieder ein Beispiel übrigens dafür, dass in Nicht-Verschriftlichten Bereichen komplexe Spielpraktiken entstehen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Jiba am 8.09.2020 | 13:23
Aber ist eine Regel nicht auch immer eine strukturelle Beschränkung. Oder, anders herum gefragt: Wenn Regeln so verstanden werden, dass sie nicht einschränken, warum spielt man dann nicht gleich Freeform?
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 13:31
Aber ist eine Regel nicht auch immer eine strukturelle Beschränkung. Oder, anders herum gefragt: Wenn Regeln so verstanden werden, dass sie nicht einschränken, warum spielt man dann nicht gleich Freeform?

Ich verstehe das, was du "Regel" nennst auch eher als Modellierungshilfe. Sie helfen allen Beteiligten einen gemeinsamen Vorstellungsraum zu schaffen, der Plausibilitätsabschätzungen und Probablititätseinschätzungen erlaubt. Meine Idealvorstellung einer D&D-Kampagne ist wie oben ja angedeutet eine Art "Braunstein a la Conan". Das funktioniert besser, wenn die Mitspieler mehr als 1. Person Singular haben wollen.

Edit: Die strukturellen Grenzen sind die, des menschlichen Verstandes und der Kommunizierbarkeit von Ideen. Mal ins unreine gesprochen.
Edit 2: Strukturelle Voraussetzungen für meine präferierte Art von Spiel sind u.a. vermutlich Informations-Assymmetrie, eine gewisse Informations-Stabilität und Kausalität.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 13:57
Deswegen sage ich ja: Das sind keine strukturellen Beschränkungen des Spiels (belegt am konkreten Beispiel meiner Spielpraxis), sondern anscheinend der Spielenden. Auch wieder ein Beispiel übrigens dafür, dass in Nicht-Verschriftlichten Bereichen komplexe Spielpraktiken entstehen.
Wenn Du damit sagen willst, dass es möglich ist diese Mechanik-Limitierungen zu ändern, dann ja. Ist ja Dein Spiel. Geht übrigens auch bei anderen Brettspielen. Auch und gerade bei alten Brettspielen. Siehe dazu die ganzen Sonderregeln, die sich bei Doppelkopf, bei Skat oder bei Monopoly gebildet haben. (Übrigens reden wir hier voll von den verschriftlichen Bereichen. Stärkelimitierungen sind voll verschriftlich im Regelwerk!)
Das ist kein Abgrenzungsmerkmal von Rolenspielen (oder Rollozock, wie Du es nennst).
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 14:17
Wenn Du damit sagen willst, dass es möglich ist diese Mechanik-Limitierungen zu ändern, dann ja. Ist ja Dein Spiel. Geht übrigens auch bei anderen Brettspielen. Auch und gerade bei alten Brettspielen. Siehe dazu die ganzen Sonderregeln, die sich bei Doppelkopf, bei Skat oder bei Monopoly gebildet haben. (Übrigens reden wir hier voll von den verschriftlichen Bereichen. Stärkelimitierungen sind voll verschriftlich im Regelwerk!)
Das ist kein Abgrenzungsmerkmal von Rolenspielen (oder Rollozock, wie Du es nennst).

Kurzer Einschub: Ich versuche zu unterscheiden zwischen "Methode Rollenspiel", Roleplaying Games und Rollozock als Beschreibung einer emergenten Spielpraxis, die u.a. die Methode Rollenspiel und Roleplaying Games und war games und alle möglichen anderen "Brillen" benutzt, um Abenteuer in einer Welt im Rahmen einer Kampagne zu erspielen. Ich versuche vermutlich etwas ähnliches zum Ausdruck zu bringen, was Settembrini schlauer hier gesagt hat: https://hofrat.rsp-blogs.de/2019/08/01/spielkunsthandwerk-preussisches/

AD&D hat keine "Limitierung durch Mechanik": Das ist doch der Witz an freien-Kriegsspiel-artigen. Das sind Heuristiken, die es dem DM erlauben Abenteuer in der Welt von Conan mit wenigen Prozeduren die Welt aus verschiedenen Perspektiven bespielbar und erlebbar zu machen. Für die meisten Aspekte reichen mir die Prozeduren von AD&D, für andere Aspekte bediene ich mich dann halt bei Dune, Diplomacy, Chainmail etc etc.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 14:28
Kurzer Einschub: Ich versuche zu unterscheiden zwischen "Methode Rollenspiel", Roleplaying Games und Rollozock als Beschreibung einer emergenten Spielpraxis, die u.a. die Methode Rollenspiel und Roleplaying Games und war games und alle möglichen anderen "Brillen" benutzt, um Abenteuer in einer Welt im Rahmen einer Kampagne zu erspielen. Ich versuche vermutlich etwas ähnliches zum Ausdruck zu bringen, was Settembrini schlauer hier gesagt hat: https://hofrat.rsp-blogs.de/2019/08/01/spielkunsthandwerk-preussisches/
Ich meine ich bin da Blaugurt.
Zitat
AD&D hat keine "Limitierung durch Mechanik": Das ist doch der Witz an freien-Kriegsspiel-artigen. Das sind Heuristiken, die es dem DM erlauben Abenteuer in der Welt von Conan mit wenigen Prozeduren die Welt aus verschiedenen Perspektiven bespielbar und erlebbar zu machen. Für die meisten Aspekte reichen mir die Prozeduren von AD&D, für andere Aspekte bediene ich mich dann halt bei Dune, Diplomacy, Chainmail etc etc.
Ich formuliere mal um, weil das mit der "Limitierung" hatten wir hier ja schon:
Bei Rollenspielen ist es Feature ein nicht vollständig definiertes Regelwerk zu haben.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 14:31
Bei Rollenspielen ist es Feature ein nicht vollständig definiertes Regelwerk zu haben.

Kann sein. Ich vermute, du meinst Regeln eher wie in "Spielregeln" und ich meine Regeln eher wie "Interaktionsstrukturen".

Edit: Das ist etwas zu verkürzt. Vielleicht etwas länger: Roleplaying Games sind Interaktionsstrukturen in Richtung Rollozock. :)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 8.09.2020 | 14:49
Edit: Das ist etwas zu verkürzt. Vielleicht etwas länger: Roleplaying Games sind Interaktionsstrukturen in Richtung Rollozock. :)
Das ist eine Art des Roleplaying Games. Interaktionsstrukturen in Roleplaying Games können durchaus von Rollozocks weg führen. :)
EDIT: Und da kommen wir dann uA wieder zu Charlie zurück.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 8.09.2020 | 14:59
Das ist eine Art des Roleplaying Games. Interaktionsstrukturen in Roleplaying Games können durchaus von Rollozocks weg führen. :)
EDIT: Und da kommen wir dann uA wieder zu Charlie zurück.

Ja, können sie. Meistens sind das Verengungen oder wohlwollender: "Schlaglichter". Von Skat bis FATE kann alles Teil des Rollozocks sein. Edit: Sie zeigen nur weg, wenn sie der einzige Zugang zum Spiel bleiben.
Rollozock ist das Ablegen jener Scheuklappen, die den Blick auf die vielen anderen miteinander-verwobenen Spielpraktiken und -strukturen verwehren. Guckt euch nicht nur andere Roleplaying Games an, schaut euch andere Spiele an! Bzw. Spielepraktiken.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lord Verminaard am 9.09.2020 | 09:16
Ich finde die Anekdote gut, aber ich würde nicht sagen, dass es dabei um Scheuklappen geht. Sondern es geht um einen Heureka-Moment. Charlie steht sinnbildlich für alle D&D-Spieler, die irgendwann entdeckten, wie weitreichend die Möglichkeiten der Methode Rollenspiel wirklich sind. Und sie zeigt, warum es für Charlie und ihresgleichen wichtig war, sich von D&D zu emanzipieren. Ein Stück weit hat sich das heutige D&D ja sogar von sich selbst emanzipiert.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: YY am 9.09.2020 | 18:35
Und sie zeigt, warum es für Charlie und ihresgleichen wichtig war, sich von D&D zu emanzipieren. Ein Stück weit hat sich das heutige D&D ja sogar von sich selbst emanzipiert.

Ich hätte eher gesagt: Es ist wichtig (oder eher erhellend), sich von festgefahrenen Spielweisen und -perspektiven zu emanzipieren. Das kann man allerdings auch innerhalb von D&D tun* und obendrauf war diese Spielweise früher™ nicht so festgelegt wie, sagen wir, ab D&D 3.
(Auch in Richtung Lichtbringer:)
Das hatte nicht nur mit der damaligen Spielerschaft zu tun, sondern mit der ganzen Art, wie einem das Spiel von Hersteller und bestehender Spielerschaft präsentiert wurde und wie der sonstige Hobbyrahmen aussah. Heute ist da bei D&D gefühlt deutlich mehr Berieselung angesagt als Selbermachen.


*schließlich muss man nicht alles verregeln oder im Extremfall zum Regelfokus bzw. einzigen Regelbestandteil machen - da geht so manches, was man heute reflexartig als Indie-Spiel umsetzen "müsste", auch mit D&D oder anderen konventionellen Systemen.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 9.09.2020 | 19:18
Ich finde die Anekdote gut, aber ich würde nicht sagen, dass es dabei um Scheuklappen geht. Sondern es geht um einen Heureka-Moment. Charlie steht sinnbildlich für alle D&D-Spieler, die irgendwann entdeckten, wie weitreichend die Möglichkeiten der Methode Rollenspiel wirklich sind. Und sie zeigt, warum es für Charlie und ihresgleichen wichtig war, sich von D&D zu emanzipieren. Ein Stück weit hat sich das heutige D&D ja sogar von sich selbst emanzipiert.

+1

Ungefähr so war das gemeint. Charlie hat die Scheuklappen eben nicht, sondern Alice und Bob. (Charlie im Film hat ja auch keine Schokolade.)


@YY: Themenfremder Auszug aus der D&D-Historie
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 9.09.2020 | 19:58
@YY: Themenfremder Auszug aus der D&D-Historie
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Das ist leider falsch. Siehe Jon Peterson, Playing at the World. Das sage ich ja auch die ganze Zeit: die Szene, die auf einmal mit D&D konfrontiert war, wusste oft, wie sie mit dem vermeintlichen Fehlen von Prozeduren und Modellen umzugehen haben. :)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 9.09.2020 | 20:13
Ich kenne das Buch und frage mich, inwiefern das meiner Aussage widersprechen mag.

Ich sage: "Das Regelwerk hatte Lücken unter anderem, weil es unvollständig war. Die Gemeinschaft füllte es mit eigenem Zeug."

Du sagst: "Die Gemeinschaft wusste, wie dieses eigene Zeug in etwa aussehen sollte."

Die beiden Aussagen widersprechen sich doch gar nicht...  wtf?

(Ob das so richtig ist, ist eine andere Frage. Die bereits organisierten Kosim-Spieler hinterließen naturgemäß mehr Quellen als Leute, die außerhalb dieser Szene standen und mit D&D anfingen.)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: YY am 10.09.2020 | 00:05
Es war nur vorgesehen, man solle sein eigenes Verlies bauen. Rollenspiel, wie wir es uns vorstellen, wurde nicht von Gygax und Arneson erfunden, sondern von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D.

Das war vielleicht ganz am Anfang so vorgesehen, aber gemacht wurde schnell wesentlich mehr - sowohl von TSR als auch von den Spielern in Eigenregie.
Und man war ziemlich früh in ähnliche Richtungen unterwegs wie im Eingangspost angedacht; da war Classic Traveller quasi der (teils unbemerkte ;)) Urknall.
Die Traveller-Beitragsreihe auf Tales to Astound! (https://talestoastound.wordpress.com/tag/traveller-out-of-the-box/) fand ich in dem Kontext ziemlich erhellend.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 10.09.2020 | 06:23
Das war vielleicht ganz am Anfang so vorgesehen, aber gemacht wurde schnell wesentlich mehr - sowohl von TSR als auch von den Spielern in Eigenregie.
Und man war ziemlich früh in ähnliche Richtungen unterwegs wie im Eingangspost angedacht; da war Classic Traveller quasi der (teils unbemerkte ;)) Urknall.
Die Traveller-Beitragsreihe auf Tales to Astound! (https://talestoastound.wordpress.com/tag/traveller-out-of-the-box/) fand ich in dem Kontext ziemlich erhellend.
Traveller fällt im besten Fall unter "von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D"
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ghoul am 10.09.2020 | 07:45
Tatsächlich war dafür der Rahmen, in welchem man selbst etwas schuf, viel kleiner. Es war nur vorgesehen, man solle sein eigenes Verlies bauen. Rollenspiel, wie wir es uns vorstellen, wurde nicht von Gygax und Arneson erfunden, sondern von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D.
Diese These kann ich nicht nachvollziehen. Ahistorik als Provokation?
Die White-Box-Buecher enthalten Regeln, um Landschaft zu befüllen, sie enthalten Regeln für Seeschlachten. Festungsbau ist auch noch drin. Das ist mehr, als manch modernes RSP liefert.
"Nur ein Verlies" (auch das wäre alleine schon gewaltig) ist definitiv falsch.
Die Titanen unseres Hobbys derart kleinzureden ist schon sehr krampfhaft.
Vermutlich willst du auf Immersion und Charakterspiel hinaus? Als ob man den Spieler sagen müsste, dass sie denken und fühlen sollen! :o
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lord Verminaard am 10.09.2020 | 08:05
Traveller und Runequest, nä? Wo hab ich das schon mal gehört? ;)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 10.09.2020 | 09:21
Tatsächlich war dafür der Rahmen, in welchem man selbst etwas schuf, viel kleiner. Es war nur vorgesehen, man solle sein eigenes Verlies bauen. Rollenspiel, wie wir es uns vorstellen, wurde nicht von Gygax und Arneson erfunden, sondern von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D. Unter anderem, weil man die Lücken füllen wollte, die das Fehlen von Chainmail hinterließ. Die allermeisten Spieler hatten nämlich D&D, aber kein Chainmail, und somit ein unvollständiges Regelwerk.

Zitat von: Lichtbringer
Ich sage: "Das Regelwerk hatte Lücken unter anderem, weil es unvollständig war. Die Gemeinschaft füllte es mit eigenem Zeug."

Dem werten Leser fällt auf, diese Aussagen sind bei weitem nicht deckungsgleich. :) Und viele deiner Aussagen bedürften eines Beleges.

Z.B.: "Die allermeisten Spieler hatten nämlich D&D, aber kein Chainmail, und somit ein unvollständiges Regelwerk."
Ist D&D hier gleichbedeutend mit den 3 LBBs? Selbst wenn wir uns das Auszählen sparen, werden wir feststellen, dass zumindest jene Spieler, die wargame-Erfahrung mitbrachten, gar kein Chainmail BRAUCHTEN.

Zitat
(Ob das so richtig ist, ist eine andere Frage. Die bereits organisierten Kosim-Spieler hinterließen naturgemäß mehr Quellen als Leute, die außerhalb dieser Szene standen und mit D&D anfingen.)

Dem gegenüber haben wir ja auch jede Menge Dokumentation von Nicht-Wargamern (z.B. aus APAs). Aber ja, unsere Quellen sind dahingehend begrenzt. Wird aber auch von Peterson selbst besprochen. Der Vorteil an historischen Quellen: Wir können uns zu ihnen verhalten, über sie sprechen, über sie nachdenken. Über die Spielerfahrungen jener, die nicht darüber geschrieben haben, können wir natürlich nur spekulieren.

Dieser Teil demonstriert gut, dass du vielleicht deine Scheuklappen in Bezug auf RPGs und Rollozock noch ablegen kannst (wir ignorieren den Pleonasmus):

"Das Regelwerk hatte Lücken unter anderem, weil es unvollständig war."

Das ist keine falsche Aussage insofern wir sie z.B. ausschließlich auf die 3 LBBs beziehen. Die Frage ist, woran lag das? Peterson gibt die Antwort (welche mir sehr plausibel scheint): Weil Gygax u.a. davon ausgegangen ist, dass die Spielerschaft D&D in den Kontext ihrer anderen Spielpraktiken einordnet (Diplomacy, Braunstein etc.). Das Regelwerk mag aus jener Perspektive als "unvollständig" gelten, hatte aber auch nie den Anspruch, "vollständig" zu sein und z.B. Diplomacy-artige Spiele auf strategischer Ebene zu ersetzen. (Die ontologische Frage nach einem vollständigen Text zu einem nahzu unbegrenztem Spiel sei an schlauere Leut als mich gestellt.)

Die Unterscheidung zwischen Methode Rollenspiel, Roleplaying game und Rollozock (als Beschreibung für die emergente Praxis) helfen. Die Transformation von RPG zu Rollozock beinhaltet eben noch viel mehr als nur, was im RPG steht. Generell sind RPGs nur ein Baustein in der reichhaltigen Praxis des Rollozocks. :)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: unicum am 10.09.2020 | 10:09
Rollenspiel, wie wir es uns vorstellen, wurde nicht von Gygax und Arneson erfunden, sondern von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D. Unter anderem, weil man die Lücken füllen wollte, die das Fehlen von Chainmail hinterließ. Die allermeisten Spieler hatten nämlich D&D, aber kein Chainmail, und somit ein unvollständiges Regelwerk.[/spoiler]

Ach ich würde sogar sagen das Rollenspiel gab es schon vor Gygax. Wenn du schon Chainmail schreibst so gibt es davor noch andere Cosims/Tabeltops. Von der anderen Seite gab es das freie Fantasyspiel auch schon länger, improvisationstheater etwa ist auch eine Form des Rollenspieles - sogar ziemlich ohne Regeln. Zugestanden das geht schon in richtung Live Rollenspiel. Wenn man sich noch etwas weiter weg bewegt hat auch das Spielen von Kindern etwa mit Puppen durchaus etwas von Rollenspiel (nur der Characterbogen und die Würfel fehlen,... und die "Zinnfigur" ist eben recht groß). Cowboy und Indianer spielen war auch schon immer irgendwie etwas von Rollenspielen drin.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Settembrini am 10.09.2020 | 10:36
Was Lichtbringer sagt, ist sachlich falsch.
Jeder, der ein Video gucken kann, könnte das auch wissen. Lesen geht auch.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ghoul am 10.09.2020 | 10:38
Unicum glaubt sicher auch, dass es das Automobil bereits gab, als der erste Australopithecus einen scheibenfoermigen Stein den Berg hinabrollte.
 ;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Jiba am 10.09.2020 | 11:04
Kein Grund für Moquerie, Ghoul. Unicum hat Recht. Improvisationstheater ist ein unauflöslicher Teil der Methode Rollenspiel. Ohne die Verkörperung des Charakters, das Ausfüllen der Rolle, ist es kein Rollenspiel. Also ist die Beobachtung, dass rollenspielartige Spiele auch vor Gygax schon gespielt worden sind, vollkommen zutreffend.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 10.09.2020 | 11:10
Kein Grund für Moquerie, Ghoul. Unicum hat Recht. Improvisationstheater ist ein unauflöslicher Teil der Methode Rollenspiel. Ohne die Verkörperung des Charakters, das Ausfüllen der Rolle, ist es kein Rollenspiel. Also ist die Beobachtung, dass rollenspielartige Spiele auch vor Gygax schon gespielt worden sind, vollkommen zutreffend.

Einer der vielen Gründe, weshalb ich versuche entsprechend zu differenzieren. D&D hat natürlich Ähnlichkeiten mit "Let's pretend!" wie in Kindestuben praktiziert, nämlich insofern sie sich der Methode Rollenspiel bedienen und sich durch "the immersive voice" artikulieren. So sind z.B. auch Ausschreibungen in alten wargames zines, die aus Perspektive des fiktiven Heerführers geschrieben wurden, "roleplaying". Das reicht allerdings nicht aus, um zu beschreiben, was Rollozock (also die Praxis am Tisch) ausmacht. Deswegen spricht der Angelsache ja irgendwann vom "roleplaying games".

Edit: Ich kann mich nicht erinnern, dass hier oder anders Leute behaupten würden, Gary und Dave hätten die Methode Rollenspiel erfunden.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: ghoul am 10.09.2020 | 11:10
Lichtbringer so: "Rollenspiel wurde eigentlich erst nach Gygax und Arneson erfunden".

Unicum so: "Rollenspiel wurde eigentlich lange vor Gygax und Arneson erfunden".

PESA so: "Abenteuerrollenspiel (ARS) wurde durch Gygax und Arneson erfunden. Was ihr spielt, baut darauf auf, benutzt gygaxsche Bausteine, wenn auch oft in einer Schwundform".
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: nobody@home am 10.09.2020 | 13:40
Lichtbringer so: "Rollenspiel wurde eigentlich erst nach Gygax und Arneson erfunden".

Unicum so: "Rollenspiel wurde eigentlich lange vor Gygax und Arneson erfunden".

PESA so: "Abenteuerrollenspiel (ARS) wurde durch Gygax und Arneson erfunden. Was ihr spielt, baut darauf auf, benutzt gygaxsche Bausteine, wenn auch oft in einer Schwundform".

Asmodis so: "Mit Schwund muß man rechnen." >;D
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Settembrini am 10.09.2020 | 18:25
Die Methode Rollenspiel mit Spielleiter hat Dave Wesely, wenn nicht erfunden (ich würde sagen, ja, erfunden), dann für das Abenteuerspielhobby entdeckt. Das ist aber auch schon seit Jahrzehnten bekannt.

Methode Rollenspiel......Dave Wesely
Dungeons.............. Dave Arneson
Building Blocks........Gary Gygax
Interaction Structure.....Gary Gygax

Ist ja alles kein Geheimnis.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: YY am 10.09.2020 | 19:22
Traveller fällt im besten Fall unter "von der Gemeinschaft in Reaktion auf D&D"

Ja, aber nicht unbedingt als Gegenentwurf, sondern eher positiv als "Lass uns doch mal schauen, was man damit sonst noch so machen kann".

Die Einengung der Frühphase des Rollenspiels auf die (Proto-)Rollenspieler um Wesely, Arneson und Gygax kam ja nicht von mir - ein paar Jahre darf man dem Ding zur Selbstfindung schon zugestehen und da behaupte ich:
In Traveller war damals schon enorm viel angelegt, was man Jahrzehnte später als tolle neue Erkenntnis verkauft hat.

Und Traveller hat das auch nicht explizit angestoßen, sondern "nur" ein breiter aufgestelltes, weniger fokussiertes Spielangebot gemacht.
Wenn das jemandem geholfen hat, seine Perspektive zu erweitern, ist das natürlich erst mal eine gute Sache. Aber im nächsten Schritt merkt man auch, dass diese Perspektive mit Spielmechanik gar nicht mal so viel zu tun hat und man das meiste auch direkt in D&D hätte umsetzen können.
Wie groß der Anteil der Spieler war, die aus reiner Eigeninitiative früh am Spielrahmen von D&D gerüttelt oder ihn verlassen haben, wäre zwar interessant, wird sich aber nicht mehr nachvollziehen lassen.


Ohne die Verkörperung des Charakters, das Ausfüllen der Rolle, ist es kein Rollenspiel. Also ist die Beobachtung, dass rollenspielartige Spiele auch vor Gygax schon gespielt worden sind, vollkommen zutreffend.

(Aus dem philosophischen Standardrepertoire:)
Das ist notwendig, aber nicht hinreichend ;)

Alle Elemente gab es vorher. Die spezifische Kombination, an die wir dann das Label Rollenspiel drankleben, gab es vorher so nicht.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: 6 am 10.09.2020 | 19:36
Ja, aber nicht unbedingt als Gegenentwurf, sondern eher positiv als "Lass uns doch mal schauen, was man damit sonst noch so machen kann".
Genau das heisst ja "in Reaktion". Von Gegenentwurf sehe ich da erstmal nichts. Auch nicht bei Lichtbringers Aussage bei seinem Posting.
Zitat
Die Einengung der Frühphase des Rollenspiels auf die (Proto-)Rollenspieler um Wesely, Arneson und Gygax kam ja nicht von mir
Aber genau diese Einengung war ja die Grundannahme. TSR hat D&D gemacht und die Spielergemeinschaft hat dann darauf reagiert. Dadurch entwickelte sich dann z.B. sowas wie Traveller (weil Marc Miller evtl D&D gesehen hat und dann in Reaktion was Eigenes schaffen wollte)
Zitat
- ein paar Jahre darf man dem Ding zur Selbstfindung schon zugestehen
Nein. Nicht bei der Grundannahme.

Ich weiss. Du willst an Hand anderer frühere Systeme (die im hier besten Falle in Reaktion auf D&D geschaffen wurden. Im schlechtesten Falle sind es Nebenentwicklungen jenseits von D&D) zeigen, dass auch schon diese anderen Systeme einige vorweg genommen haben, aber gerade die zeigen ja ziemlich deutlich, wie die Reaktion der Spielergemeinschaft war. Wenn Du also davon schwärmst, wie viel in Traveller schon Beachtung gefunden hat, dann unterstützt Du Lichtbringers These, dass der Großteil des Rollenspiels in der Reaktion durch die Spielergemeinschaft entstanden ist.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: YY am 10.09.2020 | 19:54
dann unterstützt Du Lichtbringers These, dass der Großteil des Rollenspiels in der Reaktion durch die Spielergemeinschaft entstanden ist.

Ja, das sehe ich tatsächlich auch so.

Aber wie ich in #69 schon sagte: Systeme, die sich das auf die Fahne schreiben, sind die eine Seite.

Die andere Seite ist wie gesagt der Teil der Spielerschaft, der D&D im Sinne des Eingangsbeitrages anders genutzt hat als es dem Kern des Spielvorschlags entsprach.
Anders als frühe Rollenspiele bleibt das großteils im Dunkelfeld.
Ich kenne solche Spieler, allerdings eben nur einige wenige Beispiele - da kann ich also nicht sagen, wie verbreitet das war.

Für DSA ist das (für mich) schon eher nachvollziehbar; da habe ich von den Anfängen an bis heute immer gesehen, wie anders ein und das selbe Regelwerk wahrgenommen und benutzt wird. Nicht nur im eigenen unmittelbaren Umfeld, sondern auch in anderen Ecken der Szene, zu denen man über verschiedene Wege Kontakt hatte.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 13.09.2020 | 23:23
Nach so langer Zeit, weiß ich nicht so recht, wo ich anfangen soll, insofern nehme ich mal diese Kurzfassung hier:

Methode Rollenspiel......Dave Wesely
Dungeons.............. Dave Arneson
Building Blocks........Gary Gygax
Interaction Structure.....Gary Gygax

Ist ja alles kein Geheimnis.

Dave Wesely war mir durchaus bewusst. Ich denke, hier haben wir ein definitorisches Problem. Wenn wir den Begriff "Rollenspiel" so weit fassen, dass das mit reingeht, dann sind auch Werwölfe und das oben mal angesprochene Monopoly mit Aussspielen Rollenspiele. Man beachte, dass das Rollenspiel bei Braunstein ohne den Spielleiter und dessen Absicht geschah, falls dieser Punkt zu Monopoly noch einmal aufpoppen sollte.
Nur wenn wir das machen, dann werden wir noch viel frühere Spielformen finden, die auch alle als Rollenspiel zählen sollten.


Lichtbringer so: "Rollenspiel wurde eigentlich erst nach Gygax und Arneson erfunden".

Siehe oben: definitorisches Problem. Wenn wir Rollenspiel so definieren, dass D&D das erste war, dann ist es ziemlich klar, dass die Szene D&D anders spielte, als Gygax und Arneson sich das gedacht hatten.
Ich habe dazu übrigens einen ganzen Aufsatz (https://www.ulisses-ebooks.de/product/272444/Handbucher-des-Drachen-II--Essays-2-PDF-als-Download-kaufen&language=de) geschrieben, falls jemanden meine Sicht dazu im Detail interessiert.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 14.09.2020 | 00:19
Nach so langer Zeit, weiß ich nicht so recht, wo ich anfangen soll, insofern nehme ich mal diese Kurzfassung hier:

Dave Wesely war mir durchaus bewusst. Ich denke, hier haben wir ein definitorisches Problem. Wenn wir den Begriff "Rollenspiel" so weit fassen, dass das mit reingeht, dann sind auch Werwölfe und das oben mal angesprochene Monopoly mit Aussspielen Rollenspiele. Man beachte, dass das Rollenspiel bei Braunstein ohne den Spielleiter und dessen Absicht geschah, falls dieser Punkt zu Monopoly noch einmal aufpoppen sollte.
Nur wenn wir das machen, dann werden wir noch viel frühere Spielformen finden, die auch alle als Rollenspiel zählen sollten.


Siehe oben: definitorisches Problem. Wenn wir Rollenspiel so definieren, dass D&D das erste war, dann ist es ziemlich klar, dass die Szene D&D anders spielte, als Gygax und Arneson sich das gedacht hatten.
Ich habe dazu übrigens einen ganzen Aufsatz (https://www.ulisses-ebooks.de/product/272444/Handbucher-des-Drachen-II--Essays-2-PDF-als-Download-kaufen&language=de) geschrieben, falls jemanden meine Sicht dazu im Detail interessiert.

Gibt es eine einsehbare Bibliographie bevor ich die Katze im Sack kaufe? :)
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 20.09.2020 | 21:13
Ich nehme mal an, dass ich kein Urheberrecht verletze, wenn ich nur das Inhaltsverzeichnis kopiere:

Zitat
Vorwort

Inspirationen – oder: I got 99 problems, but a pitch ain’t one von Dominic Hladek

Emotionales Spiel – Trends, Konzepte und Ideen zum Rollenspiel
mit Emotionen von Tina Trillitzsch, Gerrit Reininghaus und Thorsten Panknin

Wie Regeln beim Geschichtenerzählen helfen von Markus Widmer

Alles aus einem Guss – Wie sich Setting und Regeldesign beeinflussen von Thomas Michalski

Hört doch endlich auf, eure Spieler zu bescheißen! von Moritz Mehlem

Ein Werk der Gemeinschaft – Wie hunderte von Leuten das Rollenspiel
erfanden von Lars-Hendrik Schilling

Barbiespiel von Jasmin Neitzel

Von Monsterjägern und Sockenschüssen von Janina Robben

Spielebenen und Spielstile von Jens Ullrich

Crossgender – Verboten, oder doch erlaubt? von Alex Spohr

Kunst und Rollenspiel von Nadine Schäkel und Maik Schmidt

Grusel am Spieltisch von Frank Heller

One Shots – oder: weniger ist mehr von Dominic Hladek

Respekt! von Markus Plötz
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: takti der blonde? am 21.09.2020 | 08:26
Danke für die Inhaltsangabe! Mich hat vor allem interessiert, welche Quellen in deinem Aufsatz (vermutlich "Ein Werk der Gemeinschaft – Wie hunderte von Leuten das Rollenspiel erfanden"?) Verwendung fanden.
Titel: Re: Charlie und die Scheuklappenfabrik
Beitrag von: Lichtbringer am 22.09.2020 | 18:52
Das lässt sich jetzt nicht so leicht kopieren. So ein Medium war das nicht, dass da Quellenangaben nötig waren. Ich sollte aber das wichtigste zusammenkriegen.

Als Primärquelle war es auf jeden Fall das erste D&D. (Für einen Nebenkommentar auch DSA 1, aber das ist von geringer Wichtigkeit.)

Als Sekundärmaterial die klassischen Werke „Playing at the World“ und „Designers & Dragons“. Im Zweifelsfall PatW, weil das deutlich fundierter ist; aber in manchen Fällen hat Designers einfach den breiteren Fokus.
Wo ich die Sachen zu Tracy Hickman herhabe, finde ich jetzt leider nicht mehr. Der ist allerdings bloß ein bekanntes Beispiel zu dem Trend der Einwanderung der Fans in TSR (und andere Verlage).