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Pen & Paper - Spielsysteme => Weitere Pen & Paper Systeme => Thema gestartet von: Malachit am 11.03.2012 | 17:16
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Habe es nur in einem Spielbericht von Timberwere angesprochen gefunden ( http://tanelorn.net/index.php/topic,73559.0.html ) , weiß aber sonst nichts von dem Spiel. Wäre sehr interessant, mehr darüber zu erfahren :) .
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Hm, also da der angesprochene Spielbericht von mir ist und das Spielerlebnis vom Treffen noch ganz frisch, erzähl ich dir doch mal was darüber.
"Love in the Time of Seið" ist ein spielleiterloses Indie-Spiel* von Mathjis Holter (in norwegischen RPG-Kreisen ziemlich bekannter Autor, unter anderem für das "erste echt norwegische RPG", Draug) und Jason "Fiasco" Morningstar.
Das Spiel ist in einem nordischen, wikingerartigen Low-Fantasy-Setting angesiedelt, und es werden immer dieselben 5 Charaktere gespielt:
- die Prinzessin
- die Seiðkona (Zauberin, Seherin)
- der König
- der Ritter
- der Jarl
Dabei sind gewisse Grundkonstellationen, die gleich für Spannung und Konflikte sorgen, von Anfang an vorgegeben.
- die Prinzessin liebt den Ritter, soll aber den Jarl heiraten, der aber viel älter ist als sie und den sie fürchtet. Bei der Seiðkona lernt sie seit einiger Zeit Magie.
- der Ritter ist ein Werwolf, liebt die Seiðkona und ist der Spion des Jarls beim König.
- die Seiðkona hat sowohl den König als auch den Jarl zum Geliebten.
- der König mag den Jarl eigentlich nicht, sieht in der Hochzeit aber die einzige Chance für sein Reich.
- der Jarl sieht in der Prinzessin nur ein Mittel zum Zweck und will generell seine Macht erhöhen.
Auf jeder der Charakterkarten findet man außer einer kurzen Hintergrundbeschreibung auch die Grundeinstellung des Charakters zu den anderen vier Charakteren sowie jeweils drei Fragen, die im Laufe des Spiels teils beantwortet werden, teils im Hintergrund bleiben. Eine Frage für die Prinzessin ist zum Beispiel: "Was willst du vom Leben?", für den Ritter: "Eines der Tiere, die du jagst, ist etwas Besonderes. Warum?" oder "Was schuldest du dem Jarl?"
Außerdem hat jeder Charakter zwei ihn definierende Themen, die Prinzessin z.B. "Rebellion und das Seið", der Jarl "Verrat und das östliche Königreich", der König "Tradition und die Vorfahren", etc.
Das Spiel funktioniert ohne Spielleiter, wie gesagt, das heißt, es geht reihum im Uhrzeigersinn, anfangend bei der Prinzessin. Der jeweilige Spotlight-Spieler bestimmt, wo die Szene sich abspielen soll und wer alles in der Szene ist. Der Spieler zur Linken des Spotlight-Spielers ist der sogenannte "Event Guide", dessen Aufgabe es ist, bestimmte Geschehnisse zu triggern, wenn es in die Szene passt. (Was das für Geschehnisse sind, dazu gleich mehr.) Der Spieler zur Rechten des Spotlight-Spielers ist der sogenannte "Theme Guide", der einmal in der Szene, wenn es gerade passt, eines der Themen des Spotlight-Charakters antriggern darf.
Die Orte, die bespielt werden, existieren als Karten, die in der Mitte des Tisches ausliegen. Es gibt z.B. den Thronsaal, den Garten der Königin, das Liebesnest, das Gästehaus, die Sümpfe, die Unterkünfte der Diener, die Grenzstadt etc.
Wenn ein Ort zum ersten Mal bespielt wird, darf der Spotlight-Spieler, der sich diesen Ort gewählt hat, aussuchen, wie der Ort sein soll. Dabei gibt es auf der Vorderseite der Karte drei Optionen, und die gewählte gilt dann für den Rest des Spiels, weil der Ort sich in-game natürlich nicht mehr verändert.
So kann der Garten der Königin z.B. entweder von Heerscharen von Dienern tadellos gepflegt sein und kein Blatt außer der Reihe liegen, oder der Garten ist überwuchert und von Melancholie durchsät, oder ein exotisches Treibhaus voll seltsamer, fremder, auch giftiger und halluzinogener Pflanzen.
Auf der Rückseite der Ortskarten stehen die bereits kurz erwähnten Ereignisse, über die der "Event Guide" die Macht hat. Wenn ein Ort zum ersten Mal bespielt wird, muss das Ereignis stattfinden, das unter "erster Besuch" verzeichnet steht. Die jeweils anderen vier gelisteten Ereignisse können bei folgenden Besuchen passieren, müssen aber nicht. Das ergibt sich aus dem Spiel, wie es passt.
So ist zum Beispiel das Event beim ersten Bespielen des Gartens: "Erster Besuch: Ein Geist, der irgendwie mit einem der Themen des Charakters zu tun hat, flüstert im Mondlicht ein Geheimnis". Das muss also passieren, während ein späteres "Kann-Event" im Garten z.B. "Jederzeit: Etwas, das eilig im Garten vergraben wurde, kommt durch Zufall zum Vorschein" oder "Jederzeit: Eines der Themen des Charakters wird für immer in dessen Herzen ausgelöscht" sein könnte.
Kommt es im Spiel zu Aktionen, deren Ausgang nicht sicher ist, so wird, statt zu würfeln, eine Entscheidungskarte gezogen.
Diese Entscheidungskarten sind alle so oder ähnlich aufgebaut:
- Ja, und... Dir gelingt das, was du tun wolltest, und du erreichst sogar noch mehr, als du erwartet hattest. Vielleicht (aber das muss nicht sein) ist es sogar etwas zu viel.
- Ja, aber... Dir gelingt das, was du tun wolltest, aber es hat ganz unerwartete Konsequenzen.
- Ja, aber... Dir gelingt das, was du tun wolltest, aber nicht vollständig. Ein kleines Detail klappt nicht nach Plan.
- Ja, aber... Das, was du vorhast, kann gelingen, aber nur, wenn du ein Opfer dafür bringst.
- Ja, aber... Du erkennst, dass du jemandes Hilfe brauchst, um bei dem, was du tun willst, Erfolg zu haben.
- Nein, aber... Das, was du tun wolltest, schlägt fehl. Aber stattdessen geschieht etwas anderes Positives, das nicht direkt mit deinem Plan zu tun hatte.
- Nein, und... Das, was du tun wolltest, schlägt fehl, und es geht zusätzlich noch etwas anderes schief.
Das Spiel endet, wenn zwei Charaktere für sich ein "Ende", gleich welcher Art, erreicht oder alle drei Fragen vom Charakterbogen für sich beantwortet haben. Dann gibt es keine regulären Spielszenen mehr, aber reihum hat jeder Spieler noch das Recht, für seinen Charakter einen Epilog zu erzählen.
Alles in allem greifen die unterschiedlichen Spielelemente perfekt ineinander, zumindest in unserer Runde. Es ergab sich ein wunderbar flüssiges Spiel, wo die Ereignisse, Themen und auch die Entscheidungskarten zu einer großartigen Story führten, wo wirklich alles passte, auch und gerade mit den Aufdeckungen später im Spiel und den Rückinterpretationen und Neu-Definitionen von Dingen, die zuvor nur vage angerissen worden waren.
*a.k.a. "Norwegischer Indie-ScheißTM
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:o :o
Danke für die Beschreibung. Muss ich haben.
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Interessant.
Danke für die Infos.
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Wow, danke für die ausführliche Beschreibung! Das Spiel macht einen interessanten Eindruck.
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Der ausführlichen Beschreibung von Timberwere ist eigentlich fast nichts mehr hinzuzufügen - außer dem Hinweis, dass die Spielmechanik auf "Archipelago II", ebenfalls von Matthijs Holter, beruht. Wer also an der Thematik kein Interesse hat, die Sache mit den Resolution Cards ("Ja, aber..." etc.) aber interessant findet, dem kann ich nur empfehlen, sich "Archipelago II (http://norwegianstyle.files.wordpress.com/2009/07/archipelago_2009.pdf)" mal anzuschauen.
EDIT: Link korrigiert...
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Ehrlich? Allein die Sache mit den Fragen und den vorgefertigten Charakteren lässt mich massiv an "Montsegur 1244" denken... das gucke ich mir mal für mein geplantes 2. Weltkrieg-Warschauer-Ghetto-Story-Game an.
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Naja, Archipelago war glaube ich etwas eher da als Montsegur. :)
das gucke ich mir mal für mein geplantes 2. Weltkrieg-Warschauer-Ghetto-Story-Game an.
Guck dir am besten erstmal Grey Ranks und Last Train out of Warsaw an.
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Na klar. Aber nichtsdestotrotz gibt es prinzipielle Ähnlichkeiten. :)
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Genau dieselben Entscheidungskarten gibt es übrigens auch in Itras By (http://thebookofworlds.blogspot.com/2010/12/review-itras-by.html). Das ist zwar von zwei anderen Norwegern, aber Mathjis Holter hatte auch da seine Finger drin. Alles ein einziger Klüngelverein eben. :)
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... die Sache mit den Fragen und den vorgefertigten Charakteren lässt mich massiv an "Montsegur 1244" denken...
Na, da hören die Ähnlichkeiten dann aber auch schon wieder auf ;) Montségur hat jedenfalls keine Karten für die Resolution, und wenn ich mich recht erinnere, ist das Beantworten der Charakterfragen dort ein "kann", kein "muss".
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Da mich das Spiel spontan auch anspricht, hab ich mal gesucht, wo man es eigentlich bekommt. Scheint nur bei Lulu zu sein...?
http://www.lulu.com/product/ebook/love-in-the-time-of-sei%C3%B0/17479679 (PDF)
http://www.lulu.com/product/paperback/love-in-the-time-of-sei%C3%B0/11175733 (Paperback)
Der RPGGeek verrät einem außerdem, dass bei Story-Games das Spielmaterial zum Download bereit liegt:
http://story-games.com/forums/comments.php?DiscussionID=12667
Dort erfährt man auch, dass die kompletten Einnahmen von den Autoren gespendet werden. :d
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Ich hab das Spiel damals auf der Spielemesse am Indie-Stand gekauft, nachdem ich dem netten Herrn sagte, ich wolle ein Spiel mit wenig Regeln und viel Drama :d
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Jo, ansonsten ist aber Lulu tatsächlich die einzige mir bekannte Bezugsmöglichkeit. Hatte es damals auch dort bestellt.
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Dann muss ich da wohl auch mal hinsurfen. (Oder mal in Norwegen gucken [lassen]...) Denn haben würde ich das ja schon auch gerne wollen, selbst wenn man es eigentlich gar nicht wirklich bräuchte, weil das PDF mit den Spielmaterialien völlig reichen würde theoretisch. Aber das gehört sich nicht. :)
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Ich hab es gestern mit Vergnügen gespielt (beim Göttinger Rollenspieltreffen (http://tanelorn.net/index.php/topic,67672.0.html)). Mir gefällt, wie die Orte bestimmte Motive einbringen und verstärken (auch wenn wir die Events nicht immer gut mit unseren Szenen verbinden konnten - vielleicht eine Übungsfrage). Gespielt haben wir schätzungsweise dreieinhalb Stunden - wenn ich mich recht entsinne, inklusive der Erklärungen vorweg.
Ein Problem des Spiels ist IMHO, dass man fünf Leute braucht (wegen des vorgefertigten Beziehungsnetzes). Oder meint ihr, man kann es auch zu viert oder zu sechst umsetzen?
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Ein Problem des Spiels ist IMHO, dass man fünf Leute braucht (wegen des vorgefertigten Beziehungsnetzes). Oder meint ihr, man kann es auch zu viert oder zu sechst umsetzen?
Ich könnte mir vorstellen, dass es auch zu viert oder zu sechst problemlos geht. Denn selbst wenn ein Charakter aus dem Geflecht fehlt, bleiben ja immer noch drei andere übrig, zu denen durchaus zwiespältige Beziehungen bestehen.
Für einen sechsten Charakter bräuchte es ein wenig Vorbereitungszeit, um den noch irgendwie unterzukriegen und mit den anderen zu verknüpfen, aber auch da ließe sich sicherlich etwas machen.
z.B. eine Frau, die gerne die neue Königin werden möchte, aber kein Seiðr beherrscht und deswegen die Seiðkona hasst, weil die kann, was ihr verwehrt ist (und weil die Seiðkona den König zum Geliebten hat); die Prinzessin entweder auf ihre Seite ziehen oder (zwecks Erben) aus dem Weg räumen möchte; den König für sich gewinnen will; aus dem Land des Jarls kommt, so dass sie weiß, dass der Jarl den Ritter irgendwie beeinflusst; und für den Ritter starke Gefühle, welcher Art auch immer (Hass? Liebe? Mutterinstinkt?) hegt.
Es gingen bestimmt auch noch andere Zusatzcharaktere, aber der ist mir eben so auf die Schnelle eingefallen.
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Danke für die Ideen, Timberwere!
Einfach eine Figur weglassen ist vermutlich das einfachste (ich hatte auch überlegt, ob man das betreffende Charakterblatt irgendwie in das Spiel einbezieht, die Figur kollektiv spielt, wenn sie an der Reihe ist o.ä.). Dabei kann sie im Beziehungsgefüge bleiben, bei Bedarf als NSC gespielt werden... und kommt ansonsten nicht zum Tragen.
Eine sechste Rolle einzufügen stelle ich mir schwieriger vor. Dein Beispiel ist zwar gut, aber die R-Map (egal ob aufgezeichnet oder nicht) wird komplizierter, und das Spiel insgesamt länger und aufwändiger. Mein Eindruck vom Spielen vor ein paar Tagen war, dass man ohnehin nicht unbedingt dazu kommt, die jeweiligen Beziehungen seiner Figur zu allen anderen an- und auszuspielen. Der Effekt in einer Sechserrunde dürfte sein, dass die Geschichte im Ergebnis weniger dicht, weniger verwoben ist. Aber auch das kommt sicher auf einen Versuch an. Ich bin jedenfalls jetzt zuversichtlicher, dass das Spiel auch +/-1 Mitspieler laufen könnte. :)
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Entdeckt, aber noch nicht genauer angeschaut:
Richard Williams hat auf der Basis von Love in the Time of Seid und Archipelago (oben von Daniel verlinkt) "Anarktica" geschrieben: Man kann es auf seiner Website (http://richard-williams.com/anarktica.php) kostenlos herunterladen.
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Mehr als fünf Jahre alt... Aber das Wesen des Seiðr ist zeitlos ;)
(https://www.system-matters.de/wp-content/uploads/2017/09/DieLiebeinZeitendesSeidr.jpg)
--> Klick (https://www.system-matters.de/die-liebe-in-den-zeiten-des-seidr-neu/)
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Super! :d
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Juhu!
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Jetzt muss ich endlich mal was fragen, das mir schon seit Jahren zu schaffen macht: Wie zur Hölle spricht man "Seið" eigentlich aus?
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Google Translate (Isländisch) hat zwar die Bedeutung nicht ganz drauf, aber ich denke, die Aussprache stimmt in etwa (den kleinen Lautsprecher links unten klicken!): https://translate.google.com/#auto/de/Sei%C3%B0r (https://translate.google.com/#auto/de/Sei%C3%B0r)
Auch relevant: Seidkona: https://translate.google.com/#auto/de/Sei%C3%B0kona (https://translate.google.com/#auto/de/Sei%C3%B0kona)
Also mit "e-i", wie "Ey!"
Das Wort ist übrigens mit dem deutschen Wort "Saite" verwandt, wie Wikipedia schreibt.