Das habe ich so noch nie erlebt. Kannst du an einem konkreten Beispiel veranschaulichen, wie es bei dir lief?
Zu zwei meiner Lieblingsbeispielen müsste ich vor ein oder zwei Jahren mal gebloggt haben. So einen unfokussierten Sermon will ich jetzt aber keinem antun. Daher:
Zwei ganz entscheidende Elemente in meiner Erfahrung sind einmal Verständnis für die Politik, um die es im Spiel geht (gehen soll), und zwar in dem Sinne, dass die Spieler sowohl verstehen welche Einflußmöglichkeiten es gibt, als auch wer die Akteure sind und was sie antreibt. Solche Informationen kann natürlich auch ein Regelwerk liefern, das beides entsprechend kodifiziert. Aber diese Informationen können auch im Hintergrund stecken, indem politisches System und die einzelnen Beteiligten entsprechend beschrieben werden.
Das zweite Element ist die Motivation auf Seiten der Spieler tatsächlich "Politik zu machen". Sicher, wer sich für ein politisches Spiel an den Tisch setzt, der wird diese hoffentlich ohnehin mitbringen, aber - und das einmal ungeplant in Aktion zu sehen war wirklich ein für mich persönlich sehr beeindruckendes Spielerlebnis - diese Motivation kann eben auch aus der (emotionalen) Investition in einen "dicht gewebten" Hintergrund heraus erwachsen. An dieser Stelle greifen dann auch die beiden Punkte ineinander, da der dichte Hintergrund dieses Mitfühlen (konkret: sich (politisch) verantwortlich fühlen) befördert, während gleichzeitig die Dichte dann auch wieder die im Absatz davor beschriebenen (informativen) Werkzeuge an die Hand gibt, um dann auch tatsächlich sinnhaft politisch agieren zu können.
Kurz: Hintergrundinformationen als Antrieb und Mittel zum politischen Handeln im "freien Spiel".
Ich denke diese besondere Geschichte ist bei mir vor allem deshalb so hängen geblieben, weil hier eigentlich nie ein politisches Spielen geplant war, sondern es tatsächlich aus der Situation heraus entstanden ist. Insofern ist das Ganze kein wirkliches Fallbeispiel für politisches Spiel, sondern mehr für den Weg zum politischen Spiel.
Gespielt wurde D&D, explizit angelegt als entspannte Mischung aus Metzeln und Tavernenspiel. Es gab keine Anreize für Politik und keine entsprechenden Regelmodule oder Hausregeln wurden eingesetzt.
Im Laufe der Runde und parallel zum unaufhaltsamen Stufenanstieg baut sich nach und nach ein ganzer Stall an wiederkehrenden NSCs auf, die hauptsächlich als Kolorit und Questgeber fungieren. Politik taucht indirekt auf, da einige Aufträge politisch motiviert sind - was für die Spielercharaktere aber eigentlich auch bedeutungslos bleibt und allenfalls beim besagten Tavernenspiel Anlass zu irgendwelchen Charaktergesprächen und Anekdoten (und neuen Questaufhängern) gibt.
Und dann auf einmal: Hängen die Spieler mit ihren Charakteren die Schwerter an den Nagel und gehen selber in die Politik.
Warum? Meine These: Aus einem Gefühl der Verantwortung heraus. Es kann ja sein, dass ihnen nichts passiert, wenn sie sich mal wieder mit einem Clan Riesen anlegen. Aber ihr Kumpel, Bernd der Bäcker (Name von der Redaktion geändert), seines Zeichens Commoner 2, dessen Frau und drei Kinder, an denen geht so ein Kampf auf in und um die Backstube eben nicht so spurlos vorbei. Die emotionale Verwurzelung nicht nur der Charaktere sondern auch der Spieler im Setting führte dazu, dass da auf einmal der Wunsch nach Risikominimierung, nach friedfertigen Lösungen, nach Verhandlung und Interessenausgleich bestand. Und auf Basis ihrer Kenntnis der Zustände und Akteure im Setting, meinten die Spieler diese Dinge auch sinnvoll bedienen und erreichen zu können (und um das noch einmal zu betonen: ohne explizite Regeln zur Hand zu haben, die ihnen hier eine besondere Sicherheit gegeben oder feste Handlungsoptionen vorgezeichnet hätten).
mfG
jdw