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« Letzter Beitrag von Jenseher am Gestern um 23:37 »
Dann war die schlürfende Stimme von Horknar. Die Gestalt war nur unwesentlich kleiner als die der Hügelriesen und ging gebückt. Horknar hatte seinen kleineren linken, verkrüppelten Arm angewinkelt. Er beugte seinen Kopf mit dem offenen Kiefer vor. Aus dem runden Gesicht, das von dicken schwarzen Haaren eingerahmt wurde, schauten ein grünliches und ein kränklich-gelbes Auge hinab. Die krumme Nase und die blumenkohl-ähnlichen Ohren unterstrichen seine Hässlichkeit. „Kulde hat gut gekämpft, aber der Kampf war verlustreich,“ sprach Horknar, der Neire und Edda anstarrte. „Wieso habt ihr euch zurückgezogen, Meister Horknar? Die Adlerfeste war bereits gefallen.“ Horknar baute sich nun über Neire auf. Als er antwortete, zog er schlürfend sein Maulwasser hinauf. „Ich habe es euch doch gesagt Neire. Ich bin nicht an der Festung interessiert. Nur euch zuliebe habe ich sie nicht schleifen lassen. Aber sagt, Winzling! Wart ihr erfolgreich? Habt ihr die Besatzung getötet?“ Neire war die Angst anzusehen, als Horknar ihn bedrohte. Zitternd antwortete der Jüngling. Er duckte sich im Schlamm. „Fast alle Soldaten sind tot. Einige ergaben sich und jetzt dienen sie Meister Halbohr.“ Der Speichel Horknars sabberte auf Neire hinab, als der missgestaltete Riese abfällig grunzte. „Ihr dient also Meister Halbohr? Soso… Ich ahnte es bereits, doch dachte ich nicht, dass er eine solche Schwäche zeigen würde. Was ist, wenn sie euch in den Rücken fallen? Ihr hättet sie lieber töten sollen, dieses unwerte Ungeziefer.“ Neire nickte, sagte dann aber. „Meister Halbohr scheint andere Pläne zu haben. Und was euch angeht, Meister Horknar: Ich habe eure Zukunft gesehen.“ Horknar beugte sich noch weiter hinab und zeigte seine fauligen Zähne. Neire nahm jetzt all seinen Mut zusammen. „Die Vision zeigte mir Kulde Kopfstampfer, den Anführer dieses Stammes. Er wird glorreiche Schlachten schlagen, wenn er General Halbohr dient. Aber da wart auch ihr, Meister Horknar. Ihr dientet Kulde Kopfstampfer, ein Schatten in seinem Ruhm, gleichwohl durchschrittet ihr die Flammen des Krieges gemeinsam mit Kulde. Jedoch sah ich auch euren Leichnam. Es war der Horknar, der nicht dienen wollte. Der den Ruhm wollte, für sich allein. Welcher Horknar möchtet ihr sein, Meister Horknar. Entscheidet euer Schicksal, bevor es über euch entscheidet.“ Hass fraß sich in Horknars Gesicht, doch dann erhob er sich lachend. „Dienen unter Meister Halbohr? Wo ist er, Wicht? Ich habe den großen Heerführer noch nicht gesehen.“ Horknar blickte dann Kulde an und spottete. „Unter Kulde Kopfstampfer dienen? König Kopfstampfer meintet ihr wohl, hahaha. Kulde, der König der Hügelriesen, hahaha.“ Auch Kulde lachte mit Horknar, bevor er plötzlich still wurde und sich umblickte. Im Lichte der an langen Baumstämmen angebrachten Sturmfackeln waren die Schatten der Menge zu sehen, die in debiler Weise auf das Geschehen glotzten. Wieder erhob Horknar seine Stimme. „König Kopfstampfer… dieser Name… Kopfstampfer an sich… ich meine… schaut ihn euch doch an, Wicht!“ Neire antwortete zitternd und zischelnd. „Spottet nicht über Kulde, Horknar!“ Horknar lachte noch lauter. „Hahaha, niemals würde ich über Kulde Kopfstampfer spotten. Was für eine Vision ihr nur hattet, ihr liegt falsch. Kulde könnte nicht mal eine Horde von Ziegen anführen, dieser dumme Bastard. Geht Kulde und beglückt ein paar von den Weibern, die es auf das abgesehen haben, was dort zwischen euren Beinen baumelt. Kämpfen könnt ihr schließlich und ihr habt es euch verdient.“ Kulde starrte Horknar mit seinen kleinen schwarzen Augen an. Sein schwarzes Haar klebte von Schweiß an seinem Kopf. Er schien den Sinn der Worte erfassen zu wollen. So sah es fast aus, als wäre Kulde traurig. Dann richtete sich Neire auf im Schlamm. Seine Worte waren scharf – das Lispeln seiner Zunge war stärker geworden. „Kulde ist mein Freund, Horknar. Mein getreuer Freund. Niemand spottet über meinen Freund. Tötet ihn Kulde!“ Kulde brauchte einen Augenblick, doch dann fing er an zu brüllen. Er hob seinen Morgenstern zum Angriff. Die Riesen gafften jetzt und es waren einige Rufe zu hören. Horknar riss sein schwarzes Schlachtermesser hervor, doch Kulde war schneller. Dreimal schlug er mit dem Morgenstern zu. Unter einem Angriff konnte sich Horknar noch ducken, doch die beiden anderen Schwünge zerschmetterten seine Rippen und seinen linken, verkrüppelten Arm. Dann war da wieder die Stimme von Neire. „Ihr hättet eure Zukunft haben können, doch jetzt endet euer Leben.“ Der Jüngling beschwor seine schwarze Kunst. „Bei IHRER Flamme und Düsternis, verflucht sollt ihr sein Horknar.“ Die Worte der Macht drangen zu dem verkrüppelten Riesen und Schatten griffen nach ihm. Er erstarrte zitternd, unfähig sich zu bewegen. Kulde brüllte und schlug wieder und wieder zu. Selbst als der Körper von Horknar tot in den Schlamm gefallen war, ließ er nicht ab. „Kulde will Köpfe stamfa, jaaaaah…“ schallte der Schrei über den Platz. Der letzte Streich des Morgensterns rammte in Horknars hässliches Gesicht. Der Schädel brach knackend auf und Gehirnmasse spritzte in alle Richtungen heraus. Kulde richtete sich auf und schrie seinen Siegesruf. Keiner sah, wie Blut und Schlamm sich vermischten, als das Sumpfwasser in den zertrümmerten Schädel von Meister Horknar floss.
In seinem Siegestaumel hörte Kulde plötzlich die vertraute Stimme. Mehrfach hatte Neire nach ihm gerufen. „Kulde… Kulde… hebt mich auf eure Schulter!“ Der Hügelriese langte hinab, packte Neire sanft mit seiner linken und setzte ihn auf seine Schulter. Er spürte den kleinen Körper seines menschlichen Freundes und hielt seine Hand dort, da er befürchtete, Neire würde hinabfallen. Kulde hörte Neires Stimme deutlich an seinem Ohr. „Jubelt Kulde, denn ihr habt gesiegt. Sagt ihnen, dass ihr der neue Anführer seid.“ Kulde dachte über die Worte nach, die er nicht ganz verstand. Dann riss er seinen Morgenstern hoch und brüllte. „Kulde issht Anführer. Kulde Kopfsshtamfa Anführer!“ Er sah die Menge jubeln. Krieger und Frauen hatten sich um den Platz versammelt. Auch einige Orks waren zu sehen. „Sagt ihnen, dass Horknar unfähig war. Sagt ihnen, dass ihr die Schlacht um die Adlerfeste gewonnen habt.“ Wieder hörte Kulde Neires Stimme in seinem Ohr und versuchte den Sinn der Worte zu ergründen. Dann brüllte er: „Kulde issht Anführer. Horknar sshwach und tot. Kulde Adlerfesshte gesshampft. Kulde Sssieger.“ Wieder jubelten ihm einige der Hügelriesen zu, doch andere hatten die Arme verschränkt und schüttelten ihre Köpfe. „Sagt ihnen, dass ihr jeden herausfordert, der an euch als Anführer zweifelt.“ Diesmal verstand Kulde die Worte Neires und rief. „Wer will ssheifeln hier… Kulde wird Kopf sshtampfa.“ Kulde hob wieder seinen Morgenstern und brachte einen gutturalen Grunzschrei hervor. Die meisten Riesen beeindruckte er damit, doch der glatzköpfige Alte, der zuvor den orkischen Späher hinfort geprügelt hatte, trat hervor und rief. „Ihr wollt unseren Stamm führen, Kulde Kopfstampfer? Ihr mögt viele Schlachten geschlagen haben, doch führen könnt ihr nicht.“ Kulde trat einen Schritt hervor und baute sich zum Kampf auf. Wut und Hass tobten in ihm. Keiner sollte ihm den Ruhm des Anführers nehmen. Dann geschah etwas, was er nicht verstand. Der alte Riese legte sein krudes Schwert in den Schlamm und kniete sich nieder. Er senkte seinen Kopf und rief dann. „Ich habe mich geirrt. Kulde Kopfstampfer wird unser Anführer sein. Verzeiht mir meinen Zweifel.“ Auch ein weiterer Zweifler machte es dem Alten nach und kniete sich nieder. Kulde blickte sich um und sah für einen Augenblick Neires Augen auf seiner Schulter rötlich schimmern. Dann kam die dritte Gestalt auf ihn zu und brüllte. „Ich werde mein Haupt nicht beugen. Sollte ich den Kampf gegen Kulde gewinnen, werde ich Anführer sein.“ Sein Widersacher war etwas älter als er selbst, viereinhalb Schritt groß und trug eine verrostete Eisenstange. Der Riese hatte eine aufgedunsene rote Knollennase, kleine schwarze Augen, eine fliehende Stirn und krauses schwarzes Haar. Kulde empfing den übergewichtigen Hünen mit schweren Hieben seines Morgensterns. Er hörte Rippen knacken, sah Blut aufspritzen. Dann griff ihn der Riese an. Die Eisenstange rammte gegen den Bänderpanzer. Kulde wankte zwar, doch er spürte keinen Schmerz. Er schlug die Gestalt mit zwei wuchtigen Angriffen nieder. Der letzte Schlag drückte die Brust des Eisenstangenschwingers ein, der rücklings zu Boden sackte und im Schlamm versank. Kulde löste seinen Blick von dem übel zugerichteten Leichnam, in dessen Loch in der Brust jetzt Schlammwasser hineinströmte. Er schrie und jubelte. Er sah die beiden knienden Riesen in den Jubel einstimmen. Dann hörte er wieder eine Stimme. Neire hatte seine Schulter verlassen und schwebte nun neben seinem Kopf. Er flüsterte. „Kulde… sagt ihnen, dass ihnen eine glorreiche Zukunft bevorsteht. Sagt ihnen, dass sie bald aufbrechen werden in den Norden. Im Tempel des Jensehers wird ihr neues Zuhause sein.“ Kulde verstand die Worte und brüllte: „Zukunft von Hügelriesshen glorreissh. Im Tempel von Jenssheher neues Zuhaushe finden, neues Reissh.“ Kulde jubelte weiter. Er hörte, dass die Riesen gutturale Grunzgesänge anstimmten. Die Worte hallen durch den Küstensumpf. „Kopf-stam-pfer… Kopf-stam-pfer… Kopf-stam-pfer“.
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Edda erinnerte sich an die letzten Wochen zurück. Sie sehnte sich nach Neire und strich sich über ihren Bauch. Sie spürte jetzt deutliche Bewegungen von dort kommen. Sie hatte bereits vermutet, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Sie hatte gemerkt, dass seit einiger Zeit ihre Blutungen ausgesetzt hatten, obwohl sie den Mond hatte wechseln sehen. Sie hatte Neire noch nicht erzählt, dass sie ein Kind von ihm trug. Er hatte sich am Morgen nach ihrer Siegesfeier von ihr verabschiedet und war verschwunden. Zuvor hatte er noch die letzten störrischen Riesen mit den Augen des Jenseher überzeugt. Das Fest danach war ein primitives Sauf- und Fressgelage gewesen, zu dessen Ende sich Kulde neben sie gesetzt hatte und behutsam durch ihre Haare gestreichelt hatte. Edda hatte ihm dann gesagt, dass es als Sieger sein Recht und seine Pflicht sei, sich einige der Riesinnen auszuwählen. Als Kulde sie mit einem hohlen Blick angestarrt hatte, hatte sie gelacht. Sie hatte ihm gesagt, er solle die Nacht mit ihnen verbringen und er werde schon sehen was passiert. Kulde hatte genickt und ihr zum Abschied einen Kuss auf den Kopf gegeben. Dann war er mit einigen wänstigen Weibern im Zelt des toten Horknar verschwunden. Sie waren einige Tage danach aufgebrochen. Die Luft war heiß und schwül geworden und so war sie froh gewesen, dass sie den Brackwassersumpf hinter sich gelassen hatte. Auf ihrem Weg durch die Berge hatten die orkischen Späher weitere versprengte Lager von Frauen und Kindern der Hügelriesen gefunden, die bereits von Horknar gehört hatten und auf dem Weg zu ihm gewesen waren. So war sie mit Heergren gewandert, vor oder hinter dem Tross. Kulde hatte sie auch eine Zeitlang getragen, doch ihr wachsender Bauch war kein Hindernis gewesen. Es war die Übelkeit gewesen, die ihr zugesetzt hatte. Edda hatte bemerkt, dass Heergren die Kreaturen jeden Tag gezählt hatte. Zuletzt waren es 29 ausgewachsene Männer, 24 Frauen und 35 Kinder gewesen, die ihnen folgten. Von den Kindern waren noch viele im Säuglingsalter gewesen. Sie hatten den See von Gladnir im Westen umrundet und immer wieder ihre orkischen Späher ausgeschickt. Jetzt überquerten sie die ansteigenden Grasebenen von Berghof. Edda konnte schneebedeckte Gipfel in der Ferne aufragen sehen. Da war auch die schroffe Silhouette der Irrlingsspitze. Edda betrachtete den Berg und das Leid ihres Herzens, die schwere Last, die sie mit sich trug, verwandelte sich in ein vertrautes Glücksgefühl. Sie dachte an die Heimkehr in den Tempel des Jensehers. Sie sehnte sich nach den trauten Flammen von Neires Göttin Jiarlirae, die auch ihre Herrin geworden war. Sie dürstete nach den Schatten der Akademie Schwarzenlohe - ihrer Akademie Schwarzenlohe.