Evolution: Zoe hat mittlerweile acht Erfahrungspunkte zusammen bekommen. Die gebe ich alle aus, um ihr einen dritten Punkt bei Wahrnehmung zu geben. Das Erwachen hat also jüngst ihre abgestumpften Großstadtbewohner-Sinne schlagartig schärfer werden lassen. (Fertigkeiten wie Ur-Instinkt und Handgemenge müssen auch dringend gesteigert werden, und sind wahrscheinlich beim nächsten Mal dran.)
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Zeit, mal eine der Mechaniken aus dem Ironsworn-Regelwerk zu verwenden: Aus dieser Reise machen wir natürlich den Move namens Undertake a Journey. Der Weg ist weit und es gibt Verfolger, aber auf dem Highway reisen die Charaktere relativ bequem, darum stufe ich die Reise als lediglich Unannehmlich ein. Jeder erreichte Waypoint bringt daher drei (von bis zu zehn möglichen) Punkten Fortschritt.Der VW-Bus fährt auf der 401 nach Osten dahin, und kommt in immer dichteren, zäheren Verkehr. Je langsamer es voran geht, desto größer wird auch Zoes Unwohlsein. Sie fühlt sich geradezu eingesperrt in dem engen Van, klaustrophobisch, von allen Seiten umgeben von unzähligen kleinen Blechbüchsen voller Leute. Und zu allem Überfluss muss sie jetzt dabei zusehen, wie das Tageslicht zusehends fahler und gräulicher wird ...
Ihre Angst vor der Abenddämmerung wird richtiggehend heftig: Wir geben ihr bei dieser Gelegenheit einen weiteren Rage-Punkt. Damit ist sie jetzt wieder bei vieren, und es wird richtig gefährlich, in ihrer Nähe zu sein (denn ab vier Punkten Rage können Werwölfe in Raserei verfallen).
„… Fahren wir eigentlich die Nacht über in ein Motel?“, fragt Zoe verzweifelt.
Simon auf dem Beifahrersitz dreht sich zu ihr um, „Machst Du Witze? Das ist eine 12-Stunden-Fahrt bis Vermont. Mit dieser Gurke hier wahrscheinlich länger. Wir fahren natürlich die Nacht durch! Auch um unseren Vorsprung auszubauen vor den Verfolgern.“
„Ich fänd' aber ein Motel richtig gut …“, schnauft sie atemlos, „Irgendwas Abgelegenes … weit weg — von den vielen — Autos! Du hast doch — das Scheinbündel!“
„Kann das sein, dass unser Vollmond-Welpe die Nerven verliert?“, sagt 'Shrooms misstrauisch zu Simon, „Was, wenn die uns noch austickt?“
„Hey, Zoe tickt schon nicht aus! Die kann sich am Riemen reißen!“, sagt Kylah defensiv.
„Nein, die haben vielleicht Recht, Kylah …“, gibt Zoe zu, „Was, wenn ich es wieder nicht zurückhalten kann? … Ich …“, und ihre Stimme versagt ihr, sie kann nur noch flüsternd weitersprechen, „ich habe drei Menschen getötet, letzte Nacht …!
Mindestens drei! Und vorher bei der Tanke welche gebissen, vielleicht lebensgefährlich …“
Sie zittert wie Espenlaub.
Sie sieht das blasse Gesicht der wasserstoffblonden Knochenbeißerin vor ihrem eigenen auftauchen, ausnahmsweise sieht die Zoe direkt an, während sie mit ihr redet: „Ich hab' was dabei, was wir versuchen können. Vielleicht ist das das Richtige für Dich“, und sie holt einen größeren, schwarzen Plastikzylinder hervor, schraubt den hellgrauen Deckel ab.
„Was ist das?“
„Ich hab' ein Beruhigungsmittel dabei, das selbst bei Brocken wie wir es sind helfen kann. Ich selber bin Galliard, kapierste?“
„Die kapiert
gar nix, woher soll sie das denn
wissen, bitteschön?“, faucht Kylah.
Die Wasserstoffblonde erklärt, etwas monoton, „Na, Galliard, ein Dreiviertelmond. Ich habe dementsprechend ähnlich viel Wut in mir wie Du. Ich hatte mehr Gelegenheiten, sie zu unterdrücken zu lernen, mehr als Du armes Würstchen. Aber manchmal wird sie unbeherrschbar, auch bei mir, ich kenne das auch.“
„Was hast Du da für ein Zeug?“, verlangt Kylah zu wissen, sie versucht, streng zu klingen, klingt aber mal wieder eher patzig.
'Shrooms zeigt dem jüngeren Mädchen die Dose.
„Das Label ist ja Chinesisch!“
„Hat einer meiner Blutsbrüder mir über drei Ecken organisiert. An das einheimische Zeug aus den Apotheken komm' ich derzeit nicht ran“, sagt die Knochenbeißerin.
„Ist das überhaupt für Menschen?! Da ist ein Pferd auf dem Etikett drauf …“, sagt Kylah.
„Das soll ich mir reindonnern, ja? Dann bin ich wieder ruhig und friedlich, ja?“, fragt Zoe, unterschwellig gereizt.
„Hör' ma' zu, Mädel“, sagt 'Shrooms, „Du hast seit gestern den Meter-Bulismus von
zehn Menschen zusammen. Kapierste, dass eine einzelne Beruhigungstablette jemandem wie Dir nicht mehr hilft?“
„Ja … aber ich will diese Pillen nicht. Danke, ich glaube, ich komme schon klar.“
Do-Not-Eat-The-Shrooms zuckt kühl mit den Schultern, nimmt Kylah ihre Pillendose wieder weg, und klettert zurück auf ihren vorherigen Sitzplatz.
Jetzt könnte man doch mal wieder die Orakelwürfel befragen, danach, was für Abenteuer die hereinbrechende Nacht mit sich bringt! Unglaublich: Treffsicher generieren die W100 das Resultat Escalate Creature! Das bedeutet offensichtlich, dass der Vollmond die Bestie in Zoe wieder hervor lockt!Der Verkehrsfluss lockert wenig später endlich wieder auf, als eine Unfallstelle am Straßenrand in Sicht kommt; hier stehen mehrere Polizeiwagen.
„Na super, die Bullen!“, grunzt Ribkick, „Nicht, dass die uns noch checken wollen, das fehlte noch — alle unauffällig bleiben! Kylah und Lousy Five, seht ja zu, dass Zoe und 'Shrooms sich ruhig halten!“
Der dunkelgraue Van ist direkt auf Höhe der Polizeiautos.
In dem Moment reißt die Wolkendecke auf! Der silbrig weiße Vollmond fällt in Zoes Augen, und ein eisiges, kribbeliges Gefühl durchfährt sie sofort! Mit einem Knall hat sie ihre Handfläche an die Autoscheibe geschlagen, als hätte sie den Himmelskörper berühren wollen, und verharrt dann einfach, starrt gebannt hinauf.
„Zoe, nein! Schau' nicht direkt in das Mondlicht!“, zischt Kylah alarmiert, und zerrt an ihrem Pulli.
Das eigene Mondzeichen am Himmel zu sehen zum ersten Mal in einer Nacht bringt temporäre Rage-Punkte ein; Zoe kann sowieso nur noch einen einzigen kassieren, um voll zu sein, auf fünf!
Die Orakelwürfel entscheiden, es ist auch nicht die Polizei bei der Unfallstelle draußen, die unseren Charakteren Stress macht. Der Stress kommt aus dem Inneren des VW-Bus, als Zoe in Zuckungen verfällt, spitze Zähne bekommt, lange Krallen, und hellbraunes Fell im Gesicht und auf den Handrücken! Fußkrallen beginnen, ihre abgelatschten Turnschuhe vorne zu durchstechen!
„Mond …!“, gurgelt Zoes verzerrte, dämonische Stimme, „… Muss hier raus! ... Zu eng hier drin!“
Kylah hat beide Hände in Zoes Ärmel verkrallt, wie um sie festzuhalten, und schreit rüber zu 'Shrooms, „Die Pillen, schnell, die Pillen her!“
„Nein!“, begehrt Zoes zu tiefe Stimme auf.
„Du kannst jetzt nicht hier raus!“, versucht Lousy Five Bucks ihr verständlich zu machen.
„Raus! Lasst mich raus! Ich beiß' Euch!“, bringt Zoe hervor, und nimmt ihre fellbedeckte Glabro-Form an, alle Nähte ihrer Second-Hand-Klamotten krachen, als sie einen Kopf größer und deutlich massiger wird.
Die Orakelwürfel erlauben glücklicherweise, dass die Knochenbeißer einen Trick finden, Zoes Kontrollverlust aufzuhalten:Nuschelnd spannt Massalfassar einen löcherigen, kleinen Regenschirm auf, und hält ihn zwischen Zoes Kopf und das Wagenfenster. Unüberlegt will Zoe mit ihrer haarigen Pranke den Schirm wegwischen, um das Mondlicht wieder zu sehen, aber Kylah und Lousy Five Bucks kriegen rechtzeitig ihre Hände zu fassen und halten sie still.
„Ruhig, ganz ruhig, Zoe!“, raunt Kylah beschwörend, geradezu flehentlich.
Schon sind sie weit außer Sicht der Stelle mit den Polizeiwagen; Simon dirigiert Hank, rechts ran zu fahren. Sie reißen die Schiebetür des Van auf und lassen Zoe herausspringen. Hier führt eine Böschung auf einen unbeleuchteten Acker hinab, und als die haarige Silhouette dort hinab prescht, können die anderen Autofahrer sie daher nicht sehen. Zoe fühlt das nasse, kalte Erdreich unter ihren Füßen, als die Reste ihrer Turnschuhe von ihren vergrößerten Füßen abplatzen, sie wächst weiter an in ihre Crinosgestalt, mit einem entsetzten „Neineinein“ fühlt sie, wie ihre Kiefer sich in die Länge ziehen, ihr ganzer Schädel, und es ist das letzte, was sie herausbringt, bevor ihr Kopf zu einem Wolfskopf wird.
Das ungewohnte Erleben von Kontrollverlust führt zu einem Rage-Wurf, jetzt bei Vollmond nur gegen Vieren. Erstaunlicherweise hat sie jedoch nur einen einzigen Erfolg, und widersteht der Raserei.
Langsam klettern Simon und Ribkick die erdige Böschung herab, und nähern sich vorsichtig über den Acker, dicht gefolgt von Kylah.
„Sie sieht aus, als würde sie sich wieder sammeln“, sagt Simon halblaut.
Die riesige Crinos-Gestalt kauert auf allen Vieren im Schlamm und schnauft aus mächtigen Lungen vor sich hin, ihr heißer Atem umgibt weißlich ihr Maul.
Ein paar Minuten sehen sie dem Monster nur dabei zu, wie es vor sich hin japst.
„Zoe … erinnerst Du Dich an Deinen Namen? Erinnerst Du Dich an uns?“, fragt schließlich Ribkick in vorsichtigem Ton. Seine Stimme klingt ebenfalls tiefer, er hat seine fastmenschliche Glabro-Form angenommen; nur für den Fall der Fälle.
„Ja … ich bin Zoe Ma'ers'n …“, grollt es aus dem wölfischen Maul, in Nachahmung englischer Sprache.
„Wir grüßen jetzt gemeinsam den Mond, Zoe“, sagt Ribkick streng, „Das ist ein kleiner Ritus in unserem Stamm. Dadurch ehren wir unsere große Verbündete Luna, und machen sie uns gewogen. Führen uns vor Augen, dass sie auf unserer Seite ist. Verstehst Du?“
Das Wolfsmaul versucht verzweifelt zu antworten, dass Zoe bereit ist, alles zu tun, um ihre Beherrschung wiederzuerlangen. Sie hebt eine ihrer mächtigen, ledrigen Pranken, öffnet und schließt sie probeweise, besieht sie mit fasziniertem Schrecken von vorn und hinten. Das Mondlicht glänzt auf ihren perfekten, tödlich scharfen Klauen.
„Konzentrier' Dich, Zoe“, sagt Ribkick leise, und kniet sich neben sie, „atme tief ein und aus. Sieh' in den Mond, aber erst dann, wenn ich es Dir sage ... Heute Nacht schickt ihr Licht Dich nicht auf die Jagd; bald schon wieder, aber heute nicht.“
Gemeinsam erheben sie schließlich die Gesichter in den Vollmondschein, und grüßen rituell Luna. Zoe immitiert gehorsam Ribkicks Bewegungen. Sie wagt es, wieder das Silberlicht auf ihre Netzhäute zu lassen, und spürt, wie es an ihren Muskelsträngen zieht, wie ein Magnet, wie um sie anzutreiben. Sie zwingt sich, zu verharren.
Do-Not-Eat-The-Shrooms ist im Hintergrund auch die Böschung herab geklettert, und singt leise einen Popsong, immerhin ist sie der Galliard des Rudels. Ihre brüchige Stimme dringt geisterhaft durch die Nacht über dem Rauschen des Highway:
"Blind man running through the light of the night /With an answer in his hand / Come on down to the river of sight / And you can really understand ..."Erstmals klingt ihre Stimme nicht nervig, sondern irgendwie tatsächlich beruhigend, irgendwie passend in diese Mondnacht.
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Die erste halbe Reisenacht ist also um, das könnte die erste Etappe kennzeichnen bei unserem Undertake a Journey-Move. Daher würfle ich, ob wir den ersten Waypoint erreichen. Hank würfelt Geschick+Fahren und Simon unterstützt ihn mit Geistesschärfe+Zurechtfinden, gemeinsam akkumulieren sie acht Erfolge, das ist topp! Die Anzahl dieser Erfolge muss die 2W10 als Challenge Dice überbieten. Es resultiert ein Strong Hit! Dadurch erhalte ich drei Punkte Fortschritt.Von Detroit zum Zielort ist es eine satte 12-Stunden-Fahrt, größtenteils auf der 401 durch Kanada. Der VW-Bus fährt entlang Lake Erie, und wird dann entlang Lake Ontario weiterfahren, Montreal passieren, und dann wird es auf der Route 91 nach Süden gegen. In New Hampshire liegt der White Mountain National Forest, und dort drinnen liegt angeblich das sehr gut verborgene Grundstück der mysteriösen Verbündeten der Knochenbeißer von Detroit.