Autor Thema: [Schreibübung] April 2017  (Gelesen 1092 mal)

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Offline taurussieben

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[Schreibübung] April 2017
« am: 1.04.2017 | 20:18 »
Und da wären wir auch schon

Regeln:
  • Der Thread wird circa zwei Wochen offen sein, in der Zeit kann jeder eine Szene, Dialog, Mini-Kurzgeschichte, die mit dem gezeigten Bild in Verbindung steht, posten.
  • Die Länge sollte dabei 2 Word Seiten nicht überschreiten, sonst findet keiner die Zeit,  das auch zu lesen.
  • Alle Diskussionen, Kritiken und Reviews werden in einem extra Thread erfolgen, damit jede Story gefunden werden kann. Auch damit man als Leser nicht durch die Diskussionen abgelenkt wird. Den Review-Thread mache ich auf nach dem die ersten Geschichten gepostet sind
  • Wer merkt, das er dabei ist mehr als 2 Seiten zu schreiben, stellt einfach zwei Seiten rein, die Sinn machen oder auch eine Szene.
  • Und achtet auf das Altersrating.  :P

Wenn ich was wichtiges vergessen habe sagt Bescheid.
Bild noch mal als Anhang, weil irgendwas mach ich falsch. da ich euch nicht warten lassen will, erstmal so, ich korrigiere die nächsten Tage.

Bild:

Artist: Joao Paulo


[gelöscht durch Administrator]
« Letzte Änderung: 1.04.2017 | 20:25 von taurussieben »

Offline Conan der Barbier

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Re: [Schreibübung] April 2017
« Antwort #1 am: 3.04.2017 | 15:16 »
Da ich in der letzten Runde herumkritisiert habe, steuere ich diesmal der Fairness halber auch einen Text bei. Es ist allerdings ein Schuss aus der Hüfte, und über 2 Seiten sind es auch geworden, mea maxima culpa... :-X

"Geht es noch, Jacques?"
"Aber ja doch, junger Herr – es ist nur das rostige Knie. Sie wissen ja: Im Alter werden die Glieder rostig, und man quietscht ab und an ein wenig..."

Mit einer gewissen Besorgnis sehe ich in die Dunkelheit hinauf, aus der Jacques' knarrende Stimme ertönt. Nur das rostige Knie... das sagt er immer, wenn ich ihn auf dieses hässliche Knirschen und Quietschen anspreche, das ich in letzter Zeit öfter und öfter höre.
"Na gut. Aber sowie du eine Pause brauchst, sagst du mir bescheid, nicht wahr?"
"Natürlich, junger Herr. Bitte sorgen Sie sich nicht so sehr um mich. Es geht mir gut! Sie machen sich immer zu viele Sorgen. Sie haben eben eine Schmierölpumpe aus Gold, ganz wie Ihr seliger Herr Vater!"

Wir nehmen unseren Spaziergang wieder auf, zwei einsame Gestalten auf der nächtlichen Straße:
Ich, der sich staatlich geprüfter Robotikingenieur schimpft und doch nicht mehr ist als ein verkrachter Erfinder. Ein erfolgloser kleiner Schrauber und Tüftler, der von Gelegenheitsarbeiten lebt, von den mageren Einkünften aus seinem einzigen jemals erfolgreich angemeldeten Patent. Handtellergroße Fegeroboter: 'Kommt garantiert in jedes Eck – der perfekte Wollmausschreck!' – Himmel, habe ich diesen saublöden Werbespruch wirklich selbst getextet..?
Und Jacques, mein treuer Begleiter, seit ich denken kann. Für den ich mir nicht einmal die nötigen Ersatzteile leisten kann!
Es gibt mir jedes Mal einen Stich, wenn ich ihn so sehe und zurückdenke. Ursprünglich war er ein Industrieroboter. Eines von diesen riesengroßen Modellen, die man auf Baustellen einsetzt, um alte Gebäude abzureißen und schwerste Lasten zu bewegen. Oder jedenfalls gehörten Großteile von Jacques einmal zu solch einem Roboter. Doch Vater hat ihn mit Teilen vom Schrott umgebaut.
Immer wenn eines seinen Dienst versagte, wurde es durch ein anderes ersetzt. Eine Greifklaue hier, eine Antenne dort, Lüfter für Jacques' Kühlmittelkreislauf (auf seine alten Tage hat er Probleme mit Hitzestaus am Reaktor entwickelt – ein typisches robogeriatrisches Phänomen, meinten die Servicetechniker bei der letzten Inspektion. Da könne man nichts machen, am besten verschrotten. Diese Stümper!), Flutlichtscheinwerfer und sogar eine alte Winde aus einem Bergekran. Für sie hatten wir noch nie Verwendung, aber Jacques trägt sie mit Stolz und poliert sie jeden Morgen, seitdem ich ihm gesagt habe, dass sie ihm gut steht.
"Reichlich kalt heute, was, Jacques?" meine ich, während wir so nebeneinander her schlendern, wobei jeder von seinen Schritten so lang ist wie zehn von meinen. Aber gleicht sich aus, denn er hat seit einiger Zeit Sorgen mit einem Scharnier an der Hüfte und zieht das Bein etwas nach.
"Ja, junger Herr, wirklich ungemütlich. Ist Ihr Mantel auch warm genug, junger Herr? Nicht dass Sie sich erkälten!"
"Danke, Jacques, es ist schon in Ordnung."

Ich lege den Kopf in den Nacken, starre in den bewölkten Himmel, und irgendwo über mir gibt es ein Kreischen, das meine Zähne wackeln lässt, als Jacques meinem Blick folgt.
"Es wird wohl bald Regen geben, junger Herr."
Seufzend nicke ich und stoße die Hände tief in die Manteltaschen. "Ja, sieht so aus..."
An der Ecke, kurz nach der Venusburger-Bude, begegnet uns ein Polizeiroboter. Ein Koloss aus blitzendem, fabrikneuem Stahl, der sich mit gleichmäßigen, perfekt abgezirkelten Schritten bewegt. Wie ein Uhrwerk. Kein Kratzer verunziert seine Oberfläche, sogar die Seriennummer – mit fluoreszierender Farbe aufgetragen – ist ohne jeden Makel. An der Hüfte, für den Kennerblick leicht zu finden, prangt das Siegel der kürzlich durchgeführten Inspektion. Ach verdammt, wann ist eigentlich Jacques wieder dran..?
Mein Blick wandert zu seinem verbeulten Kopf hinauf. Aus trübe flackernden Scheinwerfern starrt er den funkelnden, sichtlich fabrikneuen Kollegen an, der uns kurz mit grellweißen Neonscheinwerfern begutachtet, bevor er seinen Weg unbeirrt fortsetzt. Etwas schillert auf der Oberfläche von Jacques' linker Optik, und ich rieche Öl. Schon wieder eine undichte Stelle..?
Als wir die Straßeneinmündung ein Stück hinter uns gelassen haben und der Polizeiroboter sich immer weiter entfernt, schnarrt es über mir übergangslos: "Sie sollten endlich daran denken, sich einen neuen Diener zu kaufen, junger Herr."
"Unsinn! Aus welchem Grund? Du erledigst alles zu meiner vollen Zufriedenheit!"

Mein Protest kam wohl etwas zu hastig, denn Jacques bleibt stehen – ein Zischen, als ein kleines Dampfwölkchen aus einer defekten Hydraulikleitung an seinem Rücken schießt – und hebt den rostigen, wie von Gicht gekrümmten Zeigefinger seiner Greifhand in einer Geste, die er sich von Vater abgeschaut haben muss.
"Junger Herr," kratzt es aus seinem Lautsprecher, und irgendwie höre ich ganz deutlich diesen geduldig mahnenden Unterton heraus, "einem Mann in Ihrem Alter ist ein modernes Modell angemessen, das Ihren Bedürfnissen besser entspricht. Die neuesten Baureihen sind sehr energiesparend und vielseitig einsetzbar! Außerdem haben sie größere Wartungsintervalle und-"
"Hör auf mit den blödsinnigen Werbesprüchen – davon will ich nichts mehr hören, Jacques! Und außerdem: Wovon sollte ich denn einen neuen Roboter bezahlen, hm?! Weißt du eigentlich, was eines von diesen sandgestrahlten, hochglanzlackierten Protzmodellen kostet?"
"Das weiß ich, junger Herr. Ich habe mir erlaubt, in meiner Garage Kataloge zu studieren, wenn Sie außer Haus waren."

Ich schnappe nach Luft. "Hinter meinem Rücken..?!"
"Sehen Sie, junger Herr: Es ist doch nur vernünftig. Jeder Roboter muss irgendwann auf den Ewigen Schrottplatz, wo ihn der Große Mechaniker erwartet. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich einen Reaktoranfall bekomme oder der Rostfraß mich holt. Und ich habe es genau durchkalkuliert: Wenn Sie meine Teile verkaufen, junger Herr, dann würde es für ein hübsches kleines Allzweckmodell reichen..."
"Niemals! Ich gebe dich nicht her! Vater hat dich mit seinen eigenen Händen umgebaut, und... und... ich brauche keinen neuen Roboter!"

Ich muss heftig blinzeln, weil meine Augen plötzlich so brennen.
"Aber, aber, junger Herr, weinen Sie nicht!" Es wird dunkel um mich, als Jacques sich knarrend und quietschend über mich beugt und mir seine riesige Hand – eigentlich nur die Spitze seines Zeigefingers (des rostigen) – auf die Schulter legt. "Das ist nun einmal der Weg der Dinge. Ich bin alt und schadhaft. Bald schon werde ich Ihnen nicht mehr nützlich sein können, und was soll ein Roboter in der Welt, wenn er niemandem nützt? Das ist sein Daseinszweck!"
Er klopft mit blechernem Dröhnen gegen seine Brust. "Überlegen Sie doch einmal, junger Herr: Er und ich", dabei deutet er zu dem Verkehrswächter zurück, den man nun nur noch schemenhaft sieht, "bestehen aus den gleichen Teilen, nur dass er neu und frei von Schäden ist. Seine Systeme sind moderner, zuverlässiger und leistungsfähiger als meine. Was kann ich Ihnen bieten, das ein neuer Roboter nicht viel besser und schneller könnte?"
Ich starre ihn an, suche krampfhaft nach einer Antwort und finde keine. Es schnürt mir die Kehle zu, als er sich mit einem metallischen Ächzen wieder aufrichtet. Schweigend gehen wir wieder eine ganze Weile nebeneinander her. Nur das rhythmische Knirschen in Jacques' Scharniergelenken durchbricht die Stille.
Als es zu nieseln anfängt, bleibt er zischend und knarrend stehen, und ich werfe einen besorgten Blick an ihm hoch. Sicherlich wird ihm das Regenwasser wieder Probleme bereiten, das nun in seine undichten Gliedmaßen sickert...
Doch er ist nur stehengeblieben, um aus dem Staufach an seiner rechten Brustseite einen alten Regenschirm zu holen, den er mir vorsichtig reicht.
"Damit Sie nicht nass werden, junger Herr. Sie erkälten sich doch so leicht..." erklärt er, und ich höre nichts außer ehrlicher Besorgnis in seiner blechernen Stimme.
Das trübe Licht aus seinen Scheinwerfern umfängt mich gelblichwarm. Es erhellt die Umgebung nicht halb so viel wie der weiße Neonschein des Polizeiroboters.
Aber als er mich so anschaut und sein rechter Scheinwerfer für einen Moment flackert, da fange ich an zu lächeln. Denn plötzlich weiß ich eine Antwort.
Furztrocken!

Mein neuer Favorit der Reihe "Freud im Rollenspiel": "Nur ein toter Zombie ist ein guter Zombie!" - "...wart mal. ALLE Zombies sind tot..."

El God

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Re: [Schreibübung] April 2017
« Antwort #2 am: 20.04.2017 | 18:08 »
Regen schwallte mit der unverwechselbaren Mischung von rauschenden Meereswogen und dem Plickern kleiner Kieselsteine auf die Stadt. Überall gab es für ihn Arbeit zu tun: Der Staub abgefahrener Reifen, Rußpartikel aus den Holz- und Kohleöfen der Armen, hier und da ein wenig Erbrochenes, ein Stück Bonbonpapier, Plakate, deren Leim beim letzten Guss noch nicht vollends aufgeweicht war. All dies trug er fort und wusch er ab, spülte er mit unermüdlichem Guss langsam in die Gosse, in die Kanäle und über sie weiter bis in den Ozean. Seinen Zoll forderte er für diese Dienste ebenso: Die Hälfte aller Farbe, die Hälfte aller Klänge, die Hälfte der guten Laune, solange er andauerte.
Minchen war ebenso klitschnass wie die Laubhaufen vor den Kiosken. Wo die Armen immerhin noch ihre Öfen und Kerzen hatten, um sich eine Höhle mit ein wenig Wärme und Licht zu schaffen, war ihr nicht einmal das geblieben. Und während mancher froh über den Regen war, weil er endlich den Schmutz aus der Stadt wusch, war Minchen diejenige, die all das, was über die Ränder der Dachrinnen schwappte, abbekam.
Der Wind hatte ganze Armeen von Tropfen in ihren Unterschlupf an der Ritze des Restauranthinterhofs geblasen. Ritze war das Wort für einen guten Platz: Von außen nicht einzusehen, ruhig, keine Hunde, wenig Müll, eng genug, damit man ihn gegen Konkurrenten verteidigen konnte. Dem feuchten Einmarsch in ihr Versteck konnte sie nicht lange trotzen, also biss sie die Zähne zusammen, band sich das nasse Haar zu einem Zopf und machte sich auf die Suche nach einem trockenerem Platz.
"Scher dich weg, du kleine Virenschleuder.", war die erste Antwort gewesen, die ein anderer Ritzler ihr entgegenbellte. In seiner Stimme schwang eine klebrige Ahnung von Lungenentzündung. Minchen war schlau genug, nicht in Frage zu stellen, wer von ihnen wohl mehr Keime verbreitete.
"Komm rein, dann können wir uns gegenseitig aufwärmen.", rief ihr der nächste nach, obwohl sie schon längst wusste, dass sie sich mit dem Grabscher und Keucher nicht einlassen wollte. Krankheiten waren noch die geringste Gefahr, die von ihm ausging.
Ein altes Weib hatte gar nicht mehr geantwortet, als Minchen sie am Ärmel zupfte. Schade drum - ihre Ritze war sauber und trocken. Aber das hatte der Frau wenig genutzt. Sie würde nie wieder jemandem antworten. Und sie von ihrem Totenbett zu verstoßen, um ihren Platz zu erobern, traute sich das Mädchen nicht.
Mit grauem Blick trottete Minchen weiter voran. All die Menschen, die man sonst um Kleingeld, etwas zu essen oder sogar einen Botengang anbetteln konnte, waren verschwunden. Fortgewaschen vom Regen. Nicht einmal Hunde oder Vögel ließen sich im rauschenden Guss blicken. Jetzt gehörte die Straße wahrlich den Ritzlern, den Kanalhuschern, Resteschnappern und all denen, die sogar zum Stehlen zu schwach oder zu langsam waren.
Irgendwann blieb sie einfach an einer Kreuzung stehen und ließ den Kopf hängen. Sie erinnerte sich an eine Geschichte, die sie ihrem Freund Läusler erzählt hatte. Von den Städten, die den Menschen wahrlich gehört, die ihnen dienten und für sie sorgten. Das Grau ihres Blickes ließ nach und füllte sich mit mehr Farben, mit dem fiebrigen Glanz von Phantasie und dem ersten Anflug entkräfteter Träumerei. Während kleine Bäche durch ihre Socken rannen, stellte sie sich die Diener vor, die diese Metropolen ihren Bewohnern boten. Starke, edle Helfer, die nie ermüdeten und Riesenkräfte besaßen. Die ihnen neue Häuser ganz umsonst bauen konnten, weil es ihnen ein Bedürfnis war, für alle Menschen gleichermaßen zu sorgen. Die keinen vergaßen, der zu klein, zu dumm, zu betrunken oder zu krank war.
In Gedanken malte sie sich einen Riesen aus: Vier Mann hoch, eine Mischung aus Stein und Metall. Gutmütig und trotz seiner gewaltigen Stärke unfähig, Böses zu tun oder einen Schwächeren zu übervorteilen. Sie dachte an die geschickten Lügner und Betrüger, an die schlauen Bosse, die in der Fabrik Kinder schuften ließen, bis sie gezwungen waren, Erwachsene einzustellen und die nie fragten, was aus den Kindern würde, die nun kein Brot mehr verdienten. Ihr Helfer müsste ein ganz besondere Art von Dummheit besitzen. Es sollte ihm einfach an Phantasie fehlen - allein schon die Idee, einen Menschen zu verstoßen oder leiden zu lassen, sollte in seinem Kopf gar keinen Platz finden.
Minchens Mantel war so vollgesogen mit Wasser, dass er wie ein Bleigewicht über ihren Schultern hing. Sie stand still da und gefiel sich in ihrer Träumerei. Was würde dieser Riese wohl jetzt tun? Wenn er ihr hier begegnete?
Zum Glück konnte man im Regen keine Tränen erkennen.
« Letzte Änderung: 25.04.2017 | 00:56 von Dolge »

Offline Huhn

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Re: [Schreibübung] April 2017
« Antwort #3 am: 24.04.2017 | 00:34 »
Epp keuchte vor Anstrengung als sie durch das Labyrinth aus Gassen und Hinterhöfen rannte. Schlitternd bog sie nach links ab. Die aufdringlich blinkende, automatische Warnanzeige am rechten Rand ihres Blickfeldes sorgte dafür, dass sie ihren Schritt, die stechenden Seitenschmerzen ignorierend, noch einmal beschleunigte. Das Päckchen in ihrer linken Jackentasche schlug im Takt der Schritte gegen ihren Oberschenkel. Janusch hatte Recht gehabt - es heute noch ohne jegliche Vorbereitung abholen zu wollen, war das reinste Himmelfahrtskommando! Aber Epp war zu pleite, um sich das Zeug bei schönem Wetter kaufen zu können, und bei dieser Wetterwarnung waren die Schnäppchen einfach zu verlockend gewesen. Donnergrollen riss sie aus ihren Gedanken - das Unwetter rückte näher. Gleichzeitig begann die Warnanzeige in ihrem Augenwinkel hektischer zu blinken. "Schöne Scheiße!", dachte Epp, als sie durch ein großes Loch in einem Maschendrahtzaun schlüpfte, um zurück auf die Hauptstraße zu gelangen. Mittlerweile fuhren keine Autos mehr, so dass sie hier schneller vorankam als über die von Unrat übersäten Seitenstraßen.

Epp rannte um ihr Leben. Ein erneutes Grollen ertönte und der erste Tropfen fiel neben ihr auf den Asphalt. Ein gelblicher Film breitete sich um die feuchte Stelle herum aus. Erschrocken wollte Epp das Tempo noch einmal anziehen, aber ihre überlastete Lunge rebellierte und die Beine begannen, ihr den Dienst zu versagen. Nach Luft japsend wurde das Mädchen langsamer. Aus der zähen, dunkelgrauen Wolkendecke, die dräuend über der Stadt hing, begannen sich weitere Regentropfen zu lösen. Innerhalb weniger Sekunden ging das Tröpfeln in einen wahren Sturzregen über. Der Asphalt um Epp herum färbte sich ölig-gelb und giftige Plörre sammelte sich zunächst in weiten Pfützen, um dann die Straße wie ein Bach herunterzufließen.

Das Mädchen war kreidebleich stehengeblieben. Nur wenige Zentimeter vor ihren Füßen teilte sich das gurgelnde Wasser und vereinigte sich hinter ihr wieder, so dass Epp nun wie auf einer Asphaltinsel stand. Die Warnleuchte blinkte bedrohlich, als Epp langsam einen Fuß vor den anderen setzte, abwartend, ob es der schwachen Batterie des Reflektors noch gelingen würde, das Wasser zu verdrängen. Erleichtert stieß Epp den angehaltenen Atem aus, als sie endlich die Straße verließ und auf den Gehweg stieg - eine trügerische Sicherheit, denn sie wusste, dass der Regen in wenigen Minuten auch diesen überflutet haben würde. Gehetzt blickte das Mädchen sich um. Bis zu ihrer Unterkunft würde sie es unter keinen Umständen mehr rechtzeitig schaffen. Sie stolperte zum nächsten Wohnhaus. Panisch hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür, wohl wissend, dass kein vernünftiger Mensch bei diesem Wetter mehr die Tür öffnen würde.

"Hilfe...", wimmerte Epp mit dünner Stimme und ließ die Wange gegen das kühle Metall der Haustür sinken. Die blinkende Akku-Anzeige ihres Reflektors begann zu flackern. "Das war's.", dachte Epp resiginiert und schloss die Augen. Sie spürte, wie die Regentropfen immer näher vor ihrem Gesicht herabfielen als der Reflektor seine Wirkung verlor. Ein helles Licht schien durch ihre Augenlider hindurchzuleuchten. Dass es so schnell wirken würde, hätte sie nicht gedacht. Epp wusste, dass sich das Gift zuerst auf die Augen auswirkte, ehe es die inneren Organe zerfraß und einem am Ende das Hirn stückchenweise aus der Nase tropfen ließen. Sie begann zu zittern.

Dann wurde ihr mit einem Mal angenehm warm. Das konnte unmöglich der Regen sein - der war eiskalt, das wussten alle. Vorsichtig betastete Epp, die Augenlider fest zusammengepresst, ihr Gesicht. Es war trocken. Mit einem Auge lunste sie an sich herab und stellte mit Erstaunen fest, dass sie mitnichten vom Regen durchweicht war. Sie hob den Blick. Jemand hielt schützend einen Reflektor über sie. Es war ein altes, transportables Modell, wie Epps Mutter sie früher noch verwendet hatte. Hastig nahm ihn das Mädchen an sich und presste den Stock fest an ihre Brust. Einige Haarsträhnen verfingen sich in den metallenen Rippen über ihrem Kopf, zwischen denen der mechanische Schutz gespannt war. Ein durch die gefärbte Bespannung über ihr scheinender Strahl tauchte Epps Gesicht in rotes Licht. Vorsichtig lugte sie am Rand vorbei nach oben. Vor ihr stand ein Minenarbeiter! Epp kannte dieses Modell nur aus Geschichtsbüchern: Ein massives Konstrukt aus Metall mit einer hellen Leuchte, sehr arbeitsam aber mit einem unglaublichen Energiebedarf, weswegen sie schnell durch modernere Geräte ersetzt worden waren. Wieso funktionierte dieser hier noch? Wer betrieb ihn? Was tat er hier mitten in der Stadt? Epp lächelte den Arbeiter an. "Danke.", sagte sie. Der Gigant vor ihr nickte, was den Lichtstrahl aus seinem Gesicht auf und ab wandern ließ. Dann wandte er sich ab und stakste mit langen Schritten die Straße herunter, wo Epp ihm nachsah, bis er um eine Kurve verschwunden war. Dann begann sie langsam, nach Hause zu gehen. Ihre Finger hatte sie fest um den Reflektor geschlossen. Eine angenehme Wärme schien von dem Schild auszugehen. Sie lächelte.