So, ich leite Murder in Baldurs Gate. Und obwohl wir noch ziemlich am Anfang sind, sind mir vor allem durch ein Telefonat mit einem Spieler ein paar Designfehler aufgefallen.
Was ich mit diesem Thread bezwecke? Erstmal nur Gedanken sortieren und ein bißchen ablästern. Falls du nicht weißt, was (dir) das bringt, verzichte doch bitte trotzdem auf Postings á la "Und was möchtest du uns damit sagen?".
Wer inhaltliche Fragen oder Anmerkungen und Vorschläge hat, kann sich gerne auslassen. Besonders willkommen natürlich Leute, die das Abenteuer schon gespielt oder geleitet haben.
Wer das Abenteuer noch spielen will oder gerade spielt, sollte spätestens jetzt aufhören zu lesen.
In meinen Augen macht das Abenteuer gleich mehrere Fehler.
Ich verstehe die Prämisse, dass die SC von außerhalb kommen müssen, da sie sonst automatisch einer der drei Fraktionen anhängen und am Anfang nicht die freie Wahl haben. ABER:
Warum muss man die Auswahl so verkomplizieren? Welchen Mehrwert hat es, am Anfang einen Zeitdruck in den SL-Anweisungen aufzubauen, dass die Gruppe nicht zu allen drei Treffen gehen kann, weil diese zu dicht aneinanderliegen? Zum Einen wird dieses "Problem" vaporisiert, wenn sich die Gruppe trennt. Zum anderen ergibt es auch keinen Sinn, dass die Fraktionen
sofort ein Ja oder Nein zur Mitarbeit haben wollen. Alle drei Gespräche führen, die Spieler beraten lassen (dauerte bei meiner Gruppe übrigens fast 1,5 Stunden, alles in Charakter) und dann eine Entscheidung treffen lassen bringt in meinen Augen viel mehr. Wenn man sich die Gesamtzeit des Abenteuers ansieht, sind das theoretisch mehrere
Wochen, die die SC für die eine oder andere Fraktion tätig sind. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, dass die Kontaktpersonen der Fraktionen von zum Zeitpunkt der Gespräche ihnen de facto völlig Unbekannten sofort eine Entscheidung wollen. Mindestens ein "Wir beraten uns und schlafen einen Nacht drüber" ist aus rationaler Sicht ohne Probleme drin.
Mit dem "offiziellen" Einstieg wissen die Spieler noch viel weniger, warum sie jetzt für wen was erledigen sollen. Und damit sind wir schon beim nächsten und in meinen Augen sogar größeren Problem, welches auch unter anderem an der Prämisse (auswärtige SC) hängt: Die Charaktere haben ausser der Aufklärung des Initialmords gar keine Motivation, für die am Anfang recht banalen Probleme der Stadt Interesse aufzubringen. Und genau dieses Ereignis, das alles erst ins Rollen brachte, wird nach der Vernichtung des Dämons im ersten Kampf im "Prolog" des Abenteuers nicht ein einziges weiteres Mal erwähnt. Die SC werden von mysteriösen Leuten (ein gut gekleideter Typ, der für irgendwen arbeitet, ein mysteriöser Kapuzenkerl mit kryptische Warnungen und ein Kerl in ner Plattenrüstung, der sich über Verfall von Recht und Ordnung mokiert - mehr wissen die Spieler zu diesem Zeitpunkt nicht) angesprochen, nachdem sie den Mord an Herzog Adrian "gerächt" haben, weil in der Stadt offensichtlich einiges schief läuft, aber wirklich
niemand kümmert sich im weiteren Verlauf um die Aufklärung des Attentates und die merkwürdige Verwandlung eines Menschen in einen Dämon (Bhaalspawn). Keine der drei Fraktionen fragt auch nur einmal "What the FUCK war DAS denn!?!?".
Stattdessen werden die SC auf zum Teil absolut banale Aufträge ausgeschickt. Wobei recht schnell ein sehr seltsamer Effekt im Abenteuer auftritt: Die Autoren gehen oft nicht darauf ein, wie sich ein Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln entwickeln könnte. Manchmal wird das Ereignis nur aus der Sicht derjenigen beleuchtet, die es ausgelöst haben und manchmal nur aus der Sicht der Gegenspieler oder Leidtragenden. Besonders die Gilde schickt ganz anscheinlich immer andere los, um Aufträge auszuführen und die SC können das dann noch verhindern, weil sie offensichtlich von der Gildenführung gar nicht involviert werden und daher keinen Plan haben, was hier eigentlich abgeht. In Stage 3 (von 10) z.B. wird beinahe zwingend davon ausgegangen, dass die SC für die Oberstadt arbeiten, da einige Hinweise sonst für sie entweder kaum zu bekommen sind oder ihnen gar nicht ausgehändigt werden. Es wird überhaupt nicht darüber geschrieben, wie die SC die initiale Aktion erleben, wenn sie sich in den Diensten der Gilde befinden.
Auch ist die Eskalation von allen Seiten für die Spieler kaum nachzuvollziehen. Einer der Spieler rief mich an um mit mir zu besprechen, wie er denn diplomatisch versuchen könnte, die Fraktionen alle auf Kurs (nämlich Aufklärung des Attentates) zu bekommen. Das ist nur, wie oben erwähnt, vom Abenteuer überhaupt nicht vorgesehen. Aus gewichtigen und logischen Gründen, die sich allerdings komplett den Spielern entziehen.
Wenn die Spieler irgendwann (imho eher früher als später) verwirrt dastehen und sich fragen, was sie hier eigentlich tun sollen (solange sie nicht vollends glücklich darin aufgehen, für eine Fraktion die Laufburschen zu spielen), wird von den Autoren nur eine weitere mysteriöse Figur an die Front gestellt, die zum Teil kryptische Hinweise verteilt. Also mittlerweile spiele ich seit 27 Jahren Rollenspiel und wenn ich eines HASSE, dann sind das NSCs der Marke "Ich weiß, was vorgeht, aber ich sage euch nichts direkt, sondern gebe nur verschlüsselte Hinweise, die ihr selber aufdröseln müsst". Das ist SO 90er.
Da ich bemerkt habe, dass die Spieler auch schon etwas ratlos-frustriert auf den nächsten Hinweis oder Auftrag warten, habe ich den Mysteryman zur vierten Fraktion erklärt, die Hintergründe des Settings als "Also ich
vermute ja, dass ..." den Spielern erläutert und ihnen eine neue Meta-Mission gegeben: Verhindert möglichst alles, was die drei Fraktionen anstellen wollen, denn wenn Bhaal hinter allem steckt, kann
nichts davon zu etwas Gutem werden.
Und sie haben es dankbar angenommen.
Was ich im Design der Eskalationsstufen auch sehr irritierend fand, war der extrem abrupte Wechsel von Stufe 6 zu Stufe 7 bei Rael, der Gildenfrau. Eben noch Brandstiftung mit "Bitte nur Gebäude, wir wollen ja niemand verletzen" und jetzt sollen Leute ermordet werden, die man nur noch als Innocent Bystanders bezeichnen kann. Das ergibt a) überhaupt keinen Sinn, erschwert b) Raels Möglichkeiten, die SC in Stufe 10 (wie im Abenteuer vorgeschlagen) um Hilfe zu bitten, wenn es sie nicht gar vollkommen unmöglich macht und c) wird die gesamte Aktion ausschließlich so beschrieben, dass die SC diese verhindern sollen/wollen/müssen. Kein Wort darüber, wie die Stufe zu spielen sei, wenn die SC sich in Raels Diensten befinden.
Gut, meine Gruppe arbeitet sowieso für die Oberstadt, weil diese Fraktion einfach für gemischte Gruppen (ohne gemeinsame ideologische Agenda) die besten Konditionen bietet: Jede Menge Gold, Kost und Logis im besten Hotel der Stadt plus Boni für erledigte Aufträge. Auf guten Lohn können sich die allermeisten Leute noch einigen. Auf Law & Order mit spartanischen Söldnern mit rassistischen und nationalistischen Tendenzen oder chaotischen Terrorismus zur Verärgerung von wohlhabenden Menschen inklusive "irrelevante" Kollateralschäden eher ... nicht.
Jetzt haben sie dank "Fraktion 4" aber auch eine Agenda, mit der sie sich schon alleine deswegen identifizieren können, weil sie ihnen
bekannt ist!
Für meinen Geschmack geht bei MiBG viel zuviel hinter den Kulissen ab, wovon sowohl die SC als auch die SPIELER nichts mitbekommen, sodass Frustration fast schon vorprogrammiert ist. Vielleicht funktioniert soetwas mit einer heftig pro-aktiven Gruppe, aber der durchschnittliche Homo Sapiens Rollenspielensis möchte nach meiner Erfahrung ein paar Haken, an denen er sich entlanghangeln kann. Und am besten sollen diese noch ein bißchen beleuchtet werden, damit man sie nicht ständig übersieht.
So, nochmal eine kurze Auflistung über die (imo) Fehler im Design:
- Bindung der SC an die Stadt wird nicht behandelt
- Anfängliches Attentat wird im weiteren Verlauf komplett ignoriert
- Identität (ganz zu schweigen von den Agenden) der Fraktionen wird bei Kontaktaufnahme verschleiert
- Ausführliche Behandlung im Abenteuer von Problemen, die eigentlich gar nicht existieren
- Bindung der SC an die gewählte Fraktion wird nicht behandelt
- Eskalationsstufen werden nicht von allen Seiten beleuchtet, manchmal wird eine Fraktion für die SC fast zwingend vorausgesetzt
- Eskalation teilweise nicht nachvollziehbar
- Zuviel Geschehnisse "hinter den Kulissen", Bauerngefühl bei Spielern
Eine zusätzliche Sache finde ich persönlich auch noch etwas problematisch.
Das Abenteuer ist für Stufe 1-3 gedacht. Die Handlung spielt über mehrere Wochen in einer quirligen Metropole und manche Eskalationen laufen über mehrere Tage, bis die SC eingreifen (dürfen). Es ist allerdings nicht angeraten, die "Downtime" für Nebenquesten zu nutzen. Die SC könnten sonst vor erreichen von Eskalationsstufe 10 bereits die selbige im Charakterlevel erreicht haben.
Danke für´s Lesen.