Der erste Spieleabend: Erneut aus Sicht von Casper, steht in direkten Bezug zum Gruppeneinstieg zuvor:
Immer heißer und heißer wurden Wände und Boden, Caspar hörte das Reißen von Stoff zwischen dem erschöpften Stöhnen der anderen Insassen. Es war stockfinster. Nicht ein einziger Lichtstrahl fand den Weg in die immer heißeren Kerkerzellen. Schmutzfink kicherte kurz und wieder riss direkt neben Caspar ein Kleidungsstück. Er musste bereits auf den Füßen tippeln, so heiß war der Boden.
„Es kommt jemand“, flüssterte Chin angespannt und auch in seiner Stimme lag Erschöpfung. Caspar blickte sich um. Von wo? Er wusste nicht mehr, wo die Tür war, durch die man ihn vor einigen Tagen bei seichtem Fackelschein in diese Zelle geschubst hatte. Bestimmt wieder essen. Erst jetzt bemerkte er den unsäglichen Hunger, der sich in seinem Magen durch ein tiefes Grollen Aufmerksamkeit verschaffte. Kurz darauf knarrte eine Luke und mit blecherndem Klappern wurde etwas grob in den Raum geschoben. Für Sekunden waren in vagem Licht Konturen von Schalen auf einem großen Tablett auszumachen, einige von ihnen Kippten auf den Boden, als das Tablett wieder zurück gezogen wurde. Noch bevor es wieder vollkommen dunkel war, wurde es unruhig im Raum. Alles stürzte sich auf die Tür.
„Verpiss‘ Dich!“, donnerte es aus einer Ecke des Kerkers und dumpfe Schläge wechselten mit dumpfem Stöhnen. Jemand keuchte, jemand knurrte angestrengt, weitere Schläge, aus der anderen Richtung klapperten die Schalen, auch dort klang es nsch Handgemenge. Caspar stand wie angewurzelt und tastete erst in Richtung Schmutzfinks, dann in Chins. Beide waren nicht mehr in seiner Reichweite. Caspar tippelte weiter. Aus der Ecke war mittlerweile nur noch ein keuchendes Wimmern zu hören, gefolgt von einem markerschütternden Knacken. Jemand schrie. So laut, dass Caspar seine Hände auf die Ohren presste und das Handgemenge an der Tür kurz verstummte.
„Mein Arm! Du verfickter Hurenlump hast meinen Arm gebrochen! Wachen!“
Caspar konnte weder hören, wie sich der Streit um das Essen fortsetzte, noch das gierige Schmatzen derer, die sich eine der Schalen sichern konnten und wild den Haferschleim in ihre Münder schaufelten. Dann knuffte ihm jemand gegen die Schulter.
„Iff waf, Kleiner“, mampfte Chin direkt neben ihm und hielt Caspar eine Schale vor die Brust. Es dauerte allerdings kurz, ehe dieser verstand und erst Chins Arm, dann auch das üppig gefüllte Gefäß ertastete. Chins Fähigkeit auch im Dunkeln zu sehen erwies sich hier unten als nützlicher denn je.
„Binde Dir etwas um Deine Füße, Caspar, Deinen Unterrock wirts Du hier drinnen anders kaum brauchen können“, schmatze Schmutzfink, „kümmerst Du Dich um Elsa, Chin?“
Der Halbork drückte Caspar die Schale in die Hand und machte zwei Schritte an ihm vorbei. Für Elsa musste die Situation noch unerträglicher sein als für ihn. Im ganzen Raum hörte man mittlerweile, wie sich die Insassen Stoffbahnen um die Füße wickelten, um sich vor der Hitze zu schützen. Ansonsten untermalte noch immer ein schmerzerfülltes Wimmern die desperate Situation in diesem städtischen Gefängnis.
Die Zeit verging zäh, die schier unerträgliche Hitze unterband längere Unterhaltungen und forderte bald ersten Tribut. Nicht weit von ihm hörte Caspar ein leises Keuchen, von Minute zu Minute unregelmäßiger, bis erschließlich hörte, wie die Person leise in sich zusammen Sackte und das Keuchen verstummte.
"Chin, Fink, seid ihr noch da? Wie geht es Elsa? Ich möchte hier raus..:"
Das raue Räuspern des Halborks beruhigte ihn nur bedingt.
"Wir kommen hier schon irgendwie raus, uns muss ein Prozess gemacht werden." Schmutzfink klang dabei wenig überzeugt.
"Halt den Mund, Du Narr - das glaubst Du doch selbst nicht", tönte es aus der Dunkelheit und Caspar war sich unsicher, ob das kehlige Krächzen nicht eigentlich der Versuch eines hämischen Lachens war. Schmutzfink ließ sich weder provozieren, noch überhaupt darauf ein und - weshalb auch immer - war für Caspar dieser Umstand noch weit beunruhigender als die beklemmende Aussicht auf ein qualvolles dahinraffen im Bauch dieses Heizofens.
Stunden vergingen - Caspar vertrieb sich die Zeit, indem er mit seiner trockenen Zunge die salzigen Schweißtropfen aufzufangen versuchte, die über seine Stirn die Nase herabkletterten, um sich an deren Spitze in die Dunkelheit zu stürzen - als plötzlich die Zellentür laut knirschend aufgeschoben wurde und im Schein einer Fackel gleich vier oder fünf gerüstete Wachen in den Raum marschierten. Angeblich, das Gerücht kursierte zumindest unter den hiesigen Insassen, als noch ausreichend Kraft für einfache Unterhaltungen aufgebracht werden konnte, würden sie einzelne Gefangene auslesen, um diese im Bauch des Gebäudes schweißtreibende Arbeit verrichten zu lassen.
Sofort begann ein Ansturm auf die Tür, für viele war die Aussicht auf Arbeit weitaus attraktiver als der zermürbende Aufenthalt in der heißen Kerkerzelle und wer weiß - vielleicht war man der Freiheit ein klein wenig näher, wenn man sich als Arbeitskraft zur Verfügung stellte. Die Wachen allerdings prügelten mit ihren Panzerhandschuhen jeden unbarmherzig zurück, der sich ihnen hoffnungsvoll entgegen schmiss und zerrten nur die Reglosen, die bereits Schwielen dort hatten, wo ihre Haut auf dem Boden auflag mit grobem Ruck durch die Tür. Knapp eine Minute später war es wieder finster. Caspar war kalt. Die Hoffnungslosigkeit, die Barbarei, die schrecklich tanzende Schatten an die Wand zeichnete und die alles verschlingende Dunkelheit, die keine Ablenkung bot von den grausamen Bildern, verdrängte all das Körperliche, den verbrennenden Leib, die steifen Glieder, den Hunger und die aufplatzenden Lippen, an denen vorbei mittlerweile die Schweißtropfen in die Tiefe stürzten und mit leisem Zischen auf dem Boden verdampften. Die Stunden verstrichen. Mehr oder weniger.
"Caspar, Caspar!"
Er öffnete seine Augen und sah Schmutzfink vor sich. Er sah ihn. Im Fackelschein. Man packte ihn am Kragen und zerrte ihn aus der Zelle. Es war plötzlich hell, seine Augen schmerzten. Chins Hand krallte sich in Caspars Leinenhemd, Schmutzfink und Elsa liefen hinter ihnen. Schweres Mauerwerk zog an ihm vorbei, immer heller, immer kälter wurde es. Er hörte Stimmen, Chin unterhielt sich mit Schmutzfink, die Wachen untersagten ihnen das Gesrpäch in fremden Zungen.
Plötzlich kam die Kolonne zum stehen. Unter ihnen Sand, über ihnen trübe Wolken. Eine Tribüne, mehrere Galgen. Die frische Luft tat gut, Caspar kam mehr und mehr wieder zu sich. Die vier standen mit zwei Fremden vor einer Frau, die Papiere auf einem Pult sortierte und immer wieder Blicke auf die Tribüne warf. Eine Gestalt mit grotesker Rabenmaske blickte von dort aus ausdruckslos auf das Geschehen. Vor den Galgen wartete ein Henker.
Caspar wurde nervöser, während sich die bizarre Rabenmaske ins Zentrum seines Sichtfeldes brannte. Sie grinste kurz, die dunklen Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen und kurz funkelte ein sengendes Feuer dort auf, wo Augenhöhlen sein sollten. Zwei gewaltige, schwarze Flügel erhoben sich und verdeckten den Himmel, einer rechts, einer links der morbiden Fratze. Mit sanften Schlägen erhob sich der Vogel und schwebte wenige Meter über den Galgen. Als eine entfernte Stimme ein Todesurteil ausspricht und mehrere ungepflegte Gestalten vom Henker auf die hölzerne Bühne geführt werden, formt sich aus dem seichten Grinsen des Rabens ein hämisches Lachen. Eine gezackte Zunge wand sich wie eine Schlange im Schlund des Todesengels und das kaum hörbare Krächzen verbrannte Caspars Ohren. Rasumchin trat plötzlich vor Caspar, dessen Blicke verfolgten, wie den Verurteilten ein Strick umgelegt wurde.
"Du wirst ihn niemals finden. Deine Seele gehört nun mir"
Der Rabe senkte seinen Kopf, beinahe so groß, wie ein Haus, ehe er direkt vor Chin ruhen blieb und durch diesen hindurch verstohlen auf Caspars Seele blickte. Die Schlange im Maul zuckte dabei lüstern, strich einmal über die linke Seite des schwarzen Schnabels und schnalzte zurück in ihr dunkles Loch. Caspar spürte den Lebenshauch, der trocken aus der Dunkelheit gewaltiger Nüstern gepustet wurde und sich schwer wie ein toter Nebel über die Szenerie legte. Beinahe konnte er ihn greifen.
Plötzlich riss man an seinem Arm. Der Henker zerrte ihn grob auf die Bühne, der Rabe beobachtete jeden Schritt, Caspar zitterte vor Angst. Jeden Moment würde der Rabe ihn verzehren, Caspar verschwinden und nichts von ihm übrigbleiben als krude Erinnerungen aller, die seinen Lebensweg kreuzten und ihn dabei wahrnahmen. Caspar schwenkte den Kopf, um dem gierigen Blick des Vogels zu entgehen. Schmutzfinks Miene war finster, der Strick um seinen Hals so eng, dass seine Adern hervortraten. Als er Caspars Blick bemerkte, lächelte er nicht weniger gequält als ermutigend. Der Atem des Raben drohte auch Caspar zu ersticken - aus Angst wurde Panik, er begann zu hecheln, rang nach Luft, doch seine Lungen füllten sich mehr und mehr mit Tod. Chins Blick war eisern. Er starrte in die funkelnden Augen des Vogels, furchtlos, seiner selbst so sicher, wie Caspar es niemals sein würde. Rasumchins grobes Gesicht formte sich eine gewaltige Fratze, nicht minder fürchterlich als jene, die Caspar zu ersticken drohte. Ewigkeiten vergingen, die beiden regten sich nicht, die Zähne des Halborks blitzten nicht minder scharf als die Spitze des schwarzen Schnabels. Caspar wusste nicht, was vor sich ging, aber er bewunderte Chin. Niemals könnte er einer solchen Kreatur standhalten und plötzlich spürte Caspar, wie Hoffnung aufstieg. Er wusste nicht, was vor sich ging, die beiden schienen ein Duell auszutragen, das die Luft zum Flimmern brachte.
Plötzlich schlug der Dämon mit den Flügeln, eine lautes Knarren - seine gewaltigen Schwingen stießen ihn hoch in die Luft, hunderte Meter, und wehten den faulen Atem hinfort. Caspar konnte kurz noch die Umrisse des Vogels am Himmel ausmachen, ehe er außer Sicht war. Luft füllte seine Lungen. War er geflohen? Was ist geschehen? Er lebte. Schmutzfink neben ihm ebenso. Verwirrt sah sich dieser um - auch er wusste nicht, was geschehen war. Chin rappelte sich auf, er sah mitgenomen aus.
"Mein bin Lord Maron", sprach eine Stimme wenige Meter neben den beiden aus der Dunkelheit, "bitte folgt mir."