Ja, ich bin bei meiner Bewertung ein bisschen unsicher und habe schon - bevor ich die Kampagne geleitet habe - ein paar Phasen durch.
1. Zuerst mal war ich ganz begeistert von der Idee Night´s Black Agents mit antiker Mythologie zu verknüpfen. Das ist genau das, was mich zur Zeit anmacht.
2. Dann habe ich die Kampagne einmal durchgelesen... und erstmal relativ wenig verstanden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass der ohnehin schon knappe Gumshoe-Schreibstil hier nochmal komprimierter erscheint. Immerhin ergibt sich rückblickend und bei nochmaligem Nachlesen der Verlaufsskizzen doch ein einigermaßen verlässlicher Eindruck.
3. Ich habe dann angefangen, die Kampagne im Detail zu betrachten. Hier bin ich erst am Anfang, kann aber immerhin schon sagen, dass sich die Mühe lohnt. Viele Abenteueroptionen begreife ich erst, wenn ich den Text ganz genau lese und die Stärken und Schwächen der Gegner dabei mitberücksichtige. Oft werden diese Möglichkeiten nicht explizit genannt, genau das macht die Lektüre des Abenteuers etwas anspruchsvoller.
Wie ist die Kampagne also?
Die Gegner sind „orphische Vampire“: Untote aus der antiken Unterwelt, die in der Welt der Sterblichen eigentlich nicht mehr als Schatten sind, durch Blutkonsum aber zunehmend materielle Form annehmen können. Sie brauchen Hilfe um in unserer Welt etwas ausrichten zu können, dafür haben sie aber im Bereich von Blut, Tod, Unterwelt und Verstorbenen diverse Spezialkräfte.
Grundsätzlich gibt es also Ähnlichkeiten zu den anderen Night´s Black Agents Veröffentlichungen. Die Vampire sind die maßgebliche Kraft hinter einer Verschwörung, sie haben menschliche Helfer und noch einigen zusätzlichen Schnickschnack. Wer sich aber genau anschaut, was für Fähigkeiten und Eigenarten die Vampire und ihre Helfer hier besitzen, stellt fest, dass die Kampagne doch recht einzigartig ist. Das zeigt sich schon allein an der Taktik, die die Agenten brauchen, um gegen diese Gegner zurechtzukommen. Hier muss ganz anders vorgegangen werden, als in den anderen Veröffentlichungen. Ich fand auch die Beziehungen innerhalb der Verschwörung interessant und spannend. Das Verhältnis zwischen Vampir und menschlichem Helfer ist nicht automatisch das von Meister und Diener. Die Vampire haben auch einige Schwächen – bei ihren Spielwerten, besonders aber auch in ihrem Wesen verankert – weshalb es durchaus einige Menschen gibt, die ihnen als Ebenbürtige gegenüber stehen. Damit gewinnt der soziale Aspekt innerhalb der Verschwörung eine gewisse Bedeutung... was beispielsweise dann interessant werden könnte, wenn die Agenten versuchen deren Reihen zu infiltrieren.
Grundsätzlich kämpfen die Agenten hier gegen zwei (miteinander verknüpfte) Bedrohungsszenarien an, von denen eines allein ausreicht um eine globale Katastrophe herbeizuführen. Die Kampagne besteht aus fünf Abenteuern. Das erste (Paris) ist eine ausgesprochen großartige Einführung: Toller Aufhänger (den man eventuell ein wenig an die Spielerfiguren anpassen muss), komprimierte Handlung und jede Menge beunruhigende Hinweise bei actionlastiger Handlung.
Die Abenteuer zwei, drei und vier können sich nun in beliebiger Folge anschließen. Da die Kampagne von 5 unterschiedlichen Autoren geschrieben wurde, sind die Verbindungen zwischen den Einzelabenteuern nicht ganz so zwingend wie beispielsweise beim Zalozhniye-Quartet. Möglicherweise müssen gerade die Hinweise, die zu einem weiteren Abenteuer führen, etwas nachdrücklicher ausgegeben werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Abenteuer tatsächlich in einer vom Standardverlauf abweichenden Reihenfolge gespielt werden, ist dafür aber größer.
Abenteuer zwei (Barcelona) und drei (Moskau – Sibirien) gefallen mir nicht ganz so.
Bei Barcelona hatte ich die größten Verständnisprobleme. Das Abenteuer könnte in meinen Augen etwas mehr Zielstrebigkeit gebrauchen. Letztlich geht es darum, die Verschwörung zu infiltrieren. Warum das aber überhaupt ratsam ist, habe ich nur ganz allmählich begriffen. Was man dann bei geglückter Infiltration für Möglichkeiten hat, könnte auch noch etwas deutlicher gemacht werden.
Moskau – Sibirien beginnt vielversprechend, ist am Ende aber sehr kampflastig... etwas zu sehr für meinen Geschmack.
Abenteuer vier (Istanbul) ist allerdings ein weiteres Highlight und wartet mit sehr stimmungsvollen Episoden auf. Hier gibt es soziales Drama, mythologische Orte, Verzweiflung und Ohnmacht und dennoch eine große Entscheidungsfreiheit bezüglich des Vorgehens der Spieler.
Das letzte Abenteuer (Athen) ist der Showdown. Auch dieses Abenteuer finde ich relativ gut, allerdings sind in meinen Augen einige mögliche Abenteuerverläufe deutlich attraktiver als andere.
Ein bisschen fragwürdig ist für meinen Geschmack die Dramaturgie der Gesamtkampagne. In den einzelnen Abenteuern können die Agenten Teilsiege erringen. Dadurch verringert sich die Bedrohung, was für den großen Kampagnenschluss in meinen Augen leider ein wenig deeskalierend wirkt. Andererseits gibt es dann auch wieder zwei oder drei Momente, in denen die Siege der Agenten durch die Hintertür nachträglich zunichte gemacht werden: „Ja, ihr habt das und das erreicht, aber hier erfahrt ihr nun, dass die Verschwörung noch ein anderes Mittel besitzt, mit dem sich ihr Verlust wunderbar kompensieren lässt.“ Nicht immer so ganz geschickt, wie ich finde.
Ein bisschen schade ist auch, dass die Abenteuer zumindest ansatzweise in eine ähnliche Richtung tendieren: Am Ende sind die Agenten in der Regel im Zentrum des Geschehens und müssen sich den Weg freiballern. Das ist beim Zalozhniye-Quartet abwechslungsreicher gelöst (und das Dracula-Dossier kommt hier aufgrund seiner ungewöhnlichen Präsentationsform gar nicht in die Gefahr, Routineverläufe zu generieren). Diese Showdown Momente sind auch oft nicht gerade ausführlich beschrieben und besonders schmerzlich vermisse ich hier Kartenmaterial. Es bleibt für den Spielleiter einiges zu tun, um diese Actionmomente anschaulich zu machen.
Die unbekannte Größe bei der Persephone Extraction ist die Offenheit. Es gibt ziemlich viele Nebeninformationen, aus denen nicht nur der Spielleiter, sondern auch die Spieler etwas machen können – zum Beispiel alternative Lösungsstrategien entwickeln, die aber im Text nicht ausdrücklich beschrieben sind. Hier ist einiges drin und ich sehe durchaus großes Potential. Um es nutzbar zu machen braucht es aber eine kreative Gruppe, der in Stresssituationen mehr einfällt als der Griff zur Waffe. In solchen Gruppen würde ich besonders gern zur Persephone Extraction greifen.
Insgesamt würde ich sagen: Gute Abenteuer, gute Kampagne, dass das zu einem umwerfenden Erlebnis wird, ist allerdings nicht garantiert (aber auch nicht ausgeschlossen).
Wahrscheinlich bekomme ich die Gelegenheit es auszuprobieren.