Ich sage gar nicht, dass Dichtung nur dem Ausdruck von Unglück dient.
So habe ich dein Zitat oben aber gelesen.
"Wenn du glücklich bist, warum solltest du ein Gedicht schreiben?"
Oder andersherum formuliert: Du hast nur einen Anlass, ein Gedicht zu schreiben, wenn du unglücklich bist.
Wenn dir meine Beispiele alle nicht "literarisch" genug waren: Mit der
Anakreontik gab es eine ganze Stilrichtung, die sich nur mit netten Dingen wie Liebe, Freundschaft, Natur, Wein und Geselligkeit und so Gedöns befasste. Ich hoffe, Goethe und Schiller genügen dann deinen Ansprüchen. Ich denke, wenn ich Literaturgeschichte studiert hätte, würden mir zahlreiche weitere Beispiele für Gedichte "nicht-unglücklichen" Inhalts einfallen. Spontan kommt mir noch die
Naturlyrik (nicht nur) der Romantik in den Sinn, da gibt es zahlreiche Beispiele, in denen das lyrische Ich die Schönheit und Idylle der Natur bewundert.
Jedem das seine. Von mir aus auch Büttenreden.
Die muss ich jetzt aber nicht mit Luise Glück vergleichen, oder?
Ich bezog meine Beispiele gar nicht auf Louise Glück, denn die ist wohl wirklich nicht für ihre fröhliche Lustdichtung bekannt. Es geht mir um die von dir vermittelte Behauptung, Lyrik per se müsse halt immer tragischer/unglücklicher Natur sein. Und das stimmt nicht. Man muss nicht unglücklich sein, um das Bedürfnis zu haben, zu dichten. Und einfach sämtliche, zahlreiche Gegenbeispiele, die ich anbringe, als sonderliche Ausnahmefälle oder wertlose Amateurdichtung abzutun, finde ich nicht sehr sachlich. Das vermittelt mir den Eindruck, dass du eine recht enge Vorstellung davon hast, was "ordentliche" Lyrik ist und alles, was da nicht reinpasst, wird einfach abgetan als nicht behandlungswürdig.
An der literarischen Qualität der Texte von Louise Glück habe ich nie gezweifelt. Das kann ich ohnehin nicht beurteilen.
Ich habe, um kurz auf Jibas Beitrag zu sprechen zu kommen, auch nicht gesagt, dass ich grundsätzlich etwas gegen traurige Gedichte habe. Ich les die gelegentlich auch sehr gerne. Ich mag nur persönlich diese Art besonders alltagsnahen Textes über zerrüttete Verhältnisse und die Auswegslosigkeit der Zivilisation nicht (nennen wir sie mal frei "Problemliteratur" - also "realistische" Literatur über Probleme moderner Menschen, die theoretisch so real auch auftreten könnten und die üblicherweise als nicht leicht oder vollständig auflösbar präsentiert werden und den Menschen in einer passiv seinen (bedrückenden) Umständen ausgesetzten Rolle zeigen). Das gibt mir nichts, das deprimiert mich einfach nur.
Im Übrigen hat schon
Arno Schmidt in den 1950-ern die Behauptung aufgestellt, dass aufgrund der Tatsache, dass die Nobel-Jury alles nur in Übersetzung liest, halt auch nur der mittelmäßig interessante Kram prämiert wird, der sich gut ins Schwedische Übersetzen lässt. Mal so als Denkanstoß, denn der Eindruck, dass nicht unbedingt das prämiert wird, was laut Anspruch des Nobelpreises "der Menschheit den größten Nutzen" gebracht und das "Vorzüglichste in idealistischer Richtung" geschaffen hat, ist ja nicht nur meiner.
Die
taz unterdessen mutmaßt, dass Louise Glück unabhängig von ihrem tatsächlich wertvollen literarischen Schaffen vor allem deswegen prämiert wurde, weil man versuchte, die Preisvergabe diesmal bewusst unpolitisch zu halten.