Autor Thema: Swanosaurus liest SWADE  (Gelesen 1299 mal)

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Swanosaurus liest SWADE
« am: 7.09.2023 | 01:04 »
Als potenzielles Regelwerk für die nächste Kampagne mit meiner Online-Runde lese ich jetzt SWADE. An Savage Worlds habe ich ja seit jeher so ein paar kleine Oberflächlichkeiten auszusetzen, die mich von einer näheren Auseinandersetzung abgehalten haben, aber zahlreiche Beiträge von Weltengeist und anderen haben mich dann doch in dem Eindruck bestärkt, dass es mir gefallen müsste, wenn ich an ein paar Stellen über meinen Schatten springe. Mal sehen, ob‘s stimmt!

Der Leseeindruck ist erst einmal: Hm, SWADE ist langweilig. Aber gar nicht in so einem negativen Sinne – es kommt nur einfach nichts, wo ich denke: „Wow, was für eine großartige neue Idee!“ Das fängt mit den knapp gehaltenen Was-ist-Rollenspiel Erklärtexten an und setzt sich dann nahtlos in der Point-Buy-Charaktererschaffung fort: Wähl ein Konzept, wähl eine Ancestry, wähl Nachteile, wähl Eigenschaften und Fertigkeiten und Edges … die Reihenfolge ist etwas ungewohnt, ergibt so aber Sinn: Hindrances sind wahrscheinlich mit am stärksten mit dem Charakterkonzept verknüpft und bestimmen auch, wie viele Punkte für Edges zur Verfügung stehen, wobei ich nicht sehe, warum irgendjemand für weniger als 4 Punkte Hindrances nehmen sollte, so butterweich, wie viele davon sind. Das ist auch schon mein erster kleiner Nitpick: Eigentlich kann ich es ja nicht leiden, wenn Storykram wie „Feinde haben“, auslegbare „Nachteile“ wie Ehrenkodices und handfester Kram wie ein fehlender Arm alles in die gleiche Kategorie gepackt werden. Andererseits bin ich dann auch wieder nicht so Balancing-versessen, dass das wirklich ein praktisches Problem ergäbe, von daher sehe ich die 4 Punkte einfach als Anregung dafür, wie viele Probleme man seinem Charakter mit auf dem Weg geben sollte, ohne ihn rollenspielerisch zu überladen.

Die Ancestries mit dem dazugehörigen Ancestry-Bastelsystem sich zwar auch nicht irre spannend, die Auswahl ist aber ganz nett, und die Liste wählbarer Eigenschaften zum Ancestry-Bau wirkt recht sinnvoll zusammengestellt (obwohl es mich etwas stört, dass das nicht irgendwie mit den Edges vereinheitlicht ist – aber wenn ich es richtig verstehe, lassen sich zwei Punkte an Ancestry-Eigenschaften einfach in eine Edge umrechnen). Ein bisschen blöd ist, dass irgendwie nirgends so richtig explizit steht, dass die Size auf die Toughness angerechnet wird – irgendwie kann man sich das zusammenreimen, aber es wäre schön, wenn es bei der Berechnung der Toughness für SC auch dabei stünde.

Attribute sind dann völlig unaufregend, die Fertigkeitenliste ist dagegen interessanter, als ich auf den ersten Blick dachte: Erst mal wirkt es etwas inkonsistent, welche Fertigkeiten stark verallgemeinert sind (Fighting, Athletics, Science) und welche enger (Hacking, Persuasion, Intimidation), aber eine Randspalte erklärt sehr gut und einleuchtend, dass es hier weniger um Konsistenz und mehr um Tropes geht – kombiniert mit der Möglichkeiten, als Hindrances Unfähigkeiten wie „Nichtschwimmer“ zu wählen und als Edges Sachen wie „Signature Weapons“, bin ich damit ziemlich einverstanden. Schönes Fertigkeitensystem.

Die Edges sind umfassend, da bin ich beim reinen Lesen erst mal etwas verloren – das meiste wird schon in irgendeinem Kontext Sinn ergeben, manche Sachen wie Reichtum und Berühmtheit finde ich für die meisten Settings aber wieder mal etwas zu weich, um sie mit handfesten Kampf- und Probenvorteilen zusammenzuwerfen.

Insgesamt bin ich bisher in meinen Erwartungen bestätigt und kann mir tatsächlich gut vorstellen, dass sich mit SWADE mit geringem Aufwand haufenweise Settings adaptieren lassen. Auf einer ästhetischen Ebene stört es mich ein bisschen, dass das Abstraktionsniveau so inkonsistent ist und sehr konkrete Regelbausteine einfach neben sehr allgemeinen Regelkonstrukten stehen; und dass die Vergabe von Boni und Mali durch Edges und Hindrances anscheinend keinen klaren Regeln folgt (mal +1, mal -2, mal +4). Da mutet so was wie Fate natürlich viel, viel cleaner und eleganter an. Aber andererseits weiß ich aus Erfahrung, dass gerade Systeme, die ich auf ästhetischer Ebene dafür bewundere, dass sie so clean sind, bei mir am Spieltisch oft nicht zünden und sich in einem gefühlten „ist ja alles egal, weil es regeltechnisch eh immer auf das Gleiche hinausläuft“ erledigen.

Von daher bin ich mal gespannt, wie es weitergeht und ob SWADE mich überzeugt.

Am Rande:
Es gibt sogar zwei offizielle Settings, die ich spannend finde, Holler und Deadlands: Lost Colony, und mit City of the Steam Sun auch ein Third-Party-Setting, das mich interessiert. Den Quickstart für „Han Cluster“, ein third Party Transhuman SF Setting, habe ich mir auch besorgt, aber bin da beim ersten Überfliegen eher etwas enttäuscht und verstehe nicht recht, warum da ein Riesen-Regelkonstrukt um die Idee konstruiert wird, dass alle intelligenten Wesen in dem Setting in einer Art Astralreise ihren Körper verlassen können. Ich nehme an, auf der Spielebene soll das eine Lösung für das Problem lästiger Gruppentrennungen sein, weil durch die Astralreisen alle immer in Echtzeit mit den anderen Kommunizieren und in Geistform zu ihnen gelangen können; aber der Regel-Überbau, den sich das Setting damit einhandelt, ist die Sache in meinen Augen nicht wert.
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Offline Weltengeist

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #1 am: 7.09.2023 | 07:07 »
Schön, dass du dich damit so eingehend beschäftigst!

Mein Eindruck übrigens: Das System muss man spielen, um wirklich zu verstehen, was es besonders macht. Und dann kann man beobachten, was es mit dem Spiel und den Spielern macht und ob man das mag oder nicht. SaWo führt (wenn man es nicht durch verschiedene Setting Rules abändert) zu einem ziemlich pulpigen Spielgefühl - ich mag das, aber manche Leute nervt das auch an.

Ich wünsche dir viel Spaß!
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Offline BobMorane

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #2 am: 7.09.2023 | 09:30 »
Was der Wltengeist sagt.

Savage Worlds hat bei mir auch erst mit spielen und danach dem Lesen der Regeln gezündet.

Vorher war es für mich das "doofere Deadlands". jetzt ist es das System wo wir in unserer Blockbusterrollenspiel für Regellegastheniker fast alles mit bespielen.

Betreff des Mixes von harten und weichen Nachteilen. Ich stimme dir zu das dort und auch bei den talenten das Balancing nicht 100% ist. Aber zumindest bei den Nachteilen ist der Benniefluss das noch ein Faktor. Einarmig wird im Spiel häufiger einen nachteil darstellen und dir einen Bennie bringen.

Online Swanosaurus

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #3 am: 7.09.2023 | 14:11 »
SaWo führt (wenn man es nicht durch verschiedene Setting Rules abändert) zu einem ziemlich pulpigen Spielgefühl - ich mag das, aber manche Leute nervt das auch an.

"Pulp" ist tatsächlich eines der Stichworte, die mich bisher eher von SaWo ferngehalten haben, allerdings vor allem, weil viele damit alles mögliche meinen. Wenn Pulp "Indiana Jones-Action" heißt - also verwundbare Protagonisten und viel Raum für kreative Stunts, die tendenziell nicht völlig over the top sind - dann bin ich voll dabei. Wenn Pulp eher in Richtung moderner Actionfilm ausgelegt wird - megacoole Protagonisten in langen Ledermänteln leeren im Zeitlupe-Seitwärtssprung beide Magazine - nervt es mich. Mir begegnet sowohl die erste Vorstellung (findige Protagonisten in Gefahr finden immer einen Weg) als auch die letztere (Protagonisten sind praktisch unverwundbar und müssen lässig unglaublich coole Stunts durchführen, die den Regeln der Physik spotten) regelmäßig. Von SaWo verspreche ich mir eher ersteres.
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Offline aikar

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #4 am: 7.09.2023 | 14:26 »
"Pulp" ist tatsächlich eines der Stichworte, die mich bisher eher von SaWo ferngehalten haben, allerdings vor allem, weil viele damit alles mögliche meinen. Wenn Pulp "Indiana Jones-Action" heißt - also verwundbare Protagonisten und viel Raum für kreative Stunts, die tendenziell nicht völlig over the top sind - dann bin ich voll dabei. Wenn Pulp eher in Richtung moderner Actionfilm ausgelegt wird - megacoole Protagonisten in langen Ledermänteln leeren im Zeitlupe-Seitwärtssprung beide Magazine - nervt es mich. Mir begegnet sowohl die erste Vorstellung (findige Protagonisten in Gefahr finden immer einen Weg) als auch die letztere (Protagonisten sind praktisch unverwundbar und müssen lässig unglaublich coole Stunts durchführen, die den Regeln der Physik spotten) regelmäßig. Von SaWo verspreche ich mir eher ersteres.
Dann wirst du kriegen was du dir wünschst. Ist genau das was mich an Savage Worlds im Pulp-Kontext stört bzw. warum ich das Pulp-Label bei Savage Worlds für falsch halte. Für mich bedeutet Pulp eben zweiteres, Charaktere die sich in wildeste Stunts werfen und das auch überleben (da zähle ich aber auch Indiana Jones dazu), ich mag das. Und das ist es eben nicht, weil Charaktere sehr plötzlich sterben können, wenn die Würfel gegen sie sind.

Wäre mal interessant zu klären, wo die Vorstellungen von Pulp so kommen (ich könnte es bei mir auf Anhieb gar nicht sagen). Genau genommen heißt es ja nur "Geschichten wie sie auch in alten Groschenromanen hätten stehen können". Und das sagt ja erst mal gar nichts über das Spielgefühl aus.

Viel Spaß auf jeden Fall mit Savage Worlds!  :d
« Letzte Änderung: 7.09.2023 | 15:11 von aikar »
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Offline schneeland

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #5 am: 7.09.2023 | 15:34 »
Ich kann den Eindruck schon nachvollziehen, weil ich bei der Lektüre der SWADE auch nie das Gefühl hatte: oh, das ist aber ungewöhnlich! Ich würde aber vielleicht eher "bodenständig" statt "langweilig" als Beschreibung verwenden. Beim Lesen hatte ich häufiger mal den Eindruck eines aufgeräumten D&D3, unter anderem weil Savage Worlds doch letztlich relativ viele Situationen mit Regeln abdeckt.
Und nach mittlerweile ungefähr 2 Jahren mit Savage Worlds und Sprawlrunners hat sich das auch weitgehend bestätigt. Die Regeln funktionieren solide und wenn man kürzere Sitzungen spielt (in unserem Fall normalerweise so 2.5h - 3h Spielzeit), braucht man sich auch um die Bennies nicht SO viele Gedanken machen. Man muss fairerweise ergänzen, dass Sprawlrunners an ein paar Stellen (m.E. sinnvolle) Abstraktionen für Sachen wie Hacking hat, so dass diese nicht endlos ausarten.
Das Vorteil/Nachteil-System ist übrigens auch bei mir tendenziell der Teil mit dem ich konzeptionell am meisten fremdele. Aber in der Praxis hat es sich doch als relativ unproblematisch und die Nachteile kommen situativ, aber nicht übermäßig zum Einsatz.

Ansonsten schließe ich mich den Anderen an und wünsche viel Spaß mit SW!
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Online Swanosaurus

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #6 am: 7.09.2023 | 16:02 »
Beim Lesen hatte ich häufiger mal den Eindruck eines aufgeräumten D&D3, unter anderem weil Savage Worlds doch letztlich relativ viele Situationen mit Regeln abdeckt.

Ich denke beim Lesen immer: GURPS für Luschen (also für mich).
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Offline aikar

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #7 am: 7.09.2023 | 16:40 »
Ich kann den Eindruck schon nachvollziehen, weil ich bei der Lektüre der SWADE auch nie das Gefühl hatte: oh, das ist aber ungewöhnlich! Ich würde aber vielleicht eher "bodenständig" statt "langweilig" als Beschreibung verwenden.
Man sollte halt auch sagen, dass Savage Worlds inzwischen auch schon 20 Jahre auf dem Buckel hat. Vieles für das es damals vielleicht revolutionär gewesen ist, ist für uns heute halt nichts neues mehr und hat auch in andere Systeme Eingang gefunden. Und die neueren Versionen sind jetzt im Gegensatz z.B. zu den D&D-Editionen keine Revolutionen, sondern nur sanfte Überarbeitungen.
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Offline Radulf St. Germain

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #8 am: 7.09.2023 | 16:54 »
Spannend zu sehen, wie jemand neues SWADE wahrnimmt. Eines meiner Lieblingssysteme aber es hat lange gedauert, bis ich mich als SL in ein paar Sachen eingegrooved habe.

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #9 am: 8.09.2023 | 16:50 »
Kleine Zwischenbemerkung: Die Leadership Edges lesen sich ja echt cool, scheint ein tragfähiges Charakterkonzept bei SaWo zu sein (wobei man leider für vieles warten muss, bis man Seasoned ist).
Bei der Lektüre der Edges denke ich insgesamt ans AGE-System, der Aufbau ist ähnlich, nur bei SaWo freier. Etwas unsicher bin ich mir, ob ich die Mindest-Traits für Edges so eine richtig tolle Idee finde. Ich nehme an, die sind so eine Art Ersatz für Klassen, indem sie die freien Kombinationsmöglichkeiten dann doch ein bisschen beschränken und die Spieler:innen zwingen, sich ein Stück weit auf in dieser Hinsicht kompatible Edges zu konzentrieren. Evtl. wären dafür "softe" Klassenrichtlinien in den Regeln hiflreich, im Sinne von: "Willst du einen Commander spielen, steigere auf jeden Fall diese beiden Characteristics und nimm für den Anfang jene Edge."
Ehemals Rumpel/Achamanian

Offline Schalter

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Re: Swanosaurus liest SWADE
« Antwort #10 am: 8.09.2023 | 17:34 »
Savage Worlds hat bei mir auch erst mit spielen und danach dem Lesen der Regeln gezündet.

Vorher war es für mich das "doofere Deadlands". jetzt ist es das System wo wir in unserer Blockbusterrollenspiel für Regellegastheniker fast alles mit bespielen.

Witzig, mir ging's genauso. Ich hab' ursprünglich SaWo nur angefangen, um ein Universalsystem zu haben, das auf Cons gut ankommt. Aber irgendwann hat's bei mir klick gemacht. Es spielt sich halt einfach sehr gut und dynamisch, finde ich.