RPGBau schwer gemacht - Teil 1Das Zentrum allen Seins
Vorab:
Das hier soll der erste Teil einer Reihe sein, in der ich meinen Senf zum angewandten Rollenspieldesign verstreichen möchte. Ich weiß nicht, wie oft ich dazu was raus bringen werde. Gegenwärtig geistern mir noch ein bis zwei Themen durch den Kopf, danach muss ich mal schauen.
Heute möchte ich den Blick auf einen Teil des Rollenspiels lenken, der beim Design viel zu oft stiefmütterlich behandelt wird. Dabei ist er oftmals der erste Teil, den ein Spieler vom Spiel zu Gesicht bekommt: Das Charakterblatt.
Mein erster Blick bei einem neuen Rollenspiel (und ich weiß, dass eine erkleckliche Zahl meiner Bekannten das genauso handhabt) geht aufs Charakterblatt. Vielfach kann man bedeutende Mechanismen des Spiels schon an diesem Stück Papier ablesen.
Daher bietet es sich an, von Anfang an darüber nachzudenken, was alles aufs Charakterblatt drauf soll und wie es da verteilt wird.
Die GrundregelnWas also sollte man bei der Herstellung eines Charakterblattes bedenken?
1.) Das Blatt sollte übersichtlich sein. Darin werden wohl alle übereinstimmen. Was bedeutet das aber konkret?
Der Mensch hat im Gehirn 7 (
+2) Speicherplätze. Das gehört inzwischen mehr oder weniger zur Allgemeinbildung, ist aber bei vielen Spieldesignern noch nicht angekommen. Als ich mir neulich ein hausgebackenes System anschaute, merkte ich an: „Zehn Attribute sind ne ganze Menge.“ Der Designer antwortete ein wenig beleidigt: „AERA hat doch auch neun Attribute.“
Da hat er zweifelsfrei recht, aber doch die falschen Schlüsse gezogen. AERA benutzt (wie verschiedene andere Systeme) eine hierarchische Struktur. AERA oder die WoD benutzt drei mal drei Attribute, Shadowrun drei körperliche und drei geistige.
Und das macht für das Gehirn einen Unterschied.
Hierarchie ist also ein Zauberwort. Wer etwa sowieso seine Fertigkeiten fest einem Attribut zuordnen will, kann auch gleich das Attribut als Überschrift für die Fertigkeitsgruppe benutzen. Das erspart zudem das Notieren des zugehörigen Attributs.
Wer so etwas nicht vorhat und trotzdem eine große Gruppe von gleichartigen Eigenschaften festhalten möchte, ist daher gut beraten, diese in verschiedene Untergruppen zu teilen.
2.) Charktererschaffung ist ein Nadelöhr.
Wer kennt das nicht. Die Gruppe möchte ein neues System probieren und alle sind heiß darauf ihren ersten Charakter zu Papier zu bringen. Es ist aber nur ein Buch da. Und auch nur eine Person, die eine ungefähre Ahnung davon ab, welche Zahl jetzt wo hin soll. (Das dürfte der angehende Spielleiter sein.)
Und so verbringen die Teilnehmer eine große Zeit dabei entweder auf das Buch zu warten oder die Aufmerksamkeit des Spielleiters zu erhaschen, um zu erfahren, wie es weiter geht.
Diese tote Zeit kann man verringern, indem man möglichst viele Informationen auf dem Blatt unterbringt.
Wer also einen festen Kanon von Fertigkeiten nutzen möchte, sollte diesen auf dem Charakterblatt unterbringen. (Wer mehr Fertigkeiten benutzt, als auf ein Blatt passen, sollte über sein Konzept noch einmal gründlich nachdenken.)
Wenn abgeleitete Werte berechnet werden sollen, bietet es sich an, die Formel auf dem Blatt zu notieren.
Insgesamt ist es auch hilfreich Punktetabellen für die Charaktererschaffung oder die allgemeine Vorgehensweise klein am Rand zu notieren.
Die grafische KrönungDie ersten grafischen Elemente auf den Charakterbögen dieses Planeten waren vermutlich Angaben für Lebenspunkte oder ähnliche Ressourcen (vgl. Shadowrun, Chtullu). Eine durchaus praktische Erfindung. Man erhält einen bildlichen Eindruck davon, wie viel noch über ist und eventuelle Erschwernisse, kann man auch gleich dazu schreiben.
Die ersten, die die grafische Notation auf andere Charakterwerte ausgeweitet haben, waren White Wolf mit ihrer World of Darkness. Welch Offenbarung! Jeder, der das Charakterblatt betrachtet erkennt sofort, dass Werte offenbar von 1 bis 5 (bzw. von 1 bis 10) reichen. - Ganz ohne Erklärung.
Neben dieser intuitiven Vermittlung der Umstände prägen sich Grafiken gut ein. Bei den meisten besser als Text. Wer also seinem Bogen eine besondere Note geben will, ist mit grafischen Methoden gut bedient.
Daneben offerieren grafische Tricks eine ganz neue Bandbreite von Möglichkeiten, die in den seltensten Fällen voll ausgeschöpft werden.
Stellen wir uns ein System vor, in dem die Charaktere, wenn sie bestimmte Stufen erreichen neue Kniffe für ihre Eigenschaften erhalten. Um das darzustellen benutzt der Designer auf dem Charakterblatt in einander gelegte Kreise mit jeweils mehreren Feldern. (Siehe linke Grafik im Anhang.) Erst wenn eine Hülle voll ausgefüllt ist, darf die nächste angebrochen werden.
So wird System erfahrbar und zudem das Blatt individuell.
Auch kann man das zwei-dimensionale Blatt ausnutzen, um Eigenschaften weniger linear zu machen.
Betrachte bitte die zweite Grafik im Anhang.
Die Grafik hat fünf Felder. - Je eins in vier Richtungen und eins in der Mitte. Man könnte dazu jetzt Regeln kreieren, bei denen es einen Unterschied macht, welche Felder ausgemalt sind.
Die vorliegende Anordnung könnte etwa von einem System benutzt werden, dass stark mit den vier Himmelsrichtungen, den vier Elementen oder den vier Ninja-Turtles arbeitet.
Z.B. könnte ein Charakter, der bei seiner Kampffertigkeit die untere Richtung ausgemalt hat, in der Lage sein im Erd-Stil zu kämpfen.
Dieses Feld ist noch kaum beackert. Ihr habt also ne Menge Möglichkeiten, um noch richtig kreativ zu werden.
Ich freue mich über Kommentare und Anregungen.
Ansonsten bis zum nächsten mal.
Anhang - Grafiken